Nationalismus als Tugend
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Nationalismus als Tugend

  1. 272 Seiten
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Nationalismus als Tugend

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Globalistische Intellektuelle riefen Ende des 20. Jahrhunderts ein "Ende der Geschichte" aus. Der weltumspannende Markt unter amerikanischem Schutz sollte den logischen Abschluss der Moderne mit ihren blutigen zwischenstaatlichen Konflikten bilden. Doch heute stellt sich drängender denn je die Frage: Ist eine global einheitliche Ordnung machbar und erstrebenswert? Yoram Hazony weist nach, dass nur eine Welt der souveränen Nationen individuelle und gemeinschaftliche Freiheit bietet. "Conservative Book of the Year 2019" in den USA!

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783990810804
Zweiter Teil:
Plädoyer für den nationalen Staat

8. Zweierlei politische Philosophie

DIE GRIECHISCHE POLITISCHE PHILOSOPHIE schenkt der Frage besondere Beachtung, welche Staats- oder Regierungsform die beste sei, und das liberale politische Denken der Moderne hat sich die Sorge darum bewahrt, wie Herrschaft strukturiert sein sollte. Diese Art von Fragestellung setzt voraus, dass sich menschliche Wesen von sich aus als ein Staat organisieren werden – das heißt als eine hinreichend stark zusammenhaltende Gemeinschaft, die von einer einzigen stehenden Regierung – unabhängig von anderen Regierungen – beherrscht werden kann und tatsächlich wird. Davon ausgehend lässt sich fragen, welche Form die Regierung des Staates haben sollte: Soll der Staat eine Monarchie, eine aristokratische Republik oder eine Demokratie sein? Soll die Staatsgewalt in einem Zweig der Regierung konzentriert oder auf mehrere von ihnen verteilt sein? Soll der Staat an eine niedergeschriebene Verfassung gebunden sein, und wenn ja, wer soll darüber befinden, wann diese Verfassung verletzt worden ist? Soll der Staat dem Einzelnen grundsätzliche Rechte und Freiheiten einräumen, und wenn ja, welche sollen das sein?
All diese und vergleichbare Fragen setzen die Existenz eines zusammenhängenden und unabhängigen Staates voraus. Doch die politische Philosophie kann auch andere, fundamentalere Fragen stellen – Fragen, die anerkennen, dass Menschen nicht schon immer in nach innen geeinten und unabhängigen Staaten gelebt haben, und die das Vorhandensein des Staates nicht als selbstverständlich voraussetzen. Ich denke da an Fragen wie die folgenden: Was erlaubt es einer Gemeinschaft, einen hinreichend starken Zusammenhalt zu entwickeln, um als ein Staat geordnet zu werden? Formiert sich der Staat, wenn unabhängige Individuen dem Leben unter Herrschaft zustimmen, oder durch die Einigung bereits zuvor existenter zusammenhängender Gemeinschaften? Ist der Staat wirklich die beste Institution, um das menschliche Leben zu ordnen, oder gibt es auch andere Formen politischer Ordnung, etwa eine Clan- oder Feudalordnung, die vielleicht besser sind? Und wenn der Staat die beste Form der politischen Ordnung ist, sollte dann die Macht in Händen eines einzigen universalen Staates liegen oder auf viele miteinander wetteifernde Staaten aufgeteilt werden?
Wenn wir diese Fragen berücksichtigen, so stellen wir fest, dass die politische Philosophie ihrem Wesen nach in zwei Bereiche zerfällt, von denen der eine grundsätzlicher ist als der andere. Der eine Bereich ist die Regierungsphilosophie, die die beste Regierungsform zu bestimmen versucht und dabei die Existenz eines Staates mit einem hohen Grad innerer Einigkeit und Unabhängigkeit voraussetzt. Ihr vorgeordnet ist die Philosophie der politischen Ordnung, die die Gründe politischer Ordnung zu verstehen und auf Grundlage dieses Verständnisses zu bestimmen versucht, welche Formen der politischen Ordnung uns zur Verfügung stehen und welche davon die beste ist.
Wer auf den Zusammenhalt und die Unabhängigkeit des Staates, in dem er lebt, vertraut, fühlt sich naturgemäß zur Regierungsphilosophie hingezogen. Denn wenn der Staat erst einmal als dauerhaft vorausgesetzt wird, welcher Politikstudent würde da nicht an die Arbeit gehen und bestimmen wollen, welche Regierung dieser haben soll?
