Benedikt XVI.
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Seine Papstjahre aus nächster Nähe

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Seine Papstjahre aus nächster Nähe

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Über dieses Buch

Dieses Buch ist keine Biographie Joseph Ratzingers, sondern fokussiert seine Zeit als Papst (2005-2013). Es ist vielmehr eine Art Anthologie zu den Ereignissen, zu denen der Autor während seiner Zeit als Korrespondent in Rom Papst Benedikt begleitet hat. Entstanden ist eine abwechslungsreiche Sammlung aus Reportagen, Essays, Nachrichten und Leitartikeln, die das Pontifikat von Benedikt spiegeln, teils in sehr persönlichen Eindrücken. Ein zeitgeschichtliches Dokument, das festhält, warum dieser Papst in die Geschichte eingehen wird, aber auch die Bräuche seiner Amtszeit und die Angriffe, denen dieser Papst ausgesetzt war, nicht verschweigt.

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Information

Von Auschwitz über Regensburg in die Türkei: Vom Minenfeld der Wörter – 2006
Liebe zielt auf Ewigkeit – Rom, 25. Januar 2006
Liebe ist nicht gleich Liebe. Es gibt die Sohnesliebe, die Affenliebe, die Liebe zum Nächsten, die Liebe zum Geld, die Liebe zu Gott. Doch »die Liebe zwischen Mann und Frau, in der Leib und Seele untrennbar zusammenspielen und dem Menschen eine Verheißung des Glücks aufgeht, die unwiderstehlich scheint«, schreibt Benedikt XVI. zu Beginn seiner ersten Enzyklika, sei doch »der Urtypus von Liebe schlechthin, neben dem alle anderen Arten von Liebe verblassen«.
Enzykliken sind päpstliche Lehrschreiben, die in verbindlicher Weise zu Fragen der Zeit Stellung nehmen. Seit dem 4. Jahrhundert sind sie als kirchliche Rundschreiben belegt, bevor sie sich seit Benedikt XIV. (1740–1758) vollständig zu einem Instrument in der Leitung der Kirche entwickelt haben. Johannes Paul II. hat in seiner langen Amtszeit vierzehn solcher Lehrschreiben verfasst. Entsprechend groß war die Erwartung, mit der man nun auf die erste programmatische Äußerung des neuen deutschen Papstes wartete, die am Mittwoch in Rom veröffentlicht wurde. Hundert Jahre nach Nietzsche lässt er sich noch einmal von dessen Vorwurf herausfordern, das Christentum habe den Eros vergiftet. Auf diese Behauptung antwortet ihm nun der »Nietzsche des 20. Jahrhunderts«, wie Botho Strauß den Mann auf dem Papstthron genannt hat, anekdotenreich mit einem gewaltigen Parforceritt durch die Geschichte und Geistesgeschichte.
