Jörg Staude, Joachim Wille
Greta muss warten
Corona: Wie die Politik den Klimaschutz vermasselt
Ein geradezu unheimlicher Erfolg für Greta Thunberg. Obwohl sie – die Ikone der Klima-Jugendbewegung – damit alles andere als zufrieden war. Die mächtigste Frau der Europäischen Union, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, hatte die 17-jährige Schwedin Anfang März dieses Jahres nach Brüssel eingeladen. Thunberg sollte bei der Verkündung des Entwurfs für ein EU-Klimaschutzgesetz dabei sein – bei der, wie sich später herausstellte, letzten großen klimapolitischen Tat der Kommission vor der alle anderen Themen verschlingenden Corona-Krise.
Das europäische Klimagesetz gilt als Kern des European Green Deal. Es soll das Ziel festschreiben, den Staatenbund bis 2050 »klimaneutral« zu machen. Für von der Leyen ist das Gesetz eine Art Leitplanke für die nächsten 30 Jahre, an der sich ein neues Modell nachhaltigen Wachstums zu orientieren hat. Mit dem Gesetz werde die EU ihre Position als eine Führungsmacht im Klimaschutz »in Stein meißeln«, sagte sie bei dessen Präsentation im Frühjahr.
Als das Klimagesetz vorgestellt wurde, outeten sich die Präsidentin und vor allem ihr Vize, der für Klimapolitik zuständige Niederländer Frans Timmermans, als große Fans von Greta Thunberg, ja sie sonnten sich fast in deren Prominenz. Ohne die junge Aktivistin hätte es das EU-Projekt des Hunderte Milliarden Euro schweren Green Deal nicht gegeben, sagten sie. Und sie verträten, da sie ja selbst Kinder hätten, die gleichen Interessen wie die von Thunberg initiierte Fridays-for-Future-Bewegung (FFF).
Anfang März schien Corona noch weit weg, der Deal war die größte Nachricht für Europa. Ganz frisch war das EU-Klimagesetz allerdings nicht auf den Tisch gekommen. Bereits anderthalb Jahre zuvor, im November 2018, hatte die EU-Kommission verkündet, die Staatengemeinschaft bis 2050 klimaneutral machen zu wollen. Dem Ziel stimmte damals auch das EU-Parlament zu. Es verlangte zudem, das CO2-Einsparziel der EU bis 2030 anzuheben: von 40 auf 55 Prozent der Emissionen, verglichen mit dem Basisjahr 1990.
»Den Beschluss zur Klimaneutralität hatte die EU-Kommission schon unter Jean-Claude Juncker vorbereitet«, erläutert Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Von der Leyen habe das »geschickt für sich genutzt«, sagt der renommierte Klimaexperte. »Sie hat auch zeitlich Glück gehabt, dass die Staats- und Regierungschefs sich noch vor Corona einig wurden und sie die Kommissionsvorschläge für den Green Deal noch rechtzeitig präsentiert hat.«
Allerdings: Mit der Corona-Krise stehen die Chancen für den Green Deal nun schlecht. »In einer Krise, die nicht nur eine der öffentlichen Gesundheit, sondern auch eine ökonomische ist, werden erst mal nur wenige EU-Regierungen deutlich schärfere Klimaziele für 2030 fordern«, meint Geden. Ob sich die EU verbindlich auf die Festschreibung einlässt, die Emissionen bis 2030 um 50 oder gar 55 Prozent zu senken, steht derzeit in den Sternen. Trotz der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen gilt eins als wahrscheinlich: Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bleibt als grundsätzliche Position der EU bestehen.
Das Brüsseler Treffen von Thunberg und von der Leyen legt die ganze Ambivalenz o...