Meilensteine der Astronomie
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Meilensteine der Astronomie

Von Aristoteles bis Hawking

  1. 302 Seiten
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Meilensteine der Astronomie

Von Aristoteles bis Hawking

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Über dieses Buch

Ein spannender und lebensnaher Streifzug durch die Astronomiegeschichte. Dieses Buch erzählt von den großen Entdeckungen und Persönlichkeiten der Astronomie: von Stonehenge und Nebra über den revolutionären Kopernikus und Keplers Entdeckung des Weltgeheimnisses bis hin zur modernen Astrophysik des Stephen Hawking, aber auch von weitgehend Unbekanntem wie die Astronomie den Alltag der Menschen beeinflusste oder über gelehrte Frauen.

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Information

Verlag
Kosmos
Jahr
2014
ISBN
9783440143995

1. Religiöse Kulte,
steinerne Weltbilder und ein
geschmiedeter Himmel

Astronomie in alter Zeit – Fiktion oder Realität?

Noch vor wenigen Jahren schien es ein Risiko zu sein, archäologischen Funden eine astronomische Seite abgewinnen zu wollen. Nur wenige Fundstätten und Objekte konnten benannt werden. Die weithin bekannte Anlage von Stonehenge, der Kultwagen von Trundholm und wenig mehr schienen eine Ausnahme zu sein und vielleicht gar ein Zufall? Was es sonst noch gab, wie die keltischen Radkreuze, bronzezeitliche Ornamente von Kreis und Spirale, blieb in diesem Rahmen der Forschungssituation stark umstritten.
Sehr in Misskredit wurde die gesamte Problematik dadurch gebracht, dass während der Zeit des Nationalsozialismus eine ideologisch geprägte Denkrichtung dazu verführte, eine „germanische Himmelskunde“ zu begründen, die fast wahllos archäologischen Funden eine himmelskundliche Deutung beilegte und diese einem „germanischen Wesen“ zuzuschreiben suchte. Es störte die Urheber nicht, dass diesem „Wesen“ gleichermaßen Funde der Steinzeit, Bronzezeit oder der Eisenzeit einverleibt wurden, und man begann, himmelskundliche Beziehungen allgegenwärtig zu finden.
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass Vorträge zum Thema „Astronomie in alter Zeit“ noch Anfang der 1980er Jahre mit viel Skepsis aufgenommen wurden. Dennoch hatte sich damals die Forschungssituation grundlegend geändert. Längst war es erwiesen, dass der Himmel in der reichen und differenzierten Geisteswelt der Menschen früher Kulturen eine fundamentale Rolle spielte. Doch in der Bezeichnung dessen, was man fand, zog Vorsicht ein. Ausdrücke, wie „Stonehenge – ein neolithischer Finsterniscomputer“, „vorgeschichtliche Sternwarten“ oder „Sonnenwarten“ und Ähnliches traten zurück. Im Zusammenhang mit den materiellen Lebensgrundlagen und der Gesamtheit der uns erschließbaren Lebensumstände offenbarten sich Grundzüge der Geisteswelt mit vielfältigen Fruchtbarkeits- und Totenkulten, die einen deutlichen Bezug zum Himmel aufwiesen. Anders gesagt, die Menschen der frühen Kulturen betrieben keine Himmels- oder Kalenderkunde. Aber sie entwickelten das Bild einer einheitlichen Welt, in der der Mensch gleichermaßen in Beziehung zur irdischen wie zur himmlischen Umwelt, zu den Leben spendenden und lebensbestimmenden Himmelskörpern trat. Himmel, Erde und Mensch bildeten eine Einheit, in der alles miteinander in Verbindung stand. Und schon früh entwickelte sich eine Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, von einem „Jenseits“, das mit einiger Wahrscheinlichkeit als eine himmlische Welt gedacht wurde. Für den Weg dorthin wurde den Verstorbenen Nahrung sowie Dinge des alltäglichen Lebens und Zeichen ihrer einstigen irdischen sozialen Stellung mitgegeben – Töpfe, Werkzeug, Schmuck, Waffen. Dies natürlich wechselnd in den Zeiten.
Was wir heute an materiellen Hinterlassenschaften vom Denken unserer Uralt-Vorfahren besitzen, ist zwar einerseits wenig und manchmal in der Interpretation umstritten, aber doch ausreichend, um zu erkennen, dass sie keine kulturlosen Wilden waren, sondern wir ihrem Geistesleben, ihrem Wissen um Naturdinge, also mithin ihrer Intelligenz unsere Achtung schulden.
Die Einbeziehung der Himmelskörper in alte Kulte ist zeitlich und territorial recht unterschiedlich. Bei aller Vorsicht der Interpretation werden uns aber Fruchtbarkeits- und Totenkulte erkennbar, die wiederum eng miteinander verbunden sind. Gleichermaßen handelt es sich um das Leben und den Tod von Menschen, Tieren und Himmelskörpern, vor allem der Sonne und des Mondes. Für die Erforschung dieser Dinge stellt es sich als sehr problematisch dar, dass es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen der uns vertrauten Art gibt. Methodisch geht es um die Deutung von Symbolen und die Orientierung von Bauten in bestimmte Himmelsrichtungen. Doch ein Symbol erschließt sich erst im Kontext des Denkens der Menschen, die es gebrauchen – und um dieses Denken zu erschließen, dient das Symbol. Eine vertrackte Situation, die sich nur in einer vergleichenden Analyse von Symbolen löst. Und auf diesem Wege gelangen in den vergangenen, sagen wir 20 Jahren, erstaunliche Erkenntnisse.

