Deutung
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Deutung

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Über dieses Buch

Als eine spezifische Form der Intervention im Behandlungsprozess ist die Deutung in das Setting und den Rahmen psychoanalytischer Behandlungen eingebettet. Sie beruht auf der Regressionsförderung, richtet sich auf (dynamisch) Unbewusstes und soll zu einem Durcharbeiten anstoßen, in dessen Verlauf psychische Veränderung möglich wird. Im vorliegenden Band, dem achten in der Reihe "Grundelemente psychodynamischen Denkens", wird u.a. auf die Bedeutungs- und die Veränderungstheorie der Psychoanalyse geblickt, um zu prüfen, wie der besondere "Austausch von Worten" (Freud) im Rahmen der analytischen Beziehung Wirkungen nach sich zieht. Thematisiert werden verschiedene Formen der Deutung in kritischer Betrachtung sowie die Frage nach dem Umgang mit Diversität in der Psychoanalyse und ihrer Deutungspraxis.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783170412125
Auflage
1

1 Einleitung

Über die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse ist immer wieder und meist heftig gestritten worden bzw. ist sie ihr gar gänzlich abgesprochen worden. Von dieser Debatte sind verschiedene Bereiche berührt, nicht zuletzt die Frage der Wirksamkeitsnachweise oder die Struktur der psychoanalytischen Theorie. Ich möchte einleitend einen Aspekt herausgreifen, den ich für grundlegend halte und auf dem die meisten anderen Fragen nach Wissenschaftlichkeit und Wirksamkeit aufbauen, nämlich die Frage danach, was ein psychoanalytisches Konzept auszeichnet.
Wissenschaftliche Konzepte lassen sich in allgemeiner Hinsicht derart beschreiben, dass in ihnen abstrakt auf den Begriff gebracht wird, wie sich Phänomene der Erfahrung (einschließlich der »inneren« Erfahrung, also etwa das Gefühlserleben) verstehen und begreifen lassen. Das trifft beispielsweise für physikalische Konzepte (Variablen, Konstanten und deren Verknüpfung in gesetzesförmigen Aussagen) zu: Das Konzept »Schwerkraft« hilft dabei, sich einen Reim darauf zu machen, weshalb die Dinge in der Regel zu Boden fallen. Dabei, und das ist konzeptuell entscheidend, lässt sich »die« Schwerkraft nicht beobachten, sondern es lassen sich bestimmte Vorkommnisse beobachten und beschreiben, die auf das Wirken von etwas, das wir als Schwerkraft konzeptualisieren, zurückgeführt werden. Das erlaubt kausale Erklärungen, Vorhersagen und eine experimentelle Untersuchung in Form von »manipulierter« Erfahrung. In Teilen lässt sich dies auch für Konzepte in der Psychoanalyse sagen. Auch hier sollen Phänomene der Erfahrung (oder »Empirie« im eigentlichen, weit gefassten Wortsinn) begreiflich gemacht werden, indem Konzepte entwickelt werden. Auch hier sind Konzepte Abstrakta, auch »das Über-Ich« oder »die Verdrängung« lassen sich nicht beobachten, denn sie sollen ein Modell dafür bereitstellen, Phänomene auf den Begriff zu bringen, etwa besonders starke innere Vorwürfe oder rigide Forderungen, mit denen jemand sich selbst bedenkt, oder das Nicht-Erinnern-Können gerade von emotional bedeutsamen Erlebnisinhalten.
Wissenschaftliche Konzepte werden entlang eines methodisch geleiteten Zugangs zur Welt der Phänomene gebildet, ob nun im Experiment oder in der Feldforschung. Konzepte werden methodisch gewonnen, sie sind methodenabhängig und diese Methoden wiederum beruhen auf Vorannahmen oder bestehendem Wissen. Ferner sind Konzepte Teil konzeptueller Zusammenhänge, aus denen ich einzelne nicht schlicht herauslösen und in einen anderen Kontext setzen kann, ohne sie diesem – metatheoretisch – vermittelt zu haben. Schließlich sollten Konzepte »sparsam« genug formuliert sein, sie sollen unter Zuhilfenahme möglichst weniger und möglichst einfach formulierter weiterer konzeptueller Annahmen gebildet werden und die Erfahrung begreiflich machen.