Doch die Regierungsphilosophie kann in die Irre führen und sogar verderblich sein, wenn ihr nicht ein sorgfältiges Studium der Ursachen für politische Ordnung vorausgeht. Die Arbeit der menchlichen Vernunft wird von einem eisernen Gesetz beherrscht: Was ohne jedes Argument vorausgesetzt wird, wird am Ende für selbstverständlich gehalten, ob es nun wahr oder falsch ist. Das gilt genauso auch für die Regierungsphilosophie. Da diese Forschungsdisziplin nun ihren Anfang in der Annahme eines zusammenhängenden und unabhängigen Staates nimmt, konditioniert sie das Denken ihrer Schüler darauf, davon auszugehen, dass sie überall um sich herum zusammenhängende und unabhängige Staaten erblicken, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern in der Realität. Wenn sie ins Ausland und in andere Regionen der Welt blicken, dann sehen sie zusammenhängende und unabhängige Staaten, wo es keine gibt, oder glauben, dass sich solche Staaten leicht erschaffen ließen, wo es in Wahrheit keine Möglichkeit dazu gibt. Und wenn sie den Staat betrachten, in dem sie selbst leben, dann kommt ihnen nicht in den Sinn, dass alle Staaten unentwegt Gefahr laufen, ihren Zusammenhalt und ihre Unabhängigkeit zu verlieren, und halten deshalb die Einigkeit und Unabhängigkeit ihres eigenen Staates für selbstverständlich. In der Folge neigen sie dazu, die zur Erhaltung von Zusammenhalt und Unabhängigkeit erforderlichen Bemühungen geringzuschätzen und frohen Mutes für politische Strategien einzutreten, die unmittelbar auf die Zerstörung des Zusammenhaltes und die Aufweichung der Unabhängigkeit hinarbeiten, während sie gleichzeitig glauben, der Staat könne dies alles aushalten und trotzdem intakt wie zuvor verbleiben.
In ihrem eigenen, begrenzten Bereich ist die Regierungsphilosophie nützlich. Doch um qualifiziert zu sein, muss sie auf einem Verständnis der tiefer liegenden Ursachen für die Entstehung, den Zusammenhalt und die Unabhängigkeit ebenso wie die Zerstörung des Staates aufbauen. Dies sind die Fragestellungen, die wir in den ersten großen Werken der westlichen politischen Tradition finden – nämlich jenen, die in der hebräischen Bibel gesammelt worden sind. Hier begegnen uns ein fortwährendes Bewusstsein der Möglichkeit, dass Menschen auch außerhalb des Staates leben können, in einer Ordnung der Familien und Clans und Stämme, sowie eine Aufmerksamkeit gegenüber der Bedrohung, die der Staat für eine solche Ordnung darstellt. Ebenso werden wir in der Bibel mit den Mehrdeutigkeiten konfrontiert, die die Gründung des Staates umwirken, und wir lernen, die Zerbrechlichkeit aller derartigen Staaten anzuerkennen, die sich in jedem Augenblick entweder im Aufstieg oder im Niedergang befinden, sich entweder der Festigung oder der Auflösung annähern. Hier werden wir gelehrt, darüber nachzudenken, wie eine gerechte Herrschaft zur Festigung der politischen Ordnung beiträgt, während eine törichte Herrschaft zum Zerfall der politischen Ordnung führen und der Anarchie sowie der Eroberung durch Fremde den Weg ebnen wird. Hier werden wir erstmals der Frage ausgesetzt, ob der Staat die menschliche Freiheit befördert oder ihr im Weg steht, und ob die Ausweitung des imperialen Staates nicht zwangsläufig zur Versklavung der Menschheit führt.
Im Folgenden werde ich die politische Grundlagenphilosophie untersuchen. Statt einfach davon auszugehen, dass vernünftige Menschen zwangsläufig einen geschlossenen und unabhängigen Staat bilden werden, werde ich die zugrunde liegenden Ursachen politischer Ordnung berücksichtigen und prüfen, auf welche Weise diese Ursachen die uns zur Verfügung stehenden Alternativen beeinflussen. Auf der Grundlage dieser Untersuchung werde ich die Behauptung aufstellen, dass die beste Form der politischen Ordnung eine der unabhängigen nationalen Staaten ist. Insbesondere werde ich erörtern, dass eine solche Ordnung den anderen uns bekannten prinzipiellen Alternativen überlegen ist: der Ordnung der Stämme und Clans, die dem Staat vorausgeht, ebenso wie der imperialen Ordnung.