Die Sonne im Angesicht der Toten

Hinsichtlich der Orientierung von Bauten in bestimmte Himmelsrichtungen, die durch den Auf- und Untergang vor allem der Sonne gegeben sind, darf man nicht unbedingt die Genauigkeit erwarten, mit der wir heute Bauwerke im Gelände orientieren. Jede Zeit verwirklicht die Genauigkeit, die sie aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten und ihres Genauigkeitsempfindens in der Lage ist zu geben. Vielfach, oder gar in den meisten Fällen, wird nicht ein Punkt am Horizont gradgenau getroffen, sondern eine Richtung. Sehen wir uns dazu Beispiele an.
Vor etwa 8800 Jahren, in der jüngeren Mittelsteinzeit, wurden in Holheim in der Nähe von Nördlingen, in der Großen Ofnethöhle, die Schädel von 20 Kindern, neun Frauen und vier Männern rituell beigesetzt. Die Schädel waren durch Schlagverletzungen teilweise stark zertrümmert, mit Schmuck aus durchbohrten Hirschzähnen und mehr als 4000 Schneckenhäusern in rote Ockererde gebettet. Dabei sind die Schädel nach Westen gerichtet, dorthin, wo das Licht der untergehenden Sonne in die Höhle scheint. Es gibt wohl kaum eine andere Deutung der Befunde als anzunehmen, dass die 33 Menschen rituell getötet wurden und die rote Farbe, die Farbe des Blutes, der Lebenskraft, der Sonne am Abend – aber ebenso am Morgen – ein Symbol für Tod und Wiedergeburt in einem anderen Leben, in einem anderen Bereich der Welt darstellte. Sollte mit der gewaltsamen Tötung irgendein Einfluss auf das mythische Sonnenwesen ausgeübt werden? Wurde ihm am Abendhimmel Kraft gegeben, um am Morgen wieder erneuert, neu geboren, zu erscheinen? So könnten wir es uns denken, wissen tun wir es nicht.
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Der Faldouet-Dolmen auf Jersey mit Zugangsausrichtung nach Osten.
Die Bestattung von Toten nach bestimmten Himmelrichtungen, nach möglichen Blickrichtungen, tritt immer wieder auf. In der Aunjetitzer Kultur des östlichen Mitteleuropas, einschließlich Sachsen-Anhalt und Thüringen (2300 bis 1600 v. Chr.), erfolgte die Bestattung in Hockstellung auf der rechten Körperseite mit der Blickrichtung nach Osten. Während der Glockenbecherkultur (um 2000 v. Chr.) gibt es sogar eine geschlechtlich differenzierte Beziehung zur Sonne – mit dem Blick zur aufgehenden Sonne lagen die Frauen auf der linken, die Männer auf der rechten Seite bestattet. Neolithische Gräber in Mecklenburg-Vorpommern (um 2500 bis 2000 v. Chr.) wurden so angelegt, dass deren Zugänge bei etwa 71 Prozent in die südliche Richtung wiesen. Hier spielte zweifellos die Sonne mit ihrer größten „Machtentfaltung“ zur Tagesmitte den gedanklichen Ausgangspunkt. Aber offenbar war der kultischen Bedeutung mit einer Orientierung in die südliche Richtung Genüge getan, eine größere Präzision wurde nicht erreicht und lag sicher außerhalb der Vorstellungswelt der alten Mecklenburger.
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Die Ausrichtung der Zugänge von 98 steinzeitlichen Grabbauten in Mecklenburg-Vorpommern.
Prähistorische Grabbauten zeugen von ausgefeilten Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode und stehen in vielfacher Beziehung zu den Gestirnen, die in mythischen Weltbildern eine herausragende Rolle spielen – Grabbauten wurden zu Kultstätten zur Verehrung der Ahnen. Die Komplexität von Toten-, Gestirns- und Fruchtbarkeitskulten ist ein übereinstimmendes Merkmal aller frühen Kulturen, in den ägyptischen oder mesopotamischen Stromtälern, bei unseren steinzeitlichen, keltischen, germanischen oder slawischen Vorfahren, den Indianern Nord-, Mittel- und Südamerikas oder in der Gedankenwelt heutiger Naturvölker. Die frühe Himmelskunde repräsentiert nicht nur Aspekte der Entwicklung der Astronomie, sondern ebenso der Astrologie und Kosmologie mit engen Bezügen zur Geschichte des religiösen Denkens – eine bedeutsame Verknüpfung rationaler und nichtrationaler Denkinhalte.

