Singende Worte
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Singende Worte

Eine Erzählung aus Geschichten und Gedichten

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Singende Worte

Eine Erzählung aus Geschichten und Gedichten

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Über dieses Buch

Ein poetischer Dialog aus Geschichten und Gedichten, welche den Zauber und die Schönheit der Sprache zum Erlebnis werden lassen und zugleich tiefe Einblicke in die vielen verschiedenen Wege und Umwege der Seele geben. Das alles ist eingebettet in eine unterhaltsame Rahmenhandlung in der eine pfiffige und sehr farbenfrohe Studentin einem berenteten Professor beim Umzug hilft und dabei einen überraschenden Fund macht.

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Information

Verlag
tredition
Jahr
2021
ISBN
9783347488830
Auflage
1
Thema
Poesie
Abschied in Litauen
„Sind wir also wieder soweit“? Ihre Stimme klang hohl und brüchig nach dem langen Schweigen und keineswegs so ruhig, wie sie es sich gewünscht hätte. Sie waren lange am Haff entlanggewandert, Seite an Seite zwar, aber nicht wie üblich Hand in Hand. Sie hatten Worte ausgetauscht, die nicht vom Herzen kamen, aber gewohnheitsmäßig leicht den Weg über die Lippen gefunden hatten. Sätze wie: „wir haben wirklich Glück mit dem Wetter“, oder: „schau mal, wie das Licht dort auf dem Wasser schimmert“, taumelten zwischen ihnen hin und her wie Seifenblasen und zerplatzten ohne Spuren zu hinterlassen.
Sie waren durch das Schilf die Stufen zur hohen Düne hinaufgestiegen, nicht ohne sich immer aufs Neue über die Stille zu wundern, die sich selbst im Sommermonat August über die ganze Nehrung breitete wie ein weiches Tuch in gedämpften Farben, das selbst die Stimmen der Kinder in halblautes Raunen zu verwandeln schien.
Aber nun hatte die Stille sie eingeholt und einen Raum geschaffen für die vielen Fragen der letzten Tage. Fragen in Großbuchstaben, Nacht für Nacht aufgeschrieben im Buch der Not. Fragen, die wie grelle Blitze hervorschossen, von Vorwürfen gepeitscht. Ungeweinte Tränen und ein Meer aus Hilflosigkeit, in dem sie beide zu ertrinken drohten.
Und während sich das Wasser damit begnügte, den Himmel widerzuspiegeln in den Farben von Alabasterweiß, Pfirsichblüten und Preußischblau, während der Sand unter ihren Füßen wie die Zeit verrann, begann das Schweigen sich auszubreiten und eine gläserne Wand zwischen ihnen aufzuschichten, an welcher die ungesagten Worte wie Pfeile abprallten und die Herzen der verstummten Bogenschützen immer mehr verwundeten. Und so brach sie endlich die Stille mit der Feststellung: „Sind wir also wieder soweit“ und hoffte auf ein winziges Öffnen der zugeschlagenen Tür. Aber da sie es eher als Fazit und nicht als Frage gesprochen hatte, mit eben dieser ihr selbst so fremden, brüchigen Stimme, schaute er nur kurz auf und schwieg.
Oben auf der Düne angekommen war die gläserne Wand schon so dicht geworden, dass sich das abzustoßen begann, was sich einmal angezogen hatte. „Wohl nach den gleichen Gesetzen“, sinnierte sie, „es kommt eben immer darauf an, wie die Magnetenden zueinander gehalten werden“. Und so begannen sie, sich voneinander abzuwenden. Ging er nach rechts, zog es sie unwiderstehlich nach links und da wo sie verweilen wollte, drängte er weiter. Die große Sonnenuhr auf der Spitze der Düne mit ihren vielen rätselhaften Einteilungen und den alten Runenzeichen lenkte sie einen Augenblick ab. Er aber stieß sich an der Kälte der marmornen Quader und hatte auch zu der weiten hellen Sandlandschaft der höchsten Dünenkette Europas, nichts anderes zu sagen, als dass er diese öde und beklemmend fand. So ging es schon eine ganze Weile: Das, was ihr gefiel, verdunkelte er mit Abwehr und das, was ihn anzog, fand sie seltsam und fragwürdig.