Das Spezifische der psychoanalytischen Konzepte liegt – neben dem Hinweis darauf, dass sie einer philosophischen Theorie näherstehen als einer psychologischen – darin, dass ihr Schritt in die Verallgemeinerung (den jedes Konzept geht) nicht in die Vorhersagbarkeit führt (wie im physikalischen Experiment, das ja letztlich Aussagen darüber möglich machen soll, was gesetzesmäßig in allen ausreichend ähnlichen Fällen auch zukünftig geschehen wird), sondern in der Konzeptbildung selbst liegt. Die Konzepte dienen nicht der Prognose, sondern sie sollen Erfahrung zugänglich machen. Anknüpfend an Zepf (2006b, S. 263) kann man sagen, dass psychoanalytische Konzepte nicht etwas darüber sagen sollen, wie Subjekte allgemein sind (wie etwa die Hirnforschung oft Aussagen über das »durchschnittliche Gehirn« machen möchte), sondern allgemein etwas darüber, wie Subjekte im Besonderen sind. Sie sollen den verstehenden und begreifenden Zugang zum Einzelfall (einschließlich des Einzelfalls einer analytischen Beziehung oder eines Prozesses) eröffnen.
Psychoanalytische Konzepte nehmen ihren Ausgang von der »Empirie« der klinischen Phänomene, das lässt sich bei Freud im Hinblick auf die unbewusste Fantasie oder die Übertragung zeigen, aber auch im Zuge der Weiterentwicklung psychoanalytischer Konzepte. Die enge Anbindung an den klinischen Einzelfall ist nicht nur ein Merkmal der historischen Konzeptbildung (derart, dass man zu Beginn der Psychoanalyse eben noch nicht so viel Konzeptuelles zur Verfügung hatte), sondern durchzieht psychoanalytisches Denken bis heute (der Einzelfall dient der Erweiterung oder Modifikation der Konzepte). Damit soll keineswegs gesagt sein, dass die Psychoanalyse einer quantitativen, messenden, naturwissenschaftlichen Zugangsweise verschlossen bleiben muss. Aber eine solche würde immer schon ein interdisziplinäres Unterfangen bedeuten. Auch psychoanalytische Konzepte können und sollten operationalisiert werden, es bedeutet aber deren Erweiterung in methodischer Hinsicht, bei der es in Kauf genommen werden muss, dass eine Zuspitzung ihres Gegenstands erfolgt.
Vor dem Hintergrund eines solchen Konzeptverständnisses ist es im Rahmen der vorliegenden Buchreihe zunächst um das Triebkonzept gegangen (Storck, 2018a). Dabei habe ich eine Lesart des Konzepts vorgeschlagen, die es entlang von Bemerkungen Freuds dazu, dass es sich beim Trieb um einen Grenzbegriff zwischen Soma und Psyche handele (Freud, 1915c, S. 214), erlaubt, von »Trieb« als der konzeptuellen Beschreibung einer Vermittlungsfunktion zu sprechen, die physiologische Erregung in psychisches Erleben vermittelt. In dieser Hinsicht ist es ein psychosomatisches, leibliches Konzept, ebenfalls mit Freud gesprochen bezieht es sich darauf, dass körperliche Vorgänge dem Erleben ein »Maß an Arbeitsaufforderung« (Freud, 1915c, S. 214) auferlegen – anders gesagt: »Trieb« beschreibt konzeptuell, weshalb wir konkret in die psychische Repräsentation hineingetrieben werden. So kann man von der psychoanalytischen Triebtheorie als einer Theorie der allgemeinen Motivation des Psychischen sprechen, in ihr ist gefasst, wie Psychisches als solches motiviert ist. Neben diesem »psychosomatischen« Kernaspekt ist das Triebkonzept auch ein sozialisatorisches, insofern diejenigen Empfindungen, die, konzeptuell gesprochen, das Triebgeschehen in Gang setzen, sich zwischen Selbst und anderem, auf einer »zwischenleiblichen« (Merleau-Ponty, 1964) Ebene zeigen. »Triebhafte« Erregung wird angesichts des anderen in der körperbezogenen Interaktion hervorgerufen.