9. Die Grundlagen politischer Ordnung

Manche Dinge lassen sich vom autonom handelnden Individuum erreichen. Doch die meisten Ziele oder Zwecke erfordern es, dass wir gemeinsam mit anderen handeln. Unsere Nachbarn aber haben ihre eigenen Ziele und Beweggründe; oft haben sie kein Interesse an dem Ziel, das wir uns gesetzt haben, und wenn doch, dann stehen sie ihm vielleicht sogar feindlich gegenüber. Wie also können wir andere so beeinflussen, dass sie im Sinne der Erfüllung jener Ziele handeln, die wir für notwendig oder wünschenswert erachten? Das ist das grundlegende Problem des Einzelnen, der in einer Gemeinschaft mit anderen lebt. Das Bedürfnis, eine Antwort auf diese Frage zu finden, schafft den Anlass für die Politik, welche die Fachrichtung oder die Kunst der Beeinflussung anderer ist, sodass diese im Sinne der Erfüllung jener Ziele handeln, die man selbst für notwendig oder wünschenswert erachtet.
Eine mögliche Antwort auf dieses grundlegende Problem ist die Errichtung von festen Körperschaften oder Kollektiven für die Einzelnen – Familie, Clan, Stamm oder Nation, Staat oder Armee, religiöse Ordnung oder Wirtschaftsunternehmen. Diese und andere Institutionen sind menschliche Kollektive, die ihr Bestehen über die Zeiten hinweg gesichert haben, indem sie sich an gewisse feststehende Ziele und Formen klammerten, etwa einen besonderen Namen, unter dem sie bekannt sind, sowie allgemein akzeptierte Vorgehensweisen, durch die sie Entscheidungen treffen und als eine politische Körperschaft handeln. Jede Institution erzieht, überredet oder zwingt ihre Mitglieder dazu, im Einklang mit diesen feststehenden Zielen und Formen zu handeln, sodass sie als Teil des Gesamtkörpers zuverlässig sind und nicht jedes Mal aufs Neue überzeugt oder genötigt werden müssen.
Was aber – abgesehen von ihren ganz eigenen Absichten und Motiven – bringt Individuen dazu, sich mit anderen zu einer Institution zusammenzuschließen und als eine politische Körperschaft zuverlässig im Einklang mit den jeweiligen Zielen und Formen der Institution zu handeln?
Drei Möglichkeiten sind wohlbekannt: Individuen werden sich erstens dann anschließen, wenn man ihnen Repressalien androht. Zweitens werden sie sich dann anschließen, wenn man ihnen Geld oder einen anderen Vorteil anbietet. Und zu guter Letzt werden sie sich dann anschließen, wenn sie die Interessen und Ziele der Institution als ihre eigenen ansehen. Von diesen dreien schafft die zweite Möglichkeit die schwächsten Institutionen, weil all jene, die sich einem mühseligen Kampf oder einer Anstrengung nur gegen eine Geldsumme anschließen, ständig nachrechnen, ob ihre Bezahlung das Risiko wert ist, und auf die Gelegenheit hoffen, zu einer anderen Sache überzulaufen, die besseren Sold bietet und weniger Einsatz erfordert. Wenn Individuen rekrutiert werden, indem man sie und ihre Lieben bedroht, so sind die Institutionen nur wenig stabiler, weil man sich nicht mehr auf sie verlassen kann, sobald die Bedrohung nachzulassen scheint, und sie immer kurz vor einer Meuterei stehen, solange die Bedrohung noch besteht.
Aus diesen und anderen Gründen sind die stärksten Institutionen jene, in denen die einzelnen Mitglieder sich mit den Interessen und Zielen der Gruppe als ihren eigenen identifizieren. Man denke beispielsweise an einen Soldaten, der in der Hoffnung zur Waffe greift, nach einer langen Zeit der Unterdrückung die Unabhängigkeit für sein Volk erkämpfen zu können. Solche Individuen muss man nicht in die Schlacht zwingen oder für ihre Dienste reich belohnen. Der Umstand, dass sie für das Wohl ihres Volkes kämpfen, ist ihnen Grund genug, ihre Leben um des Kollektivs – etwa eines Stammes oder einer Nation – willen in die Waagschale zu werfen, und entfacht eine Begeisterung in ihren Herzen, welche zu Heldentaten und Opfern antreibt, die keine Drohungen und keine Gehaltsversprechen jemals hervorbringen könnten.
Viele politische Theorien gehen davon aus, dass politische Ereignisse von der Sorge des Einzelnen um sein eigenes Leben und sein Eigentum angetrieben seien. Und doch weiß jeder, der das Verhalten von Individuen in Zeiten des Krieges oder unter den Bedingungen einer gewaltlosen Auseinandersetzung – etwa im Wahlkampf – gesehen hat, dass diese Annahme völlig abwegig ist. Es stimmt, jeder wird hin und wieder von der Sorge um sein Leben oder sein Eigentum motiviert. Aber menschliche Wesen sind auch in der Lage, die Ziele und Interessen eines Kollektivs oder einer Institution, dem oder der sie angehören, als ihre eigenen zu betrachten, sowie diesen Zielen und Interessen entsprechend zu handeln, selbst wenn dieses Handeln ihrem Leben und ihrem Eigentum absehbar schaden wird. In der Tat werden politische Ereignisse oft durch das Vorgehen von Individuen bestimmt, deren Motive genau dieser Art sind.76
Eine politische Theorie mit dem Ziel, real existierende menschliche Wesen zu verstehen und uns keine Märchen über die Abenteuer einer fantastischen Kreatur zu erzählen, die sich die Philosophen ausgedacht haben, kann diese Fähigkeit des Einzelmenschen, die Ziele des Kollektivs zu seinen eigenen zu machen, nicht einfach übergehen. Diese Fähigkeit ist erstaunlich und doch so alltäglich wie die Luft, die wir atmen; wir tragen sie jeden Tag und jede Stunde mit uns herum. Sie ist elementarer Bestandteil unserer Erfahrungswelt, und über die Stärke menschlicher Institutionen lässt sich kein zuverlässiges Urteil treffen, wenn nicht diese Fähigkeit seinen Kern bildet. Wir wollen diese Angelegenheit deshalb genauer betrachten.
Wir wissen, dass das menschliche Individuum von Natur aus vor allem anderen darum bemüht ist, die Unversehrtheit seines eigenen Ichs zu erhalten. Mit dem Ich meine ich in erster Linie den physischen Körper des Individuums, der durch den reflexartigen Drang geschützt wird, im Falle einer Bedrohung oder Beschädigung entweder zu kämpfen oder unverzüglich zu fliehen. Dieser Drang, die Unversehrtheit des Ichs zu erhalten, ist jedoch mitnichten auf den Schutz des Körpers beschränkt. Die gleiche wilde Entschlossenheit, die der Einzelne bei der Verteidigung seines physischen Körpers an den Tag legt, zeigt sich auch in seinen Anstrengungen, sein Ansehen zu verteidigen, wenn er angeklagt oder beleidigt wird. Und sie zeigt sich ebenso in dem Drang, sein Land und andere physische Besitztümer zu schützen, die er als sein Eigentum ansieht. Tatsächlich handelt es sich bei der Liebe, die er nachweislich für seine Ehefrau und seine Kinder und seine Eltern und seine Brüder und Schwestern empfindet und die ihn dazu treibt, sie zu beschützen, wenn sie in Gefahr sind, um nichts anderes als einen anderen Namen für genau diesen Drang, die Unversehrtheit seines eigenen Ichs zu erhalten – denn alle diese geliebten Menschen sind, soweit es sein eigenes Bewusstsein angeht, unter dem Begriff seines eigenen Ichs kategorisiert und werden so wahrgenommen, als seien sie ein Teil von ihm.
