Teil 1: Fakten und Hintergründe zu Burnout
Es gibt Wichtigeres im Leben, als ständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.
Mahatma Gandhi
1 Was ist Burnout?
Burnout als Krankheit gibt es gar nicht. Erstaunlich, denn in den Medien wird doch ständig darüber berichtet! Tatsache ist aber, dass es für Burnout keine einheitliche Definition gibt, keine Symptome, die für alle Betroffenen gleich sind und auch keine Klassifizierung als eigenständiges Krankheitsbild. Gehen Sie zum Arzt und der schreibt Sie wegen eines Burnouts krank, ist auf dem Schein eine andere Hauptdiagnose zu sehen – meist eine aus dem psychischen Umfeld, also eine Depression, eine Anpassungsstörung, eine Angststörung oder eine Nervenschwäche. Burnout kommt nur als Zusatzdiagnose „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ vor und ist damit keine eigenständige Krankheit. Deshalb wird das Burnout-Syndrom von deutschen Kassen auch nicht als Krankheit anerkannt.
Das bedeutet natürlich nicht, dass es Burnout nicht gibt. Es erklärt aber, warum es nicht immer einfach ist, Burnout zu erkennen, denn die Symptome sind meist uneinheitlich. So wie Menschen und deren Persönlichkeiten eben auch nicht alle gleich sind und ihre individuellen Situationen, Belastungsfaktoren und Lebensgeschichten verschieden sind.
Die Schöpfer des Begriffs Burnout waren in den 1970er-Jahren der amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger und die Sozialpsychologin Christina Maslach (vgl. Freudenberger, 1974). Sie beobachteten an Mitarbeitern sozialer Einrichtungen einen Wandel von glühenden Idealisten zu deprimierten, erschöpften, misstrauischen und leicht reizbaren Zynikern, die ihre Klientel zunehmend gleichgültig und abweisend behandelten. Dieser Zustand stellte sich ein, wenn sich die Betroffenen auf eine Lebensweise oder eine Arbeitsbeziehung einließen, die sie sich ganz anders vorgestellt hatten. Freudenberger sah eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität als auslösenden Faktor für Burnout.
Während das Burnout-Syndrom früher vor allen Dingen bei sozialen Berufen und Lehrern beobachtet wurde, gab es nach und nach Studien für viele andere Berufe und gesellschaftliche Gruppen, sodass inzwischen feststeht, dass keineswegs nur Menschen in helfender Tätigkeit ausbrennen können.
Im Wirtschaftsleben wird das Burnout-Syndrom als eine mit Stress verbundene existenzielle Krise gesehen, bei der die Arbeit nicht mehr als sinnvolle Aufgabe oder Herausforderung empfunden wird. Als Ursachen werden sowohl Überforderung als auch Unterforderung oder Probleme in der persönlichen Lebensführung genannt. Hinzu kommt als wesentlicher Faktor eine Diskrepanz zwischen extrinsischer (von außen ausgelöster) und intrinsischer (innerer, eigener) Motivation: Anreize wie Einkommen, Status und Macht können kurzfristig das Selbstwertgefühl steigern, verleiten aber zu einer beruflichen Entwicklung und zur Übernahme von Aufgaben, für die die Betroffenen nicht geeignet sind und aus denen sie keine innere Befriedigung schöpfen können.
2 Definitionen
Auch wenn es keine einheitliche Definition von Burnout gibt, gibt es doch Definitionsversuche. Die aus unserer Sicht gelungensten wollen wir Ihnen hier vorstellen. Darüber hinaus haben wir es im Zusammenhang mit dem Burnout-Syndrom mit weiteren Begriffen zu tun, die hier kurz erklärt werden sollen: Stress, Resilienz und Vulnerabilität. Genaueres dazu finden Sie in den jeweiligen Kapiteln.
- Drei Burnout-Definitionen!