Während sich die Triebtheorie also als eine Theorie der allgemeinen Motivation des Psychischen begreifen lässt, findet sich die psychoanalytische Theorie der speziellen Motivation in der Konzeption des (unbewussten) Konflikts (Storck, 2018b). Dazu ist als Hintergrund das psychoanalytische, erweiterte Verständnis von Sexualität heranzuziehen, in welchem damit das Erleben von Lust (und Unlust) im Kontext körperlicher Berührungen/Empfindungen verstanden wird. In dieser Betrachtung spricht die Psychoanalyse von einer »infantilen« Psychosexualität und dann wird plausibel, in welcher Weise von Lust und Unlust als wichtigen Elementen der psychischen Entwicklung gesprochen wird. So lassen sich im Hinblick auf die psychoanalytische Theorie der psychosexuellen Entwicklung eine »körpernahe« und eine »thematische« Lesart des Oralen, Analen oder Phallisch-Ödipalen formulieren. Die Phasen gründen in den, natürlich auch körperlich mitbestimmten, Entwicklungsaufgaben und altersspezifischen Interaktionen (Nahrungsaufnahme, Sauberkeitserziehung, Auseinandersetzung mit Geschlecht und Geschlechtsunterschieden), im weiteren Verlauf treten stärker »Themen« in den Mittelpunkt, so die Versorgung (Oralität), Kontrolle (Analität) oder das Wirkvermögen (Phallizität). Auch in heutiger Betrachtung kann von ödipalen Konflikten als einem leitenden Strukturierungsprinzip des Psychischen ausgegangen werden, wenn man darunter die Auseinandersetzung mit Generationen- und Geschlechtsunterschieden sowie mit der unausweichlichen Möglichkeit versteht, aus Beziehungen passager und relativ ausgeschlossen sein zu können. Anders gesagt: Ödipale Konflikte drehen sich darum, dass diejenigen, zu denen man in Beziehung steht, prinzipiell auch zueinander in Beziehung stehen, d. h. eine eigenständige Beziehung zueinander haben. So findet man in der Welt ein Geflecht von Beziehungen statt nur diejenigen, die vom Selbst als einzigem Planeten im Universum »wegstrahlen«. Das bringt eine spezifische Dynamik aus Begrenzung und Öffnung mit sich: Das Anerkennen der Möglichkeit von Begrenzung (psychoanalytisch oft beschrieben als Anerkennung der symbolischen Kastration, also dem »Beschnittensein« in der eigenen »Potenz«) ermöglicht es, in der Welt Beziehungen zu finden bzw. sich zu Beziehungen in Beziehung zu setzen. Psychoanalytisch tritt hier das Konzept der Triangulierung auf den Plan, ebenso wie Konzeptionen der Symbolisierung, verbunden mit psychischen Vermögen der Differenzierung, Integration und Regulierung.
Das Konfliktverständnis in der Psychoanalyse betrifft die Auseinandersetzung mit widerstreitenden Motiven bzw. zwischen Wunsch und Abwehr. Konflikte (sexueller, narzisstischer, aggressiver Färbungen) selbst sind dabei kein Anzeichen von Pathologie, das ist erst dann der Fall, wenn die Bewältigungsformen dysfunktional sind, d. h. das Erleben und/oder Handeln einschränken. Beispiele für die grundlegende menschliche Konflikthaftigkeit wären das Ineinander von Beruhigung und Stimulierung in der frühen Versorgung (zum Beispiel im Stillvorgang) oder die zu erarbeitende Ambivalenztoleranz für Liebe und Hass bzw. Verbindendes und Trennendes in derselben Beziehung.
