Fast die Wahrheit
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Fast die Wahrheit

Ansichten zu Kunst und Literatur

  1. 380 Seiten
  2. German
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Fast die Wahrheit

Ansichten zu Kunst und Literatur

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Dieser zweite Sammelband Erik Neutschs enthält Aufsätze und Reden, Interviews und Artikel, die er als "Ansichten zu Kunst und Literatur" zusammengestellt hat.Erik Neutsch hat wie kaum ein anderer Schriftsteller, der mit und in der DDR gewachsen ist, zur jeweiligen aktuellen Situation in der Literaturszene Stellung genommen.Dabei hat er in den meisten Beiträgen aus konkreten Anlässen heraus vor allem die prinzipiellen ästhetischen Positionen der Arbeiterklasse — wie Parteilichkeit und Volksverbundenheit — gegen Angriffe, Schwankungen oder gar ein In-Frage-Stellen verteidigt.Auch was seinerzeit nur für den Tag geschrieben schien, wirkt heute aktuell, liest sich lebendig und interessant.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783956550126

Reden

Verantwortung gegenüber der Gesellschaft

Diskussionsbeitrag auf der 2. Bitterfelder Konferenz 1964
Ich gehöre einer Generation an, für die der Krieg kein entscheidendes Erlebnis mehr gewesen ist. Ich war dreizehn Jahre alt, als ich als einen der letzten Eindrücke des Krieges Magdeburg am Horizont brennen sah. Mit siebzehn Jahren bin ich der Partei beigetreten, und mein Grunderlebnis ist die Deutsche Demokratische Republik mit all ihren Siegen und mit all ihren Niederlagen und mit den Siegen über die Niederlagen.
Wenn das Wort stimmt – und ich glaube daran –, daß ein Grunderlebnis das literarische Schaffen eines Schriftstellers bestimmen kann, dann ist es bei mir die Auseinandersetzung mit dem Leben in unserer Republik, die Auseinandersetzung, die es mich selbst gekostet hat, als ich an diesem Leben teilnahm und versuchte, mit meinen bescheidenen Mitteln den Aufbau des Sozialismus in diesem Teil Deutschlands zu verwirklichen.
Wenn ich vielleicht zu sehr von meinen eigenen Eindrücken spreche, so glaube ich doch, daß ich im Namen vieler spreche, die meiner Generation angehören, die meine Freunde sind und mit denen ich mich literarisch verbunden fühle.
Ein Wesenszug dieser Auseinandersetzung war und ist mein Verhältnis zur Partei der Arbeiterklasse und mein Verhältnis zur Kunst; und das Verhältnis von Partei und Kunst bewegt mich sehr tief. Meine Grundeinstellung – und auch die Grundeinstellung vieler meiner Kollegen – ist die, daß wir mit jeder Zeile, die wir schreiben, Kommunisten sein wollen.
Im Referat von Hans Bentzien wurde gezeigt, daß das Verhältnis von Partei und Kunst viel enger geworden ist in den letzten fünf Jahren. Ich glaube auch daran, und vor allen Dingen beweisen es die Werke, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind, und zwar auf allen Gebieten der Kunst und der Literatur. Aber es gab, seitdem ich schreibe – in den letzten fünf Jahren–, nach meiner Meinung genug Störungen in diesem Verhältnis, die wir nicht übersehen sollten, die mich zum Teil bedrückt haben – und nicht nur mich.
Sie bestehen sicherlich in zweierlei Hinsicht: Es gibt in der gegenwärtigen Situation Angriffe unter dem Mäntelchen des Kampfes gegen den Dogmatismus, Angriffe, die die Linie der Partei meinen und die Kulturpolitik von Partei und Regierung. Glauben Sie mir, auf diesen Standpunkt stelle ich mich nicht. Diesen revisionistischen Standpunkt – etwas anderes ist es nicht – muß man scharf zurückweisen. Nach meinem Empfinden gibt es umgekehrt bei Genossen und Freunden von mir, die sicherlich das Beste wollen, eine Verteidigung bestimmter Maxime, die sie ebenfalls bemänteln, zum Teil aus Unkenntnis und mangelnder Sachkenntnis. Auch damit kann man sich nicht zufriedengeben.
Sehen Sie, ich leide nicht unter der Kafka-Diskussion. Ich habe Kafka gelesen, ich achte ihn als Schriftsteller, aber für mein literarisches Schaffen kann er mir nichts geben. Ich sehe meine Vorbilder vielmehr in Scholochow, Anna Seghers und vielen anderen sozialistischen Realisten. Aber Diskussionen, die in der letzten Zeit um unsere Literatur geführt wurden, haben mir zu denken gegeben. Ich war sofort mit vielen Dingen nicht einverstanden. Nehmen wir ein Beispiel: die Diskussion zum „Geteilten Himmel“ von Christa Wolf, die in diesem Bezirk, in dem wir tagen, sehr gut bekannt ist.
