Das Vermögen der "Reichsfeinde"
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Das Vermögen der "Reichsfeinde"

Staatliche Finanzverwaltung und Gegnerverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland

  1. 632 Seiten
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Das Vermögen der "Reichsfeinde"

Staatliche Finanzverwaltung und Gegnerverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland

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Über dieses Buch

Die staatliche Finanzverwaltung war fest eingebunden in die fiskalische Verfolgung von "Reichsfeinden". Dabei legalisierte sie nicht nur den Vermögensraub, sondern bildete einen integralen und aktiven Bestandteil des nationalsozialistischen Verfolgungsapparates.

Josephine Ulbricht liefert mit ihrer Studie erstmals einen Gesamtüberblick über den Zugriff auf das Vermögen von deportierten Sinti und Roma, ausgebürgerten Emigranten, katholischen Einrichtungen sowie von politischen Gegnern und den Widerständlern aus dem Kreis der "Roten Kapelle" und des "20. Juli". Sie zeigt auf, wie sich stufenweise juristische Grundlagen und administrative Verfahren im Bereich der Vermögenseinziehung herausbildeten und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Verfolgtengruppen bestanden.

Auf einer breiten Quellengrundlage wird zudem das Netzwerk der an den Konfiskationsvorgängen beteiligten Institutionen von Staat und Partei analysiert und der spezifische Anteil der staatlichen Finanzverwaltung an der fiskalischen Gegnerverfolgung ausgelotet. Deutlich wird dabei, dass die Reichsfinanzverwaltung eine bedeutende Schnittstelle zwischen den verfolgten "Reichsfeinden", den verschiedenen NS-Machtzentren und der Bevölkerung bildete.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110760286

1 Rechtliche Grundlagen für die fiskalische Verfolgung von „Volks- und Staatsfeinden“

Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler setzte die terroristische Verfolgung vorwiegend linker Regimegegner ein. Anhänger von SA und SS übten physische und psychische Gewalt gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftsfunktionäre und andere Sympathisanten der Arbeiterbewegung aus. Zeitgleich riet Hermann Göring als Reichskommissar für das preußische Innenministerium Mitte Februar 1933 den Polizeibehörden, ein gutes Verhältnis zu den nationalen Verbänden SS, SA und Stahlhelm aufzubauen, weil in deren Kreisen „die wichtigsten staatsaufbauenden Kräfte enthalten“ seien.1 In seinem Erlass zur „Förderung der nationalen Bewegung“ hielt Göring die Polizeibehörden dazu an, „jede Betätigung für nationale Zwecke und die nationale Propaganda mit allen Kräften zu unterstützen“. Hingegen sollte dem „Treiben staatsfeindlicher Organisationen mit den schärfsten Mitteln“ entgegengetreten werden. So sei gegen „kommunistische Terrorakte und Überfälle“ mit aller Strenge vorzugehen und „wenn nötig, rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen“. Zudem versprach er in dem Erlass, der beinahe einem Schießbefehl gleich kam:
„Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schußwaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauchs von mir gedeckt; wer hingegen in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienststrafrechtliche Folgen zu gewärtigen.“2
Wenige Tage später folgte am 22. Februar 1933 ein Geheimerlass Görings, der angebliche Gewalttätigkeiten politischer Gegner zum Anlass nahm, um nationalsozialistische Aktivisten als Hilfspolizisten im Kampf gegen die „zunehmenden Ausschreitungen von linksradikaler, insbesondere kommunistischer Seite“ einzusetzen. Die freiwilligen Helfer sollten zum Schutz „der durch staatsfeindliche Umtriebe gefährdeten öffentlichen Sicherheit“ eingesetzt werden.3 Mit der Ende Februar aufgestellten „Hilfspolizei“ von 50.000 Mann, wobei 25.000 aus der SA, 15.000 aus der SS und 10.000 aus dem deutschnationalen Wehrverband Stahlhelm stammten, wurde die „Legalisierung der Gewalt“ weiter voran getrieben.4 Der Erlass hatte gravierende politische und institutionelle Folgen: Die Handlungen von SA und SS wurden damit zu staatlichen Aktionen, denn eine Unterscheidung zwischen SA- und SS-Männern und regulären Polizisten war kaum noch möglich.5 Die Hilfspolizisten waren dementsprechend in den kommenden Wochen an „wilden“ Beschlagnahmeaktionen ebenso beteiligt wie an offiziellen Beschlagnahmen auf der Grundlage der nach dem Reichstagsbrand erlassenen Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933. Im Folgenden wird die Entstehung dieser Verordnung und die Genese der weiteren gesetzlichen Regelungen skizziert, die das NS-Regime zur fiskalischen Verfolgung unliebsamer Personen und Institutionen erließ.6

