Die vorhandene medizinische Literatur zu Schwangerschaft und Geburt bei Leihmutterschaft zeigt keine wesentlichen Besonderheiten im Vergleich zu Schwangerschaften nach anderen Formen der Sterilitätstherapie. Auch die psychologischen Nachuntersuchungen zu den Kindern, zu den auftraggebenden Eltern, aber auch zu den Leihmüttern sehen keine wesentlichen negativen Befunde. In der ethischen Diskussion steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie es zu bewerten ist, wenn eine Schwangerschaft gegen eine finanzielle Kompensation ausgetragen wird, wobei die Belastung für die Leihmutter für die gesamte Schwangerschaftsdauer von 9 Monaten ansteht. Auch die „Übergabe des Kindes“ an eine fremde Frau wird kontrovers diskutiert bezüglich der Frage, ob die Unterbrechung der Mutter-Kind-Beziehung durch die Geburt langfristige negative Auswirkungen für die Leihmutter und das Kind haben kann. Die reproduktionsmedizinischen Fachgesellschaften und ihre Ethikkommissionen sehen hierzu keine grundlegenden Probleme.
Die Nationale Akademie der Wissenschaft (Leopoldina) hat sich in einer Stellungnahme 2019 mit dem Thema befasst und notwendige Veränderungen sowohl bei Beibehaltung des Verbots der Leihmutterschaft als auch bei einer gesetzlichen Erlaubnis formuliert.
1 Einleitung
Bevor die medizinischen, ethischen und psychosozialen Fragen der Leihmutterschaft erörtert werden, sollen einige (grundlegende) Vorbemerkungen erfolgen.
Statement der Bundesregierung
Jede Bundesregierung hält in ihrem Regierungsprogramm zu Beginn der Amtszeit fest, welche politischen Probleme sie angehen will.
Zum Beginn der 18. Legislaturperiode (2013‒2018) hielt die damalige Bundesregierung im Kapitel zu Gesetzesplänen im Bereich der Reproduktionsmedizin fest, dass es keine Veränderungen im Embryonenschutzgesetz geben soll.
Es findet sich dabei ein eindeutiges Statement: „Die Leihmutterschaft lehnen wir ab, da diese mit der Würde des Menschen unvereinbar ist“. (Koalitionsvertrag 2013). Seit Bestehen des Embryonenschutzgesetz ist neben der Eizellspende auch die Leihmutterschaft nach Paragraph 1 eindeutig verboten (Embryonenschutzgesetz 1990).
Der Hinweis auf die Menschenwürde (§ 1 des Grundgesetzes) ist grundsätzlich ein gravierendes Argument. Es sollte jedoch hinterfragt werden, wessen Menschenwürde gemeint ist: die der austragenden Mutter, der auftraggebenden Mutter, des auftraggebenden Vaters oder des Kindes oder aller Beteiligten.
Wenngleich dies im Regierungsprogramm nicht näher dargestellt wird, so kann es doch Aufgabe der Mediziner, Ethiker und Sozialwissenschaftler sein, diese Aussage zu hinterfragen.
2 Kinderwunschbehandlung als Krankenbehandlung
Noch grundsätzlicher muss aber die Frage gestellt werden, wie eine Kinderwunschbehandlung – entweder mit eigenen Spermien und Eizellen oder auch mit fremden Gameten sowie bei Leihmutterschaft – im medizinischen und juristischen Sinne zu verorten ist. Ist sie vergleichbar mit einer Krankenbehandlung im Sinne der medizinischen Behandlung, z. B. des Bluthochdrucks, einer Zuckererkrankung, einer operativen Therapie von Tumoren, die allgemein auch über das Sozialgesetzbuch V im § 27 als „Krankenbehandlung“ definiert sind – mit der Konsequenz, dass die gesetzliche Krankenversicherung diese auch komplett bezahlt?
