Aufklärung und Exzess
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Aufklärung und Exzess

Epistemologie und Ästhetik des Übermäßigen im 18. Jahrhundert

  1. 298 Seiten
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Aufklärung und Exzess

Epistemologie und Ästhetik des Übermäßigen im 18. Jahrhundert

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Exzess, Überschreitung und Überfluss sind Phänomene, die einem Kernideal bürgerlicher Aufklärung widersprechen: der Forderung nach Mäßigung. So formuliert etwa Voltaire in seinem Discours sur la modération: »Tout vouloir est d'un fou, l'excès est son partage: / La modération est le trésor du sage« – eine Maxime, die in Ökonomie, Diätetik und Ästhetik gleichermaßen auf Resonanz stieß. Allerdings herrschte über das ›rechte Maß‹ alles andere als Einigkeit; vielmehr wurde es im 18. Jahrhundert zum Gegenstand kritischer Aushandlung, über den in gesamteuropäischen Debatten – zum Luxus etwa oder zum Enthusiasmus – intensive Diskussionen geführt wurden.
Die Forschung kann in Bezug auf das Übermäßige im 18. Jahrhundert an zahlreichen Stellen ansetzen: So fanden etwa wissenspoetologische Transfers zwischen anthropologischen Teildisziplinen im Exzessiven einen fruchtbaren Gegenstand. Vor dem Hintergrund sozialer und medialer Verlagerungen im 18. Jh. stellen Fragen der Subjektbildung (Schwärmerei), überschießender Datenmengen (information overload) und auch dem Umgang mit dem ›zu viel‹ auf poetologischer, ästhetischer und rhetorischer Ebene den Horizont der Beiträge dieses Bandes dar.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110706192

III Denken des Zu viel: Philosophische Perspektiven

Ausschweifender Witz. Vor- und Nachgeschichten einer anderen Vernunft (von Gracián und Descartes über Bouhours und de la Houssaye zu Thomasius, Gottsched und Baumgarten)

Johanna Schumm

I Einführung

Das Witzdenken des siebzehnten Jahrhunderts kann als Vorgeschichte aufklärerischer Formen des Exzesses verstanden werden. Der barocke Witz wird als eine Geisteskraft konzipiert, die der Ausschweifung verschrieben ist und sich aller praktischen und diskursiven Mäßigung und Kontrolle entzieht. So entwirft ihn z. B. Baltasar Gracián. In seiner „flammenden Theorie des Geistes“, wie er sie selbst genannt hat, ist der Witz (die agudeza) das entscheidende Vermögen. Gracián stiftet damit eine neue Tradition des Witzdenkens. „Flammend“ nannte Gracián seine Theorie auch deswegen, weil sie seinem Anspruch nach sich von allen bestehenden Diskursen wie eine Flamme nähre und sie verbrenne. Genauso schnell, wie sie entbrannte, verlosch ihre Flamme jedoch auch wieder – zumindest, wenn man ihre kärgliche Rezeption (insbesondere außerhalb Spaniens) betrachtet. Dass ihre Flamme so schnell erstickte, lag auch daran, dass sie als unvereinbar mit dem großen Geistes-Projekt des siebzehnten Jahrhunderts wahrgenommen wurde: Descartes’ Krönung der raison. Die daran anschließenden philosophischen und ästhetischen Strömungen, ich meine damit insbesondere die Konstruktion des sogenannten „Klassizismus“, entwerfen eine Frontstellung zwischen dem Spanisch-Barocken und dem Französisch-Klassischen, in dem ersterem der Exzess, die Fülle, das Zuviel zugeschrieben wird und letzterem das Maßhalten. An dieser Opposition arbeitet sich die frühe Rezeption Graciáns ab. Davon ausgehend wird deutlich, dass ein Aspekt der Ablehnung des Exzesses im achtzehnten Jahrhundert die Abwehr dieser anderen Tradition der Vernunft ist, zu der auch Gracián gehört und die über seine agudeza rezipiert wird. In ihr spielt das Viel und das Zuviel, das Überbordende eine entscheidende Rolle. Zugleich schließt das Verständnis des Exzesses in der Aufklärung an eben diese Tradition an und kann durch sie erhellt werden.
Mein Beitrag gliedert sich folgendermaßen: Nach einer Einführung beginne ich mit einem Blick auf zwei konkurrierende Gründungsmomente der frühneuzeitlichen Philosophie; einen der Kargheit und einen des Exzesses. Ersterer hat die Orientierung der Aufklärung am Maß, an der Reduktion geprägt – ich spreche natürlich von Descartes. Letzterer ist die spanische, katholische Tradition des Konzeptismus. Sie wurde in der Folge abgewehrt und eingehegt, punktuell aber auch aufgegriffen (II. Vorgeschichten: Masse und Beziehung vs. Klarheit und Deutlichkeit. Gracián und Descartes). Ich werde dann zeigen (III. Gegengeschichten: Unverständlich und monströs. Das Spanische als die Ausschweifung), wie Gracián als Divergenz zu Descartes und dem Maßhalten des französischen Klassizismus rezipiert und unter anderem ins deutschsprachige achtzehnte Jahrhundert vermittelt wurde. Hier spielt die französische Rezeption Graciáns durch Bouhours und de la Houssaye eine wichtige Rolle. Abschließend (IV. Nachgeschichten: Flittergold, Luxus und die „Kunst schön zu denken“) werde ich punktuell aufzeigen, wie die deutsche Rezeption des achtzehnten Jahrhunderts durch eine Ambivalenz gekennzeichnet ist: Einerseits schließt sie an Gracián an, andererseits lehnt sie ihn ab. Mein Beitrag entwirft so eine Vorgeschichte des Exzesses im achtzehnten Jahrhundert. Diese ist insofern von systematischem, theoretischem Interesse, als durch sie eine besondere Form des Schreibens und Denkens in Fülle anschaulich wird.
Dass Gracián auch für die deutsche Aufklärung relevant war und dabei einerseits an ihn angeschlossen, andererseits wesentliche Momente seiner Theorie (insbesondere jene, die als exzessiv wahrgenommen wurden) abgelehnt wurden, belegt leicht ein Blick auf Johann Georg Sulzers Eintrag zum Witz in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste von 1794. Der Eintrag zeugt davon, wie der Gracián’sche Witz als verhängnisvoll dem Exzess verwandt verstanden und darin der ordnenden, mäßigenden Kraft des Verstandes entgegengesetzt wird. In einem Zusatz zur Ausgabe von 1794 wird explizit Gracián als Quelle einer solchen Bestimmung des Witzes genannt: „Das Werk ist unstreitig das ausführlichste, was über diese Materie geschrieben worden ist. Es enthält 50 Abschn. oder Discursos, deren Inhalt aber hier zu viel Platz einnehmen würde. Indessen dürfte andern das, was dem Verfasser Witz ist, leicht falscher Witz scheinen.“1 Schon hier klingt Graciáns eigene Tendenz zu überborden an, ein Moment, das sich von dem von ihm behandelten Gegenstand auf die Form seines Werkes überträgt. Wesentlich für Sulzers Darstellung ist die Verbindung des Witzes mit Formen der Fülle und der Überschreitung. Der Witz rufe „aus dem ganzen Vorrath der in der Einbildungskraft liegenden Begriffe alles herbey […], was zur Belebung der Hauptvorstellung dienet. Daher kommen die vielen Bilder, die mannichfaltigen Vergleichungen, die Nebenbegriffe und seltenen Einfälle in den Reden des witzigen Kopfes.“2 Der Witz muss, so Sulzer, gebändigt werden, andernfalls werde er „leicht falsch, ausschweifend, und sogar abgeschmackt; und wenn ihn nicht eine richtige Beurtheilung [durch den Verstand] begleitet, so wird er unzeitig abentheuerlich, übertrieben und schädlich.“3 Dass der Witz auf Mannigfaltigkeit, auf Fülle, auf Exzess zielt, das ist in seiner theoretischen Bestimmung durch Gracián offensichtlich, dass dies jedoch als etwas Negatives, als etwas Einzuhegendes, der Kontrolle Bedürftiges verstanden wird, das ergibt sich erst durch seine Konfrontation mit der Descartes’schen Vernunft. Ich werde deswegen im Folgenden zeigen, wie sich die beiden Autoren insbesondere durch ihr Verhältnis zur Fülle gegenüberstellen lassen.

