Hauptabteilung Automatisierung
R.s neuer Arbeitsplatz war nunmehr in der Hauptabteilung Automatisierung, sein Vorgesetzter: Automaten-Charlie - so genannt im kleinen, heimlich renitenten Kollegenkreis. R. hatte dort mit der Vorbereitung automatisierungswürdiger Prozesse zu tun, bis die gesamte Hauptabteilung des Charlie hinwegstrukturiert und R. der Beauftragte für die Untergrundgasspeicherung und damit auch an seinen ursprünglichen Ausbildungsberuf, den Markscheider, wieder ein Stück hinangerückt wurde. Zu dieser Aufgabe gehörte, zwischen den dem Kombinat zugeordneten und den auftragnehmenden Betrieben zu koordinieren, Engpässe im Investitionsgeschehen - und deren gab es unzählige - beiseite zu helfen und die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Untergrundgasspeicherei »voranzutreiben«, wie es hieß.
R. empfand dies als Glücksfall.
Einen guten Faden hatte er mit dem Hauptabteilungsleiter ohnehin nicht gesponnen. Jener ein Ehrgeizling, ein inquisitorischer Drängler, ein Misstrauling und Leuteverschleißer, wenn es um sein Fortkommen ging. Dabei - für R. durchaus kein Gegensatz - hatte der Mann Gespür, ging die Dinge kreativ an, war einer, der Äpfel samt Griebs aß und den bloßen Arm tief in Unrat tunken konnte. Und mit den Weibern hatte er’s. R. erinnerte sich einer Frauentagsfeier, als er zu fortgeschrittener Stunde eines Tascheninhalts wegen in der Garderobe seinen Mantel aufsuchte, wie er zwischen den klammen Kleidungsstücken plötzlich Wärme spürte, er Anitas Wuschelkopf ergrabschte, der seinerseits in Automatencharlies Knutschgriff lag. Aber keineswegs dieser, der Kombinatsleitung natürlich nicht verborgen gebliebenen Ambitionen des Genossen Sakow, sondern der Diskrepanz zwischen Aufwand und Nutzen wegen wurde wieder einmal umstrukturiert, an den Symptomen gedoktert, und die Hauptabteilung Automatisierung aufgelöst. Natürlich lag das unbefriedigende Ergebnis nicht am Hauptabteilungsleiter oder an den anderen Leuten. Es gab nicht ausreichend und zum gebotenen Zeitpunkt Material, des Produktionsdranges wegen zu wenig Versuchszeiten, statt zu forschen, räumten Diplomingenieure und Doktoren zum Beispiel aus den Luftzerlegungsaggregaten - haushohe Ungetüme - überaus stachlige Glaswolle oder fegten winters Schnee aus den Gleisen, oder ...
Kurzum, das Angebot der Generaldirektion, in derem Auftrag die weitere Errichtung der Untergrundgasspeicher mit vorzudenken, zu koordinieren und kontrollieren, gleichzeitig darüber die markscheiderische Aufsicht auszuüben, empfand R. gleichsam wie für sich auf den Leib geschrieben und deshalb die Auflösung der Hauptabteilung als seinen Glücksfall. Zumal: Diese Art in diesem Lande, Gas für hohen Winterbedarf zu bevorraten, konnte sich international durchaus sehen lassen. Geboren aus der Not: Man konnt sich Reserve-Produktionskapazitäten für höchste Nachfrage nicht leisten, sondern war bestrebt, auch sommers die vorhandenen Anlagen auszulasten und hohe Gasmengen zu erzeugen. Und diese sowie Importe aus der Sowjetunion, in der warmen Jahreszeit auch günstiger zu haben, wurden in die Untergrundspeicher gedrückt. Es gab davon etliche mit hohem Aufnahmevolumen und unterschiedlicher Konstruktion: Das Wiederauffüllen leerer ehemaliger Erdgaslagerstätten, das Aussolen riesiger Hohlräume - dreihundert Meter hohe und 80 Meter durchmessende Kavernen - in den reichlich vorhandenen Salzstöcken, die Wasserverdrängung durch Gas in geeigneten geologischen Strukturen, ja selbst das Verschließen und Befüllen ehemaliger Kalisalzbergwerke. Verfahren und Anlagen waren natürlich sehr kostenaufwendig, technisch nicht unkompliziert und unter den vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen äußerst schwierig zu realisieren - eine Aufgabe für einen Mann, für einen wie mich, empfand R. selbstgefällig. Mit seiner fachlichen Ausbildung an der Bergakademie Freiberg ging die Aufgabe - zumindest was die natürliche Struktur der Speicher betraf - konform. Der konstruktive Rahmen war für den technischen Dingen gegenüber ohnehin sehr aufgeschlossenen R. mit wenig Mühe zu begreifen.
