Geschlecht, Macht, Staat
eBook - ePub

Geschlecht, Macht, Staat

Feministische staatstheoretische Interventionen

  1. 161 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
eBook - ePub

Geschlecht, Macht, Staat

Feministische staatstheoretische Interventionen

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Ziel feministischer Staatstheorie ist es, die Vergeschlechtlichung des Staates sichtbar zu machen. Auf diese Weise soll aufgezeigt werden, wie der moderne westliche Staat dazu beitrĂ€gt, geschlechtliche Ausbeutungs-, Gewalt- und UngleichheitsverhĂ€ltnisse zu ermöglichen und zu legitimieren. Die Autorin stellt dazu frĂŒhe AnsĂ€tze feministischer Staatstheorie ebenso vor wie neuere queer-feministische und intersektionale Konzepte. Dabei werden sowohl Theoretisierungen des VerhĂ€ltnisses von Staat und Geschlecht als auch zentrale Themenfelder feministischer Staatstheorie vorgestellt und diskutiert.

HĂ€ufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kĂŒndigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekĂŒndigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft fĂŒr den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf MobilgerĂ€te reagierenden ePub-BĂŒcher zum Download ĂŒber die App zur VerfĂŒgung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die ĂŒbrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden AboplÀnen erhÀltst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst fĂŒr LehrbĂŒcher, bei dem du fĂŒr weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhĂ€ltst. Mit ĂŒber 1 Million BĂŒchern zu ĂŒber 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nÀchsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Geschlecht, Macht, Staat von Gundula Ludwig im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten BĂŒchern aus Sozialwissenschaften & Genderforschung. Aus unserem Katalog stehen dir ĂŒber 1 Million BĂŒcher zur VerfĂŒgung.

Information

Jahr
2014
ISBN
9783847404002
[49]III. Elemente feministischer Staatstheorie
Im Folgenden werden zentrale Themenfelder feministischer Staatstheorie vorgestellt. Der Aufbau der Darstellungen der einzelnen Schwerpunkte folgt dabei weitgehend einer chronologischen Vorgehensweise: Von den frĂŒhen Arbeiten in den jeweiligen Themenfeldern ausgehend werden Entwicklungslinien bis in gegenwĂ€rtige Debatten nachgezeichnet. PrĂ€zisierungen und VerĂ€nderungen der Fragestellungen sind dabei auf queer-feministische und intersektionale Arbeiten sowie auf die Transformation des Staates und der GeschlechterverhĂ€ltnisse zurĂŒckzufĂŒhren. Da weder Staat, Geschlecht noch gesellschaftliche VerhĂ€ltnisse als statische GrĂ¶ĂŸen aufgefasst werden können, kann und will feministische Staatstheorie auch kein abgeschlossenes TheoriengebĂ€ude sein. Diese inhĂ€rente Dynamik soll in der nachfolgenden Darstellung in ihrer ProduktivitĂ€t sichtbar gemacht werden.
III.1. Der Gesellschaftsvertrag als Geschlechtervertrag
Der Gesellschaftsvertrag gilt in der neuzeitlichen Politischen Theorie als BegrĂŒndung des Staates. Den Kontraktualisten zufolge geht ihm ein Naturzustand voraus, der als eine auf Konkurrenz und Kampf ausgerichtete menschliche Lebensweise konzeptualisiert wird, die friedvolle soziale Beziehungen und die Etablierung einer Gesellschaft verunmöglicht. Um dem Naturzustand zu entkommen, schließen die freien und gleichen Individuen aufgrund ihrer (naturgegebenen) Vernunft einen Vertrag, der den modernen Staat sowie die Unterwerfung der BĂŒrger_innen unter diesen begrĂŒndet. Die Vernunft nimmt in der ErklĂ€rung des Staates eine zentrale Bedeutung ein, ersetzt sie doch Gott oder die Natur als hinreichende BegrĂŒndung politischer Gemeinschaften. Über den Vertrag wird dabei der moderne bĂŒrgerliche Staat begrĂŒndet und soziale Beziehungen unter freien und gleichen BĂŒrgern (sic) werden geregelt – so der Tenor der neuzeitlichen Vertragstheoretiker.