II Vorgeschichten: Masse und Beziehung vs. Klarheit und Deutlichkeit. Gracián und Descartes

Gracián und Descartes arbeiten fast zeitgleich an ihren großangelegten Auseinandersetzungen mit dem menschlichen Geist und ihre Projekte sind dabei in vielerlei Hinsicht vergleichbar.
1628 erscheinen Descartes’ Regulae ad directionem ingenii,4 die wesentlich für seine Ausarbeitung des Discours de la méthode (1637) und der Meditationes (1641) sein werden, 1639 entstehen Graciáns erste Entwürfe zu seiner Agudeza y arte de ingenio, die 1642 in einer ersten und 1648 in einer erweiterten Version erscheint. Besonders in diesen Schriften zeigt sich das gemeinsame Interesse am Ingenium und zugleich die radikale Differenz: Hier werden Regeln gebildet, dort die Regellosigkeit gefeiert, hier muss das Ingenium geleitet werden, dort triumphiert seine Kunst über alle anderen Vermögen. Graciáns Feier des regellosen Ingeniums als Kraft des Witzes klingt wie eine kritische Antwort auf Descartes’ Bemühungen, dieses an die Leine der Vernunft zu legen.
Dennoch gibt es keine detaillierte Studie zum Verhältnis von Descartes und Gracián, sondern es wurde bisher nur punktuell auf Nähen zwischen ihnen hingewiesen. Ich möchte hier eine Grundlage für eine Gegenüberstellung der beiden Autoren schaffen und dabei insbesondere Graciáns Geistestheorie in der Agudeza y arte de ingenio mitberücksichtigen, da sie mit Blick auf Descartes noch nicht untersucht wurde. Die bisherigen Vergleiche von Gracián und Descartes gehen vom Beginn von Graciáns Roman Criticón aus, in dem eine Art Urszene des Erkennens und Wahrnehmens konstruiert wird, wenn der Protagonist Andrenio in einer Höhle zwischen Tieren aufwächst.
¿Qué es esto?, decía. ¿Soy o no soy? Pero pues vivo, pues conozco y advierto, ser tengo. Mas, si soy, ¿quién soy yo? ¿Quién me ha dado este ser y para qué me lo ha dado?
[‚Was ist das‘, sprach ich, ‚bin ich oder bin ich nicht? Doch da ich lebe, da ich erkenne und verstehe, so halte ich dafür, daß ich bin. Doch wenn ich bin, wer bin ich dann? Wer hat mir dieses Dasein gegeben, und wozu hat er es mir gegeben?‘]5
Die Fragen, die Andrenio sich stellt, wurden etwa von Emilio Hidalgo-Serna und Francisco Maldonado de Guevara als Gracián’sches „Cogito“ beschrieben.6 Auch Hans Blumenberg7 sieht in dem Romananfang eine Parallele zu Descartes, während Karl Vossler in seiner Studie Poesie der Einsamkeit den Einfluss Descartes’ allein in einem Zitat erkennt:
Wenn der aufklärerische mutige Geist des Criticón in Spanien schließlich doch ohne erzieherische Wirkung blieb...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung
  5. I Maß halten! Diätetik und Anthropologie
  6. II Formung und Neuordnung: Die Produktivität des Exzesses
  7. III Denken des Zu viel: Philosophische Perspektiven
  8. IV Übermaß schreiben: Poetik und Poetologie
  9. Kurzbiographien
  10. Register