Ich sage das nicht, um etwas aufzuwärmen, sondern damit wir für künftige Diskussionen daraus lernen. Es gab zwei Tendenzen bei dieser Diskussion. Die erste war die Angst vor der Diskussion. Sie ging bis in das Sekretariat des Deutschen Schriftstellerverbandes. Es gab eine Sitzung, in der von halleschen Schriftstellern verlangt wurde, bei dieser Diskussion zu bremsen. Ich sah keinen Grund dafür.
Und es gab eine andere Tendenz, die der Vorwürfe gegen dieses Buch, das ich liebe. Zum Beispiel wurde, was hier bereits zur Sprache kam, der Vorwurf der Dekadenz gemacht. Obwohl es genug Warnungen in dieser Diskussion gab, zeigte auch der Schlußartikel in der betreffenden Zeitung, daß man auf einem Standpunkt der Rechthaberei beharrte und die ernsten Warnungen und Gegenargumente nicht entgegennahm. Später hat sich die betreffende Redaktion von diesem Artikel distanziert, aber nicht auf Grund bestimmter Argumente, sondern kraft bestimmter höherer Funktionen. Ich glaube, das bedingt ein Verhältnis zwischen Partei und Kunst.
Eine Art Fortsetzung hat diese Diskussion in der Diskussion um „Ole Bienkopp“ in der NEUEN DEUTSCHEN BAUERNZEITUNG, die immerhin das Organ des Zentralkomitees ist. Nun frage ich mich – und nicht nur für Erwin Strittmatter und Christa Wolf, sondern auch für mich selbst, weil ich diese Bücher liebe und weil ihre Autoren meine Kollegen sind –: Wer stört eigentlich dieses Verhältnis zwischen Partei und Kunst mehr, die beiden Bücher, gegen die man sicherlich bestimmte Bedenken haben kann, oder die betreffenden Diskussionen? Ich glaube, es sind nicht schlechthin die Diskussionen, sondern es ist die Art, wie sie gelenkt worden sind. Sie stört das Verhältnis. Ich verlange weniger Sachkenntnis und Auseinandersetzung mit künstlerisch-ästhetischen Problemen von dem, der diskutiert, als von dem, der die Diskussion leitet; denn leiten heißt Sachkenntnis auf dem Gebiet haben, auf dem man leitet. Ebensowenig, wie es dem Schriftsteller gestattet ist, über Dinge zu schreiben, die er nicht kennt, die er nicht auf die ihm eigene Weise durchforscht hat, dürfen – das ist meine Meinung – noch länger an Kunst und Literatur Forderungen gestellt werden, die ihnen nicht gemäß sind.
Wenn man das beachtet hätte, hätte man nie den Vorwurf der Dekadenz machen können, der gegen Christa Wolf erhoben wurde. Bitterfelder Weg bedeutet das eine und das andere: Lebenskenntnis des Künstlers und Sachkenntnis seiner Kritiker.
Zu welchen „Gipfelleistungen“ die mangelnde Sachkenntnis führt, möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen. Es betrifft den Bezirksvorstand Neubrandenburg des FDGB. Es geht in der Literaturpreisdiskussion des FDGB um das Buch von Horst Czerny „Der Kommissar aus der Hölle“. Allen Funktionären des FDGB werden folgende Schwerpunkte für die Diskussion über dieses Buch empfohlen – ich lese nicht alle vor –:
Die unüberbrückbare Kluft zwischen der rechten Führung und den Mitgliedern der SPD in Westdeutschland, Seite 211 bis 213, 214 bis 217, 222/223;
der Charakter der Wahlbewegung in Westdeutschland, Seite 178 bis 187;
die Gefährlichkeit der westdeutschen Revanchistenverbände, Seite … usw.
Wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um einen Roman. In der Diskussion und in diesen Schwerpunkten ist kein Wort über die menschlichen Leidenschaften in diesem Roman, über die Charaktere, über die Konflikte, über die menschlichen Schicksale zu finden. Ich finde, daß man so nicht länger Diskussionen über Literatur führen kann. Da beginnt die Sachkenntnis oder Unkenntnis.
Wenn man sich das angehört hat, kann man nur mit einem Aphorismus von Lichtenberg antworten: „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“
In anderer Hinsicht befindet sich der FDGB-Bezirksvorstand von Neubrandenburg in guter Gesellschaft.
Lassen Sie mich kurz etwas zu unserer Literaturwissenschaft sagen. Es ist hier bereits angeklungen: Auch die Literaturwissenschaft – viele meiner Kollegen werden mir das bestätigen – läßt uns in unseren Bemühungen allein. Sie nimmt nicht oder sehr spärlich – in Rostock einer, in Greifswald einer und vielleicht hier und dort noch einer – unsere Literatur zur Kenntnis. Sie versucht nicht, bestimmte Dinge zu verallgemeinern: unsere ästhetischen Bedürfnisse, die Fragen, die wir in unserer Literatur zu stellen versuchen, und die ästhetischen Probleme, die vor uns stehen. Manchmal habe ich, wenn ich die Literaturwissenschaft allgemein betrachte, das Gefühl, daß die Literaturwissenschaftler zur Zeit eine ähnliche Haltung einnehmen wie im Jahre 1955 die Landwirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Halle: Draußen entstanden die Genossenschaften, und in der Fakultät wurde kapitalistische Betriebslehre gelehrt.
