"Fiktion" und "Wirklichkeit" in japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890
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"Fiktion" und "Wirklichkeit" in japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890

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"Fiktion" und "Wirklichkeit" in japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890

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Die Begriffe "Fiktion" und "Wirklichkeit" bilden bei verschiedener Formulierung in den Jahren 1850 bis 1890 Dreh- und Angelpunkte des Denkens über das sprachliche Kunstwerk (Literaturtheorie). Die literaturtheoretischen Fragen sind: Welches Verhältnis soll, muss oder darf die sprachliche Schöpfung (Fiktion) zur außersprachlichen Schöpfung (Wirklichkeit) haben? Die Frage, auf welche die vorliegende Arbeit zu antworten versucht ist: Welchen Wandel vollziehen theoretische Vorstellungen von sprachlicher Kunst und deren Verhältnis zur Wirklichkeit während der 40 Jahre, in denen Japan sich zur Öffnung gegenüber dem Ausland gezwungen sieht und den wohl drastischsten gesellschaftlichen und kulturellen Wandel in seiner Geschichte erlebt? Zur Debatte steht auf wissenschaftstheoretischer Ebene bei dieser Fragestellung auch die Tauglichkeit literaturtheoretischer Begriffe zur Beschreibung ideengeschichtlicher Prozesse – Literatur und das Denken über sie als »Denken in Bildern« (Belinskij).

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110763973

1 Ziel und Anlage der Abhandlung

1.1 Ziel und Spektrum der Abhandlung

Texte über andere Texte (= Metatexte) haben grundsätzlich eine Doppelstruktur: Sie enthalten zum einen explizite Aussagen über andere Texte (= Phänotexte), zum anderen implizite Aussagen über den Blickwinkel und das Wertesystem des Verfassers des Metatextes. Betrachtet man mehrere Metatexte zu einem Phänotext, werden außerdem Grundzüge einer individuellen oder allgemeinen Rezeptionsgeschichte dieses Phänotextes erkennbar. Analysiert man eine Gruppe von Metatexten zu einer Gruppe von Phänotexten, darf man hoffen, zu allgemeineren Erkenntnissen über die Verfasser der Phäno- und Metatexte und deren Blickwinkel zu gelangen.
Diese Abhandlung versucht, aus exemplarischen japanischen literaturtheoretischen Texten der Jahre 1850 bis 1890 auf mögliche und gängige Blickwinkel sowie die Wertesysteme ihrer Verfasser zu schließen. Im Mittelpunkt soll dabei die Dichotomie „Fiktion – Wirklichkeit“ in ihren unterschiedlichen Formulierungen und den jeweils damit verbundenen Begriffsinhalten stehen. Mein Interesse an dieser Dichotomie rührt von ihrem grundsätzlichen Charakter und ihren damit verbundenen Fragestellungen her. Denn wenn ein literarischer Text grundsätzlich als Fiktion im Sinne eines Artefakts (← lat. facere, „herstellen“) betrachtet werden darf, ergibt sich die Frage: Welche Beziehung konstruiert der Literaturtheoretiker zwischen dem „Hergestellten“ und dem außerhalb des Textes „schon Seienden“, also der Wirklichkeit? Oder, noch pathetischer formuliert: Welchen Bezug zwischen dem literarischen Text und der „Welt“ konstruiert der Literaturtheoretiker? Im oben grob umrissenen Zeitraum der Jahre 1850 bis 1890 unterliegt die japanische „Welt“ auf innen- und außenpolitischer, geistesgeschichtlicher und kultureller Ebene drastischen Veränderungen. Ziel der vorliegenden Abhandlung ist die Erkenntnis der damit einhergehenden Veränderungen der Begriffsinhalte der Dichotomie „Fiktion – Wirklichkeit“ in der japanischen Literaturtheorie der Zeit. Geht es in den zu betrachtenden japanischen Literaturtheorien um derart Grundsätzliches, dann übernimmt die vorliegende Abhandlung die von Ulrike Zeuch in Bezug auf die Rezeption der Poetik des Aristoteles und speziell auf dessen Mimesis-Begriff bezogen entwickelte Vorstellung von einer „Tauglichkeit literaturtheoretischer Begriffe zur Beschreibung ideengeschichtlicher Prozesse“. Eine japanische Form der Mimesis etwa stellte sich damit als kulturanthropologische Konstante dar, deren Literaturtheorie gar als kulturanthropologische Literaturtheorie.1 Es muss dabei klar sein, dass die vorliegende Abhandlung eine Übersicht thematischer Schwerpunkte der auf die Dichotomie „Fiktion – Wirklichkeit“ bezogenen Literaturtheorien und den daraus möglichen Folgerungen bieten wird – nicht mehr und nicht weniger.
Die folgenden (von mir übersetzten) Ausschnitte japanischer Metatexte der Jahre 1850 bis 1890 zur japanischen Literatur (im Sinne von Wortkunst) dienen als erstes Schlaglicht auf drei wichtige Blickwinkel und Wertesysteme ihrer Verfasser in drei voneinander zu unterscheidenden Gruppen A, B und C. Auch erlauben sie eine erste Abgrenzung zwischen nichttheoretischen und theoretischen Metatexten zur Literatur.
Tabelle 2:Sechs einführende Beispiele für Metatexte zur japanischen Literatur (1849–1889).
1 2
A Nun, was die historisierenden Erzählungen anbetrifft, so schaffen sie vermittels einer Entleihung das Wahre. Was [ihre] Metaphern, ihre rätselhaften und vergleichenden Ausdrücke, das in der Luft Befestigte und das Wurzellose angeht, so scheint daran nichts Beachtenswertes zu sein, doch veranschaulichen die feinen Formulierungen die Beförderung [des Guten] und die Geißelung [des Schlechten] und gereichen den Unterbelichteten und Irregeleiteten zur Unterweisung. […] Dies war der Ursprung der Heftliteratur. (Ishikawa Teisai: Vorwort zu Kimura Mokurō, Kokuji shōsetsu tsū, 1849) Fasst man das Hauptanliegen [meines Romans] zusammen, so habe ich nicht im Traum daran gedacht, leere Worte, Gelogenes und Spielereien hervorzubringen – sondern nur daran, [für die ungebildete Leserschaft] möglichst kurze und einfache Beförderungen des Guten und Geißelungen des Bösen zu schaffen. (Shōtei Kinsui: Temari uta sannin musume, Vorwort zu Bd. II [postum, 1864])
B Will man diese Erzählung [das Genji monogatari] lesen, so sollte man sich zuerst die historische Situation gründlich einprägen und sie begreifen – und erst dann mit der Lektüre beginnen. Geschieht dies nicht, so weichen die [geschilderten] Verhältnisse erheblich [von der historischen Situation] ab, es kommt zu vielen Verwirrungen in den Herzen späterer Generationen, und man kann den Sinn schwerlich erfassen. […] [Aber] weil alles so niedergeschrieben wurde, wie es sich in alten Zeiten zugetragen hatte, fühlt man sich in jene Zeit zurückversetzt. So wirkt es, und deswegen gibt es vieles, dessen Sinn man als das erfasst, was die Autorin zu ihrer Zeit erlebt hatte. (Hagiwara Hiromichi: Genji monogatari hyōshaku, 1854) Neulich besuchte ich Herrn Professor Keiu und befragte ihn zu Poesie und Prosa. Der Herr Professor merkte an, dass er an Poesie und Prosa das Tatsächliche schätze, die Vorstellung hingegen nicht. Ich sage bei aller gebotenen Bescheidenheit, dass ich bei Poesie das Vorgestellte, nicht aber das Tatsächliche schätze. Das Tatsächliche ist nur in der Prosa zu schätzen. […] Das ist der Grund, warum der Poet in westlichen Ländern die Vorstellung zur Hauptsache macht. (Inoue Tetsujirō, Nakamura Keiu ō ni yosete sho su, 1883)
C Die miteinander verflochtenen und nebeneinander stehenden Zehntausend Formen sind Abdrücke des einen Gesetzes; „das eine Gesetz“ meint das ganze Herz, welches die Gesetze aller in der Welt bestehenden und erscheinenden Dinge umfasst; dieses eine Gesetz ist die Verkörperung der Lehre Buddhas von der großen Welt als Ganzes. Ein Unterschied [zwischen den Dingen] besteht lediglich bei Verwirrung der Gedanken. [Der Dichter Bashō wurde hierdurch] aufgerüttelt, er streifte den alten Geruch eingetrübt leerer Unwahrheiten ab, erneuerte [die Dichtung] und brachte den rechten Stil einer vollkommen gereinigten [Verbindung von] Leere und Tatsächlichkeit hervor. (Harada Kyokusai: Jōkyōshiki kaiin roku, 1859) Wei Shuzi sagt: ‚Das Wunderbare des Textes liegt in dessen Verdichten des Prinzips und dessen Ausarbeitung des Zeichens.‘ Was das Prinzip angeht, so ist es die ursprüngliche Gestalt des Sinnes [kokoro 心]. Ich vergleiche es mit einem Gebirge. Von Anfang bis Ende ist es fest und wandelt sich nicht. Was das Zeichen anbelangt, so ist es jenes Ding, welches das Tun des Sinnes vollendet. Zudem ist es jenes Ding, welches dem Rohmaterial den Schliff gibt. Ich vergleiche es mit dem Wasser. Es richtet sich von Anfang bis Ende nach den Gegenständen und hat noch nie eine feste Gestalt gehabt. […] Ich sage deswegen: Was den Text anbelangt, so ist er die Silhouette des Sinnes. Der Sinn ist der Körper des Textes. (Futabatei Shimei: Bunshō ron, 1889).

