1 Marketing- und Vertriebsmethoden im Überblick
Die erfolgreiche Entwicklung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen kann nur gelingen, wenn Unternehmen sowohl die Markt- und Wettbewerbsbedingungen als auch die Anforderungen, Präferenzen und Verhaltensweisen von Kunden richtig einschätzen. Die Notwendigkeit, nahezu alle Unternehmensaktivitäten an externen Faktoren auszurichten, resultiert aus strukturellen Veränderungen der nationalen und internationalen Märkte, die sich vielfach zu wettbewerbsintensiven Käufermärkten gewandelt haben. Das heißt, in den meisten Branchen und Industrien liegt ein Überangebot an Waren unterschiedlicher Unternehmen vor, aus dem Konsumenten gemäß ihrer jeweiligen Kosten-Nutzen-Überlegungen das für sie beste Angebot auswählen können. Die Verhandlungsmacht liegt insofern immer häufiger bei den Abnehmern und immer seltener bei den Herstellern von Produkten oder den Anbietern von Dienstleistungen. Man stelle sich beispielsweise das mannigfaltige Sortiment eines Drogeriemarktes vor: Wenn man nicht bereits vor dem Kauf die Entscheidung getroffen hat, welchen Deo-Roller, welche Haarspülung oder welche Zahnpasta man kaufen möchte, wird sich der Auswahlprozess aufgrund der Fülle an Alternativprodukten recht zeitintensiv gestalten. In den absatzorientierten Unternehmensbereichen muss man demnach ein detailliertes Verständnis der externen Markt- und der internen Unternehmensfaktoren entwickeln, um für Kunden ein passgenaues Angebot erstellen zu können, das zielgruppengerecht kommuniziert und über geeignete Verkaufskanäle zu attraktiven Preisen vertrieben werden sollte. Die Analyse der beschriebenen Rahmenbedingungen, die Entwicklung einer darauf basierenden Strategie und die Planung entsprechender Aktivitäten und Kontrollmaßnahmen sind die wesentlichen Bestandteile des so genannten Marketingmanagementprozesses, der in Abbildung 1 im Überblick dargestellt ist.1 Diesem Prozess kann man zahlreiche betriebswirtschaftliche Methoden zuordnen, wobei die wesentlichen in diesem Buch erläutert werden.
Abbildung 1: Marketingmanagementprozess2
Der Marketingmanagementprozess beginnt mit grundlegenden Überlegungen zum Kaufverhalten von Konsumenten und Organisationen – hier als theoretische Perspektive bezeichnet. Es geht also um die Frage, wie Individuen und Unternehmen Informationen suchen, Alternativen bewerten, Kaufentscheidungen treffen und diese nachträglich beurteilen. Zur Erklärung des Verhaltens nehmen Marketingexperten unter anderem Einstellungen, Werthaltungen und Motive in den Blick. Zur Ermittlung der Beziehungen zwischen Einstellungen, Werthaltungen und Motiven eines Konsumenten und den Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung kann man zum Beispiel auf die so genannte Means-End-Analyse und das damit verbundene Ladderingverfahren zurückgreifen. Interessiert man sich demgegenüber für das Kaufverhalten von Organisationen, würde sich die Buying-Center-Analyse als betriebswirtschaftliche Methode anbieten. Im Mittelpunkt der zweiten Phase des Marketingmanagementprozesses stehen die Marktforschung sowie das strategische und operative Marketing. Hier geht es unter anderem um die Identifikation, Analyse und Gruppierung relevanter Kunden, um die Ermittlung von Produktpräferenzen oder Zahlungsbereitschaften sowie um das Verständnis der Anforderungen von Kunden an Unternehmen. Die Kundenanalyse, die Produktlebenszyklusanalyse, die Conjoint-Analyse und die Kundenzufriedenheitsanalyse liefern die relevanten Informationen, die notwendig sind, um erfolgversprechende Marketingstrategien zu entwickeln. Diese sind in den seltensten Fällen auf Stabilisierung oder Schrumpfung, sondern für gewöhnlich auf Wachstum ausgerichtet. Insofern sollte man in dieser Phase auch Methoden zur Generierung von Wachstumsstrategien berücksichtigen. Wesentlicher Bestandteil des operativen Marketings ist schließlich der so genannte Marketingmix, der üblicherweise in die 4P, also in die Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik unterteilt wird. Produkte müssen jedoch nicht nur entwickelt, sondern auch verkauft werden. Insofern sind zur erfolgreichen Umsetzung einer Marketingkonzeption auch die Aspekte des Verkaufens und Verhandelns in den Blick zu nehmen. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang die OPAL- beziehungsweise die Harvard-Methode.
