Was ist Gesundheit?
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Was ist Gesundheit?

Interdisziplinäre Perspektiven aus Medizin, Geschichte und Kultur

  1. 527 Seiten
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Was ist Gesundheit?

Interdisziplinäre Perspektiven aus Medizin, Geschichte und Kultur

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Über dieses Buch

Obwohl Gesundheit für alle Menschen essentiell ist, unterliegt das Verständnis des Begriffs »Gesundheit« jeweils historisch, regional und kulturell unterschiedlichen Einflüssen. Mit verschiedenen Festlegungen von »Gesundheit und Krankheit« werden auch die Aufgaben der Medizin unterschiedlich definiert.

Dieser Band ist dem Thema »Verständnis(se) von Gesundheit« gewidmet, einem der Kernthemen der interdisziplinären Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften »Zukunft der Medizin: Gesundheit für alle«. Es wird u.a. der Frage nachgegangen, wie die Medizin Krankheiten nicht nur immer besser therapieren kann, sondern wie sie außerdem besser imstande sein könnte, Gesundheit zu bewahren. Die Beiträge zeigen historische Kontinuitäten auf und verbinden diese mit kulturgeschichtlichen Besonderheiten aus allen Regionen der Welt, Europa, China, Indien, Afrika, Südamerika sowie mit philosophischen Aspekten, z.B. der Frage der Verantwortung für die eigene Gesundheit. So ergibt sich ein holistisch(er)er Gesundheitsbegriff, aus dem neue Perspektiven für die evidenzbasierte Medizin erwachsen.

Ein eigener Buchteil ist dem Verständnis von Gesundheit aus Sicht einzelner Patienten und den Empfehlungen an die Politik gewidmet.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110713473

Teil 1: Antike Grundlagen und philosophische Gesundheitsbegriffe

Vernunft als Therapie und Krankheit: Medizinische Denkfiguren in der Geschichte der Philosophie

Olaf Nohr
http://olafnohr.com/

Abstract

Reason as Therapy and Illness: Medical Figures of Thought in the History of Philosophy. This paper tackles the question how philosophers have used medical metaphors, analogies or aspects of medical theories in their works. It discusses the idea of ancient Greek philosophy as a medicine of the soul, as well as the Christian surgery of the text-body and finally, how madness became a central problem for the philosophical conception of reason.
Interdisziplinäres Denken ist keine Erfindung der Neuzeit: Seit mehr als 2000 Jahren üben medizinische Denkfiguren einen erheblichen Einfluss auf die philosophische Theoriebildung aus. Als „medizinische Denkfigur“ werden hier Theoriebausteine aus der Medizin und Heilkunde bezeichnet, die – oftmals als Metapher oder Analogie – für philosophische Problemlösungen fruchtbar gemacht wurden. Der vorliegende Beitrag möchte die wichtigsten Stationen dieses Austausches im Zeitraffer nachzeichnen.1 Betrachtet man die Geschichte der medizinischen Denkfiguren von den antiken Therapien der Seele über die christliche Chirurgie des Textkörpers bis zu den Diskussionen um die Unterscheidung von Vernunft und Wahnsinn, so wird deutlich, dass sich die philosophischen Vernunftkonzepte stets in einer stillschweigend vorausgesetzten Teilhabe an der Gesundheit artikulieren. Diese Assoziationen von Vernunft und Gesundheit wurde erst erschüttert, als das Phänomen des Wahnsinns im 18. Jahrhundert zu einem zentralen Problem der Vernunftkonstruktion avancierte und zum ersten Mal der Gedanke einer kranken Vernunft aufkam. Doch wo liegen die Wurzeln dieser engen Verbindung von Philosophie, Vernunft und Gesundheit?

