Homeoffice
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Homeoffice

Ein pandemisches Experiment

  1. 80 Seiten
  2. German
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Ein pandemisches Experiment

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Über dieses Buch

Noch zu Beginn der 2020er-Jahre haftete dem Begriff »Homeoffice« etwas Bemitleidenswertes, wenn nicht gar Halbseidenes an. Wie grundverschieden dazu ist die Arbeitswirklichkeit heute! Unsere kapitalistisch verfasste Wirtschaftsordnung hat sich wieder einmal als überaus anpassungsfähig erwiesen. Die Geschäfte, die gemeinhin vom Büro aus betrieben wurden, kamen nicht zum Stillstand, sondern liefen nach einer kurzen Irritation erstaunlich reibungslos weiter.Warum waren Angestellte und Arbeitgeber: innen auf das Homeoffice so gut vorbereitet? Hatte es sich vielleicht schon an anderer Stelle angekündigt? Waren die Bande, die uns an unsere Büros fesselten, womöglich bereits zerfaserter, als es den Anschein hatte? Und was macht dieser Transformationsprozess mit uns? Wer werden wir am Ende sein?Matthias Ehlert gibt in seinem klugen und lebensnahen Essay Antworten auf diese Fragen. Und er stellt fest: Wir müssen das Abschalten neu lernen.