Nicht die »heilige« Prostitution der Antike, nicht der »göttliche Wahnsinn« des Heidentums, nicht die schiere »Übermächtigung durch den Trieb« habe den Eros zu seiner wirklichen Größe »geheilt« und die »Perversion des Religiösen« bekämpft, sondern die biblische Kultur des Alten und Neuen Testaments, wo der Eros uns über das bloß Biologische »zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen will«. Die falsche Vergöttlichung des Eros habe ihn stattdessen schon immer und tatsächlich entmenschlicht. Denn im Gegensatz zu allen anderen Gottesvorstellungen und Fruchtbarkeitskulten außerhalb der Bibel liebe der Gott der Bibel den Menschen. Die Gottesliebe der Juden und Christen sei darum immer eine Antwort – oder Ablehnung – auf dieses himmlische Werben. Gott liebt zuerst. Dessen Leidenschaft für sein Volk hätten schon die Propheten Hosea und Ezechiel »in kühnen erotischen Bildern« beschrieben. Diese Liebe »will nicht mehr sich selbst – das Versinken in der Trunkenheit des Glücks –, sie will das Gute für den Geliebten: Sie will Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja, sie will es.«
Auch die »feste Verknüpfung von Eros und Ehe in der Bibel findet (darum) kaum Parallelen in der außerbiblischen Literatur«. Das Neue des biblischen Glaubens zeige sich also »im Gottesbild und im Menschenbild«. Und das eigentlich Neue des Neuen Testaments »sind nicht neue Ideen, sondern die Gestalt Christi selber, der den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus gibt«. »Liebe zielt auf Ewigkeit«, antwortet Benedikt XVI. danach fast gelassen dem melancholischen vergeblichen Seufzen von Nietzsches Zarathustra, das so offensichtlich niemals Erfüllung finden kann: »Alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit!«
Nach der »Reinigung der Erinnerung«, der sich der polnische Papst in vielen seiner Schreiben gewidmet hatte, scheint sich der deutsche Papst nun also einer »Reinigung der Vernunft« und einer »Reinigung der Liebe« zu verschreiben, die bei ihm zu einer Rückerinnerung wird, in einer neuen Standortbestimmung kirchlicher Identität. Es ist natürlich ein Griff nach den Sternen. Nach dem spektakulären ersten Teil seiner Enzyklika, in dem er die Liebe (die »Gott ist«) als Mitte christlichen Glaubens und Boden christlichen Lebens und Sterbens neu nachzeichnet, widmet er sich in einem zweiten Teil einer Art Rehabilitierung der karitativen Hilfsdienste der Kirche, die er dabei vom Rand in die Mitte zurückholt. Diese »Caritas« sieht er neu als das notwendige Über-sich-Hinauswachsen der Kirche bezüglich der Not der Welt, das schon Kaiser Julian Apostata, ein erklärter Gegner der Christen im 4. Jahrhundert, so erstaunt und fasziniert hat, dass er diese Hinwendung zu den Bedürftigen in seinem Modell einer heidnischen Konkurrenzkirche (vergeblich) zu etablieren versuchte. Denn Caritas sei die Entäußerung der kirchlichen »Gemeinschaft der Liebe« in die Welt hinein. Diese Caritas »wird immer nötig sein, auch in der gerechtesten Welt«, hält der Papst kategorisch fest. Das aber ist nicht nur eine letzte Absage an den »zerronnenen Traum« des Marxismus, sondern auch – und mehr noch – an alle totalitären und integralistischen Versuchungen und Modelle innerhalb der Kirche und ihrer Theologen, die auch hundert Jahre nach Karl Marx noch jeden karitativen Einsatz als »systemstabilisierend denunzieren« möchten. Dies sei »in Wirklichkeit eine Philosophie der Unmenschlichkeit«. Programm der Christen müsse dagegen bis zum Ende der Tage »das sehende Herz« bleiben. Weit über den Tag hinaus hat Benedikt XVI. mit diesem ersten Schreiben eine Hilfe für jene Helfer vorgelegt, denen die Kirche mehr Glanz verdankt als all ihren gotischen und barocken Basiliken. Er selbst nennt den Text schlicht »eine Einladung«.
Letzter Patriarch – Rom, 3. März 2006
Papst Benedikt XVI. will kein »Patriarch des Westens« mehr sein. Das macht einen kleinen Ausflug durch die Geschichte notwendig, zuerst vielleicht zurück ins Jahr 380. Damals machte Kaiser Theodosius I. das christliche Credo von Nizäa zum Pflichtbekenntnis aller Untertanen Roms. Es war ein merkwürdiges Wunder. Nur achtzig Jahre nach der blutigsten Christenverfolgung war die katholische Kirche damit plötzlich verbindliche Staatsreligion des Römischen Reiches geworden. Zwölf Jahre später ließ derselbe Kaiser jeden heidnischen Kult verbieten; ein Jahr später setzte er den Zeus-Tempel in Olympia in Brand. Zwei Jahre später vereinigte er noch einmal das ganze Römische Weltreich, bevor das Imperium nach seinem Tod im Jahr 395 endgültig zusammen mit der eben erst befreiten Kirche in zwei Teile auseinanderbrach. Im Oströmischen Reich, auf dessen Territorium die Christenheit entstanden war, lagen damals die altehrwürdigen Bischofssitze von Antiochien, Alexandria, Jerusalem und Konstantinopel.