1.1 Die Reichstagsbrandverordnung und die bayerischen Enteignungsgesetze

Der Brand des Reichstags am Abend des 27. Februar 1933 bot den Nationalsozialisten einen willkommenen Anlass, um den Terror gegen politische Gegner zu verschärfen.7 Noch in der Tatnacht ordnete Göring an, alle kommunistischen Parlamentarier und Funktionäre zu verhaften und die Parteibüros und Parteiverkehrslokale zu schließen. Die kommunistischen Zeitungen verbot er vollständig, und über die sozialdemokratischen Zeitungen verhängte er ein 14-tägiges Erscheinungsverbot.8 Am folgenden Tag wurde die reichsweit gültige Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, erlassen.9
Als Ziel der Verordnung benannte die Präambel „die Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“. Um den Anschein der Legalität zu wahren, verwies sie auf den Artikel 48 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung als Rechtsgrundlage, der es dem Reichspräsidenten ermöglichte, die zur „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendigen Maßnahmen zu treffen“.10 Die Reichstagsbrandverordnung setzte mit § 1 wichtige Grundrechtsgarantien der Weimarer Verfassung wie Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit und Versammlungsfreiheit außer Kraft. Mit ihr wurden Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen sowie „Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen“ für zulässig erklärt.
Hinzu kam, dass mit § 4, der bei Zuwiderhandlungen gegen die im Zuge der Verordnung erlassenen Anordnungen eine Gefängnis-, Zuchthaus- oder Geldstrafe vorsah, eine „Blankettnorm“ geschaffen wurde, die es ermöglichte, mit sofortiger Wirkung gegen politische Gegner vorzugehen und Strafschärfungen vorzunehmen.11 Zudem konnten die zuständigen Behörden ihre Anordnungen „mit einem strafrechtlichen Schutz ausstatten, indem sie ‚mit verbindlicher Wirkung für die Allgemeinheit‘ ihren Willen dahin erklärten, daß gewisse Handlungen oder Unterlassungen nach § 4 der SchutzVO strafbar sein sollten“.12
Indem § 1 der Reichstagsbrandverordnung den Artikel 153 der Weimarer Reichsverfassung, der das Eigentum gewährleistete, außer Kraft setzte,13 gab es bis 1945 keine verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie mehr.14 Dies sicherte den willkürlichen Angriff auf die materielle Existenz der politischen Gegner rechtlich ab und eröffnete über die Gruppe von Kommunisten und Sozialdemokraten hinaus den Zugriff auf das Eigentum anderer Gruppen, Organisationen und Privatpersonen.15 Dennoch gab es auch im NS-Staat die Institution des Eigentums. Und die nationalsozialistischen Juristen gaben immer wieder an, dass im Nationalsozialismus das Recht auf Eigentum weiterhin gewährleistet sei, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied zur Weimarer Republik: Die Garantie des Eigentums ging auf die politischen Instanzen über und basierte fortan auf der Praxis von Gesetzgebung und Verwaltung.16 Mit der Abschaffung der verfassungsmäßigen Eigentumsgarantie führte die nationalsozialistische Regierung einen Schwebezustand ohne jegliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit herbei.17
Der in der Präambel der Reichstagsbrandverordnung festgehaltene Zweck der Abwehr „kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ wurde in der Praxis weit ausgelegt. Von Beginn an gingen die Polizeibehörden auch gegen Sozialdemokraten und Gewerkschafter sowie andere als Gegner eingestufte Gruppen und Einzelpersonen vor. Dementsprechend benannten Mitarbeiter des Reichsinnenministeriums in zeitgenössischen juristischen Schriften die „Sicherung des inneren und äußeren Bestandes des nationalsozialistischen Staates“ als den eigentlichen Sinn und Zweck der Verordnung, was es wiederum rechtfertige, „die den Behörden durch die Verordnung übertragenen politischen Vollmachten in weitem Sinne aufzufassen“.18 Daher genüge für ein Einschreiten der polizeilichen Organe bereits „die mittelbare Gefahr, die für den Staat durch die Verbreitung von Meinungen entsteht, die dem Wiederauftauchen kommunistischer Bestrebungen den Boden bereiten“.19 Die Präambel wurde somit nicht in einem einengenden Sinne als rechtsbindend erachtet, sie beschrieb lediglich den Anlass der Entstehung der Verordnung.20