Ich finde, das Verhältnis von Partei und Kunst ist doch wohl gegenseitig, und nach meiner Ansicht besteht dieses gegenseitige Verhältnis einfach darin, daß sich die Kunst des sozialistischen Realismus selbst opfern und keine Kunst des sozialistischen Realismus mehr sein würde, wenn sie sich nicht unter die Führung der Partei begäbe, und umgekehrt, daß die Partei – ich meine Genossen, die mit mir in einer Partei sind – schlecht führte, wenn sie sich nicht aller Mittel der Erkennbarkeit der Welt bediente.
Ich glaube, eines dieser Mittel, die Erkennbarkeit des Menschen, seiner Gedanken und seiner Gefühle, diese Erkennbarkeit kann die Kunst jedem einzelnen vermitteln. Das mag eine Maxime sein. Ich stelle mir das in der Praxis folgendermaßen vor: Wie ich nie so überheblich und leichtsinnig bin und auch nicht sein würde, ohne das Wissen, ohne die Erfahrungen des großen Kollektivs der Partei mich in irgendeinen Bereich des Lebens zu wagen, in ihn einzudringen, sowenig ignorant sollte der Genosse und der Freund neben mir sein, wenn er in den Bereich der Kunst eindringt.
Mir fällt dabei jetzt ein Witz ein. Ist es gestattet, Witze zu erzählen? Ich meine politische? Wenn Sie den Witz schon kennen sollten, unterbrechen Sie mich. Ich möchte nicht etwas von mir lassen, wie das manchmal in der heiteren Muse geschieht, um unbedingt zu einer Wirkung zu kommen. Es gibt da einen Witz von den Tieren des Waldes. Als die Versammlung der Tiere des Waldes stattfindet, ist bei den Hasen eine große Panik ausgebrochen. Der Löwe fragt die Hasen, und die Hasen sagen: Die Füchse haben uns den Krieg erklärt. Der Löwe gibt den Rat, zu dem weisen Uhu zu gehen. Der weise Uhu ist bei den Tieren des Waldes etwa ein Volksbildungsminister. Sie gehen hin und stellen ihm ihr Problem dar. Da sagt der Uhu: Liebe Hasen, verwandelt euch in Füchse, und dann können die Füchse nicht mehr Freund vom Feind unterscheiden, dann könnt ihr auch nicht gefressen werden. Die Hasen versuchen, diesen Rat zu befolgen. Es gelingt ihnen nicht, sich in Füchse zu verwandeln, und sie gehen wiederum zum weisen Uhu. Da zuckt der weise Uhu – in diesem Falle – mit den Flügeln und sagt: Ja, wißt ihr, über das Wie müßt ihr euch schon selbst Gedanken machen – ich kläre nur Grundfragen.
Was ich also meine, ist eine ganz echte und gegenseitige Beratung zwischen meinen Genossen, die in einer Leitung der Partei oder im Staatsapparat ihre Pflicht erfüllen, und uns Schriftstellern und Künstlern, die wir versuchen, auf dem Gebiet der Kunst und der Literatur unsere Pflicht zu erfüllen.
Sehen Sie, es liegt der Roman „Spur der Steine“ vor. Drei Jahre habe ich daran geschrieben. Aber das ist vielleicht die wenigste Arbeit. Drei Jahre habe ich vorher – und sie waren nötig – einfach versucht, mir den Stoff zu erarbeiten. Ich war damals als Parteijournalist in einer Zeitung tätig, und zwar auf den ehemaligen Baustellen im Bezirk Halle. Damals ging es um die komplexe und industrielle Bauweise. Ich habe im Auftrag der Partei versucht, diese komplexe und industrielle Bauweise auf den Baustellen durchzusetzen. Ich habe mit Arbeitern gelebt. Ich war im Baukomitee des Bezirkes, und ich habe ständig die öffentliche Auseinandersetzung in der Zeitung geführt. Mir waren auch zugänglich die Vergleiche – was ich für den Bitterfelder Weg für außerordentlich wichtig halte – zu anderen Lebensbereichen, zur Chemie, zum Maschinenbau, zur Kunst, all die Dinge, die im Roman mehr oder weniger eine Rolle spielen.
Ich glaube, es ist doch etwas die Vorstellung des kleinen Moritz, wenn man nur glaubt, man habe sich irgendwo in eine Brigade oder in einen Betrieb zu begeben, und nun fließen diese Erfahrungen in den Roman ein. Ich glaube vielmehr, daß es die ganzen Erfahrungen sind, die man innerhalb dieser letzten zwanzig Jahre als bewußter Mensch – ich spreche von meiner Generation – gesammelt hat, daß es all die Schwierigkeiten sind, die Kämpfe, die eigene Selbstüberwindung, die einen oft verzagen lassen wollten. Sogar die Schwierigkeiten, die mir dann in der eigenen Redaktion, in dem eigenen Kollektiv gemacht worden sind, kann man nicht ausklammern. Überall versucht man, Lehren zu ziehen und sie in das Kunstwerk einfließen zu lassen. Das ganze Leben, wenn Sie wollen, das Leben dieser Bekannten, das Leben der Partei, wird in einem solchen Roman zu gestalten versucht.