Bis hierhin soll dieser kleine Exkurs genügen zum besseren Verständnis, warum Kaiser Theodosius II., ein Enkel Theodosius I., deshalb auch dem römischen Bischof im Weströmischen Reich den Titel eines Patriarchen verlieh. Es war also der Kaiser, nicht ein Papst, der diesen Anspruch zuerst erhob. Seitdem galt der Nachfolger Petri neben den Patriarchen im Osten jedenfalls auch als »Patriarch des Abendlandes«. Und ebendiesen Titel hat Benedikt XVI. nach über 1500 Jahren im neuen päpstlichen Jahrbuch nun plötzlich ersatzlos von der Liste der bisher neun Titel der Päpste streichen lassen. Ähnliche Bestrebungen hatte es schon im Mittelalter gegeben, in dem Roms Päpste nicht mehr gern auf einer Stufe mit den östlichen Patriarchen gesehen werden wollten. Die Bezeichnung besaß ja auch nie eine theologische Begründung.
Das aber kann nur ein Argument sein, dass der deutsche Papst die Tilgung des Titels nun in jene Reihe leiser Signale einfügt, durch die er sein erstes Amtsjahr bisher geprägt hat. Es ist der Anspruch eines neuen Selbstbewusstseins ebenso wie die Aufgabe einer alten unnötigen Konkurrenz. Der Verzicht auf den Titel wolle »einem historischen und theologischen Realismus Ausdruck verleihen«, heißt es aus dem Vatikan. Die Aufgabe dieses Anspruchs sei »ein Verzicht, der dem ökumenischen Dialog nützlich und dienlich sein könnte«. Vor allem aber ist die Aufgabe des Titels auch der Verzicht auf eine alte Beschränkung. Der Westen ist Benedikt XVI. nicht mehr genug.
Die deutsche Stunde der Weltkirche – Rom, 8. Mai 2006
Joseph Ratzinger wurde am 16. April 1927, einem Karsamstag, in Marktl am Inn geboren und wenige Stunden später mit dem frisch geweihten Wasser der Osternacht getauft. Der Zusammenhang hat sich ihm tief eingeprägt. Vielleicht war er ja damals schon hellwach. Morgen, an seinem neunundsiebzigsten Geburtstag, spendet der Sohn eines Gendarmen nun erstmals einer Milliarde Katholiken und überhaupt der ganzen Welt (hinter der Stadt Rom) seinen österlichen Segen. Über Satellit werden seine Worte in über fünfundsechzig Länder getragen. Mehr Menschen hat noch kein Deutscher je erreicht: Morgen feiert Joseph Ratzinger sein erstes Osterfest als Papst. Der Anlass empfiehlt sich für eine kleine Deutschstunde.
Am Anfang war Deutschland ein römisches Projekt. Das Land, aus dem Deutschland wurde, hieß lange Zeit nur »Römisches Reich«. Im Boden des Petersdoms findet sich davon noch eine merkwürdige Spur: eine kreisrunde Porphyrplatte, ochsenblutrot, mehrfach gesprungen, genau in der Achse hinter dem Hauptportal, hinter und unter der Loggia, auf der Joseph Ratzinger vor einem Jahr erstmals als Papst Benedikt XVI. in das Licht der Welt hinaustrat. Auf dieser Platte wenden sich die Päpste, seit der Petersdom vollendet ist, auch jedes Mal, wenn sie aus ihrem Palast zu einem Hochamt in den Petersdom einziehen, in einem rechten Winkel nach rechts, nach Westen, um zum Hauptaltar zu schreiten. Man könnte den Stein darum auch für eine einfache Wegmarke halten. Tatsächlich ist er eine Wegmarke der Geschichte.
