Kursbuch 198
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Kursbuch 198

Heimatt

  1. 200 Seiten
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Heimatt

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Über dieses Buch

Ach, süße Heimat – du bist immer nur interessant gewesen, als du längst verloren warst. Und als es dich gab, hat man nicht darüber reden müssen. Dass sie alle wieder über dich reden, müsste also ein Hinweis darauf sein, dass du gerade sehr fern bist. Aber am meisten Heimat war stets in der Ferne – für die wandernden Gesellen oder die Historiker einer vermeintlichen Ordnung, die es nur in der Unordnung gibt, und für die fern der Heimat, die erst dort imaginieren, wo sie herkommen. Und doch: Dass sie dich wieder beschwören, muss doch etwas bedeuten. Und obgleich wir ein bisschen ermattet sind von der Diskussion um dich: Wir widmen dir ein Kursbuch, weil irgendwas dran sein muss, dass sie alle danach suchen, was du nie warst, aber wonach es offensichtlich irgendwie drängt – und nicht nur die, die dich romantisch aufladen, sondern auch die, die sich fragen, wie lebbar diese Welt eigentlich ist und sein könnte. Und für wen sie wo Heimat sein kann. Oder sein soll. Oder sein will. Oder sein muss. Ach, süße Heimat!Mit Beiträgen von Naika Foroutan, Adrian Lobe, Dirk von Gehlen, Michael Brenner, Jürgen Dollase, Michael Haas, Maxim Biller, Katja Gasser, Georg Seeßlen, Robert Misik und Levi Israel Ufferfilge. Kunststrecke von Eran Shakine.

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Information

Verlag
Kursbuch
Jahr
2019
ISBN
9783961960699
Michael Haas
»Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien«
Exilmusik und Rückkehr
Auf meine Frage, warum er, der fast sein ganzes Leben in Kalifornien zu­gebracht hat, im Stil von Hugo Wolf, Gustav Mahler und Richard Strauss komponiere, sagte Robert Fürstenthal (1920–2016) den bemerkenswer­ten Satz: »Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien.« 1 Er ist nicht nur titelgebend für meinen Beitrag hier, sondern auch für die Dauerausstellung des exil.arte Zentrum der mdw – der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.2 Der Musikkritiker und Komponist Wal­ter Arlen (geb. 1920) hingegen, der in Santa Monica lebt, hat seine Kom­positionen in einem ausgesprochen amerikanischen Idiom des 20. Jahrhunderts gehalten. Aber wie bei Fürstenthal waren auch seine Werke von vornherein »für die Schublade« vorgesehen. Dass er Rilke-Gedichte nach englischer Übertragung vertonte, erklärte Arlen damit, dass es zu jener Zeit keine Rilke-Ausgaben auf Deutsch in Los Angeles gegeben habe.3 Der Operettenkomponist Robert Freistadtl (1889–1948) komponierte im englischen Exil Volksmärsche als Zeitvertreib – also ebenfalls alles für die Schublade –, wie auch Julius Bürger (1897–1995), der seine Wienerlieder im New Yorker Exil, oder Hanns Eisler, der seine später unter dem Titel Hollywooder Liederbuch veröffentlichten Kunstlieder im Exil in Los Angeles komponierte.
Über lange Zeit hat man sich auch im Bereich der Exilmusik intensiv mit der »inneren Emigration« von Komponisten wie Karl Amadeus Hart­mann 4, Felix Petyrek 5 oder Max Butting 6 befasst. Allesamt Kom­po­nisten, die in Nazi-Deutschland geblieben sind und weiterhin kom­ponier­ten, ohne Werke für Aufführungen freizugeben, und die ihren Lebensunterhalt durch Konzertauftritte oder auch eine Professur verdien­ten oder wie Karl Amadeus Hartmann gänzlich in finanzieller Ab­hän­gigkeit – in seinem Fall vom Schwiegervater – lebten. Die erzwungene Abstumpfung der Kunst unter der NS-Diktatur führte unausweichlich zu einem kreativen Vakuum, durch die »innere Emigration« wurde Krea­tivität regelrecht abgewürgt. Nicht einmal ein gewagtes »Samisdat« der Musik kam zustande. Progressives oder Experimentelles wurde höchstens noch der Schublade anvertraut ganz wie Freistadtls Volksmärsche.
Als der Krieg vorbei war und Deutschland ein neues Musikland wer­den wollte, tauchten auf einmal reihenweise Komponisten aus der ­»inneren Emigration« auf. Auch Mitläufer oder Parteimitglieder behaupteten, sie seien in ihrer Kreativität so gehemmt gewesen, dass sie ihre wahre Schaffenskraft gar nicht gewagt hätten preiszugeben und als Ersatz Nazi-Märsche geliefert hätten. Es wurde zu kompliziert und zeit­aufwendig die Belastung von Komponisten wie Hugo Hermann 7, Hermann Heiß8 oder Wolfgang Fortner9 zu bewerten oder sie mit dem gänzlichen Schweigen in Deutschland von Karl Amadeus Hartmann zu vergleichen. Hat man in der NS-Zeit – und war es auch nur im Verborgenen – Zwölftonmusik komponiert, war man im Grunde Anti­fa­schist, selbst wenn man eine Bearbeitung des »Horst-Wessel-Liedes« für die Partei geliefert hatte. Die »innere Emigration« wurde plötzlich das große Ausweichen für die, die irgendwie mitgelaufen sind oder mit­laufen mussten. Aus der »inneren Emigration« hat man plötzlich eine Art »Widerstand« heraufbeschworen. Klar ist, dass nicht jeder emigrie­ren konnte, und ein Affidavit 10 für jemanden, der mit der Nazi-Politik nicht einverstanden war, hieß ein Affidavit weniger für jemanden, den die Nazis in die Gaskammer geschickt hätten. Musiker, die für ihre Fa­milien zu sorgen hatten, taten das Notwendige, um überleben zu kön­nen. Es bleibt, dass »innere Emigration« ein zwiespältiger Begriff ist.
Anders als die »innere Emigration« ist das mindestens ebenso interessante Phänomen der »inneren Rückkehr« noch so gut wie nicht erforscht: künstlerisches Schaffen für die Schublade, ohne Hoffnung auf Öffentlichkeit, ohne Aussicht auf Publikation oder im Fall der Musik auf Aufführung und deshalb meist auch ohne Aufführungsabsicht betrie­ben. So existieren sowohl bei Robert Fürstenthal wie auch bei Walter Arlen 11 keinerlei Aufführungsangaben in den Notenmanuskripten – keine Tempi-Angaben, keine Artikulation oder dynamische Anweisun­gen, keine Bögen über Phrasen. Ganz offensichtlich ist hier »Aufführung« ausschließlich für das innere Ohr des Komponisten gedacht worden. Walter Arlen kam in Verlegenheit, als er anlässlich einer Aufnahme seiner Lieder behauptete, jeder gute Musiker müsse spüren, was er damit wolle. Erstklassige Musiker und Musikerinnen konnten ihm bei einer Tonaufnahme die zu interpretierenden Ambiguitäten exakt vorweisen. Ähnlich verhielt es sich mit einer Aufnahme von Fürsten­thal-Liedern. Hier ging es um Werke, die einem modernen Publikum nicht zugedacht waren und rein die »innere Rückkehr« repräsentierten, den Wunsch, wieder nach Wien zurückzukehren in eine Zeit der Jugend, als es noch keine Nazis gab. Fürstenthal ging es nicht darum, dem Zeitgeist zu folgen, ihn aufzunehmen, ihm ging es um Flucht in die imaginierte Vergangenheit, die er so noch nicht einmal selbst hatte erleben können. Anders Robert Kahn (1865–1951), der im englischen Exil mit täglichen Klavierkompositionen die Flucht in die Vergangenheit betrieben hatte, oder Hans Gál (1890–1987) im schottischen Exil, der sich selbst zum 80. Geburtstag 24 Klavierpräludien und zum 90. Ge­burtstag die Fugen dazu komponierte. Alle 48 Stücke bezeugen seine innere Rückkehr zur »deutschen Musiktradition« und waren für den öffentlichen Vortrag nicht vorgesehen.
Das sogenannte Hollywooder Liederbuch ist eine lose Auswahl von Lie­dern, die Hanns Eisler nach und nach komponierte, als er unter dem »Kreativitätszwang der Langeweile« eines Exilkomponisten litt.12 Eisler ging es dabei um die Freiheit, Lieder genau nach seinen Vorstellungen zu komponieren. Manche davon sind bewusst fragmentarisch, während andere weit ausschweifen. Die meisten Texte stammten von Bertolt Brecht, die Eisler aber so umstellte, wie er es für seine musikalischen Zwecke brauchte: Manche Gedichte sind gekürzt, in anderen ist die Reihenfolge der Strophen geändert. Die eigene Vorstellung und Krea­tivität waren so tief verinnerlicht, dass er nicht einmal vor dem Genius seines Dichterfreundes haltgemacht hat. Es waren Lieder für ein imaginäres Publikum – ein Publikum, das es noch gar nicht gab. Heutzutage wird oft eine Auswahl der Lieder als »Zyklus« vorgetragen, ohne dass sie jemals dazu erdacht waren. Es gibt keinerlei narrative Verbindung von einem Lied zum anderen – sogar die Hollywooder Elegien von Brecht sind von Eisler einzeln konzipiert, jedes Lied blitzt Haiku-artig schnell vorbei, bevor man die enthaltene Verzweiflung überhaupt mit­b­ekommen hat.
Walter Arlen und Robert Fürstenthal als Beispiel
Die beiden Wiener Komponisten Robert Fürstenthal und Walter Arlen stellen ein besonderes Beispiel für die »innere Rückkehr« dar. Der eine, Fürstenthal, am 27. Juni 1920 geboren, war vereinfacht gesagt ein »Hob­bykomponist«, während der andere, Walter Arlen, der nur einen Monat später, am 31. Juli 1902 zur Welt kam, ein gründlich ausgebildeter Tondichter war. Arlen war die Zeit, in der er le...