In diesem Zusammenhang etwas zu Betriebsverträgen, weil einige Formulierungen von mir im NEUEN DEUTSCHLAND mißverstanden worden sind. Ich meinte: Weg vom Schema, ohne ein anderes Schema zu fordern, und die Betriebsverträge viel differenzierter abzuschließen, sie dem künstlerischen Interesse des Betreffenden anzupassen. Das braucht nicht immer ein Vertrag zu sein; das kann ebensogut eine Tätigkeit als Parteifunktionär sein, eine Tätigkeit im Beruf.
Wir haben folgenden Fall im Bezirk Halle: Ein nach meiner Ansicht sehr begabter Schriftsteller, der von Beruf Diplomökonom ist, versucht, als Diplomökonom für drei Tage in der Woche oder vierzehn Tage im Monat eine Anstellung zu finden und die andere Zeit zu schreiben. Das ist nicht möglich, weil irgendwo der Stellenplan einen Strich durch die Rechnung macht. Er muß zwei Betriebsverträge annehmen, einen in Weißenfels und einen in Hettstedt. Die Entfernungen sind sehr groß. Dabei kommt nicht mehr heraus. Es sind genau die 400 Mark, die er bekommen würde, wenn er als Diplomökonom arbeitete, mitten im Leben stehen und um bestimmte ökonomische Dinge ringen, kämpfen und sich für ihre Durchsetzung einsetzen müßte.
Von Hans Koch und wohl auch von Hans Bentzien wurde gefordert, daß die Parteileitungen bei ihren Einsätzen und Untersuchungen mehr die Schriftsteller heranziehen sollten. Ich glaube, das ist nur ein Weg. Ich halte viel mehr davon, wenn der Schriftsteller selbst Verantwortung übernehmen würde, sich in bestimmte Prozesse unseres Lebens einmischte und versuchte, die Politik der Partei durchzusetzen.
Mit dem Anrufen einer höheren Parteileitung ist das so eine Sache. Ich hatte ein Erlebnis mit einem leitenden Genossen, der, als ich an dem Roman saß, erfahren hatte, daß es dort auch um bestimmte ökonomische Probleme als Boden menschlicher Konflikte geht. Er sagte: „Mich interessiert nicht die Geschichte; was schreibst du in ökonomischer Hinsicht?“ Das war etwa ein Jahr vor dem VI. Parteitag. Ich sagte: „Es geht ums Dreischichtensystem“, wie gesagt: als Boden der menschlichen Geschichten. Er sagte: „Gut, das ist etwa auch der Kampf der Partei.“ Dann sagte ich weiter: „Es geht um solche Dinge, daß mit dem Plan jongliert wird, aber am Ende eine höhere Arbeitsproduktivität herauskommt.“ Nun ja, da fing er an, den Kopf zu schütteln. Daraufhin sagte ich ihm: „Es geht aber auch um die zur Zeit falsche Berechnung unserer Arbeitsproduktivität, zumindest auf den Baustellen, wo ich das überblicken kann.“ Da sagte er: „Davon rate ich dir ab – mach das nicht! Darüber wird die Partei noch beschließen!“ Ich habe ihm geantwortet: „Ich mache es doch!“ Und seitdem ist er nie wieder zu mir gekommen.
Ich glaube eben, die Sache hat zwei Seiten. Der Schriftsteller sollte sich genug verantwortlich fühlen, sollte in das Leben eingreifen und bestimmte Prozesse, die sich bei uns vollziehen, erkennen und die Politik der Partei eigenverantwortlich durchzusetzen versuchen.
Was wir brauchen, ist eine viel tiefere Einbeziehung des Künstlers in die Gesellschaft, eine Integration der Kunst und des Künstlers in die Gesellschaft, mit Hilfe der Partei. Manchmal wird uns entgegengehalten – ich las das neulich im NEUEN DEUTSCHLAND –, daß der Faschismus selten so entlarvt wurde wie in dem in der Emigration entstandenen Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers; ein großes Buch, das ich außerordentlich schätze, und sicherlich auch jeder von Ihnen. Aber ich glaube, schon dabei besteht ein gewisser Trick: Anna Seghers hätte dieses Buch nie schreiben können, wenn sie nicht eng verbunden gewesen wäre mit dem Kampf der Arbeiterklasse vor 1933, wenn sie nicht illegal gegen diesen Faschismus gekämpft hätte, wenn sie nicht gelitten hätte unter der Nacht, die über Deutschland hereingebrochen war.
Aber unsere Bücher, die Bücher aus unserem Leben, können wir nicht mehr aus der Emigration schreiben und schon gar nicht aus einer inneren Emigration heraus. Wenn diese Bücher entstehen sollen, dann muß man sich als Künstler für diese Gesellschaft verantwortlich fühlen und ständig der Hilfe der Partei gewiß sein.
April 1964