Alsbald bekam er und beschaffte sich Einblick in die Energiestrategie des Landes, nahm an richtungsweisenden Fachtagungen teil, an Verteidigungen einschlägiger Forschungsaufträge und wurde selbst für mittlere Chargen des Kohle- und Energieministeriums anerkannter Fachpartner. Nach und nach erwarb er sich Respekt bei den vielen Aufführungsbetrieben und, obwohl als Nichtgenosse eine Art weißer Rabe - sein Sich-Entwickeln zum gefragten Spezialisten wurde toleriert.
Natürlich ahnte er, dass man ihm gelegentlich auf die Finger sehen würde. Jedermann wusste, dass die im Volksmund allgemein mit »Horch und Guck« benannte »Firma« allgegenwärtig war. Damit lebte man; von manchem Nachbarn oder Bekannten wusste man sogar, dass er dazu gehörte.
Beschluss
MfS/BV/Verw. Cottbus
Diensteinheit OD Schwarze Pumpe
Mitarbeiter Oltn. Kannemann
Pumpe, den 10.10.1977
Reg.-Nr. VI/1193/77
Beschluss
über das Anlegen
eines Operativen Vorganges
1. Deckname: „Schreiber“
2. Tatbestand: § 172 in Verbindung mit § 245 des StGB
Gründe für das Anlegen:
Die Verdächtigen haben eine Vertrauensstellung inne und sind Geheimnisträger. Sie unterhalten Verbindungen in die BRD und besitzen zwei Westkonten, von denen sie GENEX-Waren erhalten. Es besteht der Verdacht der unerlaubten Offenbarung wirtschaftlicher Geheimnisse.
Kannemann/0ltn.
Ramisch/Major
Schickart/Oberstleutnant
II. Begründung der pol.-op. und strafrechtlichen Einschätzung des Vorgangsmaterials
Im Rahmen der Analysierung von Personen, die eine Vertrauensstellung inne haben und maßgeblich an der Entscheidungsfindung bei energiewirtschaftlichen Prozessen auf dem Gassektor der DDR und im GSP tätig sind, wurden Genannte bekannt. Die Zusammenführung der bei verschiedenen DE des MfS lagernden Hinweise ergaben eine Konzentrierung verdächtiger Verhaltensweisen und Handlungen. Das GSP ist u.a. verantwortlich für die Erarbeitung der Schwerpunkte der wissenschaftlich-technischen Arbeit in der Gaswirtschaft der DDR auf der Grundlage der langfristigen Intensivierungskonzeptionen der Betriebe: VEB Verbundnetz Gas; VEB PKM Leipzig; VEB Ferngasleitungsbau Engelsdorf und dem Brennstoff-Institut Freiberg.
Der Dr. R. ist zuständiger verantwortlicher Fachbearbeiter vom GSP für das Fachgebiet Untergrundspeicher Gas, nimmt an den hierzu notwendigen zentralen Beratungen teil, bereitet Leiterentscheidungen auf, die er teilweise voll formuliert. In diesem Zusammenhang unterhält er die Arbeitsbeziehungen zum MKE, der VVB Erdöl-Erdgas und dem VEB Verbundnetz Gas aufrecht.
Neben der Kontrolle von zu realisierenden Objekten der UGS hat er großen Anteil an der Ausarbeitung der Konzeption für die langfristige Entwicklung auf dem Gebiet der Gasspeicherung. Gleichzeitig hat er Einfluss auf die PWT-Rapporte (Plan-Wissenschaft-Technik). Er führt desweiteren als Reisekader Vertragsverhandlungen im soz. Ausland durch und besucht die dort entsprechenden Messen. Er ist Geheimnisträger.
Beide Personen R. unterhalten aktiv Verbindungen in ...