Die Platte war schon in der Vorgänger-Basilika Kaiser Konstantins in den Boden eingelassen. Sie war schon hier, als Papst Leo III. in der Weihnachtsnacht 800 dem fränkischen König Karl aus Aachen genau auf ihr die Kaiserkrone des Römischen Reiches auf den Schädel setzte, obwohl es zu der Zeit noch einen römischen Kaiser gab, allerdings im Osten. Im Westen aber gab es kein Römisches Reich mehr, seit Westrom im Jahr 476 in der Völkerwanderung untergegangen war. Mit dem Schachzug der Kaiserkrönung Karls ließ Leo III. dieses Römische Reich der Franken damals in Rom also kurzerhand wiederauferstehen und es in einer wundersamen »translatio« sogar über die Alpen wandern. Der Schritt hatte immense Folgen. Für Europa war es der große Anschluss des Nordens und Westens an Roms Kirche ebenso wie an die lateinische Kultur des Mittelmeers. Die Reichsgründung sollte gut 1000 Jahre wechselhaften Bestand haben, doch vom Jahr 800 bis 1157 blieb sie zunächst nur das »Römische Reich«.
Dann erst fügte Rainald von Dassel, der Kanzler Kaiser Barbarossas – und als Kölner Erzbischof ein Vorgänger Kardinal Meisners –, dem römischen Ursprung auch noch die Aura des »Heiligen« hinzu. (Kurz zuvor waren die Reliquien der Heiligen Drei Könige aus dem Osten an den Rhein ins »hillije Kölle« gekommen.) Aber auch, als das »Imperium Romanum« als »Heiliges Römisches Reich« bezeichnet wurde, war von »den Deutschen« oder ihrer Nation in den Dokumenten noch rund vier Jahrhunderte immer noch nicht die Rede, bis dem »Heiligen Römischen Reich« endlich auch noch offiziell der Genetivzusatz »Deutscher Nation« angehängt wurde. Es war die Zeit, als der Nationalstaat überall in Europa moderner wurde. Die späte Besinnung auf die »Deutsche Nation« ihres Reiches ist gleichsam ein frühes Indiz für den oft auch skurrilen Emanzipationsprozess der bis dahin vor allem regional und universal gestimmten Deutschen in die engere Straße des Nationalismus hinein. In gewisser Weise war es auch damals schon eine Art Minderwertigkeitskomplex, dem sie mit dieser Umbenennung im Konzert der neuen starken Nationalstaaten Europas begegnen wollten: der Schweden und Spanier wie der Franzosen und Engländer und Schweizer. Auch von Armin (dem Cherusker), von dem sich die Deutschen auf manchen ihrer späteren Irrwege als eine Art mythischem Vorfahren abzuleiten versuchten, hatten sie erst damals (rund 1500 Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Wald!) erfahren – und natürlich durch die Lektüre römischer Klassiker, besonders des Tacitus, den die Humanisten verehrten. Den römischen Ursprüngen Deutschlands ist auch der »typisch deutsche« antirömische Affekt entsprungen, der dieses Land in merkwürdiger Hassliebe ebenso tief geprägt hat und die Kirche und Europa schon vor Jahrhunderten von Deutschland aus in zwei Teile auseinanderbrechen ließ.