Es lässt sich darüber streiten, ob Sterilität eine Krankheit ist. In jedem Fall leidet im psychischen Sinne das Paar an ungewollter Kinderlosigkeit, wenn es sich in eine medizinische Diagnostik und Therapie begibt. Man kann diese Form der Therapie aber durchaus auch als eine „wunscherfüllende Medizin“ begreifen, denn im engeren Sinne sollen Wünsche (hier Kinderwunsch) behandelt werden und nicht unbedingt eine klar definierbare Krankheit. Der Gesetzgeber hat dies dadurch gelöst, dass er im Sozialgesetzbuch V einen isolierten § 27a (Künstliche Befruchtung) aufgenommen hat, in dem er regelt, dass die gesetzlich versicherten Paare unter bestimmten Voraussetzungen (Ehestatus und Altersgrenzen) Anspruch auf (partielle) Bezahlung einer Kinderwunschbehandlung haben. Dieses gilt insbesondere für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) und intrazytoplamatischen Spermieninjektion (ICSI), bei der eine einzelne Spermie in die Eizelle injiziert wird.
3 Sind Paare mit Kindern glücklicher?
Bei der Frage, ob eine Kinderwunschbehandlung eher die Behandlung eines Leidensdrucks oder einer Krankheit ist, sollte zugleich auch bedacht werden, wie es den Paaren nach erfülltem Kinderwunsch (Geburt eines Kindes) im Vergleich zu Paaren geht, die „erfolglos“ geblieben sind. Hierüber gibt die AWMF-Leitlinie „Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie von Fertilitätsstörungen“ (2020) Auskunft und hält im Statement fest:
„Die langfristige Entwicklung der psychosozialen Situation von Paaren nach erfolgloser reproduktionsmedizinischer Behandlung zeigt, dass der unerfüllte Kinderwunsch oft noch eine große Rolle im Leben der Paare spielt. Infertilität wird von vielen Betroffenen als belastende Episode im Leben empfunden. Die meisten Paare bewältigen langfristig die Situation und sind in ihrem psychischen Wohlbefinden später nicht mehr beeinträchtigt.
In der Lebensqualität und der Lebenssituation zwischen Kinderlosen und Personen mit Kindern nach Kinderwunschbehandlung bestehen langfristig nur geringe Unterschiede. Ungewollte Kinderlosigkeit bleibt jedoch für einige Betroffene ein Lebensereignis, welches immer wieder Gefühle des Bedauerns auslösen (z. B. in Lebensphasen wie Klimakterium oder Übergang Gleichaltriger in die Großelternschaft) und erneute Adaptationsleistungen erfordern kann.
Die ungewollte Kinderlosigkeit wird zu einer andauernden Belastung, wenn die Fähigkeiten zur Entwicklung neuer Lebensperspektiven eingeschränkt sind. Diese Fähigkeiten werden von der psychischen Prädisposition sowie dem Verlauf der Infertilitätskrise, den Kinderwunschmotiven und der Kinderwunschintensität, der Partnerschaftszufriedenheit und der Ursachenzuschreibung beeinflusst. Als ungünstiger Prognosefaktor hat sich eine starke soziale Isolierung erwiesen.“
Soweit zur Lebensqualität von Menschen mit Kinderwunsch.
Es stellt sich weiter die Frage, wie im weiteren Verlauf des Lebens generell die Lebensqualität der Paare mit oder ohne Kinder einzuschätzen ist – unabhängig von der Frage des Kinderwunsches. Eine soziologische Studie hält zu dieser Frage fest (Deaton/Stone 2014):
„Viele Leute denken, dass ihre Kinder ihr Leben verbessern. Aber viele Studien zeigen, dass Menschen ohne Kinder ihr Leben besser bewerten als Menschen mit Kindern. Allerdings gibt es einen kleinen Effekt, dass Menschen mit Kindern über günstigere Lebensbedingungen verfügen in Bezug auf ein besseres Leben. Eltern erfahren täglich mehr Freude, aber auch Stress als „Nicht-Eltern“. Dieses zu interpretieren ist schwierig, da es um die grundsätzliche Frage einer Lebensentscheidung geht. Wenn es die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen Elternschaft gab, dann gibt es kaum Gründe, dass die eine Lebensform besser ist als die andere Lebensform.“
4 Möglichkeiten und Erfolge der Kinderwunschbehandlung
Wenngleich also die Einordnung einer ungewollten Kinderlosigkeit und der Sterilitätsmedizin im Gesundheitssystem schwierig ist, so lässt sich aber festhalten, dass mittlerweile die Diagnostik von Fertilitätsstörungen und insbesondere die Behandlung recht erfolgreich sind.