- Das Burnout-Syndrom entsteht durch eine dauerhafte Überforderung der eigenen geistigen und emotionalen Leistungsfähigkeiten, durch Dauerstress ohne ausreichenden Ausgleich. Die Betroffenen haben meist nicht gelernt, mit den eigenen Energieressourcen zu haushalten und wissen oft nur unzureichend, wie man sie wieder auffüllt. Der negative Stress führt zu einer kontinuierlichen Überdosis an Stresshormonen. Es kommt zum Aufbau von Resistenzen gegenüber diesen Stresshormonen und damit einhergehend zu komplexen Mangelzuständen im Hormon- und Nervensystem.
Die natürliche leistungsfördernde Wirkung von Hormonen und Neurotransmittern liegt nur noch in einem eingeschränkten Umfang vor (vgl. Pfeifer, M. – keine Angabe des Erscheinungsjahres).
- Burnout ist ein dauerhafter, negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand „normaler“ Individuen. Er ist in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung (distress), einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann dem betroffenen Menschen aber lange unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Intentionen und Berufsrealität. Burnout erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungsstrategien, die mit dem Syndrom zusammenhängen, oft selbst aufrecht (vgl. Schaufeli W.B. et al., 1998).
- Das Burnout-Syndrom ist eine prozesshafte Erkrankung. Sie bezeichnet eine Systemerregung aus einer anhaltenden, sich allmählich aufschaukelnden Hyperstressreaktion. Diese leitet einen Auflösungsprozess der psychophysischen Selbstregulation ein (die alle willensunabhängigen Regulationsvorgänge steuert, u. a. das vegetative Nervensystem) und mündet meistens in eine manifeste Depression (vgl. Nelting M., 2010).
Definitionen haben an sich, dass sie versuchen, etwas so kurz und knapp wie möglich darzustellen. Seien Sie also nicht irritiert, wenn Sie jetzt noch keine klare Vorstellung haben, was Burnout sein könnte und ob Sie evtl. davon betroffen sein könnten. Im Kapitel 6 „Symptome und Verlauf eines Burnouts“ (Teil 1) erfahren Sie mehr darüber.
3 Burnout als Prozessgeschehen
Stress und Burnout sind häufig als Prozess miteinander verbunden. Jeder Mensch, der sich heute in der Lebens- und Arbeitswelt der sogenannten ersten Welt befindet, steht irgendwo auf der Spirale, die Sie in Abb. 1 sehen.
Ein gewisses Maß an Stress ist für uns ganz normal, oft beflügelt er uns sogar. Meist können wir gut damit umgehen: Sie treffen sich nach einem stressigen Tag mit Freunden und können erzählen, was Ihnen auf dem Herzen liegt, bzw. Sie ziehen sich am Ende eines stressigen Tages die Laufschuhe an und laufen um den Park oder See und schalten so ab, wobei Sie durch die Bewegung auch die Stresshormone abbauen. Am Ende einer stressigen Woche gehen Sie feiern und am Wochenende mit Freunden zum Segeln, Skifahren, Radeln oder liegen faul in der Sonne und kriegen so Abstand zum Alltag. In den Semesterferien bleiben Ihnen wenigstens zwei bis drei Wochen, um wegzufahren und mal ganz abzuschalten. So gibt es immer wieder Zeiten, in denen Sie auftanken und so gelassen bleiben können, wenn die nächste Stresswelle Sie erwischt.
Abb. 1: Burnout als mögliches Prozessgeschehen
Manchmal kommt dann etwas dazu. Das kann zusätzlicher Stress im Studium sein, z. B. eine Prüfungswelle oder eine Konkurrenzsituation zwischen Kommilitonen oder die Angst, keinen Masterstudienplatz zu bekommen. Das können aber auch ganz andere Dinge sein, die mehr im privaten Umfeld liegen, z. B. Ärger mit dem Freund/der Freundin, Geldsorgen, Druck von den Eltern, Probleme mit Alkohol. Es können auch Themen sein, die in Ihnen selbst angelegt sind: z. B. nicht zu wissen, ob man das Richtige studiert oder Angst zu haben, nicht gut genug zu sein. Nicht selten kommen mehrere dieser Faktoren zusammen und addieren sich.