Kalenderbauten und heilige Stätten

In Verbindung mit dem Jahreslauf der Sonne, ihrer wechselnden Höhe am Himmel, ihren unterschiedlichen Auf- und Untergangspunkten am Horizont, wurden vorzeitliche Kultanlagen und archäologische Funde auch zu Objekten einer alten Kalenderrechnung. Und noch unser Kalender und seine Feiertage sind in dieser Jahrtausende alten Tradition bei wichtigen Eckpunkten an das Naturgeschehen gebunden: Natürlich der Beginn der Jahreszeiten, der Jahreswechsel, Weihnachten, Ostern, Pfingsten und anderes.
Das bekannteste Beispiel aus der prähistorischen Astronomie ist bis heute Stonehenge (s. auch folgende Abb.), eine monumentale Anlage, 130 Kilometer westlich von London. Stonehenge entstand wahrscheinlich in drei Bauphasen zwischen 3000 und 1500 v. Chr. Der heutige Zustand vermittelt einen unvollständigen Eindruck des einstigen Aussehens, da zahlreiche Steine trotz größter Umsicht der Erbauer umstürzten oder entfernt wurden. Dem heutigen Besucher erschließt sich nicht mehr die tiefe Gedankenwelt der einstigen Erbauer. Doch im Ergebnis archäologischer Untersuchungen gelang eine exakte Rekonstruktion: Im Zentrum stößt man auf den etwa 31 Meter im Durchmesser fassenden Steinkreis, den „Sarsenkreis“, der durch 30 mächtige, etwa vier Meter hohe Steinblöcke gebildet wird, mit überliegenden Steinen zu einem geschlossenen Kreis verbunden. Dieser Kreis umschließt fünf Steintore. Von kleineren Steinsetzungen innerhalb der Anlage abgesehen, wird Stonehenge nach außen hin von den 56 „Aubrey-Löchern“ abgeschlossen und von einem Wall begrenzt, hinter dem sich aufrechtstehend der „Heelstein“ befindet.
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Teilansicht von Stonehenge.
Bereits im Jahr 1740 wurde die Ausrichtung der Hauptachse des Bauwerkes auf den Aufgangspunkt der Sonne zur Sommersonnenwende, also dem Sommeranfang, vermutet. Dies konnte der Astrophysiker Norman Lockyer 1901 nach genauen Untersuchungen bestätigen. Somit stellte sich Stonehenge zunächst als eine gewaltige Kalenderanlage dar, denn die systematische Beobachtung der Sonnenaufgangsorte machte es möglich, durch ihre Wiederkehr an einem bestimmten Horizontpunkt den Zeitraum eines Jahres festzustellen. Auf den ersten Blick könnte man sich damit zufrieden geben. Bei näherer Betrachtung drängt sich allerdings die Frage auf, warum eine kalendarische Markierung mit solch gewaltigem Bau festgehalten werden sollte. Die Steine der hufeisenförmigen Zentralanlage sind mit etwa 50 Tonnen Masse die größten im prähistorischen England bearbeiteten und ragen bis zu sieben Meter aus dem Boden. Die Aufstellung der Steintore kann zwar durch Rampen oder den Bau von Holzgerüsten erklärt werden, dennoch bleibt dies eine technische Meisterleistung, mit Anstrengungen verbunden, die nur Menschen auf sich nehmen, die ein festgegründetes Motiv besitzen.