Der Einsatzpunkt feministischer Kritik liegt im Nachweis, dass diese ErzĂ€hlung nur die ‚halbe Wahrheit‘ ist: Carole Pateman war eine der ersten, die in The Sexual Contract (1988) die Aufmerksamkeit auf den vergeschlechtlichten Subtext neuzeitlicher Vertragslogik lenkte. Sie entfaltet, wie der Gesellschaftsvertrag ein Übereinkommen unter MĂ€nnern ist, der zugleich einen Geschlechtervertrag voraussetzt, der wiederum ĂŒber die Ehe abgesichert wird. In ihrer feministischen RelektĂŒre fokussiert Pateman die allen Vertragstheorien zugrunde liegende ‚Wesensbestimmung‘ des modernen Subjekts als autonomes und vernunftfĂ€higes. Da Frauen gemĂ€ĂŸ des ‚Wahrheitsregimes‘ der Geschlechterdifferenz diese Eigenschaften nicht aufweisen, erfĂŒllen sie die Voraussetzungen fĂŒr die VertragsfĂ€higkeit nicht. DarĂŒber hinaus zeigt Pateman, dass es sich bei der Konstruktion des vertragsfĂ€higen Individuums um ein maskulinistisches Phantasma handelt. Nur wenn AbhĂ€ngigkeiten,[50] Emotionen, Beziehungen und BedĂŒrftigkeiten in den ‚weiblichen‘ Bereich der Privatheit verbannt werden, können sich die BĂŒrger der öffentlich-politischen SphĂ€re als autonome, rationale Individuen imaginieren.
Indem Pateman sichtbar macht, dass der Gesellschaftsvertrag ein Vertrag (besitzender) autonomer MĂ€nner ist, der auf dem Ausschluss von Frauen beruht, konfrontiert sie die liberale Vorstellung einer „öffentliche[n] Welt von Zivilrecht, bĂŒrgerlicher Freiheit, Gleichheit, Vertragsfreiheit und Individuum“ (1994: 84) mit der ihr inhĂ€renten „Unterwerfung der Frauen im Privatbereich“ (ebd.: 85). Damit zeigt sie die Diskrepanz auf zwischen der vertragstheoretischen Rhetorik, wonach der Staat fĂŒr alle Freiheit und Gleichheit garantiert, und der FaktizitĂ€t, dass diese nur auf der Basis von Frauenausschluss und -unterdrĂŒckung fĂŒr einen Teil der BĂŒrger_innen ermöglicht werden kann.
Den patriarchalen Herrschaftscharakter begrĂŒndet Pateman nicht nur mit dem Ausschluss von Frauen aus dem Kreis der vertragschließenden Subjekte und aus der Konstruktion des liberalen autonomen Subjekts, sondern auch damit, dass das neuzeitliche Vertragsdenken auf der Trennung von Staat und Familie basiert. Die patriarchale Erfindung der PrivatsphĂ€re – insbesondere der Ehe und Familie – als natĂŒrlichem Ort, der der öffentlichen und politischen SphĂ€re entgegengesetzt ist, respektive die „patriarchale Trennung zwischen privat/natĂŒrlich und öffentlich/bĂŒrgerlich“ (Pateman 1994: 87), begreift Pateman als notwendige Kehrseite des Gesellschaftsvertrags. Die Unterwerfung der MĂ€nner unter eine souverĂ€ne Macht wird durch ihre SouverĂ€nitĂ€t in der Familie und im Privaten abgesichert. Der bĂŒrgerlichliberale Staat ist daher „ein stillschweigendes Abkommen mit Formen patriarchaler, familialer Herrschaft eingegangen“ (Wilde 1995: 139).