Eng und beklemmend war ihm auch der ungewohnt kleine Schlafraum erschienen, in welchem sie im Nachbarort Quartier gefunden hatten. „Aber kann denn ein Raum überhaupt zu klein sein, wenn man sich liebhat“? hatte sie fragen wollen, doch dann lieber geschwiegen, weil schon so viele falsche Worte gefallen waren. Sie schrak auf, als dieses Mal er das Schweigen brach: „Dort hinten liegt Russland“, sagte er und deutete auf die unsichtbare, etwa zweieinhalb Kilometer entfernt verlaufende Grenze, und für einen Augenblick schauten sie wieder beide in die gleiche Richtung mit einer ähnlichen, ein wenig erregten Neugier.
Sie gehörten noch zu einer Generation, in der die Grenze zwischen Ost und West aus eisernen Vorhängen oder Mauern bestanden hatte. Hinter denen Furcht und die Kriegserfahrungen von Eltern und Großeltern lauerten.
Grenzen, die nicht zu überwinden waren und willkürlich oder gewaltsam hin- und her verschoben wurden oder deren Erhalt mit Blut verteidigt worden war, dem eigenen oder fremden. Inzwischen gehörten die baltischen Staaten zum europäischen Völkerbund, aber vor ihnen hatte sich ein Stückchen Russland erhalten, und erst vor ein paar Tagen hatte man ihnen erzählt, dass ein versehentlicher Grenzübertritt im unmarkierten Dünengebiet auch noch heute dazu führen konnte, tagelang drüben festgehalten und verhört zu werden. Nur auf der einen, regulären Fahrstraße, mit einem lange im Voraus beantragten und bezahlten Visum, durfte man auf die russische Seite der Nehrung überwechseln und in Richtung Kaliningrad weiterfahren.
So schauten beide nach Süden, wo sich Wälder und Dünen noch weitere 50 Kilometer ausstreckten, ebenso das Haff und auf der anderen Seite der Ostseestrand. Ein verschwindend kleiner Landstreifen zwischen Flussmündung und See und dazwischen, unsichtbar, die Natur durchschneidend, die Grenze. Eine andere Sprache, eine andere Schrift, ein anderer Name, ein anderes Regime.
Wie immer hielt sie das Fernglas zuerst verkehrt herum, und Russland verschwand in unendlicher Ferne als Punkt am Horizont. Als sie es umdrehte, waren selbst die Vögel auf der weit abliegenden Düne zum Greifen nahe. „Das ist seltsam mit den Ferngläsern“, versuchte sie wieder das Gespräch in Gang zu bringen, „das ist doch wie mit uns. Sehen wir uns aus der falschen Perspektive an, erkennen wir uns nicht mehr. Wir sind wie blind vor lauter Weitsicht. Also müssten wir das Glas nur umdrehen…“ Und er, mit abgewandtem Gesicht: „Ich verstehe eigentlich nicht, was du damit sagen willst“. Mit ihrer gewohnten raschen Art wollte sie nachfassen, erklären und das für sie so treffende Bild verdeutlichen. Aber ein Seitenblick auf ihn zeigte ihr die tiefen Linien einer prinzipiellen Müdigkeit allem gegenüber, was von ihr kam. Zu erschöpft inzwischen, um auf fremde Worte und Bilder einzugehen, sich auf sie einzulassen.
Am Morgen, als das Schweigen und die Last der letzten Tage sie noch nicht eingeholt hatte, hatten sich ihre Köpfe noch gemeinsam über die Karte gebeugt und ihre Finger wollten sich beim Nachfahren der Grenze fast berühren. Dann hatte sie aus dem Reiseführer vorgelesen, dass es diese Grenze an genau der gleichen Stelle als südliche Grenze des Memel-Landes schon im 16. Jahrhundert gegeben hatte, ja bereits von den Kreuzritterorden 200 Jahre zuvor die Nehrung ähnlich aufgeteilt worden war. „Also hat sich die Grenze hier bis in die Natur eingeschrieben“, hatte er dazu gemeint und sie fand diesen Satz feinsinnig und tief.
Davor aber, aus den üblichen nichtigen Anlässen heraus hatte er die Worte gesprochen, die sich mit tausend Widerhaken in ihr eingenistet hatten: „Eigentlich sind wir uns doch ganz fremd“, hatte er gesagt, „sind so gänzlich verschieden“. Sofort hatte sie in sich aus dem fremd ein zu fremd und aus dem zu fremd, ein unangenehm anders, also nicht akzeptabel gemacht und das trug sie nun drei Tage mit sich herum wie eine Wunde. Es war wie ein endloses Fallen in die Frage, wie es hatte geschehen können, dass aus der Nähe Ferne geworden war und aus dem Vertrauten Fremdes. Wo war es hin, das Eins und Alles ihrer Liebe, das ein Herz und eine Seele, ein Fleisch und Blut? Wie konnte daraus ein so umfassendes Nichtverstehen hervorgehen, ein willkürliches oder willentliches Missverstehen, eine andere Seelenschrift, eine andere Herzenssprache und ein Abstoßen des fremden, störenden Organismus, um den eigenen zu schützen? Wie war diese Grenze zwischen ihnen entstanden, wer hatte den Schlagbaum aufgerichtet und die Gewehre entsichert? Und wessen Blut sollte vergossen werden?