Häufig gestellte Fragen

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Wir werden agil

Im März 2020 war es dann so weit. Innerhalb von zwei Wochen etablierte sich das Homeoffice nicht nur in meinem Verlag als allgemein verbindliche Arbeitsform. Auch wenn seine Einführung von Hektik und Anflügen von Panik begleitet war (»Wir dürfen keine Zeit verlieren, vielleicht gibt es ab Montag schon Ausgangssperren«), funktionierte die Umstellung relativ problemlos. Für jeden Redakteur wurde ein Laptop angeschafft, mit dem er mittels einer VPN-Verbindung Zugriff auf den Unternehmensserver mit dem Redaktionssystem sowie allen dort abgelegten Dokumenten hatte. Die IT half beim Aufbau der Verbindung und dem Einrichten der Programme. Sie demonstrierte dabei eine geisterhafte Zugriffsmacht aus der Ferne (»Ich übernehme dann mal ihre Maus«), die einen schon etwas beängstigen konnte. Allen war klar: Obwohl im Lande, nach den Worten der Bundeskanzlerin, die schwerste Katastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgebrochen war, musste der Erscheinungstermin der nächsten Ausgabe des Kunstmagazins um jeden Preis gehalten werden. Solche Stabilität waren wir unseren Lesern in einer schwankend gewordenen Welt einfach schuldig.
Die Arbeit von zu Hause aus unterschied sich nicht groß von der Arbeit im alten Büro. Die Redakteure bestellten Texte per Mail, redigierten die eingetroffenen Texte und richteten sie in den Templates des Redaktionssystems mit Überschrift, Vorspann und Bildunterschriften ein. Dann leiteten sie diese inzwischen zu Artikeln verwandelten Texte an die nächste Stufe des Workflows weiter, an die Chefredaktion oder das Korrektorat. Alles wie gehabt.
Etwas andersartig gestaltete sich die Etablierung neuer Formen der Kommunikation. Die vertraute Tatsache, dass die anderen Angestellten nur wenige Meter entfernt auf demselben Flur vor sich hin werkelten, hatte sich von einem Tag auf den anderen in Luft aufgelöst. Man konnte nun nicht mehr schnell »zur Grafik« rennen, um sich den Kasten für eine Headline aufziehen zu lassen. Oder der Bildredaktion ein Foto aus einem Katalog unter die Nase halten, das sie unbedingt, und zwar ganz schnell, für einen Artikel besorgen müsse. Die persönliche Begegnung war unmöglich geworden.
Interessant war, dass so gut wie niemand das Bedürfnis verspürte, diese Begegnung adäquat zu ersetzen. Man hätte ja leicht per Facetime den Kollegen anrufen können, so wie man es in Zeiten der Kontaktbeschränkungen mit seinen engsten Familienangehörigen getan hatte. Aber das erschien einem irgendwie unschicklich, wie ein Übergriff in die Privatsphäre. Auch der klassische Sprachanruf wurde nur äußerst selten angewandt. Dann mussten Dinge wirklich dringlich sein oder eine besondere emotionale Dimension haben. Ohne dass man es miteinander abgesprochen hätte, einigte sich das Team instinktiv auf die unpersönlichste Form des Austauschs, die E-Mail, die dann kurz darauf um das Kommunikations-Tool »Slack« erweitert wurde.
Dieses Verhalten war keineswegs als Abwendung von den Kollegen zu verstehen. Es entsprang eher einer neuen Sensibilität, war ein Akt der Rücksichtnahme. Und übernahm damit Gewohnheiten aus der Freizeit, wo man es sich schon lange abgewöhnt hatte, einfach so spontan bei jemandem aufzukreuzen oder ihn ohne SMS-Vorwarnung anzurufen (»Wollen wir heute um 16 Uhr mal telefonieren?«).
Seltsam, dass die Arbeitswelt da bisher hinterhergehinkt war. Aber wenn man es recht bedachte, so waren die persönlichen Begegnungen im alten Büro oft eine ausgesprochen einseitige Angelegenheit gewesen. Der Chef war zu allen Angestellten gerannt, wenn er eine Frage oder ein Problem hatte. Er liebte diese Form des direkten Austauschs, empfand sie als angenehm unkompliziert. Und auch als ausgesprochen effektiv, bekam er doch jedes Mal schnell eine Antwort oder Lösung präsentiert. Die Frage, ob er den jeweiligen Mitarbeiter gerade aus seiner Arbeit herausriss, vielleicht sogar massiv störte, kam ihm nicht in den Sinn. Wenn es sich um einen höflichen Chef handelte, läutete er die Unterbrechung gern mit den Worten ein, »Ich hoffe, es passt gerade …« oder »Ich weiß, ihr habt viel zu tun …«, was unter dem Gesichtspunkt der Ablenkung aber im Endeffekt auf das Gleiche hinauslief.
Umgekehrt sah die Sache hingegen komplett anders aus: Jeder Angestellte hätte zunächst mit allen Mitteln selber versucht, sein Problem zu lösen. Wäre ihm das nicht gelungen, hätte er eine vorsichtig formulierte E-Mail geschickt. Er wäre aber mit Sicherheit nicht ins Büro des Chefs gestürmt.
Auf diese Weise entlarvte sich unter Homeoffice-Bedingungen eine bestimmte Kommunikationsform des alten Büros schnell als reine Machtdemonstration. Als Fossil des überwunden geglaubten Kadavergehorsams. Weil ich in der Hierarchie über dir stehe, kann ich dich jederzeit stören. Meine Angelegenheiten sind immer wichtiger als deine. Das betraf nicht nur das Verhältnis Chef/Mitarbeiter, es spiegelte auch die Statusunterschiede zwischen den einzelnen Angestellten wider. Der Senior Editor musste auf den Jungredakteur genauso wenig Rücksicht nehmen wie auf die Bildredakteurin oder Layouterin. Was der eine als gelungene Kollaboration verbuchte, ging auf die Kosten der Konzentration des anderen.