1 Antike Ethik als Therapie der Seele

Im homerischen Epos Ilias wird ein erstes Verständnis von Gesundheit entworfen, das den Menschen als Summe verschiedener Organe und Körperteile konzipiert. Jeder dieser Körperteile hat eine eigene Seele und damit die Macht, den gesamten Menschen in Aufruhr zu versetzen (Homer 2002). In der Odyssee wird dieses Bild um die Figur des „listigen Menschen“ Odysseus erweitert, der seinen Matrosen die Ohren mit Wachs verschließt, um ihre körperlichen Wahrnehmungen vollständig zu unterdrücken und sich selbst am Mast festbindet, um den affektiven Verhaltensautomatismus der körperlichen Regungen zu unterdrücken. Damit wird Odysseus zum ersten Protagonisten einer Geschichte, die sich als „Entdeckung des Geistes“ bei gleichzeitiger „Verdeckung des Körpers“ bezeichnen lässt (Schmitz 1965, S. 366).
Das Ideal des Unterdrückens körperlicher Regungen gibt auch einen Hinweis darauf, weshalb den Zeitgenossen von Hippokrates ca. 400 Jahre später ausgerechnet die Epilepsie als „heilige Krankheit“ galt. Der vollständige Kontrollverlust bei einem epileptischen Anfall steht prototypisch für den Kontrollverlust der Vernunft über den Körper und setzt der Selbstermächtigung des Menschen eine Grenze. Hippokrates jedoch erklärt die Epilepsie zu einer körperlichen Krankheit des Gehirns und bricht mit dem religiösen Verständnis von Medizin, das Gesundheit und Krankheit vom Eingreifen der Götter abhängig macht. Die Entstehung von Krankheit definiert er vor allem als Disharmonie der vier Körpersäfte: Blut (assoziiert mit dem Herz), Schleim (Gehirn), schwarzer (Milz) und gelber Galle (Leber). Aber erst der philosophische Arzt, der zugleich in der Heilkunde und der Philosophie bewandert ist, wird für Hippokrates zum „wahren Arzt“, zum gottgleichen Iatros Philosophicus. Ungefähr zur gleichen Zeit entwickelte Demokrit eine Analogie, die das Verhältnis von Medizin und Philosophie bis ins 18. Jahrhundert prägen sollte: „Arzneikunst heilt des Leibes Krankheiten, die Weisheit befreit die Seele von den Leidenschaften“ (Demokrit 1989, S. 98).
Dieser äußerst wirkmächtige Satz wird im weiteren Verlauf von etlichen Philosophen aufgegriffen, zu metaphorischen Feldern ausgebaut und zum Topos von der Philosophie als Medizin der Seele verfestigt. An Platon kann man gut zeigen, wie Demokrits Analogie zu einem metaphorischen Feld ausgebaut wird und dadurch sehr konkrete Auswirkungen auf seine Theoriebildung hat. Platons Ideenlehre formuliert das homerische Konzept von affektgesteuerter Krankheit und vernunftgesteuerter Gesundheit der Seele aus. Vollkommene Gesundheit wird als ideales Urbild definiert, das in der unkörperlichen, völlig vernünftigen Form der Seele besteht. Erst an der verkörperten, affektgesteuerten Seele können überhaupt Krankheiten auftreten (Platon 1980, Phaid., 83d – 84b; Tim., 86e). Ausgehend von diesem Konzept entwickelt er seine Ethik konsequent als Therapie der Seele. Weil er die Seelenkrankheiten in Analogie zur Mischung der Körpersäfte konzipiert, sei es das Ziel der Ethik, die unterschiedlichen Teile der Seele in eine naturgemäße Ordnung zu versetzen und damit gesund zu machen (Polit., 438d – 441c, 443c – 445e). Entsprechend bezeichnet Platon die logischen Argumente, die Logoi, mit denen diese Harmonie hergestellt werden soll, als Medizin des Philosophen. Mit dieser logischen Medizin versucht er, die sogenannten Seelenkrankheiten seiner Schüler im Dialog zu heilen (Erler 2004).
Die Darstellung der Philosophie als Medizin der Seele hilft Platon, den abstrakten Gegenstandsbereich der Seele zu strukturieren und Handlungsanweisungen daraus abzuleiten. Außerdem dient sie als Argument gegen die konkurrierenden Rhetoren. Diese werfen den Philosophen vor, praxisferne und unnütze Reflexion zu betreiben. Wenn der Philosoph aber als Seelenarzt auftritt, logische Argumente als Medizin gelten und die Vernunft unmittelbar mit Gesundheit verbunden ist, hat er sehr gute Argumente für den pragmatischen Nutzen seiner Lehren.
Die platonische Rhetorik der gesunden Vernunft wird vor allem von den Epikureern und Stoikern aufgegriffen und zu einem autorenübergreifenden Topos weiterentwickelt. Der Epikureer Philodemus beschreibt das Verhältnis des Schülers zum philosophischen Lehrer in Analogie zum Verhältnis des Patienten zum Arzt. Die Argumente des Lehrers werden – wie schon bei Platon – als Medizin bezeichnet. Philodemus unterscheidet dabei aber zwischen einer milden und einer bitteren Medizin, je nach Schärfe der philosophischen Zurechtweisung. Sieht der Schüler trotz dieser Behandlungen seine Krankheiten nicht ein, kann das Gespräch aber auch in der Art einer „chirurgischen Operation“ durchgeführt werden (Philodemus 1998, S. 117).
Das ist von zweifacher Bedeutung: Einerseits hatte Aristoteles die Analogie der Arzt/Patient-Beziehung für das Verhältnis von Lehrer und Schüler noch abgelehnt, weil sie eine asymmetrische Machtbeziehung ist, in der der Patient blindes Vertrauen in die Heilmethoden des Arztes haben muss (Aristoteles 1962). Aristoteles wollte seinen Schülern in der Akademie aber auf Augenhöhe begegnen und betrachtete sie nicht als blind vertrauende Anhänger. Andererseits wurde der Vergleich zum Brennen und Schneiden der Chirurgen in der Philosophie bis zu diesem Punkt nur im Sinne der Abgrenzung benutzt. Der Philosoph sei gegenüber dem Chirurgen dadurch ausgezeichnet, dass er die ungleich sanftere Heilmethode des Gesprächs anwendete. Dass jetzt bei Philodemus nicht nur die Arzt-Patient-Beziehung, sondern sogar die Chirurgie als positive Analogien zur Philosophie herangezogen werden, unterstreicht die Forderung der Epikureer nach einer direkten pragmatischen und therapeutischen Wirksamkeit ihrer Ethik.
Die medizinischen Metaphern und Analogien werden auch von den römischen Stoikern aufgegriffen. Cicero fügt Platons Rhetorik der gesunden Vernunft einen interessanten Aspekt hinzu: Neben den Leidenschaften sind es auch falsche Urteile und Meinungen, die die prinzipiell vernünftige und gesunde Seele krank machen können: „Denn wenn die Ausgeglichenheit beim Körper, […] Gesundheit genannt wird, so spricht man von der Gesundheit der Seele, wenn ihre Urteile und Meinungen übereinstimmen“ (Cicero 1997, S. 325 – 326).
Cicero verknüpft hier Gesundheit mit Kohärenz und Krankheit mit Widerspruch. Außerdem erstellt er eine Hierarchie der Krankheiten, in der die Gesund/Krank-Polarität mit der Wahr/Falsch-Differenz zusammenfließt. Kränklichkeit und normale Krankheiten der Seele werden demnach nur als vorübergehende Widersprüche im System der Meinungen verstanden, die durch Leidenschaften ausgelöst werden. Als Steigerung der Krankheit fungiert schließlich der logische Fehler, der chronische oder unheilbare Widersprüche und Krankheiten bewirkt (Cicero 1997, S. 137 – 138).