Jedoch noch einmal zurück zum Anfang. Zurück zu dem Stein, der einen der wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte Europas als fast schon vergessene Wegmarke auf dem Boden des Petersdoms festhält. Tag für Tag ziehen Tausende deutsche Pilger und Touristen mit staunendem Blick durch den Petersdom über ihn hinweg, die von dieser Geschichte gar nichts mehr ahnen mögen. Natürlich haben aber auch die Franken die Epochenwende des Jahres 800 in der Mehrzahl erst Jahrhunderte später zu deuten gewusst. Ähnlich, nur ungleich sublimer, muss deshalb wohl auch der Schritt begriffen werden, mit dem Joseph Ratzinger vor einem Jahr als Papst Benedikt XVI. auf der Loggia über dem Petersplatz erschien. Nach dem großen Polen in den Schuhen des Fischers war die Wende dieser Wahl auch in historischer Hinsicht noch einmal ein Schachzug des Heiligen Geistes ganz eigener Art. Nicht, oder nicht nur, weil diesmal ein einsamer Meisterdenker dem prophetischen Johannes Paul II. folgte. Gewaltiger war, dass am 19. April 2005 erstmals ein Mann aus dem Land der Reformation Nachfolger Petri wurde. Denn seit jenem Abend hat Deutschland ein neues Gravitationszentrum bekommen, weit außerhalb seiner Grenzen, rund 2000 Kilometer von Berlin entfernt – auch wenn viele Deutsche in Deutschland das in ihrer Mehrzahl vielleicht noch so wenig wahrnehmen, wie die Franken zur Zeit der Krönung Karls in Rom die Zeitenwende begriffen haben. Wie sollte es anders sein?
In Rom sieht es jedoch anders aus, wo die Römer Benedikt XVI. vom ersten Tag an »dolce« fanden – und bald danach einen »Thomas von Aquin unserer Zeit« auf dem Papstthron verehrten. Ein Jahr später ist nun aber auch Rom selbst wieder zu einer Stadt deutscher Stimmen geworden: fast schon zu einem »Rom deutscher Nation«. Benedikt XVI. zieht an normalen Tagen schon weit mehr Pilger an als sein großer Vorgänger, bei jeder Audienz am Mittwoch, bei jedem Angelus am Sonntagmittag, wenn der Petersplatz auch im Winter brechend voll von Menschen ist.
Er hatte deshalb schon recht, als er am 19. April 2005 das Votum der Kardinäle »wie das Fallbeil einer Guillotine« auf sich zukommen sah. Die Wahl trennte danach wirklich im Bruchteil einer einzigen Sekunde sein ganzes früheres Leben von ihm ab – sie trennte aber auch eine Epoche von der anderen. Seit diesem Tag gibt es im säkularisierten Europa wieder zwei mindestens gleichrangige Instanzen der Deutungshoheit über die Gesellschaft, die Politik, die Geschichte, die Ethik. Seit diesem kühlen Apriltag ist der Primat einer oft schon totalitär säkularen Welterklärung unter leisem Nieselregen auf dem Petersplatz zusammengebrochen wie ein Kartenhaus. Keiner macht Benedikt XVI. inmitten des radikalen Wertewandels die Ebenbürtigkeit seiner Stimme in allen relevanten Debatten streitig. Entscheidender ist aber vielleicht dennoch eine Kleinigkeit für das geprüfte Deutschland; und nach den grauenhaften Erfahrungen des letzten »deutschen« Jahrhunderts wurde sie von keinem so genial erfasst wie in der Headline-Konferenz der Bild-Zeitung: »Wir sind Papst.« Denn das stimmt tatsächlich: Seit dem 19. April 2005 haben auch deutsche Lutheraner »ihren« Papst, und deutsche Evangelikale wie deutsche Juden, deutsche Moslems, deutsche Agnostiker, selbst deutsche Atheisten und Neuheiden – und nicht zuletzt die deutschen Katholiken, von denen sich so viele so oft vor den Glaubenskämpfen des letzten Jahrhunderts einer Modernität an den Hals warfen, die sie schon am nächsten Morgen hoffnungslos alt und altmodisch aussehen ließ. Mit dem ersten Schritt Benedikts XVI. über die Schwelle der Sixtina hatte die deutsche Stunde der Weltkirche begonnen.