Inhaltsverzeichnis

  1. Armin Nassehi | Editorial
  2. Katja Gasser | Brief einer Leserin (25)
  3. Georg Seeßlen | Dahoam is Dahoamnis. Bayern als Mythos, Ideologie und Ware
  4. Maxim Biller | Max in Palästina. Eine Erzählung
  5. Michael Haas | »Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien«. Exilmusik und Rückkehr
  6. Dirk von Gehlen | Heimat hacken. Wie das Internet eine neue Begriffssoftware schreibt
  7. Adrian Lobe | Neue Heimat. InternetHeimweh nach dem Netz
  8. Eran Shakine | A Muslim, a Christian and a Jew
  9. Naika Foroutan | Heimat. Erde. Migration. Mein kulturelles Code-Switching
  10. Michael Brenner | Ein Zuhause, aber keine Heimat. Eine kleine Geschichte jüdischer Zugehörigkeitsgefühle
  11. Levi Israel Ufferfilge | Wenn ich dich vergäße, Jerusalem. Von einem jüdischen Nachhause
  12. Robert Misik | Woher kommst Du? Heimat zwischen politischer Aufladung und gefühligem Selbstverständnis
  13. Armin Nassehi | Woher kommst Du nicht? Sieben Exkursionen in eine Soziologie der Heimat
  14. Jürgen Dollase | Schweinshaxe im 3-Sterne-Restaurant. Über das Verschwinden der »Heimatküchen«
  15. Die Autoren
  16. Impressum