Persönlichkeitsstörung und Sucht
  1. 228 Seiten
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Über dieses Buch

Individual personality characteristics are involved in the development of addictive disturbances. Particularly at risk are individuals with self-esteem problems and difficulties in emotional regulation. Problems in these areas are often associated with a personality disturbance. The diagnosis of a comorbidity involving personality disturbance and addictive disease has implications for the subsequent treatment. This book presents various models of personality disturbances and the forms taken by addictive diseases, and places the two disturbance patterns in relation to each other. Indications for treatment and options for case-specific psychotherapy for this double diagnosis are then developed and discussed.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783170397569

1

Einleitung

 
 
Der Begriff »Sucht« bezeichnet grundsätzlich eine zwanghafte und unkontrollierte Verhaltensweise, die den Charakter einer Störung oder einer Erkrankung aufweist. Suchterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und sind mit schwerwiegenden gesundheitlichen und psychosozialen Konsequenzen für die betroffene Person sowie für ihr Umfeld verbunden; sie verursachen hohe Kosten und gehen mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten einher. Stigmatisierung und Kriminalität sind mit diesem Krankheitsbild assoziiert und erschweren Diagnostik und Behandlungserfolg. Stressfaktoren und deren Bewältigung sowie traumatische Erfahrungen und deren Reaktion spielen neben genetischen Dispositionen bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Suchterkrankung eine entscheidende Rolle.
Auch wenn es keine einheitliche zugrundeliegende Suchtpersönlichkeit gibt, so ist die konsumierende Person mit ihren Persönlichkeitseigenschaften und Motiven ganz entscheidend an der Suchtentwicklung beteiligt. Vulnerabel sind besonders Personen mit Selbstwertproblemen, mit starken Ängsten und Aggressionen und mit Schwierigkeiten in der Emotionsregulation. Bei Patienten mit großen Schwierigkeiten in diesen Bereichen kann eine Persönlichkeitsstörung durch Strukturierte Klinische Interviews diagnostiziert werden. Es ist bekannt, dass bei denjenigen Patienten, die unter einer Persönlichkeitsstörung leiden, Suchtprobleme und Suchterkrankungen besonders häufig auftreten (Euler et al. 2015).
Allgemeine Risikofaktoren für eine Persönlichkeitsstörung sind die genetische Veranlagung (Temperament) sowie frühe negative Beziehungserfahrungen, die sich als Selbstbild und Beziehungsmuster im Laufe der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters ausgestalten.
Persönlichkeitsstörungen können als Störungen der Emotionsregulation, der Identität, als Bindungsstörung oder als Mentalisierungsstörung konzeptualisiert werden.
Kommen die Auswirkungen anhaltenden Konsums bei einer Suchterkrankung zu der Symptomatik einer Persönlichkeitsstörung hinzu, kann die Diagnostik einer spezifischen Persönlichkeitsstörung im klinischen Alltag erschwert sein. Eine anhaltende Suchterkrankung kann im Verlauf eine Persönlichkeitsproblematik überlagern, oder die Sucht kann Ausdruck einer Krise bei einer Persönlichkeitsstörung sein. Im Einzelfall mag es deshalb häufig schwerfallen, beide Störungsbilder in Bezug auf das Auftreten, ihre Entwicklung und Verlauf einander zu zuordnen. Diese Entscheidung hat jedoch auch Auswirkungen auf die Therapie.
Allgemein sind in der Therapie bei Persönlichkeitsstörungen wie bei Suchterkrankungen psychotherapeutische Interventionen und Behandlungen erfolgsversprechend und gelten entsprechend empirischer Studien als hinreichend evidenzbasiert. Pharmakologische Behandlungen können in akuten Krisen und bei zusätzlichen komorbiden psychischen Störungen hilfreich sein – sie sind aber nicht ausreichend, um eine Persönlichkeitsstörung zu behandeln. Steht die Persönlichkeitsproblematik im Vordergrund, werden insbesondere störungsspezifische Psychotherapieverfahren mit Erfolg angewandt. Ist die Suchtproblematik klinisch führend, kommen derzeit vorrangig suchtspezifische Therapien zum Einsatz. In den letzten Jahren wurden zudem für diese Doppeldiagnose adaptierte evidenzbasierte Therapieformen entwickelt.
Grundsätzlich ist es für die Therapie von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankung entscheidend, dass immer beide Störungsbilder beachtet und gemeinsam behandelt werden.