In der Praxis sorgte dies für Komplikationen: Die Gerichte waren sich uneinig über die Bedeutung der Zweckangabe in der Präambel. Um einer zu engen Interpretation zuvorzukommen, wies Wilhelm Crohne, Ministerialdirektor im Preußischen Justizministerium, in der Zeitschrift „Preußische Justiz“ darauf hin, dass eine Auslegungsweise, „die sich an die Überschrift eines Gesetzes klammert“, verfehlt sei. Denn diese „will nur die Veranlassung des Gesetzes bezeichnen, kann aber nie wesentlicher Bestandteil des Gesetzestextes selbst werden, vor allem wenn die Gesetzesworte selbst einen Begriff, den die Überschrift bringt, nicht enthalten“.21
In Preußen diente den Gerichten ein Runderlass von Göring vom 3. März 1933 als „Auslegungsbehelf“.22 Darin stellte er klar, dass mit § 1 der Verordnung vom 28. Februar 1933 nicht nur zahlreiche Artikel der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt worden seien, sondern auch „alle sonstigen für das Tätigwerden der Polizei auf den angeführten Gebieten gezogenen reichs- und landesgesetzlichen Schranken“, soweit es für die Erreichung des Ziels der Verordnung erforderlich sei, ihre Gültigkeit verlören. Hinsichtlich des Zwecks und Ziels der Verordnung heißt es, dass sich die Reichstagsbrandverordnung zwar in erster Linie gegen Kommunisten richtete, in zweiter aber auch gegen diejenigen, „die mit den Kommunisten zusammenarbeiten und deren verbrecherische Ziele, wenn auch nur mittelbar, unterstützen oder fördern“. Zur „Vermeidung von Mißgriffen“, wies Göring noch darauf hin, „daß Maßnahmen, die gegen Angehörige oder Einrichtungen anderer als kommunistischer, anarchistischer oder sozial-demokratischer Parteien oder Organisationen notwendig werden,“ nur dann auf die Verordnung vom 28. Februar zu stützen seien, „wenn sie der Abwehr solcher kommunistischen Bestrebungen in weitestem Sinne dienen“.23 Somit konnte das polizeiliche Vorgehen, insbesondere die Verhängung polizeilicher „Schutzhaft“ als „zentrales Zwangsmittel“ und die Beschlagnahmen von Vermögenswerten, gegen jegliche Gegner des nationalsozialistischen Staates im Sinne der Verordnung interpretiert werden.24
Die Reichstagsbrandverordnung legitimierte zwar die vorläufige Beschlagnahme, nicht aber die endgültige Einziehung von Vermögen. Dennoch teilte Reichsinnenminister Wilhelm Frick zwei Wochen nach Erlass der Verordnung den Landesregierungen mit, dass „das Vermögen der kommunistischen Organisationen zum anteiligen Ersatz des durch den Brand des Reichstagsgebäudes verursachten Schadens“ herangezogen werden solle. Er halte es für gerechtfertigt,
„das Vermögen der kommunistischen Organisationen, das bisher staatsfeindlichen Zwecken gedient hat, mitzuverwenden, um wenigstens einen Teil des materiellen Schadens wieder gutzumachen, der durch das staatszerstörende Verhalt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung
  5. 1 Rechtliche Grundlagen für die fiskalische Verfolgung von „Volks- und Staatsfeinden“
  6. 2 Das Vermögen der „Volks- und Staatsfeinde“ I: Beschlagnahmen und Einziehungen
  7. 3 Das Vermögen der „Volks- und Staatsfeinde“ II: Verwaltung und Verwertung
  8. 4 Das Vermögen von Emigranten: Ausbürgerung und Vermögensverfall
  9. 5 Schulden und Entschädigung
  10. 6 Neuordnung der rechtlichen Grundlagen: Von „Volks- und Staatsfeinden“ zu „Reichsfeinden“
  11. 7 Das Vermögen katholischer Einrichtungen
  12. 8 Das Vermögen von Sinti und Roma
  13. 9 Das Vermögen von „Hoch- und Landesverrätern“: Einziehungen und Strafverfahren
  14. Schlussbetrachtung
  15. Abkürzungsverzeichnis
  16. Quellen- und Literaturverzeichnis
  17. Personenregister
  18. Dank