Dann kümmern Sie sich in den Zeiten, die eigentlich Ihre Ruhezeiten sind um diese Dinge. Sie gehen arbeiten, um Geld zu verdienen, Sie lernen bis tief in die Nacht oder auch am Wochenende weiter, Ihre Gedanken kreisen um Eltern, Freunde, Kommilitonen. Ihre inneren Sorgen und Ängste lassen Sie ständig grübeln. Hier beginnt nach unserer Ansicht Burnout. Sie treffen immer weniger Freunde, ziehen sich immer mehr zurück, entspannen sich immer seltener und bekommen so immer weniger Energienachschub, den Sie bräuchten, um gelassen bleiben zu können. So kommen Sie in ein energetisches Defizit. Anfangs merken Sie dies meist gar nicht, weil Sie viele Reserven haben. Doch die Spirale hat begonnen und wenn Sie sie nicht stoppen, trudeln Sie langsam immer mehr ins Energiedefizit, bis zuletzt Ihr Körper reagiert und Ihnen deutliche Signale sendet oder die Seele SOS funkt. Am Ende der Spirale werden Sie von Panikattacken oder einer Depression gezwungen, endlich Ruhe zu geben. Der Weg bis dahin ist meistens weit und es gibt genug Hinweise, die Sie ernst nehmen sollten. Wenn Sie diese erkennen, haben Sie die Chance, die Spirale anzuhalten und wieder hochzuklettern.
4 Definitionen von Fachbegriffen
Um eine Grundlage für das Verständnis der folgenden Kapitel zu schaffen, möchten wir Ihnen an dieser Stelle die Definitionen einiger wichtiger Fachbegriffe geben.
Stress (lat. stringere = anspannen)
Stress bezeichnet die durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufenen psychischen und physischen Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen. Zudem ist es üblich geworden, die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung ebenfalls als Stress zu bezeichnen. Die Stressreaktion kann durch stressverschärfende Gedanken noch erhöht werden.
Resilienz (lat: resilire = zurückspringen)
Unter Resilienz versteht man die psychische Widerstandsfähigkeit, die erforderlich ist, um Belastungen zu verarbeiten und gesund zu überstehen.
Neben Schutzfaktoren, wie Selbstvertrauen oder sozialer und spiritueller Verankerung, ist unter dem Begriff Resilienz auch das gesamte Spektrum der psychosozialen Kompetenz einzuordnen. Zu den resilienzsteigernden Faktoren sind auch erlernte Fähigkeiten, wie Stressbewältigungsstrategien und die Fähigkeit zur Selbststeuerung zu verstehen. Konsequenterweise definieren daher viele Fachleute Resilienz noch umfassender als die Fähigkeit, widrige Lebensumstände und Belastungen nicht nur gesund zu überstehen, sondern auch gereift und ausgerüstet mit neuen Ressourcen daraus vorzugehen.
Vulnerabilität (lat. vulnus = Wunde)
Vulnerabilität bezeichnet in der Psychologie und Medizin eine individuelle Disposition, d. h. ein Zusammenspiel sozialer, psychischer, organischer, genetischer oder anderer Faktoren, durch die das Auftreten einer Störung begünstigt wird. Der Begriff wird oft synonym verwendet mit herabgesetzter Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, die die Person im Zusammenspiel mit ihrer Umwelt erfährt.
5 Medizinische Hintergründe zu Burnout
5.1 Physiologische Ursachen
Es gibt viele Theorien, wie ein Burnout entsteht. Einige kann man schon aus den oben genannten Definitionen erahnen. Als relativ gesichert gilt, dass sich Burnout auf der Ebene des Körpers aus einem Dauerstress- oder Hyperstress-Zustand entwickelt. Daher wollen wir uns das Thema Stress einmal genauer ansehen.
Fangen Sie doch einmal bei sich selbst an und stellen Sie sich die folgenden drei Fragen zu (negativem) Stress: