Köche, hört die Signale!
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Köche, hört die Signale!

Ein kulinarisches Manifest

  1. 176 Seiten
  2. German
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Köche, hört die Signale!

Ein kulinarisches Manifest

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

David Höner, Koch an vielen Herden dieser Welt, Gastgeber an Locations in Zürich, Nairobi und Quito, blickt zornig auf die Früchte der Globalisierung, die keinem schmecken. Ob es die betriebswirtschaftlich organisierte Gastronomie ist, die auf Lebensqualität und Gesund-heit spuckt, ob es sich um fatale Fehlentwicklungen in der Ausbildung von Köchen handelt, oder um die Verwilderung von Tischsitten – für David Höner ist es an der Zeit ein Zeichen zu setzen. Gemeinsam mit zehn prominenten Köchen, Weinkennern und Gastrosophen erklärt er die elementaren Sünden unserer Zeit und zeigt, warum die richtige Nahrungszubereitung unsere Basis zum Überleben und der Schlüssel zum Glück ist.

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Information

Eckart Witzigmann

Grundsätzlich ist es wichtig, dass man sein Handwerk in einem guten Lehrbetrieb von der Pike auf lernt und dass man Auslandserfahrungen macht. Verschiedene Sprachen lernen gehört dazu.
Die Ausbildung ist heute eine andere als zu meiner Lehrzeit. Heute kommt alles ausgenommen, filetiert und vorbereitet in die Küchen. Wir haben noch gelernt, ganze Tiere zu zerlegen und zu verarbeiten. Die Ausbildung ist immer der Grundstein für jeden Koch. Das Grundwissen der traditionellen Küche darf nicht verloren gehen. Erst wenn man das hat und umsetzen kann, ist man fähig, seine Erfahrungen zu machen und seinen eigenen Stil zu entwickeln. Ich halte eine fundierte gute Ausbildung gerade in Zukunft für lebens-, ja überlebensnotwendig. Dabei wäre es auch sinnvoll, dass Themen wie Gewichtszu- und -abnahme, Allergien, Diät­gefahren, Vegetarismus, medizinische Aspekte mehr beachtet werden. Zwar gibt es eine Menge Kollegen, die in diesen Bereichen engagiert tätig sind, doch sind hier vor allem die Berufsschulen gefordert. Sie sollten verstärkt diese Themen bedienen.
Ich kann zudem nur immer wieder den Geheimrat Goethe zitieren, der festhielt, »dass Reisen bildet«. Es schadet keinem ambitionierten Koch, wenn er nach seiner Lehrzeit in verschiedenen Betrieben Inspirationen einholt, viel in fremde Küchen eintaucht. Wenn er sensibel genug ist, erkennt er eines Tages, auf welchem Feld er sich wirklich wohlfühlt und wie er eine eigene Stilistik entwickelt. Wer sich sicher ist, belastbar zu sein, gewillt ist, Entbehrungen auf sich zu nehmen, und die Freude und den Willen hat, der hat sich einen einzigartigen und vielfältigen Beruf ausgewählt. Aber das braucht alles Zeit und manchmal auch Glück, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein.
Was haben wir denn seit Jahrhunderten auf unseren Tellern? Kurz gesagt: Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst. Was permanenten Wandel erfährt, sind die Zubereitung und die Produktion. Beides ist Moden und neuen Techniken unterworfen, und die Intervalle des Wandels werden immer kürzer und intensiver. Anders gesagt: Die Inhalte verändern sich nur wenig. Was sich stetig verändert, sind die Form, Zubereitung, Präsentation und die Essgewohnheiten.
In der Praxis bedeutet das eine permanente Herausforderung. Wir werden schneller und intensiver auf wechselnde Bedürfnisse eingehen müssen, und falls es einen Trend geben sollte, ist der weder gemacht noch konstruiert, sondern er kommt von der Straße. Unsere Aufgabe ist es, darauf gut vorbereitet zu sein, die Welle zu spüren, wenn sie noch lange nicht sichtbar ist. Und dann unser eigenes originäres Ding zu machen. Wenn unsere Zunft aus der Zeitung erfährt, was auf sie zukommt, hat sie einen Fehler gemacht!
Aber ich bin mir sicher: Wer seine Hausaufgaben macht und nicht blind alles nachbetet, was die angeblichen Weisen so alles produzieren, wer sich auf sein eigenes Gefühl und Können verlässt, der wird auch in Zukunft vorne mitspielen. Und ohne zwei Voraussetzungen auch in Zukunft nichts passieren: Wir brauchen gute Produzenten bzw. Produkte und die Kreativität, mit ihnen perfekt umzugehen. Dann werden auch in Zukunft die Leute essen gehen, Geld dafür ausgeben, unsere Betriebe und Arbeitsplätze am Leben halten.
Allerdings sollte niemand ohne Einsatzbereitschaft und große persönliche Belastbarkeit in den Ring der Gastronomie steigen. Wer geregelte Arbeitszeiten und freie Wochenenden liebt, sollte besser draußen bleiben.
Ich finde es hilfreich für engagierte Leute, in der globalisierten Welt Erfahrungen zu machen und Eindrücke zu sammeln. Nur wer möglichst viele Stationen – darunter eben auch internationale – kennt, kann beurteilen, welcher Betrieb wirklich zu ihm passt und wo er am meisten lernt. Man sollte sich zwar schon durchbeißen und nicht bei jeder Kleinigkeit aufgeben, aber wenn man merkt, dass einem eine Station auf Dauer nichts bringt, muss man konsequent sein und wechseln.
Es gehört zu den Wesensmerkmalen des Kochberufs, besonders, wenn man ihn auf hohem Niveau ausüben möchte, dass man neugierig, wissbegierig und offen bleiben muss. Das bringt einen als Mensch, auch außerhalb des Berufslebens, weiter. Dann gilt für jeden Koch auch der wunderschöne Satz, der dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben wird: »Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.«
Vor 30 Jahren sind die Gäste in die großen Restaurants dieser Welt gepilgert und haben ehrfurchtsvoll gegessen, was ihnen serviert wurde. Da war alles neu, fremd und spannend. Heute weiß ich schon bei der Reservierung, was auf den Tisch kommt, woher die Produkte stammen und was es kostet. Da gibt es keine Überraschungen mehr. Wir leben in einer globalisierten Koch- und Genusswelt, es gibt immer weniger Geheimnisse. Der Gast von heute ist weit gereist, kennt alle digitalen Informationsmöglichkeiten und weiß, was er will. Er sucht sich gezielt sein Restaurant aus und glaubt manchmal, mehr zu wissen als der Koch. Vor 40, 50 Jahren waren wir Köche Missionare und die ersten Gäste Entdecker. Heute gibt es landauf, landab eine Fülle guter Restaurants und Gasthäuser, die Gesamtqualität hat sich, auch außerhalb des Sterne- und Haubenbereichs, auf breiter Basis gesteigert. Und der Konsument hat ein gutes Produkt zu schätzen gelernt.
Am sichersten fährt man als Koch, wenn man mit den Jahreszeiten geht. Der saisonale Speiseplan ist immer noch der beste und preiswerteste Kompass, an zweiter Stelle kommt die Regionalität. Da muss ich allerdings anmerken, dass Regionalität nicht automatisch auch hohe Qualität verspricht. Das sind zwei paar Stiefel, die kurzen Wege sind das eine, die Qualität das andere.
Ich bin keiner, der mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt läuft, eigentlich sollte jeder das essen, worauf er Lust hat und was ihm schmeckt. Wenn das dann noch saisonal und regional große Schnittmengen hat, umso besser. Jeder, der sich gesund ernähren und dabei munter bleiben will, sollte generell lieber weniger, aber Dinge von höchster Qualität zu sich nehmen.
Ich habe immer gesagt und will mich hier gerne wiederholen: Die Entdeckung von Genuss und Wertigkeit beim Essen ist kein Sprint, sondern ein nie endender Marathonlauf. Vor mehr als 20 Jahren habe ich in einem Interview behauptet, der größte Luxus der Zukunft werde sein, den Produzenten seiner Lebensmittel persönlich zu kennen. Heute würde ich ergänzen: Wir müssen beim Wort »Lebensmittel« dem Begriff »Leben« wieder mehr Bedeutung schenken.
Ich registriere, dass auf breiter Basis viel passiert. Aber parallel muss ich auch feststellen, dass in keinem anderen Land in Europa Geiz so geil ist wie in Deutschland. Und das hat natürlich Auswirkungen auf die Produzenten und ihre Produkte. Ein gutes Produkt wird immer seinen Preis haben. Aber wenn Milch billiger als Mineralwasser ist und ein Liter Olivenöl billiger als ein Liter Diesel, stimmen die Relationen nicht mehr.
Wer nur auf den Preis der Dinge schaut, der sieht zu wenig. Gutes Essen mit nachhaltigen Produkten ist keine Frage des Preises, sondern des Verhaltens. Wie sähe Ihr Teller aus, wenn Sie in Ihr Essen ungefähr so viel Zeit und Kreativität investieren würden wie in den Versuch, Level 27 bei einem Onlinespiel zu knacken? Wie viel sind Sie bereit, in gutes Essen zu investieren? Nicht nur an Geld, auch an Zeitaufwand und Phantasie?

Maria Groß von der »Bachstelze« in Erfurt

Ich habe erst in Leipzig studiert, Germanistik und Philosophie. Dann bin ich nach Berlin gegangen. Am schwarzen Brett in der Uni fiel mir eine Anzeige von einem Ehepaar auf: »Suchen Köchin oder Koch für Privathaushalt.« Dort kochte ich dann fast drei Jahre. Während dieser Zeit wurde mir immer klarer, dass ich damit etwas tat, wo ich einen Sinn sah und was mir Spaß machte. Ich entdeckte ein Talent, ja eine Leidenschaft in mir, die ich mit professioneller Hilfe ausbauen könnte – und so war die Idee geboren, Köchin zu werden. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, in meiner Familie wäre ich die erste Akademikerin gewesen. Trotzdem sagte ich zur Oma und zur Mama – wir sind so eine Frauendynastie –, dass ich das Studium erst mal ad acta legen und jetzt eine Lehre als Köchin anfangen würde.
Die DDR-Zeiten waren ja vorbei. Ich hatte mit meinen 25 Jahren nur Freiheit im Kopf und wusste, was ich wollte: Freude und Spaß. Und Erfolg, ohne auf eigene Lebensqualität verzichten zu müssen.
Die Wanderjahre nach meiner Lehre führten mich zwischen 2004 und 2013 zu vielen Restaurants und Gasthäusern in Deutschland und der Schweiz, bis es mich dann wieder in die Heimat zog. Nach Erfurt, wo ich im »Kaisersaal« für gleich drei Küchen zuständig war und wo mir ein Michelin-Stern in die Schürze fiel. Seit 2015 bin ich nun in der »Bachstelze« meine eigene Chefin und habe das, wovon ich als junge Frau vor 20 Jahren träumte.
Kochen als Männerberuf? Sicher gibt es in professionellen Küchen mehr Männer. Doch bin ich eher das Positivbeispiel. Ich habe mich nie als Unterdrückte gesehen. Ich bin dazu erzogen worden, dass ich es mir wert bin, die Welt zu erobern. Auch wenn die Elite männlich besetzt ist – nach wie vor und nicht nur in der Gastronomie. Hartes Management mit geringem Frauenanteil. Man sagt den Frauen ja Multitasking-Talent nach. Doch das ist nur bedingt gefragt. Es ist gefragt, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Das ist für frau eine extrem harte Entscheidung. Es geht nicht zuletzt um den Kinderentscheid. Keine Kinder zu haben, ist allseits beschlossene Sache. Es ist traurig, wenn frau nicht mehr als Mensch, sondern nur über die Gebärmutter definiert wird. Sperma zu schenken und ab und zu ein positiver Teilzeitvater zu sein, ist gesellschaftlich ganz anders akzeptiert. In unserer patriarchal geprägten Welt ist »man(n)« berufstätig.
Ich wollte selbstständig sein, Geld verdienen. Ich habe mir das genommen, was ich brauchte. Vielleicht eine krasse Verhaltensweise. Aber so bin ich. Je brachialer mir die Machoköche dieser Welt begegnet sind, desto härter war ich in meinen Reaktionen. So schaffte ich mir die Aura von: »Sprich sie nicht doof an, die macht dich platt!« Eine Art Hexenstatus. Den hatte ich mir immerhin erarbeitet.
Als ich noch ein kleines Licht war, konnte ich mir meinen Raum nehmen, der auch respektiert wurde. Ich lasse mich nicht zum »Nigga« machen. Das sage ich ganz bewusst in diesem plakativ rassistischen Ton, weil genau mit diesem Ton musste ich klarkommen. Die hierarchischen Abläufe haben System und funktionieren so: Du Nigga, ich Gott! Als Frau musst du in jedem Fall besser sein als der beste Mann im Team. Sonst wirst du nicht wahrgenommen. Schon gar nicht bei der Vergabe von Kompetenzen.