Die Kunst ist schöpferisch

Rede auf einer Tagung der SED-Bezirksleitung Halle 1966
Geschehen ist etwas ganz Unsensationelles, für eine sozialistische Demokratie etwas ganz Alltägliches. Ein Plenum der Partei hat stattgefunden. Und wie das in unserer Partei und auf jeder Beratung unserer Partei üblich ist, wurden Kritik und Selbstkritik geübt. Beileibe nicht nur auf dem Gebiete von Kunst und Literatur, aber eben auch dort. Was also ist daran sensationell? Und wenn, dann doch gewiß nur die sehr beruhigende Tatsache, daß es inzwischen zum alltäglichen Arbeitsstil unserer Partei gehört, sich wie mit allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, so auch mit Kunst und Literatur zu beschäftigen, von Zeit zu Zeit zu untersuchen, was geleistet und was versäumt wurde.
Hindenburg, des Kaisers General und später oberster Mann der Weimarer Republik, hielt es für seine Casinoehre, außer dem preußischen Exerzierreglement und der Bibel kein anderes Buch zu kennen. Das Goebbelsche Propagandaministerium entsicherte bekanntlich den Revolver, wenn es das Wort Kultur hörte. Die Führer gewisser bourgeoiser Parteien, Erhard und Strauß, beschimpfen die begabtesten Künstler und Schriftsteller Westdeutschlands als Pinscher. Geist und Macht, Macht und Geist – im alten Deutschland waren sie nie vereinbar.
Was hat im Gegensatz zu all diesen stupiden Herrschaften das Zentralkomitee getan, das höchste Gremium unserer Partei? Es hat auf seinem Plenum zwei Arbeiten von Filmschaffenden zur Diskussion gestellt und zu einer Reihe von Büchern, Schauspielen und Gedichten seine sachliche, gewiß nicht leidenschaftslose Meinung gesagt. Das ist die ganze Sensation. Ich weiß mich mit meinen Genossen darin einig, nicht im geringsten als Sensation zu empfinden, was wir spätestens seit der Schrift Lenins über „Parteiorganisation und Parteiliteratur“ als unseren Anspruch erheben: die führende Rolle der Partei, auch in Kunst und Literatur.
Seit Jahrtausenden ist der Mensch so beschaffen, daß er schöpfer...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. Ein Feature über Willi Sitte: Wo es keine leeren Flächen gibt
  3. Aufsätze
  4. Reden
  5. Interviews
  6. Über Bücher und Autoren
  7. Ein Forster-Essay
  8. Nachwort
  9. Quellen und Anmerkungen
  10. Erik Neutsch
  11. E-Books von Erik Neutsch