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Kasuistiken

Fallvignette 1: Borderline-Persönlichkeitsstörung und schädlicher Gebrauch von Alkohol

45-jährige alleinlebende, zurzeit arbeitslose Patientin mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und schädlichem Gebrauch von Alkohol. Die Kündigung ihrer Tätigkeit bei der Gemeindeverwaltung wurde ihr ausgesprochen, nachdem es zu interaktionellen Schwierigkeiten mit ihren Vorgesetzten gekommen war, bei denen die Patientin mehrmals impulsiv reagiert habe. Bei ihr zeigte sich ein schmaler Grat zwischen erlebter Über- und Unterforderung und ein andauerndes Gefühl fehlender Anerkennung. Sie zeigte langjährige Stimmungsschwankungen mit Verschlechterung abends beim Alleinsein, Grübeln, Schuldgefühle und Gedankenkreisen, häufig Aggression gegen sich selbst mit Tendenz, sich selbst zu verletzten (Faust an die Wand schlagen, Ritzen), um sich besser spüren zu können, phasenweise Suizidgedanken, Wutausbrüche sowie dissoziative Zustände von mehreren Stunden unter Alkoholeinfluss bereits geringer Menge mit aggressiv-agitiertem Verhalten. Nach eigener Aussage mache sie »gute Miene zu verdecktem Spiel« und dann irgendwann lasse sie »die Sau raus« und es komme zu den »black-outs«. Es gab mehrere Vorbehandlungen stationär und ambulant wegen Depressionen, eine vorgängig 10-wöchige stationäre Behandlung einer schweren depressiven Episode auf einer Spezialabteilung für affektive Erkrankungen; dort wurde die pharmakologische Etablierung von zwei Antidepressiva, einem Mood-Stabilizer, einem Neuroleptikum sowie einer hohen Dosis eines Benzodiazepins fokussiert. Ihren Alkoholkonsum hat sie aus Schamgründen in den Vorbehandlungen nicht offenbart: seit Jahren mehrmals pro Woche 4–5 Gläser Wein oder Bier mit obigen Konsequenzen, kein Konsum anderer Substanzen. Anmeldung von der vorbehandelnden Abteilung zur Diagnostik in der Schwerpunktsprechstunde für Persönlichkeitsstörungen mit Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und Indikationsstellung für eine störungsspezifische 12-wöchige stationäre Psychotherapie. Ihr eigener Wunsch an die stationäre Psychotherapie waren eine bessere Affektbalance und sich zeigen zu können, ohne dass es zu unkontrollierbaren Wutdurchbrüchen oder Aggressionen gegen sich selbst komme. Sie wolle wieder leistungsfähig werden, habe aktuell keine gute Stresstoleranz und setze sich selbst zu sehr unter Druck, worauf unkontrollierbare Wut und Aggressionen folgten. Vorbehandlungen seien »nur ein Kratzen an der Mauer um sie herum« gewesen.
Es erfolgte die Aufnahme auf die Spezialstation für Persönlichkeitsstörungen zur 12-wöchigen stationären Psychotherapie mit psychodynamischer Einzelpsychotherapie, mentalisierungsbasierter Gruppenpsychotherapie, cotherapeutischen Bezugspersonengesprächen, Musiktherapie, progressiver Muskelrelaxation, Achtsamkeits- und Fertigkeitentraining (nach Dialektisch-behavioraler Therapie/DBT), integrativer Körpertherapie, Sozialberatung und Sport mit spezifischen Behandlungsvereinbarungen zum Konsum psychotroper Substanzen. Der Fokus der Behandlung lag auf der Förderung von Selbsterleben und Selbstwirksamkeit, so dass die Patientin zunehmend ein inneres Gefühl entwickeln konnte, »etwas zu taugen«, ohne dass dafür Beweise in der Außenwelt bzw. bei den Mitmenschen gesucht werden müssen, und dass aggressive Anteile in Beziehungen dosiert und konstruktiv integriert werden können. Wiederholt zeigten sich Konflikte auch in ihrem engeren Freundeskreis und der Familie, was während der Behandlung gut bearbeitet werden konnte. Im Gesamtverlauf und zusehends entwickelte sie eine positivere Selbstbesetzung inklusive aggressiver Selbstanteile. Medikamentös erfolgte ein Absetzen des Neuroleptikums und allmähliches Ausschleichen des Benzodiazepins. Eine ambulante Behandlung bei einer mit Persönlichkeitsstörungen erfahrenen Psychiaterin wurde etabliert. Über ihren Austritt hinaus besuchte sie die klinikinterne Arbeitsrehabilitation, um eine berufliche Wiedereingliederung vorzubereiten.