Pateman fĂŒhrt den Geschlechtervertrag als konstituierenden Bestandteil moderner Staatlichkeit vor (Pateman 1988: 154ff.). Die Ausgestaltung der bĂŒrgerlichen Freiheit kann nicht gefasst werden, ohne die in den Vertrag eingelagerte Unfreiheit mitzudenken:
„Der Gesellschaftsvertrag ist eine Geschichte der Freiheit; der Geschlechtervertrag ist eine Geschichte der Unterwerfung. Der Grundvertrag beinhaltet Freiheit und Herrschaft gleichermaßen. Der Grundvertrag regelt die Freiheit der MĂ€nner und die Unterwerfung der Frauen“ (Pateman 1994: 74).
Dieses Zusammenspiel von Gesellschaftsvertrag und Geschlechter vertrag bleibt jedoch durch die Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit unsichtbar (vgl. auch Wilde 1995: 142).
Auch Erna Appelt fasst den Kern des neuzeitlichen Vertragsdenken Àhnlich wie Pateman zusammen:
„So liegen allen Versionen des Gesellschaftsvertrages Annahmen ĂŒber MĂ€nner als autonome Individuen resp. StaatsbĂŒrger sowie ĂŒber Frauen als Unterworfene[51] und AbhĂ€ngige zugrunde. Wird dies zur Kenntnis genommen, dann muß der Gesellschaftsvertrag als androkratisches Programm gelesen werden“ (Appelt 1997: 115).
Davon ausgehend zeigt Appelt auf, dass in den Gesellschaftsvertrag ein „Familialismus“ (ebd.: 117) als grundlegende Struktur eingeschrieben ist und von diesem auch fortgeschrieben wird. Unter Familialismus versteht Appelt „jenes ideologisierende FamilienverstĂ€ndnis, das auf ‚Gemeinwohl‘ abzuzielen vorgibt, tatsĂ€chlich aber Geschlechterhierarchie im Sinn hat“ (ebd.). Den patriarchal-ideologischen Kern des Familialismus sieht Appelt darin, dass „[f]amilialistische Ideologien [
] anti-individualistisch [sind], wenn es um die BedĂŒrfnisse von Frauen geht: sie sprechen von Familie und vom Wohl der Kinder, meinen aber mĂ€nnliche AnsprĂŒche und weibliche Unterordnung“ (ebd.; sowie Appelt 1995). Über die Ehe als dem KernstĂŒck des Familialismus wird die Verbindung von politischem Recht und familialen Bindungen staatlich abgesichert. Wenngleich also der Geschlechtervertrag der Ehe gerade nicht den Kriterien des Gesellschaftsvertrags entspricht, da er nicht auf Gegenseitigkeit, individuellem Nutzen und EigenstĂ€ndigkeit, sondern auf AbhĂ€ngigkeit und Ungleichheit beruht, ist der Ehevertrag doch das konstitutive GegenstĂŒck des Gesellschaftsvertrags.
Barbara Schaeffer-Hegel (1990) spitzt die These der konstitutiven Verwobenheit des Gesellschafts- und Geschlechtervertrag zu und hebt die Bedeutung der heterosexuellen Konstruktion von Liebe als komplementĂ€rer Verbindung von Frau und Mann fĂŒr den Gesellschaftsvertrag und den westlichen modernen Staat hervor:
„Daß die bĂŒrgerliche Kultur der letzten beiden Jahrhunderte voll ist von Versuchen, den MĂ€dchen und Frauen einen solchen [auf Selbstaufgabe zielenden und der Befriedigung mĂ€nnlicher BedĂŒrfnisse dienenden, GL] Begriff von Liebe nahezubringen, und auch, daß diese Versuche nicht ohne Erfolg geblieben sind, ist wohlbekannt. Weniger gelĂ€ufig ist uns jedoch, daß die Konzepte von Eigentum, Vernunft und Liebe, wie sie in der politischen Philosophie der AufklĂ€rung entwickelt wurden, aufs innigste verbunden waren mit der Konzeption des modernen Staates, und daß mit ihrer Hilfe Vorstellungen vom Staatswohl und von der Staatsvernunft geprĂ€gt wurden, die im Zuge ihrer institutionellen Durchsetzung im 18. und 19. Jahrhundert die Beteiligung von Frauen an der Politik und am öffentlichen Leben wirkungsvoll verhinderten und die Lebenskraft und ProduktivitĂ€t der Frauen als private und gemeinschaftliche Ressource unter mĂ€nnliche VerfĂŒgungsgewalt stellten“ (Schaeffer-Hegel 1990: 161).