Entscheidend für die Konzeption des Konflikts in der Psychoanalyse ist dessen Unbewusstheit. Das psychoanalytische Konzept des Unbewussten (Storck, 2019a) gehört zu den zentralen Aspekten dessen, was Freud seine Metapsychologie nennt, gleichsam eine »Psychologie mit Unbewusstem« (also eine Konzeption, in der etwas psychisch, nicht naturhaft unbewusst sein kann). Das spezifisch psychoanalytische Unbewusste ist nicht bloß in einem deskriptiven Sinn nicht bewusst, sondern in einem dynamischen, das heißt, es gibt konfliktbedingte Gründe dafür, dass etwas funktional vom Bewusstsein ferngehalten wird, nämlich damit verbundene unlustvolle Empfindungen (Angst, Scham, Schuldgefühle). Da es sich dabei allerdings um etwas handelt, das zugleich auch mit lustvollen Empfindungen verbunden ist, gibt es ein Zusammenwirken von »drängenden« und verdrängenden Kräften. Das Unbewusste ist dabei nicht in einem örtlichen oder anderweitig reifizierenden Sinn zu verstehen, es befindet sich nicht irgendwo anders, sondern weist den Charakter einer Veränderung des Bewussten auf, eine Auslassung, Überdeterminierung, Unterbrechung oder Hemmung. Unbewusstes zeigt sich »am« Bewussten; dabei wurde der Vorschlag gemacht, vom (dynamisch) Unbewussten als etwas auszugehen, das sich im Verhältnis der Vorstellungen und Affekte zueinander zeigt. Konflikte werden von Freud in seiner sogenannten ersten Topik als solche zwischen psychischen Systemen (Bewusst, Vorbewusst, Unbewusst) beschrieben und in der zweiten Topik als solche zwischen psychischen Instanzen (Ich, Es, Über-Ich). Zu beachten ist, dass auch in der Psychoanalyse verschiedene Auffassungen des Unbewussten bestehen bzw. sich der Begriff des Unbewussten auf verschiedene Formen (zum Beispiel auf implizite Aspekte der Beziehungsgestaltung und des Beziehungserlebens) bezieht.
Im Anschluss daran ist es um die psychoanalytische Auffassung zu Objektrepräsentanzen gegangen (Storck, 2019b). Das Konzept des Objekts als Bezeichnung der psychischen Repräsentation des Anderen erwächst terminologisch aus der Triebtheorie, in der das Trieb-Objekt als der Gegenstand psychischer Besetzung verstanden wird. »Objekt« ist also mitnichten etwas Objektives oder Objekthaftes im physikalischen Sinn, sondern Vorstellungsobjekt, erwachsen aus Beziehungserfahrungen. Als grundlegendes Modell kann genommen werden, dass sich Interaktionen mit anderen psychisch in Beziehungsvorstellungen (Selbst und Objekt, verbunden über einen Affekt) niedergeschlagen und dass diese Beziehungsvorstellungen weitere Interaktionen und deren Erleben färben. Aus Beziehungsvorstellungen werden sukzessive Vorstellungen vom Selbst sowie dem personalen Anderen herausgelöst, also Selbst- bzw. Objektrepräsentanzen. Damit ist psychoanalytisch die Fähigkeit zur Symbolisierung berührt, also basal die Möglichkeit, die Welt der Wahrnehmungen durch die Welt der Vorstellungen anreichern zu können, das heißt vor allem: sich Abwesendes vorstellen zu können. Erst dann gibt es eine Objektrepräsentanz im eigentlichen Sinn beziehungsweise wird es möglich, sich das eigene Erleben reflexiv vor Augen zu führen und nicht zuletzt Erinnerung, Erwartung, Fantasie etc. Dabei spielen auch Fragen nach der »Ganzheit« bzw. Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen eine Rolle. In vielen psychoanalytischen Ansätzen gibt es Konzeptionen fragmentierter Objektvorstellungen, das heißt einer Teilung beziehungsweise Spaltung zwischen den als »gut« und den als »schlecht« empfundenen Anteilen, die zum Beispiel als Schutz des Guten vor dem Schlechten getrennt gehalten werden. Daraus erwächst die Entwicklungsaufgabe einer Integration, die differenzierte Bilder vom Selbst und vom Anderen möglich macht. Hier taucht die Idee repräsentationaler statt allein motivationaler Konflikte auf: Teil-Selbst- oder Teil-Objektvorstellungen können mit anderen in Konflikt stehen.