Diese Fähigkeit, andere so zu beschützen und zu verteidigen, als seien sie ein Teil des eigenen Ichs, ist nicht auf Angehörige beschränkt. Wir sehen die gleiche wilde Entschlossenheit im Drang, einen Freund oder Mitbürger zu verteidigen, einen Angehörigen der eigenen militärischen Einheit oder der eigenen Straßengang – oder, allgemeiner, jedes andere menschliche Wesen, das, aus welchem Grund auch immer, vom Individuum als Teil seines Ichs angesehen wird. Und es ließen sich noch viele andere Beispiele anführen. Wir sehen also durch die ganze Bandbreite menschlicher Verhaltensweisen und Institutionen hindurch, dass das Ich des Individuums in seiner Ausdehnung von Natur aus flexibel ist und sich konstant vergrößert, sodass es Personen und Dinge, bei denen wir davon ausgegangen wären, dass sie ihm fernliegen und fremd sein würden, tatsächlich wie einen Teil von sich selbst wahrnimmt.77
Wenn ein Individuum einen bestimmten anderen Menschen in den Geltungsbereich seines oder ihres eigenen Ichs einschließt, so nennen wir diese Verbindung Loyalität. Wenn zwei Individuen jeweils einander unter den Schutz ihres erweiterten Ichs gestellt haben, so entsteht ein Bund der gegenseitigen Loyalität, die es diesen beiden Einzelnen gestattet, sich als ein einziges Wesen zu betrachtet. Die Existenz solcher Verbindungen gegenseitiger Loyalität bedeutet nicht, dass die Individuen völlig aufhörten, unabhängige Personen zu sein. Diese Bünde beseitigen nicht die Konkurrenz, die Kränkungen, die Eifersucht und die Streitigkeiten, die es zwischen Individuen, die loyal zueinander sind, immer gibt. Eheleute mögen sich häufig streiten, und Brüder oder Schwestern mögen zanken und einander angehen – auf diese Weise versuchen sie, die interne Hierarchie ihrer Beziehungen zueinander zu verändern. Wenn es zu solchen Konflikten kommt, dann werden sie als Auseinandersetzungen zwischen unabhängigen Personen empfunden. Doch sobald einem der beiden ein Unglück widerfährt, empfindet der andere diese Not so, als sei sie seine eigene. Und im Angesicht dieser Not werden die Unstimmigkeiten, die sie eben noch heimgesucht haben, vorübergehend ausgesetzt oder ganz ausgeblendet. Und mehr: Wenn die Not erst einmal überwunden ist, verspüren beide ein Gefühl der Erleichterung und Freude, des glücklichen gemeinsamen Weges, und jeder empfindet die Freude des anderen als seine eigene. Diese Erfahrungen, in denen ein anderes Individuum im Angesicht von Unglück und Triumph als Teil des eigenen Ichs wahrgenommen wird, begründen eine starke Unterscheidung zwischen einem Drinnen und einem Draußen: einem Drinnen, das aus den beiden Individuen besteht, von denen jedes das andere als Teil eines einzigen Wesens begreift, und einem Draußen, von wo aus die beiden herausgefordert werden und in dessen Angesicht sie gemeinsames Leid und gemeinsamen Erfolg erfahren.78
Menschliche Institutionen können ihren Zusammenhalt verstärken, indem sie ihren Mitgliedern finanzielle Entlohnung anbieten oder indem sie sie einem Zwang unterwerfen – und oft tun sie das auch. Doch beständig und belastbar sind jene Institutionen, die von Grund auf aus Verbindungen der gegenseitigen Loyalität aufgebaut sind. Die Familie ist die stärkste und widerstandsfähigste aller der menschlichen Politik bekannten kleinen Institutionen, eben aufgrund des Vorhandenseins derartiger Verbindungen der gegenseitigen Loyalität zwischen jedem einzelnen Familienmitglied und allen anderen Familienmitgliedern. Diese Bindungen sind zum Teil biologischer Natur und zum Teil erworben. Eine Mutter wird immer das Gefühl haben, dass die Kinder, die sie ausgetragen hat, ein Teil von ihr selbst sind. Doch erworbene Familienbeziehungen, etwa die zwischen einem Mann und seiner Ehefrau, jene zwischen ihnen beiden und ihren jeweiligen Schwiegereltern oder die zwischen Eltern und einem Adoptivkind sind oft kein bisschen schwächer als solche zwischen Eltern und ihren biologischen Kindern. Die speziellen Bindungen der familiären Loya...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorbemerkung des Übersetzers
  6. Einleitung: Eine Rückkehr zum Nationalismus
  7. Erster Teil: Nationalismus und westliche Freiheit
  8. Zweiter Teil: Plädoyer für den nationalen Staat
  9. Dritter Teil: Antinationalismus und Hass
  10. Fazit: Nationalismus als Tugend
  11. Danksagungen
  12. Anmerkungen
  13. Register