Ein Genussmensch war er nicht
Harald Schmidt trifft Claus Peymann im Gasthaus Eckel
Ein Gespräch über Thomas Bernhard und sein Werk – in einer Nebenrolle: Brandteigkrapfen zum Dessert
Zur Uraufführung frei
Ein sonniger, ungewöhnlich warmer Spätsommersonntag im Gastgarten des Traditionsrestaurants Eckel im Wiener Bezirk Sievering. Im Schatten von mächtigen Linden und Kastanienbäumen treffen sich Harald Schmidt und Claus Peymann, um bei bester österreichischer Küche über Thomas Bernhard zu sprechen. Zur Vorspeise wählt Claus Peymann eine Steinpilzsuppe, Harald Schmidt eine Grießnockerlsuppe.
SCHMIDT: Wissen Sie, dass das Restaurant heute extra unseretwegen aufgemacht hat?
PEYMANN: Ja.
SCHMIDT: Ich habe überlegt, ob es Ihretwegen oder meinetwegen ist, dass es aufmacht. Es ist Ihretwegen.
PEYMANN: Na ja, ich habe eine Geschichte mit diesem sehr schönen Restaurant. Es liegt mitten im Zentrum von Thomas Bernhards Wien. Nicht weit von hier hat er gewohnt. Und nicht weit von hier wohnt er jetzt: Auf dem Grinzinger Friedhof, wo er zusammen mit seinem sogenannten Lebensmenschen, der Hede1, in einem Grab liegt. Eigentlich war er ja in Oberösterreich in seinen Häusern in Ohlsdorf und Obernathal zu Hause, aber er hatte hier, solange Hede lebte, ein kleines Dachkämmerchen für sich in ihrer Wohnung. Und diese Wohnung liegt 300 Meter von hier. Das Grab ist auch nicht viel weiter entfernt. Wir sind hier also mittendrin, sozusagen in einem heiligen Lebensdreieck von Thomas Bernhard. Daher ist es wirklich lustig, dass wir uns hier treffen. Denn das ist schon mehr als der Bräunerhof – ein stadtbekanntes Bernhard’sches Kaffeehaus –, hier hat Thomas Bernhard eigentlich seinen Wienhass und seine Wienleidenschaft gelebt.
SCHMIDT: Das heißt, Sie haben dieses Lokal durch Bernhard kennengelernt?
PEYMANN: Ja, wenn man diese Straße hinaufgeht, in Sievering, da gab es früher die sehr berühmten Wien-Filmstudios. Da wurde aber nichts mehr produziert. Alles voller Spiegel, alter Scheinwerfer, Filmplakate – und natürlich Ratten … Ich habe dort wochenlang probiert, so auch Heldenplatz. Bernhard wollte nicht auf die Proben kommen – das wollte er nie bei seinen Stücken. So haben wir uns dann hier, sozusagen in der Mitte, getroffen. Und da habe ich dieses Lokal lieben gelernt. Übrigens wohnte Käthe Gold, die »Grande Dame« der Schauspielkunst, direkt gegenüber. Einmal, an einem Samstagnachmittag, habe ich hier mit dem großen Schauspieler Bernhard Minetti, einigen anderen und natürlich Thomas Bernhard zu Mittag gegessen. Und Bernhard hat plötzlich gesagt: »Wissen Sie eigentlich, dass die Käthe Gold hier gegenüber wohnt? Und wissen Sie, was da am Samstag los ist? Da kommen die ganzen berühmten alten Schauspielstars regelmäßig zum Fernsehen, weil die Käthe Gold Kabelanschluss für das deutsche Fernsehen hat – und man bei ihr die Direktübertragung der deutschen Fußball-Bundesliga sehen kann.« – »Was? Die hat was?« – Das war damals noch eine Rarität, und Minetti sagte sofort: »Da muss ich rüber. Ich kenn’ ja die Käthe, mein Käthchen.« Weg war er – und kam nicht wieder.
Ein Jahr geben wir dem Peymann, dann haben wir ihn abgeschossen
Saßen da also in einer Runde die berühmten Schauspieler am Samstagnachmittag ab drei Uhr bei Käthe Gold und haben sich die Fußball-Bundesliga angeschaut. Ich glaube, Paul Hoffmann war auch mit von der Partie. Nachdem Minetti nicht ins Eckel zurückkam, sind Bernhard und ich auch rüber, um ihn wieder zurückzuholen – und wir sind dann alle vorm Fernseher sitzen geblieben.
Jedenfalls habe ich das Lokal Eckel lieben gelernt, vor allem wegen der sehr guten Küche und dem wunderbaren Gastgarten! In all den Jahren, als ich der österreichische Staatsfeind Nummer eins war, bin ich regelmäßig hierhergegangen. Und da saß ich dann, Tisch an Tisch mit meinen »Jägern«.
SCHMIDT: Das waren wer?
PEYMANN: Der Chefredakteur von der Krone, der Herausgeber von der Krone…
[Der Kellner serviert die Suppen.]