An die Sichtbarmachung des vergeschlechtlichten Subtextes der neuzeitlichen Vertragslogik schließt die Frage nach den Möglichkeiten einer feministischen Aneignung des Gesellschaftsvertrags an. Pateman folgert, dass sich emanzipatorisches feministisches Handeln nicht innerhalb des Vertragsdenkens bewegen kann, da die Konzeption des vertragsfĂ€higen Individuums mĂ€nnlich ist und daher auch die Integration von Frauen in den Gesellschaftsvertrag[52] nicht dessen zugrunde liegende mĂ€nnliche Logik aushebeln kann (Pateman 1988; vgl. Ă€hnlich auch Elshtain 1981). Im Gegensatz dazu hĂ€lt Appelt an dem Potenzial fest, den Gesellschaftsvertrag aus einer feministischen Perspektive neu zu denken (Appelt 1997: 127). Sie plĂ€diert fĂŒr eine Integration von Frauen als „kompetente Sprecherinnen in die Konzeption des Vertrages“ (ebd.: 128) und geht davon aus, dass dies „sowohl die Voraussetzungen sowie den Inhalt des Urvertrags neu bestimmt“ (ebd.: 133). Dies wĂŒrde notwendigerweise zu einer VerĂ€nderung gesellschaftlicher ZustĂ€ndigkeiten fĂŒhren, bei der die reproduktiven Aufgaben neu verteilt werden mĂŒssen, die bislang ĂŒber familialistische Ideologien und Institutionen (wie eben nicht zuletzt dem Gesellschaftsvertrag) privatisiert und vergeschlechtlicht bestimmt werden.
Fast drei Jahrzehnte nach Erscheinen von The Sexual Contract lieferte Pateman gemeinsam mit Charles W. Mills eine interessante Weiterentwicklung ihres grundlegenden staatstheoretischen Werkes (Pateman/Mills 2007). In ihrer Auseinandersetzung mit der Genese des US-amerikanischen und des australischen Staates machen sie deutlich, dass diesen ein „settler contract“ vorausgeht:
„The settler contract is a specific form of the expropriation contract and refers to the dispossession of, and rule over, Native inhabitants by British settlers in the two New Worlds. Colonialism in general subordinates, exploits, kills, rapes, and makes maximum use of the colonized and their resources and lands. When colonists are planted in a terra nullius, an empty state of nature, the aim is not merely to dominate, govern, and use but to create a civil society. Therefore, the settlers have to make an original – settler – contract“ (Pateman 2007: 38).
Pateman zeigt, dass der Exklusionsmechanismus, wonach nur besitzende Menschen als vertragsfĂ€hig gelten, vergeschlechtlicht und rassisierend ist (ebd.: 49ff.), da sowohl Frauen als auch nicht-weißen Menschen – und damit allen Native inhabitans – die FĂ€higkeit, sich selbst besitzen zu können, abgesprochen wird (ebd.; s.a. Mills 2007: 83ff.)
