Marc Winkelmann
Prima Klima mit KI
Der neue Schulterschluss von Klimaschutz und Digitalisierung
Vor-Corona live
Die Location, die den Aufbruch mit dem Bisherigen verknüpfen soll, ist sorgsam gewählt. Ein Umspannwerk aus den 1960er-Jahren. Industriell und historisch, aber modernisiert und gar nicht öko. Der Eingang ist in Neonlicht getaucht. Ein Loop-Künstler tritt auf und lässt sich von einem Maler filmen, der die Bilder von einer Software, seiner »KI-Muse«, verfremden lässt. An der Bar gibt es einen eigens für diese Veranstaltung kreierten Cocktail, später wird vegetarisches Fingerfood von der Kochstation gereicht, während Gründer ihre Ideen vor dem Publikum pitchen. Und die Ministerin spricht über die Zukunft. Bedenken hat sie, sagt sie, die Digitalisierung müsse in die richtigen Bahnen gelenkt werden, weil sie zunehmend mehr Energie verbraucht, Ressourcen frisst und CO2 produziert. Aber genau deshalb will sie Gründer motivieren, sich neue Geschäftsmodelle auszudenken. Für Tech-Start-ups made in Germany.
Die Geschichte der Klima- und Umweltpolitik ist keine, die von Aktion geprägt ist, sondern eher von Reaktion. Wie lassen sich Strahlenbelastungen reduzieren, wie belastend sind zusätzliche Verkehre? Auf Probleme wie diese haben Politiker immer versucht, Antworten zu finden und dann zu regulieren. Aufräumen, reparieren, um negative Folgen abzumildern. An diesem Novemberabend soll das anders klingen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze steht auf der Bühne, die sie nahe des Alexanderplatzes in Berlin für ihr Event »KIxKlima« gemietet hat, und erklärt, weshalb sie gerade eine »Umweltpolitische Digitalagenda« entwerfe, die sie ein paar Monate später vorstellen will. Es geht um die Frage, wie sich die Technologien der vierten industriellen Revolution nutzen lassen. Dass die Energiewende auf »Smart Grids« angewiesen ist, die das dezentrale Erzeugen und Verteilen von Solar-, Wind- und Wärmestrom erst ermöglichen, ist bekannt. Aber was geht da noch mit Blockchain, Big Data, dem Internet der Dinge und, vor allem, der künstlichen Intelligenz? Schulze kündigt ein »Digital Innovation Hub for Climate« an und dass »Leuchtturmprojekte« gefördert werden.
Klimawandel und Digitalisierung. Für sich genommen sind beide Megatrends nicht neu, sondern omnipräsent in Wirtschaft, Forschung, Medien und Alltag. Für die gemeinsame Betrachtung interessierten sich bis vor Kurzem nur wenige Fachleute. Darüber hinaus waren die Wechselwirkungen nicht bekannt, weder die positiven noch die negativen. Das ändert sich gerade, auch wegen Corona. Die Aufmerksamkeit nimmt zu, auf beiden Seiten: Die Techszene merkt, dass sie sich den Klimadebatten nicht entziehen kann, und die Klimaengagierten entdecken die Möglichkeiten der Digitalisierung. Ob sie tatsächlich zusammenkommen und auch dieselbe Sprache sprechen, ist noch nicht ausgemacht. Wichtig wäre es. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat im vergangenen Jahr die überragende Bedeutung der Schnittstellenarbeit so formuliert: »Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen. Digitalisierung droht ansonsten als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplan...