"Fiktion" und "Wirklichkeit" in japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890
- 238 Seiten
- German
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"Fiktion" und "Wirklichkeit" in japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890
Über dieses Buch
Die Begriffe "Fiktion" und "Wirklichkeit" bilden bei verschiedener Formulierung in den Jahren 1850 bis 1890 Dreh- und Angelpunkte des Denkens über das sprachliche Kunstwerk (Literaturtheorie). Die literaturtheoretischen Fragen sind: Welches Verhältnis soll, muss oder darf die sprachliche Schöpfung (Fiktion) zur außersprachlichen Schöpfung (Wirklichkeit) haben? Die Frage, auf welche die vorliegende Arbeit zu antworten versucht ist: Welchen Wandel vollziehen theoretische Vorstellungen von sprachlicher Kunst und deren Verhältnis zur Wirklichkeit während der 40 Jahre, in denen Japan sich zur Öffnung gegenüber dem Ausland gezwungen sieht und den wohl drastischsten gesellschaftlichen und kulturellen Wandel in seiner Geschichte erlebt? Zur Debatte steht auf wissenschaftstheoretischer Ebene bei dieser Fragestellung auch die Tauglichkeit literaturtheoretischer Begriffe zur Beschreibung ideengeschichtlicher Prozesse – Literatur und das Denken über sie als »Denken in Bildern« (Belinskij).
Häufig gestellte Fragen
Information
1 Ziel und Anlage der Abhandlung
1.1 Ziel und Spektrum der Abhandlung
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A | Nun, was die historisierenden Erzählungen anbetrifft, so schaffen sie vermittels einer Entleihung das Wahre. Was [ihre] Metaphern, ihre rätselhaften und vergleichenden Ausdrücke, das in der Luft Befestigte und das Wurzellose angeht, so scheint daran nichts Beachtenswertes zu sein, doch veranschaulichen die feinen Formulierungen die Beförderung [des Guten] und die Geißelung [des Schlechten] und gereichen den Unterbelichteten und Irregeleiteten zur Unterweisung. […] Dies war der Ursprung der Heftliteratur. (Ishikawa Teisai: Vorwort zu Kimura Mokurō, Kokuji shōsetsu tsū, 1849) | Fasst man das Hauptanliegen [meines Romans] zusammen, so habe ich nicht im Traum daran gedacht, leere Worte, Gelogenes und Spielereien hervorzubringen – sondern nur daran, [für die ungebildete Leserschaft] möglichst kurze und einfache Beförderungen des Guten und Geißelungen des Bösen zu schaffen. (Shōtei Kinsui: Temari uta sannin musume, Vorwort zu Bd. II [postum, 1864]) |
B | Will man diese Erzählung [das Genji monogatari] lesen, so sollte man sich zuerst die historische Situation gründlich einprägen und sie begreifen – und erst dann mit der Lektüre beginnen. Geschieht dies nicht, so weichen die [geschilderten] Verhältnisse erheblich [von der historischen Situation] ab, es kommt zu vielen Verwirrungen in den Herzen späterer Generationen, und man kann den Sinn schwerlich erfassen. […] [Aber] weil alles so niedergeschrieben wurde, wie es sich in alten Zeiten zugetragen hatte, fühlt man sich in jene Zeit zurückversetzt. So wirkt es, und deswegen gibt es vieles, dessen Sinn man als das erfasst, was die Autorin zu ihrer Zeit erlebt hatte. (Hagiwara Hiromichi: Genji monogatari hyōshaku, 1854) | Neulich besuchte ich Herrn Professor Keiu und befragte ihn zu Poesie und Prosa. Der Herr Professor merkte an, dass er an Poesie und Prosa das Tatsächliche schätze, die Vorstellung hingegen nicht. Ich sage bei aller gebotenen Bescheidenheit, dass ich bei Poesie das Vorgestellte, nicht aber das Tatsächliche schätze. Das Tatsächliche ist nur in der Prosa zu schätzen. […] Das ist der Grund, warum der Poet in westlichen Ländern die Vorstellung zur Hauptsache macht. (Inoue Tetsujirō, Nakamura Keiu ō ni yosete sho su, 1883) |
C | Die miteinander verflochtenen und nebeneinander stehenden Zehntausend Formen sind Abdrücke des einen Gesetzes; „das eine Gesetz“ meint das ganze Herz, welches die Gesetze aller in der Welt bestehenden und erscheinenden Dinge umfasst; dieses eine Gesetz ist die Verkörperung der Lehre Buddhas von der großen Welt als Ganzes. Ein Unterschied [zwischen den Dingen] besteht lediglich bei Verwirrung der Gedanken. [Der Dichter Bashō wurde hierdurch] aufgerüttelt, er streifte den alten Geruch eingetrübt leerer Unwahrheiten ab, erneuerte [die Dichtung] und brachte den rechten Stil einer vollkommen gereinigten [Verbindung von] Leere und Tatsächlichkeit hervor. (Harada Kyokusai: Jōkyōshiki kaiin roku, 1859) | Wei Shuzi sagt: ‚Das Wunderbare des Textes liegt in dessen Verdichten des Prinzips und dessen Ausarbeitung des Zeichens.‘ Was das Prinzip angeht, so ist es die ursprüngliche Gestalt des Sinnes [kokoro 心]. Ich vergleiche es mit einem Gebirge. Von Anfang bis Ende ist es fest und wandelt sich nicht. Was das Zeichen anbelangt, so ist es jenes Ding, welches das Tun des Sinnes vollendet. Zudem ist es jenes Ding, welches dem Rohmaterial den Schliff gibt. Ich vergleiche es mit dem Wasser. Es richtet sich von Anfang bis Ende nach den Gegenständen und hat noch nie eine feste Gestalt gehabt. […] Ich sage deswegen: Was den Text anbelangt, so ist er die Silhouette des Sinnes. Der Sinn ist der Körper des Textes. (Futabatei Shimei: Bunshō ron, 1889). |
Gemeinsamkeiten der sechs einführenden Metatexte
[Literarische Texte] besitzen keine genaue Gegenstandsentsprechung in der ‚Lebenswelt‘, sondern bringen ihre Gegenstände aus den in der ‚Lebenswelt‘ vorfindbaren Elementen erst hervor. […] es gibt durchaus Texte, die etwas hervorbringen, ohne dadurch schon literarisch zu sein. So schaffen beispielsweise alle Texte, die Forderun...
Inhaltsverzeichnis
- Title Page
- Copyright
- Contents
- Formale Gestaltung der Arbeit
- 1 Ziel und Anlage der Abhandlung
- 2 Forschungsstand und Quellenlage
- 3 „Fiktion“ und „Wirklichkeit“: Beziehungsmuster in Philosophie und Literaturtheorie
- 4 Fiktion und Wirklichkeit in ausgewählten japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890
- 5 Fazit: Von Kontinuitäten und Wandlungen in der japanischen Literaturtheorie von „Fiktion“ und „Wirklichkeit“