Aus einer queer-feministischen Perspektive hat Heike Raab Patemans Arbeiten zum Geschlechtervertrag weitergedacht. Mit Bezugnahme auf Monique Wittig entwickelt sie Patemans Argument, dass dem Gesellschaftsvertrag ein Geschlechtervertrag zugrunde liegt, weiter und legt die jeweiligen heteronormativen PrĂ€missen der VertrĂ€ge frei. Denn der Geschlechtervertrag beruht „auf der Annahme einer naturgegebenen Zweigeschlechtlichkeit“ der Subjekte sowie ihres heterosexuellen Begehrens, das, „weil naturgegeben, zwangslĂ€ufig zur heterosexuellen Ehe fĂŒhrt“ (Raab 2012: 30). Die Zweigeschlechtlichkeit der Subjekte und das heterosexuelle Begehren sind die Voraussetzungen fĂŒr die Ehe, den Familialismus und mithin den Gesellschaftsvertrag. Durch die Naturalisierung von HeteronormativitĂ€t können diese Bedingungen jedoch als ‚gegebene Tatsachen‘ in dem Vertragsdenken vorausgesetzt werden.
[53]„Vor diesem Hintergrund scheint es deshalb angemessen, im Anschluss an Pateman und Wittig von einer heteronormativen Verfasstheit des Geschlechtervertrags zu sprechen, aus dem die staatstheoretischen Vertragskonzeptionen mit Beginn der Neuzeit hervorgehen. In dieser Bestimmung des Staates durch die Vertragstheoretiker offenbart sich die androzentristische und heteronormative Grundkonstante des modernen, westlichen Staates, die das VerstĂ€ndnis von Staatlichkeit bis in die Gegenwart beeinflusst“ (ebd.).
III.2. Die Genese moderner europÀischer Nationalstaaten im Spiegel der Geschlechterdifferenz
Die Genese moderner europĂ€ischer Nationalstaaten hat einen genuin geschlechtlichen Subtext. So haben feministische Arbeiten aufgezeigt, dass die dem Nationalstaat zugrunde liegende SouverĂ€nitĂ€tsvorstellung maskulinistisch ist, da „[d]ie SouverĂ€nitĂ€tsidee und der Geist ‚nationaler IdentitĂ€t‘ [
] nach dem gleichen Muster gestrickt“ sind „wie die Idee des absolut autonomen, mit sich identischen Subjekts“ (Rumpf 1995: 227). Beide beruhen auf einer Fiktion, die durch den modernen Mythos der Geschlechterdifferenz ermöglicht wird: Die Fiktion eines mĂ€nnlichen autonomen BĂŒrgers setzt die Verlagerung von sozialen Beziehungen, AbhĂ€ngigkeiten und BedĂŒrfnissen in die als weiblich konnotierte Privatheit voraus. In analoger Weise erfordert die Vorstellung einer nationalstaatlichen SouverĂ€nitĂ€t eine fiktive Einheit eines Volkes, die nicht nur auf dem Ausschluss von Frauen beruht, sondern auch erst durch das Einwirken von Frauen auf MĂ€nner sichergestellt wird, so Mechthild Rumpf. Denn dem ‚friedlichen Geschlecht‘ wird als Haus-, Ehefrau und Mutter die Aufgabe zuteil, fĂŒr Tugend und Moral der MĂ€nner zu sorgen und auf diese in einer Weise einzuwirken, dass der innere Frieden in der Gesellschaft und mithin die Einheit des Volkes möglich wird. Von Frauen wird im modernen Geschlechterregime
„die Zivilisierung mĂ€nnlicher Triebhaftigkeit und die Herstellung des guten und moralischen Lebens im hĂ€uslichen Kreise erwartet. Der so genannte hĂ€usliche ‚Friede‘ einerseits und das staatliche Gewaltmonopol andererseits sind die beiden SĂ€ulen fĂŒr das Fundament eines innerstaatlichen, ‚sozialen Friedens‘“ (ebd.: 228).
In der als „Ordnungsfaktor“ (ebd.: 237) dienenden Ehe sollen „jene Verhaltensweisen entstehen, durch die sowohl die individuellen Neigungen wie das Gemeinwohl befördert werden können“ (ebd.: 239). Zugleich verdeutlicht Rumpf, dass gerade das Scheitern der beiden Projekte – des souverĂ€nen Subjekts und des souverĂ€nen Nationalstaates – „ihre jeweils gewaltförmigen Gegenbilder und eine kriegerische RealitĂ€t hervorbringt“ (ebd.: 245).