Keiner von ihnen ahnte auch nur, wo diese Grenze verlief, welcher Teil bewacht wurde und wo Strafe und Inhaftierung drohte. Jedes Wort, jeder Blick ein lästiges, schmerzhaftes Zuviel, ein Minenfeld an Irrwegen, Sperrgebiet da, wo Fremdes sich an Fremdem stieß und es abstoßen musste um das eigene Reich zu sichern.
„Immer wieder Babylon“ denkt sie, „auch hier in den Ferien, in Litauen, vielleicht sogar grade hier auf der Kurischen Nehrung, wo die Grenzen zwischen Land, Himmel und Wasser sich dauernd verwischen und deshalb die wechselnden historischen Grenzen so scharf gezogen werden mussten. Immer wieder die Sprachverwirrung, der zu hoch gebaute Turm überzogener Ideale. Babylon, das wir so tief in uns tragen, dass alles, was nicht wir sind, zum Fremden wird, und damit zum Feind. Und immer beginnt es in unseren Herzen“, überlegte sie weiter, „da hat es seinen Ursprung in den zwei Kammern, da tragen wir es in uns das Ur- Uneins mit uns selbst und so auch mit der Welt“.
Später, als sie in einem weiten Bogen durch die hellen Kiefernwälder über weiße Sandwege und vor Trockenheit knisternde Flechtenpolster zurückwanderten, die weißblauen Holzhäuser von Nida im Abendlicht aufleuchteten, schien so etwas wie Friede in der Luft. Aber sie wusste nicht, ob es die Müdigkeit der Seele oder die Erschöpfung des Körpers war, der so viele Stunden gelaufen war, während die Seele im Schatten kauerte wie ein verletztes, gefangenes Tier. Irgendwie fehlte es ihr an Kraft, um weiter zu hadern, aber auch, um zu hoffen. Heimatlos fühlt sie sich und ausgegrenzt und zum ersten Mal macht sich nun auch in ihr das Fremde breit. Zuerst ihm gegenüber, aber dann spürt sie, wie sie sich selber so fremd geworden ist in den letzten Tagen und das lässt sie frösteln.
An der ersten Kreuzung hält er an und beide schauen sie auf die Mautstraße, welche die ganze Nehrung der Länge nach durchläuft, im Grunde die einzige Verkehrsader, die Klaipèda und Kaliningrad verbindet. Links geht es zurück in den Ort Nida, zum Busbahnhof und schon lockt der Gedanke an ein Abendessen oder die Möglichkeit sich auf dem Bett auszustrecken und diesen Tag zu vergessen. Rechts geht es vorbei am einzigen Campingplatz und der einzigen Tankstelle der Landzunge zur nur noch zwei Kilometer entfernten Grenze.
Er bleibt stehen und wirft einen kurzen Blick auf sie. Erinnert sie beiläufig, aber nicht unfreundlich an die einmal spielerisch angedachte Möglichkeit, bis zum Schlagbaum zu gehen, um einfach hinüberzuschauen und das Fremde ganz nah zu spüren. Und so wenden sie sich nach rechts und die Füße werden schwerer und laufen doch weiter in die vorgegebene Richtung, weil Bewegung die einzige Möglichkeit scheint, das Starre zwischen ihnen zu ertragen. Es dauert, bis die Grenze auftaucht, der Verkehr sich staut und sich die Straßen mit litauischen und russischen Zöllnern füllen. Aber er hält nicht an, ge...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Urheberrechte
  3. Widmung
  4. Titelblatt
  5. Kapitel I
  6. Kapitel II
  7. Kapitel III
  8. Kapitel IV
  9. Kapitel V
  10. Meine Gedichte. Wer sie findet, kann sie lesen
  11. Ein unbeschriebenes Blatt
  12. Wege
  13. Schritte
  14. Paolo folgt seinem Stern
  15. Die Frage
  16. Sterntaler
  17. Der Rebell
  18. Nichts in der Hand
  19. Die eingefrorene Großstadt
  20. Mein Engel weint
  21. Abschied in Litauen
  22. Große Erwartungen
  23. Der Lastenträger
  24. Griechische Miniaturen
  25. Das Lied
  26. Hirten und Herden
  27. Ägyptische Trilogie
  28. Die Stille spricht
  29. Das Nichts spricht
  30. Kapitel VI
  31. Kapitel VII
  32. Der Jein-Sager
  33. Konrad an Karen:
  34. Inhalt