Am Schluss entscheidet die eigene Haltung. Das ist auch bei Männern so. Nicht jeder oder jede ist den Psychospielchen gewachsen, zumal es in den Küchen zudem auch körperlich hart zur Sache geht. Bei Frauen wird die Körperlichkeit zur Charakterfrage. So entsteht ein neuer Prototyp Frau, die sich nicht dafür entschuldigt, angeblich männliche Eigenschaften zu haben: eine gewisse Härte gegen sich selbst, eine Bereitschaft zum Schmerz. Frauen, die zur Stärke erzogen wurden, ruhen anders in sich. Sie wissen, dass sie nichts geschenkt kriegen. Sie wissen, dass man in der Männerwelt erst mal ne Runde »Dreck« fressen muss, und dann gehts aufs nächste Level. Durchbeißen halt. Entweder man kann es abfedern oder man geht. Es gab Zeiten, in denen ich nur geheult habe. Das wird dann bei Frauen eher toleriert, auch bei Schwulen. Der weinende Mann in der Küche ist ein No-Go. Der geht zum Heulen in den Tiefkühler.
Ich war früher viel feministischer, im Studentenrat als Frauen- und Lesbenreferentin, habe Demos organisiert bis hin zu: Ich lass nur einen weiblichen Elektriker in meine Wohnung. Jetzt ist das alles um die zwanzig Jahre her. Heute merke ich, es sind fast alle Dinge vom eigenen Urteil abhängig. Egal, ob du schwarz oder weiß bist, ob du Brüste hast oder nicht. Viele Sachen sind gar nicht geschlechterspezifisch, sie sind dazu gemacht worden. Es werden Klischees unterstellt und es wird unreflektiert behauptet: Oh je, das passiert mir, weil ich eine Frau bin. Okay, es passiert aber auch, weil ich es zulasse! Weil ich mich von so Machoallüren in die Ecke drängen lasse. Auch von intelligenten Männern. Keine Ahnung, was die für ein weibliches Rollenbild haben!
Ich leite meine Teams anders als ein konservativer Chef. Aber die Verantwortung übernehme ich. Ich trage die Krone. Es geht um Teamleistung, nicht um Einzelkampf. So funktioniert mein Wettbewerb. Männer, die Teams um sich haben, nehmen dich erst ab dem Halbfinale wahr. Aha, die lässt nicht locker. Am Anfang war ich die Quotentusse, die besetzt wurde … aber die nie aufgab, immer im Spiel blieb. So lang am Ball bleiben, bis die Herren einen wahrnehmen. Sie halten sich für Alphatiere. Aber manche spüren es schon im Vorfeld, das sind die weniger Harten, dass sie es gar nicht sind. Andere müssen das noch lernen. Doch wir Frauen sind, krass gesagt und weil das Kind in uns wächst, die erste Nahrungsquelle. Für das Leben.
Die Herkunft, die ja jedem alles ermöglicht, kommt doch aus der Haushaltsküche, und dort steht die Hausfrau. Sie ist die Mutter aller Gerichte. Kochen in seinem Ursprung ist eine weibliche Tätigkeit. Muttermilch die erste Nahrungsquelle.
Da geht es um Frauenpolitik. Frauen wollten sich zunächst nicht weiter beschränken lassen auf Haushalt und Nahrung. Heute ist es komplexer. Die jungen Frauen haben mittlerweile, das ist ein heikler Punkt, gar kein Bewusstsein mehr, worüber sie angeblich frei entscheiden dürfen, obwohl sie es gar nicht frei entscheiden können. Wir fliegen zum Mond, okay, aber wir kriegen es in Deutschland nicht hin, jedem Kind einen Kindergartenplatz anzubieten. Ein Kind bedeutet den Karriereknick. Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine freie Entscheidung. Nach wie vor gibt es ganz viele Beschneidungen von Frauenrechten. Erst unsere Ururgroßmütter haben im vorletzten Jahrhundert dafür zu kämpfen begonnen. Frauenwahlrecht zum Beispiel. Oder dass wir kurze Röcke tragen dürfen, ohne als Schlampen beschimpft zu werden. Wir sind nicht gleichgestellt. Ich habe immer mit Männern gearbeitet, aber ich schwöre, die ganzen Jobs, die ich hatte, auch bereits in Führungspositionen, haben mir immer mindestens 500 Euro weniger gebracht als meinen männlichen Kollegen in gleicher Position. Es braucht immer noch Mut dazu, über dieses Thema zu reden. Ich bin ja nicht beeinträchtigt – ich bin »lediglich eine unabhängige Frau«.
Wenn ich bei mir eine Frau einstelle, rede ich mit ihr über Familienplanung. Das muss sein. Das wird vom patriarchalen System einfach ignoriert und unter dem Deckmantel der Persönlichkeitsrechte versteckt. Hat man vielleicht kein Interesse, die Frau in Arbeit zu halten?
Als Köchin, Frau und Unternehmerin kämpfe ich jetzt mit den ganzen Lockdown-Geschichten. Es ist der Wahnsinn, was da gerade passiert, was für Notstandsgesetze durch die Hintertür eingeführt werden. Langfristig will ich mit der »Bachstelze« kleiner werden, um die notwendigen Waren und Lebensmittel nicht nur zu reduzieren, sondern sie auch aus eigener Produktion zu beziehen. Ohnehin beziehen wir aktuell bereits den überwiegenden Teil unserer Zutaten aus dem näheren Umland.
Bachstelzenstyle ist, wie wir es machen, ohne moralisches Warum, Wieso, Weshalb. Natürlich treiben wir vieles ökomäßig voran. Ohne ökologisch stur zu sein. Wir sind eher kultivierte Anarchisten mit eigenen Gesetzen in unserer kleinen Enklave.
Dinge wie Nachhaltigkeit und Ökologie sind elementar für einen Koch / eine Köchin heute, aber man muss nicht dogmatisch sein. Nicht zuletzt bewegt man mit einer lebensnahen und sensiblen Produktionsweise auch Tier- und Naturschutz.
So führen wir, mein Mann und ich, auch die »Bachstelze« – unseren Mikroorganismus. Das ist meine Möglichkeit, in der Welt etwas Gutes zu schaffen. Das ist der Weg, der für mich stimmt. So kann ich mich mit Leuten, die ähnlich ticken, egal woher sie kommen, verbinden. So organisiert sich ein Ganzes.
Ja, die Natur. Die Frage ist: Respektieren wir sie oder nicht. Wir Menschen sind doch diejenigen, die ständig die Natur aus der Balance zu bringen versuchen. Warum bloß? Was dieser Planet macht, ist völlig in Ordnung, perfekt, er braucht uns nicht. Wir aber greifen in diese natürlichen Abläufe ein, aggressiv, dynamisch. Im Thüringer Wald sterben die Fichten, der Borkenkäfer ist wieder da. Ich bin jetzt nicht superöko, bin auch froh über Elektrizität, über viele Erungenschaften unserer Zeit, aber ich will mit den Ressourcen schonend arbeiten. Es braucht nicht für jeden Fakt eine Expertengruppe, die uns berät und vorschreibt, was zu tun ist, es braucht nur vernünftige Menschen. Es braucht eine menschliche Politik, einen Staat, in dem nicht Parteien, sondern Personen gewählt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Auftakt
  2. Kapitel_1
  3. Kapitel_2
  4. Kapitel_3
  5. Kapitel_4
  6. Kapitel_5
  7. Kapitel_6
  8. Kapitel_7
  9. Kapitel_8
  10. Kapitel_9
  11. Kapitel_10