PEYMANN: … und alle diese Lodenbrigaden von Wien. Der Herausgeber der Krone hatte ja gesagt: Ein Jahr geben wir dem Peymann, dann haben wir ihn abgeschossen.
Es wurden dann immerhin dreizehn Jahre! Und mir war egal, ob die hier saßen oder nicht, die Küche war gut.
SCHMIDT: Bürgerliche Küche?
PEYMANN: Ja, bürgerliche Küche. Wirklich gut, nichts Aufgewärmtes, alles frisch gekocht. Wir werden es ja gleich testen.
SCHMIDT: Guten Appetit!
PEYMANN: Also im Grunde im Sternebereich.
SCHMIDT: Und wie kann man sich ein Essen mit Thomas Bernhard vorstellen? War das so ein Arbeitsessen, wie man es so aus der Geschäftswelt kennt?
PEYMANN: Nein. Wir waren ja wahrscheinlich so was wie befreundet. Das ist bei einem Menschen wie dem Bernhard immer schwer einzuschätzen. Wir kannten uns gute zwanzig Jahre – 1969 kennengelernt, 1989 ist er gestorben … das waren zwanzig bemerkenswerte Jahre.
SCHMIDT: Worüber haben Sie denn mit ihm beim Essen geredet? Über Proben oder über Stücke?
PEYMANN: Wenn Sie mit dem Bernhard zusammen sein wollten, mussten Sie bereit sein, zuzuhören. Das ist erstaunlich, weil ich ja ein Quatschkopf bin und oft das große Wort führe, jedoch bei Bernhard vor allem zugehört habe. Aber unser Verhältnis war auch immer in Bewegung – und äußerst unterhaltsam.
SCHMIDT: Also geistig in Bewegung, ja?
PEYMANN: So geistig war das gar nicht.
SCHMIDT: Meinen Sie das assoziativ? Wenn man diese Interviews mit ihm auf Mallorca sieht, da kommt er vom Hundertsten ins Tausendste. Dann hängt er sich an einem Wortfetzen auf.
PEYMANN: So ähnlich war das auch mit uns, ja. Natürlich war er auch eine Art König. Wenn Sie ihn da auf dem Land in Oberösterreich erlebt hätten … Zwanzig Jahre lang habe ich ihn immer wieder besucht. Zum ersten Mal eben so ’69 (oder war das vielleicht schon ’68?). Da bekam ich sein Stück Ein Fest für Boris in die Hände, das kein Mensch machen wollte, und ich fand es auf Anhieb gut. Und dann habe ich Frost gelesen, einen der ganz großen Romane von Bernhard. Ich war gerade in Hamburg in Proben und habe beschlossen, in den Zug zu steigen und zu ihm zu fahren. Ich bin dann in Attnang-Puchheim ausgestiegen und mühsam nach Ohlsdorf gekommen, und dann auch noch nach Obernathal. Und da war er nicht. Ich habe einen Zettel an die Tür gemacht: »Bin bei der Asamerin.« Das war eines seiner »Standardrestaurants«. Gibt es leider nicht mehr. Er hat dort viel verkehrt. In diesem Gasthof saßen sie dann alle, diese ganzen Figuren aus Frost. Keine Arme, keine Beine, die Holzknechte. Es gab so einen ganz kleinen Fernsehapparat oben auf dem Schrank, zu dem haben alle hochgeguckt, es war wirklich biblisch. Und da lief der Film Die drei Musketiere. Ich habe da mitgesessen und auf diesen kleinen Bildschirm geglotzt. Damals war das noch was in so einer kleinen Gastwirtschaft. Das kann man sich nicht mehr vorstellen. Später in meinem Zimmer denk ich gerade, der kommt bestimmt nicht mehr, da reißt plötzlich jemand die Tür auf: »Was soll das! Wer sind Sie?« Und so weiter. Da stand ein Typ in einem grünen Lodenumhang und mit einem Jägerhut auf dem Kopf. Die haben in Österreich so merkwürdige Kleidungsstücke – ich glaube Kotzn heißen die auch noch –, die hängen so an einem runter. »Was wollen Sie? Stehen Sie sofort auf! Wir müssen erst einmal was zusammen trinken gehen.« Nachts um drei. Es gab natürlich keine Gastwirtschaft, die noch offen war. Also sind wir in die Kantine der Papierfabrik gefahren und haben da ziemlich gepichelt. Damals hat er noch getrunken. Als ich wieder heimfahren wollte, brachte er mich mit dem Auto nach Ohlsdorf zurück, und wir wurden von der Polizei kontrolliert. Da hat er die beiden Gendarmen nach Gutsherrenart so fertiggemacht, dass sie sich gar nicht mehr getraut haben, noch irgendetwas zu sagen. Beste oberösterreichische Gutsherrenart. So fing das alles an.
Wir haben natürlich auch über das Stück geredet. Aber er gehört nicht zu den Autoren, die gerne über ihre Stücke reden.
SCHMIDT: Er lieferte es ab und –?
PEYMANN: Er lieferte es ab und war dann natürlich neugierig, was ...