Gemeinsamkeiten der sechs einführenden Metatexte

Betrachten wir zunächst die Gemeinsamkeiten der sechs Texte! Alle sprechen über die Wortkunst (= Literatur), und alle thematisieren das für die Literatur konstatierte oder geforderte Verhältnis zwischen Fiktion und extratextueller Wirklichkeit, zwischen Fiktivität und Faktizität. Gemeinsam ist den Texten zudem die Entstehungszeit, nämlich die im Mittelpunkt der Abhandlung stehenden Jahre 1850–1890, eine Zeit des wesentlich von ausländischen Einflüssen geprägten, politisch und sozialgeschichtlich eher abrupten, literaturgeschichtlich eher allmählichen Übergangs von der späten Feudalzeit zur frühen Moderne Japans. Vergleicht man nun gruppenweise die älteren Texte der Spalte 1 mit den neueren der Spalte 2, stellt man Übereinstimmungen in den zugrundeliegenden Wertesystemen fest. (A) Der ganz und gar der traditionellen Feudalmoral verhaftete Ishikawa Teisai 石川艇斎 (fl. 1849) lässt 1849 Fiktion in der Literatur als „Entleihung“ der extratextuellen Wirklichkeit nur so weit zu, wie sie den Ungebildeten zur leichtverständlichen moralischen Unterweisung dient – ein Standpunkt, den Shōtei Kinsui 松亭金水 (1797–1863) mitten in der Übergangsphase in seinem postum veröffentlichten Text noch vollkommen zu teilen vorgibt, um die Zensurbehörden und die Leserschaft für seine Produkte einzunehmen. (B) Der 1854 noch tief in der Feudalzeit verwurzelte Hagiwara Hiromichi 萩原広道 (1815–1863) setzt die enge Beziehung des fiktionalen Genji monogatari zur gesellschaftlichen Realität des höfischen Lebens im 10. Jahrhundert als gleichsam naturgegeben voraus – worin 1883 Nakamura Keiu 中村敬宇 (1832–1891), prominenter Vertreter der Aufklärung der Frühmoderne (Meiji-Zeit, 1868–1912) mit ihm noch völlig übereinstimmt, sein Diskussionspartner Inoue Tetsujirō 井上哲次郎 (1856–1944) als ein Vertreter der frühmodernen Philosophie Japans zumindest noch großenteils. (C) Futabatei Shimei 二葉亭四迷 (1864–1909) sagt im Jahre 1889, also in der Frühmoderne eigentlich noch dasselbe wie schon Harada Kyokusai 原田曲斎 (1817–1874) gegen Ende der Vormoderne Japans: dass das extratextuelle Referens des literarischen Texts vor allem der dem referierten Gegenständlichen innewohnende Sinn sei und nicht das Gegenständliche selbst. Die jeweils Jahrzehnte auseinanderliegenden Texte einer Gruppe verweisen auf drei vorherrschende Literaturanschauungen des Betrachtungszeitraums: (A) eine moralisch, (B) eine allgemein geschmacklich und (C) auf eine im engeren Sinne ästhetizistisch oder philosophisch urteilende Anschauung. Dass diese drei Anschauungen ihren Ursprung in weit früheren historischen Phasen haben und sich im konkreten Fall vermischen können, sei zunächst ohne Beleg erwähnt.
Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit der sechs Beispieltexte: Die Lebenszeiten der Verfasser überlappen sich zu einem großen Teil, und ihre Texte verweisen – bei aller sozial und biografisch bedingt individuellen Ausprägung – auf Gemeinsamkeiten in Bildungsweg und Sozialisierung. Vor diesem Hintergrund überraschen mehr noch als deren Gemeinsamkeiten die Unterschiede zwischen den Metatexten.
Die dritte Gemeinsamkeit der Texte der Gruppen A bis C ist der Bezug zur „Literatur“ im Sinne von „Wortkunst“. Bevor wir uns in diesem womöglich unendlich scheinenden Feld verlieren, muss dessen Definition nun nachgeholt werden. Der Umgang mit den verschiedenen Formen der japanischen Wortkunst legt nahe, sich an Wolfgang Isers im Folgenden zitierter Erklärung aus Die Appellstruktur der Texte (1970) zu orientieren.
[Literarische Texte] besitzen keine genaue Gegenstandsentsprechung in der ‚Lebenswelt‘, sondern bringen ihre Gegenstände aus den in der ‚Lebenswelt‘ vorfindbaren Elementen erst hervor. […] es gibt durchaus Texte, die etwas hervorbringen, ohne dadurch schon literarisch zu sein. So schaffen beispielsweise alle Texte, die Forderun...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Formale Gestaltung der Arbeit
  5. 1 Ziel und Anlage der Abhandlung
  6. 2 Forschungsstand und Quellenlage
  7. 3 „Fiktion“ und „Wirklichkeit“: Beziehungsmuster in Philosophie und Literaturtheorie
  8. 4 Fiktion und Wirklichkeit in ausgewählten japanischen Literaturtheorien der Jahre 1850 bis 1890
  9. 5 Fazit: Von Kontinuitäten und Wandlungen in der japanischen Literaturtheorie von „Fiktion“ und „Wirklichkeit“