Fallvignette 2: Narzisstisch-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung und Cannabis- und Alkoholabhängigkeit

22-jähriger arbeitsloser Patient mit narzisstischer und selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung und Cannabis- und Alkoholabhängigkeit. Er berichtete seit dem 15. Lebensjahr unter diffusen Anspannungszuständen, einem Gefühl innerer Leere, Suizidgedanken und Insuffizienzerleben v. a. gegenüber dem Vater gelitten zu haben. Er praktizierte täglichen Cannabiskonsum zur Entlastung. Die Schule hatte er nur knapp geschafft, mehrere Lehren dann wegen interaktioneller Schwierigkeiten (Kränkungs- und Insuffizienzerleben) abgebrochen. Seit dem letzten Lehrabbruch vor einem Jahr konsumierte er zusätzlich Alkohol »zur Betäubung« der Insuffizienz- und Schamgefühle. 6 Monate vor Eintritt Entzugsbehandlung in einer anderen Klinik erfolgte aufgrund eines Konsumereignisses der Therapieabbruch, seitdem Rückzug ins abgedunkelte Zimmer in der Wohnung des Vaters und vor Klinikeintritt täglich Konsum von ca. einer Flasche Wodka seit 6 Monaten und 2–5 Joints pro Tag seit vielen Jahren.
Nach 14-tägigem qualifiziertem Alkohol- und Cannabisentzug auf einer Drogenentzugsabteilung wurde der Patient auf die Spezialstation für Persönlichkeitsstörungen übernommen zur 12- wöchigen stationären Psychotherapie mit psychodynamischer Einzelpsychotherapie, mentalisierungsbasierter Gruppenpsychotherapie, cotherapeutischen Bezugspersonengesprächen, Gestaltungstherapie, progressiver Muskelrelaxation, Achtsamkeits- und Fertigkeitentraining (nach Dialektisch-behavioraler Therapie/DBT), integrativer Körpertherapie, Sozialberatung und Sport mit spezifischen Behandlungsvereinbarungen zum Konsum psychotroper Substanzen.
Der Patient imponierte mit geringer Frustrationstoleranz in Beziehungen, die in der Vergangenheit häufig zum Beziehungsabbruch führten (Familie, Lehre, Freunde, Partnerin), verbunden mit Kränkungs- und Schamgefühlen. Er zeigte einerseits ausgeprägte Selbstentwertungen als »Parasit« oder »Versager«, andererseits narzisstisch-überhöhte Ansprüche an sich selbst, allen und allem gerecht zu werden. Im Kontakt schien er stets betont freundlich, hilfsbereit und angepasst, gleichzeitig nervös und unsicher, aggressive Affekte (Wut/Zorn) schienen nicht vorhanden. In der Therapie zeigte er auffällig sozial erwünschtes Verhalten mit Antizipation der möglichen therapeutischen Interventionen. Im gesamten Behandlungszeitraum waren alle durchgeführten Atemalkoholtests und toxikologischen Urinuntersuchungen durchweg unauffällig. Eine medikamentöse Therapie war nicht indiziert. In Zusammenarbeit mit der klinikinternen Sozialberatung erfolgten die Anmeldung beim Sozialamt, die Vermittlung in eine betreute Wohneinrichtung und die Entwicklung einer Ausbildungsperspektive.
Katamnesegespräch 2 Monate nach Therapieabschluss: Patient wohnt in betreuter Wohnform und plant eine kaufmännische Ausbildung in geschütztem Rahmen noch im gleichen Jahr. Für eine ambulante Therapie wurde er nach zwei Vorgesprächen vom niedergelassenen Psychotherapeuten »abgelehnt«, nach dem Katamnesegespräch gelang die Vermittlung zu einer mit der Klinik kooperierenden, in der Arbeit mit Patienten mit Persönlichkeitsstörungen erfahrenen Psychotherapeutin. Seit seiner Klinikentlassung zeigt er kein Konsum von Cannabis oder Alkohol und pflegt soziale Kontakte zu Kollegen sowie eine neue Partnerschaft.

