Carolin Müller-Spitzer
Der Kampf ums Gendern
Kontextualisierung der Debatte um eine geschlechtergerechte Sprache
Wir alle sind derzeit Zeug*innen einer besonderen Form von Sprachwandel, nämlich der Diskussion rund um Sprache und Geschlecht. Verfolgt man die Debatte um geschlechtergerechte Sprache, ist ein wiederkehrendes Argument, dass sich Sprache »natürlich« entwickele, und solch ein »schwerer Eingriff« – wie es geschlechtergerechte Sprache sei – in das organische System der Sprache unangemessen und vielleicht sogar »gefährlich« sei. Es klingt so, als seien solche »Eingriffe« noch nie da gewesen. Allerdings sind politisch motivierte, bewusst herbeigeführte Sprachwandelprozesse weder ungewöhnlich noch neu. Doch wie verliefen sie in der Vergangenheit und was kann man daraus für die Debatte um geschlechtergerechte Sprache lernen? Um diesen Fragen nachzugehen, werde ich zunächst exemplarisch einen kurzen Blick auf zwei sprachpolitisch motivierte Sprachdiskussionen der Vergangenheit werfen, und zwar den Kampf gegen Fremdwörter, vor allem im Kontext der Rechtssprache, und die Selbstbezeichnung schwuler und lesbischer Menschen.
Der Kampf gegen »Fremdwörter«
Nach Gründung des Deutschen Reiches war auch die Sprache ein sehr wichtiger Schauplatz zur Bildung nationaler Identität geworden. Sprachreformer schlossen sich 1885 im »Allgemeinen Deutschen Sprachverein« zusammen, um das »sprachliche Gewissen im Volke zu schärfen« und »mit dem Aufschwung der Nation auch das Sprachgewissen wieder lebendiger« werden zu lassen. Wichtigstes Projekt war die Etablierung von »Ersatzwörtern«, um »Fremdwörter« zu vermeiden. Die Mitglieder des Vereins, eher Nationalbegeisterte aus dem akademischen Bildungsbürgertum als Fachwissenschaftler*innen, gewannen recht schnell an Einfluss. Führende Köpfe aus Wissenschaft und Kunst sprachen zwar von »sittenwidriger Schnellprägung von Ersatzwörtern«, doch insbesondere in der Sprache des Rechts fand der Verein ein Betätigungsfeld. Das wichtigste Rechtsprojekt war das neue Bürgerliche Gesetzbuch. Die Mitglieder des Sprachvereins forderten die Eindeutschung aller rechtlichen Begriffe und waren damit so erfolgreich, dass es sie »mit Genugthuung erfüllte«, wie sehr in der finalen Fassung des BGB ihren Bemühungen entgegengekommen wurde. Statt Civilgesetzbuch hieß es nun Bürgerliches Gesetzbuch, statt Domizil Wohnsitz, statt Interessent Beteiligter, statt Publikation Bekanntmachung, statt Dividende Gewinnanteil oder statt Protest Einspruch. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Damit war die Eindeutschung des Privatrechts gelungen und Schwung für weitere Bemühungen vorhanden. So wurden auch die Mitarbeiter*innen des Reichsjustizministeriums der Weimarer Zeit noch als »Wort-Graveure« gerühmt.
Warum war diese Bewegung so erfolgreich? Die Idee einer »nationalen« Sprache war eingebettet in die Zeit nach der deutschen Reichsgründung: Das neu gewonnene nationale Selbstbewusstsein fand im Bemühen um eine möglichst »reine« deutsche Sprache ein ideales Anwendungsfeld. Sprache und Nation wurden zusammen entwickelt und von vielen zusammengedacht. So hieß es auf der Hauptversammlung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins 1890 zum Vorwurf der Sprachplanung (der durchaus immer mal wieder erhoben wurde). Das »bewußte Bemühen um die Hebung der Sprache« dürfe man nicht als »unnatürliches Eingreifen« betrachten. Dezidiert richtete sich der Redner dabei gegen Entlehnungen aus dem Französischen wie Coupé. Solche Wörter durch Wörter mit deutschem Stamm wie Abtheil zu ersetzen, sei ein »Grundrecht«, »fremde Wörter« seien »Dirnen«, heimische dagegen »Fleisch von unserem Fleische und Blut von unserem Blute«. Überhaupt habe man Sprache nicht »werden lassen«, sondern gestaltet, und zwar »um der Einheit der Nation willen«.