Standardverfahren sind eine Hormonkorrektur, wenn Hormonstörungen insbesondere bei der Frau vorliegen (zum Beispiel zu viel männliche Hormone, Schilddrüsenstörung).
Wenn Störungen der Eizellreifung vorhanden sind, so lässt sich dieses mit Medikamenten zur Hormonstimulation ebenfalls gut therapieren.
Seit der Geburt des ersten IVF-Kindes 1978 hat sich die In-vitro-Fertilisation (später im Zusammenhang mit der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI)) zu einem Standardverfahren entwickelt.
Wesentlich für die Paare sind die Erfolge im Sinne einer Geburtenrate pro Eizellentnahme, wenn nach hormoneller Vorbehandlung unter Narkose Eizellen entnommen werden, um sie mit dem Samen des Partners/Mannes oder fremden Samen zu befruchten. Mittlerweile liegen auch in Deutschland zufriedenstellende Zahlen vor: Pro Eizellpunktion kann die Patientin mit einer Geburtenrate von 20‒22 % rechnen. (Die Schwangerschaftsrate liegt eindeutig höher: Hier sind aber die Fehlgeburten abzuziehen.) (DIR 2019).
5 Nochmal zu Verboten
Viele Formen der Kinderwunschbehandlung sind in Deutschland möglich.
In Deutschland ist allerdings neben der Leihmutterschaft weiterhin die Eizellspende vom Verbot betroffen. Deswegen gehen von Deutschland aus mehrere 1000 Frauen pro Jahr ins Ausland, um dort die entsprechende Behandlung durchführen zu lassen, wenn sie selbst keine oder nicht genügend Eizellen haben, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Von diesem Problem sind 2 % aller Frauen bis zum 40. Lebensjahr betroffen.
Kommen wir auf den Ausgangspunkt zurück: Es steht die Frage im Vordergrund, ob sich das Statement der Bundesregierung, dass die Leihmutterschaft „nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist“, im Licht vorhandener medizinischer Daten, aber auch einer ethischen und psychosozialen Debatte aufrecht erhalten lässt. Dieses soll nachfolgend erörtert werden.
Im Hintergrund bleibt aber das Statement, dass Kinderwunschbehandlungen (incl. Leihmutterschaft) als „wunscherfüllende“ Medizin anzusehen sind, so dass die Bedingungen dieser Medizin sowie die Eingebundenheit von allen Beteiligten näher zu beleuchten sind.
6 Allgemeine Grundlagen
Leihmutterschaft (Surrogacy) ist in einigen Ländern eine anerkannte Behandlungsmethode bei nicht erfüllbarem Kinderwunsch, bei der eine Frau eine Schwangerschaft für eine andere (auftraggebende) Frau austrägt.
In Deutschland ist die Leihmutterschaft verboten. Im Folgenden sollen Definition, Rechtslage, Indikation, medizinische und psychologische Aspekte sowie ethische Fragen erörtert werden.
6.1 Definition
Eine Leihmutter ist eine Frau, die für eine auftraggebende Frau oder ein Paar ein Kind austrägt.
Als Formen der Leihmutterschaft sind möglich (Tschudin/Griesinger 2012):
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Vollumfängliche Leihmutterschaft
Hierbei ist keine genetische Verwandtschaft der Leihmutter mit dem Kind vorhanden. Die Gameten können von beiden auftraggebenden Eltern, von einem Elternteil oder von keinem Elternteil stammen (Embryonenspende). Die Schwangerschaft entsteht durch Embryotransfer.
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Teilweise Leihmutterschaft
Es besteht eine genetische Verwandtschaft der Leihmutter mit dem Kind. Z. B. könnte die Schwangerschaft durch Insemination bei der Leihmutter entstanden sein.
Eine Leihmutterschaft ist auch innerhalb der Familie möglich (z. B. bei der Schwester oder von Mutter zu Tochter oder Tochter zu Mutter). Hier bestehen sehr hohe...