2 Christus Medicus

Die medizinischen Topiken der antiken Philosophie werden durch das Christentum aufgenommen und modifiziert. Die Analogie von Krankheit und Leidenschaft wird prinzipiell übernommen, allerdings rückt die Sünde an die Stelle der Leidenschaften. Gott übernimmt dabei vom hippokratischen Philosophenarzt die Monopolstellung als umfassender Heiler und straft auf der anderen Seite Sünder mit Krankheit. Gottes Monopolstellung führt unweigerlich zu Konsequenzen für die weltliche Medizin. Im Zuge der Entwicklung kirchlicher Hierarchien wird der Anspruch auf ein priesterliches Monopol für Heilungen erhoben und Ärzte ohne göttliche Weihung geraten zunehmend in Verruf.
Im Neuen Testament übernimmt Jesus Christus die Rolle des Arztes. Christus Medicus – so der theologische Ausdruck – heilt Blindgeborene und wendet sich insgesamt den Kranken und Schwachen zu. War die philosophische Ethik eine Medizin der Seele, so kann das Christentum als medizinische Religion verstanden werden: „Das Christentum ist medizinische Religion: das ist seine Stärke, in manchen Ausgestaltungen auch seine Schwäche“ (Harnack 1892, S. 132). Zum Problem wurde dabei die Konkurrenz zwischen allegorischer und realistischer Interpretation, die vor allem auf die Unschärfe des christlichen Körperbegriffes zurückzuführen ist. Der Begriff Corpus Christi konnte den Leib Christi bezeichnen, aber auch metaphorisch für die Gemeinschaft der Christen oder den Textkörper der heiligen Schriften stehen. Diese drei Bedeutungsebenen werden im Folgenden etwas genauer ausgeführt.
Die Entwicklung der Exegese des biblischen Textkörpers profitierte von Metaphern aus der hochentwickelten alexandrinischen Chirurgie. Von Origenes und Augustinus bis ins 16. Jahrhundert werden die Methoden des Zerteilens und Zergliederns des Textes von der Chirurgie entlehnt. So spricht man heute noch von der „Gliederung“ eines Textes, damals z. B. auch von dessen Skelett, oder ab dem 16. Jahrhundert sogar von seiner Anatomie (Danneberg 2003). Außerdem unterschied man einen somatischen von einem spirituellen Sinn. Während der somatische Sinn den buchstäblichen Inhalt bezeichnet, ist es das Ziel der Exegese, den allegorischen, spirituellen Sinn freizule...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Abkürzungsverzeichnis
  5. Einleitung: Reflexionen über den Gesundheitsbegriff in seinem Kontext
  6. Teil 1: Antike Grundlagen und philosophische Gesundheitsbegriffe
  7. Teil 2: Gesundheitsbegriffe regionaler Medizintraditionen
  8. Teil 3: Neue Perspektiven auf die evidenzbasierte Medizin
  9. Teil 4: Gesundheit als politisches Konzept
  10. Teil 5: Gesundheit aus Sicht der Erkrankten und Angehörigen
  11. Register