Fallvignette 3: Borderline-Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung und Mehrfachabhängigkeit

30-jährige Patientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und narzisstischer Persönlichkeitsstörung sowie Heroin- und Kokainabhängigkeit. Sie ist alleinlebend und an einem geschützten Arbeitsplatz (ein geförderter Arbeitsplatz auf dem freien Arbeitsmarkt für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen) tätig. Regelmäßiger Konsum von Heroin und Kokain, langjährige stabile Buprenorphin-Substitution beim Hausarzt. Geld für Drogen verdiente sie zum Teil durch Prostitution. Sie zeigte Kratzen und Schneiden der Haut sowie eben genannte Prostitution als selbstverletzende und -destruktive Verhaltensweisen.
Die Patientin war als einzige Tochter einer drogenabhängigen alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. So entstand ein früher Kontakt mit der Drogenszene und eine emotionale Vernachlässigung in der Kindheit. Ihre Mutter starb an drogenassoziierten Folgeerkrankungen, als die Patientin 14 Jahre alt war. Danach lebte sie zeitweise bei ihren Großeltern. Sie absolvierte eine obligate Schulausbildung, verschiedene Ausbildungen wurden aufgrund von schwerem Drogenkonsum mit vielen Fehlzeiten abgebrochen. Es folgten wiederholte Behandlungen in der Drogenentzugsabteilung zum Beikonsumentzug von Heroin und Kokain nach ihrem 20. Lebensjahr.
Die Patientin träumte von einem geregelten bürgerlichen Leben mit Beruf und einer eigenen Familie. Insgesamt hegte sie weitgehend unrealistische Vorstellungen über diese Möglichkeiten, geprägt durch narzisstische Idealisierung und eine Entwertung anderer Menschen in ihrer Umgebung. Realistische Wahrnehmung auch unter leichten therapeutischen Konfrontationen führten zu massiven Selbstwerteinbrüchen, die sie sodann häufig mit Drogenkonsum beantwortete. Gleichzeitig bedeutete die Droge ein verlässliches Objekt, das sie gebrauchen und missbrauchen kann. Zusätzlich führte der Drogenkonsum wiederum zur Stabilisierung der Situation und verhinderte eine Anpassung an die Realität sowie die Integration negativer Affekte und Selbstanteile. Zunächst war sie unzuverlässig beim Einhalten der Therapiestunden, auch aufgrund des Drogenkonsums.
Nach Abschluss eines Therapievertrags waren wiederholte Neuanpassungen der Therapievereinbarungen erforderlich. Es folgten die Etablierung einer regelmäßigen Substitutionsbehandlung sowie Verhaltensanalysen und motivierende Gesprächsführung, um den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und ihren Gefühlen zu verstehen. In der überwiegend übertragungsfokussierten Psychotherapie im ambulanten Setting erfolgten Konfrontation und Deutung in der Übertragung. Die Patientin ließ dann jedoch die Therapie aus und zeigte ein unbesorgt-gefühlloses, teilweise triumphierendes Auftreten während der folgenden Sitzung. Sie wurde auf die Fehltermine angesprochen. In der Gegenübertragung führten Aggressionen zur Verachtung und Geringschätzung oder zu Langeweile beim Zuhören der selbststabilisierenden Monologe der Patientin. Beides wurde in der Übertragungsbeziehung gedeutet und mit ihren aktuellen und später mit ihren früheren Beziehungen in Zusammenhang gebracht.
Es folgten mehrere Jahre hochfrequenter Psychotherapie und gelegentlich supportive Psychotherapie während krisenhafter Selbstwertzustände. Der Fokus lag auf der Abhängigkeitsproblematik und auf der Persönlichkeitsstruktur der Patientin, je nach der im Vordergrund stehenden Problematik.