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Schematische Darstellung der Anlage von Stonehenge mit der Visur zum Aufgangsort der Sonne zur Sommersonnenwende.
Den Ansatz dafür gibt das mythische Weltbild der Erbauer, soweit uns heute eine Erklärung überhaupt gelingen kann: Stonehenge ging über die Funktion eines „Sonnenobservatoriums“, eines Kalenderbaus, hinaus, es war ein heiliger Ort kultischer Verehrung der Sonne als Spenderin allen Lebens. Die Sonne bringt die Jahreszeiten, ihr Lauf markiert den Kreislauf der Natur mit Geburt, Tod und Wiedergeburt. Wurde die Sonne überhaupt zum Sinnbild periodischer Folgen? Verbanden die Menschen die Lebenszyklen der Sonne mit ihren eigenen, von der Geburt zum Tod und vom Tod zur Wiedergeburt in einem anderen, unbekannten Teil der Welt?
Nach erneuten Untersuchungen um 1963 gelangen in Stonehenge überraschende Befunde: Nicht nur zur Sommersonnenwende wurde die Sonne beobachtet, sondern ebenso zur Winterwende, dem Winteranfang, weiterhin wurde in Stonehenge der Mond in seiner nördlichsten beziehungsweise seiner südlichsten Stellung am Himmel beobachtet. Der Festlegung dieser Linien in einem Bauwerk mussten jahrelange systematische Studien der Bewegungen am Himmel vorausgegangen sein. Dies beweist eine entwickelte Fähigkeit zur räumlich-geometrischen Vorstellung. Die Erbauer mussten empfänglich gewesen sein für die Feststellung von Regelmäßigkeiten und den Unterschied im ruhigen, konstanten Lauf der Gestirne zu den unsteten Vorgängen auf der Erde. Schon hier zeigt sich, dass die Menschen damals in der Lage waren, abstrakt zu denken, hinter unsteten Erscheinungen das Wesen der Dinge zu suchen, eine Vorstellung von Maß und Zahl zu entwickeln und sich hierzu auch schriftliche Aufzeichnungen zu machen, ohne dabei Zahlen und Buchstaben zu verwenden.
Die bei Stonehenge konstatierten Sonnen- und Mondortungen finden sich ferner bei mehreren kreisförmigen Steinsetzungen in Großbritannien und auf dem europäischen Festland. Hierzu gehört, um aus der Fülle einiges zu nennen, die Steinsetzung von Callanish auf der Insel Lewis (Äußere Hebriden), Visuren am „Ring of Brogar“ auf den Orkney-Inseln oder die Ausrichtung der Steinreihen von Carnac in Frankreich. In Kintraw (Westschottland) sieht man die Sonne zur Wintersonnenwende von einem mit aufrecht stehenden Steinen besetzten Hügel aus hinter einer entfernten Hügelspitze untergehen – ein beeindruckender Effekt dadurch, dass die Sonne, bevor sie endgültig versinkt, in einem Einschnitt des Horizontprofils wie ein verglimmendes Feuer kurz auflodert. Ihre Erklärung finden solche Orientierungen in der Verbindung zum Totenkult. Es lag durchaus nahe, das Reich der Toten im Westen, dort, wo die Sonne täglich untergeht, anzunehmen.