Bei der Eindeutschung der deutschen Rechtssprache handelt es sich um ein Projekt, das von gut organisierten »Sprachpflegern« der nationalen Bewegung initiiert und von den Institutionen des Staates gestützt wurde und zudem bei der Entwicklung eines maßgeblichen, einflussreichen, neuartigen Gesetzeswerkes schnell Kodexcharakter einnehmen konnte. Es war demnach eine sprachpolitisch geplante, gezielte Umwälzung, die im Einklang mit dem Handeln politisch einflussreicher Akteure stand.
Noch heute versucht der »Verein Deutsche Sprache« diese Tradition mit dem »Anglizismenindex« weiterzuführen, in dem Baby durch Kleinstkind zu ersetzen sei, Babysitter durch Kinderhüter, Backgammon durch Würfelbrettspiel, Bagel durch Ringsemmel, Bashing durch (öffentliche) Abwatschung, Blog durch Netztagebuch usw. Auch in seinen »Thesen zur deutschen Sprache« greift er die Idee der Sprachplanung auf: »Es besteht dringender Bedarf an professioneller Planung der Entwicklung und Verwendung der Sprache.« Man müsse die »Anglisierung des Deutschen« »bekämpfen: Sprachentwicklungen sind in bestimmtem Umfang lenkbar. […] Dies erfordert politischen Willen und professionelle Planung.« Mit Fremdwortkritik oder speziell Anglizismenkritik können Sprachpurist*innen wie der Verein Deutsche Sprache heute anders als der Allgemeine Deutsche Sprachverein Ende des 19. Jahrhunderts bis auf begrenzte Kreise mit wenig Anschlussmöglichkeit in die breite Öffentlichkeit keine große Aufmerksamkeit mehr auf sich ziehen. Das Thema »Gendern« hingegen hat sie wieder in die großen Zeitungen gebracht. Vor einem genaueren Blick auf den feministisch motivierten Sprachwandel ist jedoch ein Blick auf die sprachliche Spiegelung der emanzipatorischen Bestrebungen von »Homosexuellen« hilfreich.
Die »Sprache der Gosse« im Bundestag
Es würde zu weit vom Thema wegführen, die Geschichte und die Erfolge der Lesben- und Schwulenbewegung und alle sprachlichen Kämpfe, die diese mit sich brachten, an dieser Stelle historisch nachzuzeichnen. Es sei nur kurz erinnert, dass erst 1990 die WHO offiziell entschied, dass Homosexualität keine psychische Krankheit sei, 1969 zwar die Strafverfolgung von Lesben und Schwulen aufgehoben wurde, aber erst 1994 der berüchtigte Paragraf 175 ersatzlos gestrichen wurde und gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit heterosexuellen rechtlich gleichgestellt wurden. Schwul und lesbisch, so wie auch das englische gay, waren entsprechend der Diskriminierung von Homosexuellen Stigmawörter, das heißt Diffamierungs- und Beschimpfungsvokabeln. Relikte finden sich auch heute noch in der Jugendsprache: Wenn etwas »voll schwul« ist, ist es meist nicht wirklich gut. Die Lesben- und Schwulenbewegung selbst kaperten aber diese Wörter und nutzten sie zur Selbstbezeichnung, sodass sie heute neutral verwendet werden können.
Eine konkrete Begebenheit aus dem Jahr 1988 im Deutschen Bundestag soll exemplarisch die Sprachdiskussionen um diese Selbstbezeichnung verdeutlichen. Hintergrund waren verschiedene sprachliche Kämpfe, die vor Gericht verhandelt wurden. Zunächst wollte das »Feministische Frauengesundheitszentrum Berlin« eine Anzeige schalten, in der das Wort »Lesben« vorkam. Die Deutsche Postreklame GmbH lehnte den Druck der Anzeige ab, weil das Wort »Lesben« gegen die »guten Sitten« verstoße. Die Klage des Frauenzentrums wurde vom Amtsgericht Frankfurt mit einer interessanten Begründung abgelehnt: Der Text verstoße wegen seiner vulgären Wortwahl gegen die Achtung »derjenigen Frauen, die in ihrem erotischen Empfinden sich zu weiblichen Partnern hingezogen« fühlen, sei also diskriminierend gegenüber lesbischen Frauen. Das Amtsgericht me...