Die dritte Phase des Marketingmanagementprozesses umfasst schließlich unternehmensinterne Aspekte: das Marketingcontrolling und die Marketingorganisation. Das Marketingcontrolling beschäftigt sich vorwiegend mit der Messung der Effektivität des Marketings. Das heißt, es geht um die Überprüfung der Ziele von Marketingaktivitäten wie die Steigerung der Markenbekanntheit eines Produktes, die Verbesserung des Unternehmensimages oder die Gewinnung und Bindung von Kunden. Als betriebswirtschaftliche Methoden werden im Folgenden die Gewinnschwellenanalyse und die Kundenwertanalyse erörtert, mit deren Hilfe Investitionen geplant und gewinnorientierte Absatzmengen und Preise bestimmt beziehungsweise die Profitabilität bestehender und das Umsatzpotenzial aktueller und zukünftiger Kunden ermittelt werden können. Fragen der Marketingorganisation beziehen sich schließlich auf das erforderliche Organisationssystem, das zur Durchsetzung einer marktorientierten Unternehmensführung entwickelt werden muss. Hierbei geht es sowohl um die Integration der Marketingaufgaben in die Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens als auch um die Koordination aller marketingrelevanten Bereiche wie Marktforschung, Produktentwicklung, Preisgestaltung oder Verkaufsförderung. Die organisatorische Perspektive und die entsprechenden betriebswirtschaftlichen Methoden bleiben hier allerdings unberücksichtigt. Unberücksichtigt bleiben auch Methoden zur Umwelt- und Unternehmensanalyse – wie die Branchenstruktur- und die Wettbewerbsvorteilsanalyse oder die Wertketten- und Portfolioanalyse –, die man zur Entwicklung von Marketing- und Vertriebsstrategien nutzen kann, da alle wichtigen Organisations- und Strategiemethoden in einem gesonderten Band dieser Buchreihe gebündelt und ausführlich beschrieben werden.
2 Kaufverhalten von Konsumenten und Organisationen 2.1 Means-End-Analyse und Ladderingverfahren
- Problemstellung: Analyse der Bedeutung persönlicher Ziele, Motive und Werte für das Kaufverhalten und deren Verknüpfung mit Produkteigenschaften
- Zielgruppe: Marketingverantwortliche, Marktforscher, Produktentwickler, Produktmanager
- Voraussetzungen: Erfahrung mit qualitativen Erhebungsmethoden, erfahrene und geschulte Interviewer und Vorhandensein ausreichender Ressourcen für Datengewinnung und Datenauswertung
Zielsetzung der Means-End-Analyse und des Ladderingverfahrens
Erfolge in wettbewerbsintensiven Käufermärkten erzielen nur jene Anbieter, die ihre Produkt- und Serviceleistung nachfrageadäquat ausgestalten. Dabei sind nicht nur einzelne Nutzenkomponenten eines Produktes, sondern auch Motive und Werthaltungen der Konsumenten zu berücksichtigen, die das Kaufverhalten nachhaltig beeinflussen. Die Bedürfnisse und Werte von Konsumenten sind jedoch nicht statisch, sondern Veränderungen unterworfen, die auf gesellschaftlicher Ebene mit Begriffen wie Individualisierung3, Postmodernisierung4 oder schlicht Wertewandel5 umschrieben werden. Zur Ermittlung der korrelativen Beziehungen zwischen den dynamischen Werthaltungen und Motiven eines Konsumenten und den Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung kann auf die in der US-amerikanischen Markt- und Werbeforschung entwickelte Means-End-Analyse zurückgegriffen werden.6
Der auf den Erkenntnissen der Kognitionspsychologie aufbauende und auf den Lerntheoretiker Tolman7 zurückgehende Ansatz lässt sich empirisch greifbar machen, indem bestimmte Fragetechniken im Rahmen von Tiefeninterviews zur Anwendung kommen. Eine spezifische, qualitative Interviewform ist das Ladderingverfahren, mit dessen Hilfe die Ziel-Mittel-Beziehungen der Konsumenten aufgedeckt werden. Durch stufenweise präzisiertes Nachfragen wird ermittelt, warum bestimmte Produkteigenschaften für den Konsumenten wichtig sind und mit welchen Werten und Bedürfnissen diese zusammenhängen. Insofern eignet sich das Verfahren zur Kundensegmentierung, zur Bewertung von Produkten und Marken sowie zur Entwicklung und Analyse von kommunikationspolitischen Maßnahmen.8
Beschreibung der Means-End-Analyse und des Ladderingverfahrens
Kernelement des Means-End-Modells ist die Annahme, dass Konsumenten Produkt- oder Dienstleistungselemente als Mittel – also als Means – verwenden, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen oder Ziele – also Ends – zu erreichen. Die Aufdeckung dieser Ziel-Mittel-Verknüpfungen, die im Rahmen von Lernprozessen entstanden sind, ist bei der Gestaltung der Produkt- und der Kommunikationspolitik von zentraler Bedeutung. Denn auf der Basis der sichtb...