Sonnen- und Himmelsscheiben

In der Bronzezeit finden wir eine Zunahme astraler Kultsymbole. Dass diese in erster Linie Sonnensymbole sind, kann für eine Gesellschaft, deren materielle Produktion auf Feldwirtschaft und Viehzucht beruht, nicht verwundern. In allen bronze- und eisenzeitlichen Kulturkreisen war die Spirale als astrales Symbol verbreitet. Ob mit diesem Symbol der jährliche Lauf der Sonne über und unter dem Horizont in Spiralform dargestellt werden sollte, ist fraglich, aber denkbar. Näher liegt die Deutung, vor allem der Doppelspirale, als Symbol der Um- und Wiederkehr, des an die Sonne gebundenen Zyklus des Naturgeschehens. In diesem Zusammenhang ist an den Kultwagen von Trundholm zu denken (s. auch folgende Abb.), ein Beispiel höchster Kunstfertigkeit des bronzezeitlichen Menschen (um 1400 v. Chr.), ebenso Zeugnis hoher Geisteskultur. Ein kleines Pferdchen zieht eine mit Goldblech bezogene Bronzescheibe. Legt bereits die golden leuchtende Scheibe den Gedanken an eine Beziehung zu bronzezeitlichen Sonnenkulten nahe, dann noch mehr die Ornamentik der Scheibe: kleine Zeichnungen konzentrischer Kreise sowie Spiralen, die in Kreiszonen angeordnet sind. In der Erlebniswelt des bronzezeitlichen Menschen liegt dem sicherlich die Bewegung der Sonne am Himmel im Verlauf des täglichen und jahreszeitlichen Geschehens zugrunde, während das Pferd mit dem Sonnenwagen die Jahresbewegung der Sonne auf Kreisen, oder besser auf einer Spirale, versinnbildlicht. Die Verbindung des Sonnensymbols mit einem Pferd ist auf bronzezeitlichen Gegenständen ein häufiges Motiv und, ohne an eine direkte Abhängigkeit zu denken, sei an den viel späteren Sonnenwagen des Helios erinnert.
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Der bronzezeitliche Kultwagen von Trundholm (um 1400 v. Chr.), Rekonstruktionszeichnung.
Wiederum wissen wir nichts über die rituellen Handlungen, bei denen der Trundholmer Wagen eine zentrale Rolle spielte. Es dürfte jedoch klar sein, dass es hier um die Bewegung der Sonne im Laufe des Tages und des Jahres ging, die wechselnde Kraft eines mächtigen Sonnenwesens (um die Bezeichnung als Sonnengott zu vermeiden). Auf die damit verbundenen tiefen Überlegungen der Trundholmer Menschen deutet der Befund, dass zwar die Vorderseite mit Ornamenten im Goldblech verziert ist, die von einem umlaufenden Strahlenkranz abgeschlossen werden, aber die Rückseite „dunkel“ blieb, ohne Goldauflage und ohne Strahlenkranz. Die Gestaltung erfolgte in der Art, dass die goldene Seite vom Pferdchen von links nach rechts – oder Ost nach West –, die dunkle von West nach Ost gezogen wird. Symbolisiert der Kultwagen von Trundholm das kosmologische Bild der Bewegung der Sonne um die Erde, gezogen von einem Pferd, am Tag über der Erde, bei Nacht unter ihr, um bis zum Morgen an ihren östlichen Ausgangspunkt zurückzukehren? In diesem Bild wäre es dann gut erklärbar, dass das Sonnenwesen im Winter an Kraft verliert, sich nur mühsam über den Horizont erhebt und eine lange Nachtreise vor sich hat, hingegen im Sommer sich hoch an den Himmel schwingt und vor Kraft kaum dazu zu bringen ist, des Nachts unter den Horizont zu tauchen.
Der Trundholmer Wagen wurde 1902 aus einem Moor geborgen. Die Fundumstände ergaben, dass die Sonne und ihr Wagen teilweise zerstört und dann regelrecht im Moor bestattet wurden. Aus einem uns unbekannten Grund verlor der Wagen offenbar die Kraft eines sakralen Gegenstandes, wurde durch das Zerbrechen entweiht und aus der gegenwärtigen Welt verbannt. Möglicherweise hängt dies mit veränderten Religionsvorstellungen zusammen, denn nach etwa 1300 v. Chr. treten in Skandinavien Spiralmuster deutlich zurück und verschwinden schließlich ganz. Musste in diesem geistigen Zusammen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort
  2. 1. Religiöse Kulte, steinerne Weltbilder und ein geschmiedeter Himmel
  3. 2. Die Suche nach der Erklärung der Himmelserscheinungen
  4. 3. Von der Zeitenwende ins helle Mittelalter
  5. 4. Kopernikus und die schwer wiegenden Folgen
  6. 5. Instrumente für  „spitzfündige köpffe“ und Gelehrte 
  7. 6. Von Aderlässen, Schwangerschaftsverhütung und Wettervorhersagen
  8. 7. Das neue Weltsystem und der Konflikt mit den Theologen
  9. 8. Frauen in der Astronomie und die Triumphe der Himmelsmechanik
  10. 9. Amateurastronomen erweitern die Wissenschaft
  11. 10. Himmelskörper in Philosophie und Wissenschaft
  12. 11. An den Grenzen unseres Wissens
  13. Zeittafel
  14. Literaturverzeichnis
  15. Impressum