Die moderne Konstruktion von Weiblichkeit kann nicht nur als „zivilisierende Instanz“ (ebd.: 237) durch Ehefrauen und MĂŒtter als notwendige [54]Kehrseite der Genese moderner maskulin-souverĂ€ner Nationalstaaten betrachtet werden. DarĂŒber hinaus war die Herausbildung moderner westlicher Nationalstaaten von Beginn an von einer politischen Rhetorik begleitet, mit der die neuen Nationen mittels vergeschlechtlichter Körpermetaphern vertraut gemacht wurden. Diese Verkörperungen stellten auch ein wichtiges Motiv dar, mit dem nationalstaatliche Zugehörigkeit in den StaatsbĂŒrgern (sic) verankert werden sollte. „Die nationale Akkulturation der Massen“ (Baxmann 1995: 345), die Voraussetzung fĂŒr die moderne Nationenbildung war, „rekurrierte vor allem auf das Bild des Körpers und auf Körperpraktiken, wobei Material aus ganz heterogenen Traditionen zur Inszenierung des ‚fait national‘ (‚Nationalen‘) zusammengebunden wurden“ (ebd.; s.a. Kerchner 1999). WĂ€hrend vormoderne Monarchien vor allem als mĂ€nnliche Körper dargestellt waren, wurden die modernen Nationen – nicht zuletzt oft in Abgrenzung zum Ancient Regime – meist als Frauenkörper dargestellt und als diese auch in der politischen Rhetorik und in der „visuellen Politik“ (Wenk 2007) benannt: Frankreich wurde zu Marianne, Deutschland zu Germania, England zu Britannia. Die Gleichsetzung der Nation mit einem Frauenkörper war, so zeigt Joan Landes, maßgeblich an dem Prozess beteiligt, „by which a citizen learns to love an abstract object with something like the individual lover’s intimacy and passion“ (Landes 2001: 2). Landes sieht die öffentliche ReprĂ€sentation von Nationalstaaten als Frauenkörper als wichtiges Element in der Hervorbringung eines „self-understanding as citizens of the nation-state“ (ebd.: 1). Doris Sommer schreibt in Ă€hnlicher Weise von einem „erotic or sentimental investment in the state“ (Sommer 1991: 41), das gerade durch die Gleichsetzung der Nationen mit Frauenkörpern ermöglicht wurde: „[If] our identities as modern sexually defined subjects did not take the state to be primary object and therefore the partner on whom our identity depends, what could explain our passion for ‚la patria‘?“ (ebd.). Ein fundamentales „heterosexual investment in the nation’s body“ (Landes 2001: 140) ist mithin Effekt der Verkörperung von Nationen als Frauenkörper. Zugleich wird ĂŒber diese (hetero-)sexualisierte und emotionalisierte Bindung an die Nation nationalstaatliche und nationalistische Zugehörigkeit angeregt, die sich im Extrem in der Bereitschaft manifestiert, fĂŒr diese in den Krieg zu ziehen, zu sterben oder zu töten.
Silke Wenk macht darauf aufmerksam, wie die visuellen ReprĂ€sentationen der Nation als Frauenkörper auch zu einer Analogiebildung von ‚Nation‘ und ‚Haus‘ fĂŒhrten, „dessen Mauern und Schlösser den Schutz ‚des Weiblichen‘“ (Wenk 2007: 164f.) durch MĂ€nner gew...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Feministische Staatstheorie: AnfĂ€nge, Entwicklungen, Ziele – eine Einleitung
  6. I. Staat und Geschlecht in modernen westlichen Gesellschaften – eine Kontextualisierung
  7. II. Feministische Theoretisierungen des VerhÀltnisses von Staat und Geschlecht
  8. III. Elemente feministischer Staatstheorie
  9. IV. Fazit
  10. Literaturverzeichnis