Im Homeoffice dagegen ging es von Anfang an wesentlich rücksichtsvoller zu. Mit dem Wegfall des physischen Bedrängens, des Sich-mit-Macht-in-den-Türrahmen-Stellens, blieb als höchste Form des Drängelns nur noch der Hinweis »DRINGEND« in der Betreffzeile der E-Mail oder eine Armada von Anrufen kurz hintereinander. Beides konnte der Mitarbeiter zeitnah zur Kenntnis nehmen, musste es aber nicht. Vielleicht war er ja selber gerade in einem wichtigen Gespräch (eher unwahrscheinlich). Oder er hatte sich abgeschottet und checkte seine Mails und Anrufe nur noch im Drei-Stunden-Takt, um effizient seinen eigentlichen Aufgaben nachzugehen. Beides konnte man ihm nicht zum Vorwurf machen. Die Kommunikation war herrschaftsfreier geworden.
Auch ein anderes Macht- und Kontrollritual stürzte sehr bald in sich zusammen. In den ersten Wochen des Homeoffice hatte sich das Team jeden Morgen um 10 Uhr vor dem Bildschirm zum virtuellen Meeting einzufinden. Der Termin war vom Chef für alle in den digitalen Kalender eingetragen worden, sodass sich ihm niemand entziehen konnte. 15 Minuten vor Beginn des Meetings ließ der Kalender von Microsoft Teams, der die reale Redaktionsassistentin schon lange ersetzt hatte, eine kleine Fanfare zur Erinnerung ertönen. Wer jetzt noch im Pyjama seinen Kaffee schlürfte, musste sich mit Anziehen beeilen.
Dann begann das Meeting, bei dem sich schnell herausstellte, dass es überhaupt nichts zu besprechen gab. Wir waren schließlich ein Monatsmagazin mit eingespielten Abläufen, für das eine Themen- und Produktionskonferenz alle zwei Wochen vollkommen ausreichte. Und keine Intensivstation im Krankenhaus mit täglichen Neuaufnahmen und Abgängen. Den fatalen Umstand der offenkundigen Inhaltslosigkeit versuchte der Chef mit menschelnder Kommunikation zu überspielen. Vordergründig wurde sich nun breit nach dem persönlichen Wohlbefinden der Mitarbeiter erkundigt (»Hat noch jemand was auf dem Herzen?«, »Drückt irgendwo der Schuh?«). Doch alle bemerkten das Aufgesetzte, Unwahre daran. Wir waren ja hier nicht auf der Couch beim Therapeuten, sondern bei der Arbeit, wo es um die Lösung von Sachproblemen ging. Und wenn Empathie, dann bitte in konkreten Situationen.
Dafür stellte sich bald Mitleid mit den Vorgesetzten ein. Sie, die vermeintlich Sicherheit und Orientierung ausstrahlen sollten, waren selbst am unsichersten angesichts der neuen Verhältnisse. Und redeten sich um Kopf und Kragen vor einer schweigenden Bildschirmwand. Hatten sie Angst, sonst eines Tages überflüssig zu werden? Im Kern war das tägliche Meeting am Morgen nichts anderes als ein Zählappell. Eine Vergewisserung, dass sich alle Mitarbeiter zu Hause zum Arbeiten eingefunden hatten.
So überlagerten sich in den Anfangswochen des Homeoffice noch die Verhaltensmuster des alten Büros und die sich gerade neu konstituierende Wirklichkeit. Die Angestellten wurden wie kleine Kinder behandelt, die sich das erste Mal allein auf den Weg zur Schule begeben. Statt einer Überwachung mit GPS-Daten (oder heimlichem Hinterherfahren mit dem Auto) war es bei uns Erwachsenen die dichte Taktung von Meetings, mit der Kontrolle ausgeübt und das Loslassen eingeübt wurde. Doch von Tag zu Tag wuchs das Vertrauen in die Selbstorganisation der Mitarbeiter, immer öfter wurden nun Meetings kurzfristig abgesagt oder gleich ganz aus dem Kalender gestrichen.
Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Einführung von Slack. Den webbasierten Instant-Messaging-Dienst der gleichnamigen amerikanischen Technologiefirma hatte uns die IT-Abteilung nachdrücklich empfohlen, um den internen Austausch des Teams zu unterstützen. Der Nutzen war so simpel wie offenkundig. Endlich kein E-Mail-Terror mehr! Auf einmal kommunizierten wir genauso modern wie diese Start-ups von der amerikanischen Westküste und hatten damit wohl endgültig das Industriezeitalter hinter uns gelassen. Was für ein Fortschritt!
Bei Slack trifft man sich in Channels, zu denen man einmal eingeladen wird, und tauscht sich dort aus. Auf wenige Personen beschränkte Mikroabsprachen sind genauso möglich wie virtuelle Stand-up-Meetings. In der Art der Nutzung erinnerte dieses Tool frappierend an einen Service, den die meisten von uns Angestellten bereits aus ihrer Freizeit kannten: den Messenger-Dienst WhatsApp des Facebook-Konzerns. Auch dort trifft man sich in Gruppen-Chats zu bestimmten Themen und ist so stets auf dem Laufenden.
Damit sickerte ein weiteres, in der Freizeit antrainiertes Verhalten in den Arbeitsalltag ein. Bei Slack verzichtet man auf respektvolle Anreden und obligatorische Grußformeln am Ende, die in der E-Mail noch gang und gäbe waren. Hier geht es immer gleich zur Sache, aber in einer locker verpackten Weise. Siezen ist verboten, Emojis sind erlaubt. Natürlich nicht offiziell, aber man passt sich eben an, wenn man im breiten Strom des Arbeitsgeplappers mitschwimmen möchte.
Eine ganz ähnliche Anpassungsleistung hatten die Angestellten erst wenige Jahre zuvor erfolgreich gemeistert, als im alten Büro plötzlich die Kleiderordnung vollends gekippt war. Das Abstreifen der äußeren Konventionen war quasi verpflichtend geworden, auf einmal trugen alle sich jung fühlenden Männer und Frauen Sneakers und Jeans, die Männer zusätzlich Dreitagebärte. Je mehr sich der optische Eindruck an der Freizeitbekleidung orientierte, desto offener und kreativer kam der Angestellte herüber. Er bekundete damit eine intrinsische Motivation, die sich nicht mehr auf äußeren Statussymbolen ausruhen wollte. Wobei auch dieser neue Ausdruck von Lässigkeit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Widmung
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Prolog
  7. Kafkas Feierabend
  8. Büro ist Krieg
  9. Entgrenzung im Großraumbüro
  10. Die Mobilmachung
  11. Wir werden agil
  12. Abschied vom Boss
  13. Die »Zoomutung« und andere Schattenseiten
  14. Ist das noch Arbeit oder schon Freizeit?
  15. Epilog