Beziehungsvorstellungen können als »Bausteine« des Psychischen gelten. Aus dem Gedanken, dass das Resultat der Internalisierungen von Interaktion (samt der Anreicherung durch Fantasien) in Form von Beziehungsvorstellungen das weitere Erleben von anderen Interaktionen färbt und leitet, erwächst das psychoanalytische Konzept der Übertragung (Storck, 2020). Im Freud’schen Denken lassen sich zwei konzeptuelle Fassungen der Übertragung unterscheiden: zum einen eine erste, etwas frühere, in der damit gemeint ist, dass die »Besetzungsintensität« einer Vorstellung auf eine andere übertragen wird. Dadurch wird etwas in entstellter Form bewusst, die Übertragung schafft so Bewusstsein, wenn auch um den Preis einer Entstellung. Zum anderen wird wenig später »Übertragung« konkreter beziehungshaft verstanden, also als Ersetzen einer Objektvorstellung durch eine andere, an die sich Affekte und Fantasien heften. Besonders in dieser zweiten Form wird die Übertragung in behandlungstechnischer Hinsicht gebraucht, nämlich derart, dass sich angesichts dessen, wie die Analytikerin1 erlebt wird, Aspekte der internalisierten Objektbeziehungen, besonders aus der Kindheit, zeigen. Aber auch in der ersten, früheren Form ist das Konzept der Übertragung relevant, denn sie erlaubt ein Nachdenken darüber, wie das Bereitstellen der analytischen Beziehung eine Form des Erlebbaren schafft. Das Angebot einer Übertragung bietet zuvor unbewussten Erlebnisaspekten eine Art Bühne oder Kostümierung.
Die Vertiefung von Übertragungsprozessen ist ein Ziel analytischer Behandlungen und dadurch begründen sich auch bestimmte Elemente des Behandlungssettings, das dann nämlich der Regressionsförderung dienen soll, also der »Rückkehr« zu stärker affektgeleiteten, »unvernünftigen« Erlebnisweisen. Es ist davon die Rede, das Herstellen einer »Übertragungsneurose« zu fördern, das meint eine Zentrierung der (neurotischen) Symptome auf die analytische Beziehung, damit sie dort sichtbar, verstehbar und veränderbar werden. Das ist nicht nur für neurotische Symptome der Fall, sondern auch Symptome anderer psychischer Störungen zeigen sich im Erleben und Gestalten von Beziehung und können zum Gegenstand analytischen Arbeitens genommen werden. Veränderung, so die Annahme, beruht in unterschiedlichen (Teil-)Modellen darauf, dass im Rahmen einer emotional bedeutsamen und »korrigierenden« Beziehungserfahrung Einsicht in (unbewusste) Bedeutungen genommen bzw. eine Form für das eigene Erleben gefunden wird. Dabei stellt sich die Frage, wie auf »valide« Weise interveniert wird, so dass dies möglich wird. Die Psychoanalyse folgt methodisch dem szenischen Verstehen, also dem Verstehen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Das Konzept der Deutung in der Freud’schen Psychoanalyse
  8. 3 Psychoanalytische Bedeutungstheorien
  9. 4 Diverse Deutungen
  10. 5 Psychoanalytische Veränderungstheorien im Wandel
  11. 6 Deutung interdisziplinär
  12. 7 Zusammenfassung in neun Thesen und Schluss
  13. Literatur
  14. Stichwortverzeichnis
  15. Der Autor