Und dennoch: Es bleibt eine Stunde der Geschichte, eine Frist, eine einzigartige Chance und wohl keine Epoche. Keinem wird dies bewusster sein als Benedikt XVI. selbst, und er wird die Zeit zu nutzen wissen – in einem Alter freilich, das ihn nur wenig von seinem Vorgänger unterscheidet. Er hat nicht mehr viel Zeit, könnten Beobachter meinen. Seinen roten Messmantel aber hat er sich über und über mit der Jakobsmuschel seines Wappens so besticken lassen, wie die Bourbonen ihre Königsmäntel einmal mit den Lilien des Feldes vom See Genezareth schmückten. Die Muschel ist das Symbol der Wahrheitssuche des heiligen Augustinus ebenso wie das klassische Pilgerabzeichen der Santiago-Pilger. Benedikt XVI. will noch ein Stück weiter gehen. Drei Ziele hat er dabei jetzt schon fest im Auge. Die Heiligkeit der Person wird er gegen jede Ideologie verteidigen. Sein Vorgänger hat den Totalitarismus erlitten. Er aber hat »die totalitäre Versuchung«, von deren Gefahren kommende Generationen kaum noch eine Vorstellung haben, als Deutscher aus der Nähe erlebt. Außerdem wird er die Liturgie als Raum des Heiligen wiederherstellen, dessen Zusammenbruch er erlebt hat wie eine einstürzende Kathedrale. Die Brüche, die das Konzil in der Kirche hinterlassen hat wie ein Erdbeben, wird er behutsam zu überbrücken versuchen. Schließlich wird er die christliche Pflicht zur Verteidigung ihres Anspruchs auf den öffentlichen Raum nicht mehr aufgeben – heraus aus der privaten Nische, in die Europas Christen sich seit Jahrhunderten haben abdrängen lassen. Eine verlorene Schlacht? Vielleicht. Er wird sie dennoch aufnehmen. In ihm tritt der Moderne wie der »Diktatur des Relativismus« ein Vertreter des Absoluten entgegen, der sein Motto (»Mitarbeiter der Wahrheit«) schon 1977 mit den Worten begründete: »weil in der heutigen Welt das Thema Wahrheit fast ganz verschwunden ist, weil sie als für den Menschen zu groß erscheint und doch alles verfällt, wenn es keine Wahrheit gibt«.
So hat Benedikt XVI. schon jetzt Deutschland wieder neu mit Rom verbunden und Rom wieder neu mit Deutschland: in einer aufregenden Verbindung der Ursprünge. Sein Vorgänger holte Polen zurück auf die Weltkarte. Er aber hat Rom auf die deutsche Landkarte zurückgeholt. Zurück zu den Deutschen, in denen das römische Element – ob geliebt oder gehasst – auch immer schon das Universale und Globale ihrer Identität verkörperte. In ironischer Fügung kommt Rom im Zeitalter der Globalisierung so als das plötzlich Modernere wieder zurück nach Deutschland.
Von Krakau nach Auschwitz – Krakau, 28. Mai 2006
Regen prasselt. Ein Trompetenton geht über die Dächer Krakaus hinweg, sehr leise. Der Türmer ist kaum zu hören, wie er vom Ki...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Motto
  5. Inhalt
  6. Editorische Vorbemerkung
  7. Habemus papam: Epochenwandel in Rom – 2005
  8. Von Auschwitz über Regensburg in die Türkei: Vom Minenfeld der Wörter – 2006
  9. Dialog in Brasilien, China und Österreich – und vom alten Ritus der tridentinischen Messe – 2007
  10. Ein vorgezogenes – erstes – Nachwort: Vom Ground Zero in Manhattan zur Grotte von Massabielle am Fuß der Pyrenäen – 2008
  11. Wirbel um die Piusbruderschaft und Pilger im Heiligen Land – 2009
  12. Von Kondomen, Missbrauchsfällen und einem liturgischen Gesamtkunstwerk im Vereinigten Königreich – 2010
  13. Ökumene und Gottesfinsternis in Deutschland – 2011
  14. Vatileaks, der Kammerdiener des Papstes und ein Laboratorium des Friedens in Beirut – 2012
  15. Abschied und Aufstieg auf den Berg des Gebets – 2013
  16. Bildteil