Fallvignette 4: Selbstschädigung durch Selbstmedikation einer Patientin mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen und einer Benzodiazepinabhängigkeit

22-jährige Patientin, intelligente junge Frau mit Maturaabschluss und Möglichkeiten, ein Studium zu beginnen, Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer Benzodiazepinabhängigkeit. Sie verletzt sich über Jahre anhaltend selbst und sorgt wiederholt mit suizidalen Impulsen für viel Unruhe in ihrem sozialen Umfeld. In der Therapie sind aufdeckende Gespräche über die Schwierigkeiten und Handlungsmotive der Patientin möglich. Sie kommt zu vielen Einsichten, allerdings ändert die Patientin in der äußeren Realität kaum etwas. Vielmehr entsteht der Eindruck eines Stillstandes. Dabei nutzt sie unbewusst nahezu jede Gelegenheit, eine Verantwortung für sich und ihr Tun zu umgehen und damit letztlich indirekt anderes und andere für ihren Zustand verantwortlich zu machen.
Nach einer kurzen stationären Krisenintervention aufgrund einer nicht mehr selbst kontrollierbaren Suizidalität werden der Patientin (entgegen der Empfehlungen pharmakotherapeutischer Leitlinien) Benzodiazepine verabreicht. Nach Entlassung aus der Klinik macht die Patientin derart Druck auf den ambulanten Pharmakotherapeuten, dass dieser die Benzodiazepin-Medikation widerwillig vorerst beibehält, und erst nach weiteren Wochen auf Abbau drängt. Daraufhin klagt die Patientin über Entzugssymptome, die sie dazu bringen würden, dass sie die Kontrolle über ihre Impulse und Affekte verliere. Es kommt wiederholt zu selbstdestruktivem und fremdaggressivem Verhalten, welches die Patientin – gewissermaßen sich selbst in ihrer Verantwortung entlastend – dem Entzugssyndrom und damit indirekt den behandelnden Ärzten während der Krisenintervention attribuiert. Sie erwirkt damit in ihrer betreuten Wohneinrichtung eine Extrabehandlung mit Rückzugsmöglichkeiten. Die (zumeist theatralisch) präsentierte Entzugssymptomatik kaschiert dabei die im Selbstbild der Patientin abgespaltenen fremdaggressiven Anteile. Die Orie...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort der Reihenherausgeber
  5. Inhalt
  6. Vorwort zur 2. Auflage
  7. 1 Einleitung
  8. 2 Kasuistiken
  9. 3 Epidemiologie
  10. 4 Klinik
  11. 5 Ätiologie
  12. 6 Spezielle Psychodynamik
  13. 7 Diagnostik
  14. 8 Therapie
  15. 9 Ausblick
  16. Literatur
  17. Stichwortverzeichnis