GegenStandpunkt 2-19
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GegenStandpunkt 2-19

Politische Vierteljahreszeitschrift

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  1. 144 Seiten
  2. German
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GegenStandpunkt 2-19

Politische Vierteljahreszeitschrift

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Über dieses Buch

Anfangs herrscht die Sorge, Bayer könnte seinen guten Ruf ruinieren. Doch nach dem erfolgreichen Abschluss der Fusion mit Monsanto kommt Freude ĂŒber die "grĂ¶ĂŸte Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte" auf, ĂŒber den "perfekten Deal", mit dem "Bayer den Namen Monsanto verschwinden lĂ€sst" und zum grĂ¶ĂŸten Agrarchemiekonzern der Welt aufsteigt. Nachdem dann mehrere Gerichte in den USA Monsantos Verkaufsschlager Glyphosat bescheinigen, Krebs auszulösen, der Klage eines betroffenen Hausmeisters auf eine millionenschwere EntschĂ€digung Recht geben und damit den Kurs der Bayer-Aktie auf Talfahrt schicken, kehren die Bedenken in schĂ€rferer Form zurĂŒck. Die Anteilnahme, mit der die Profis der deutschen Öffentlichkeit das Treiben ihrer lokalen Global Players begleiten, ist rĂŒhrend. Dabei wird vor lauter Sorge um den Erfolg der Transaktion deren großartiges Ziel gar nicht gewĂŒrdigt, obwohl die Chefs die allerbesten Motive haben und die Zukunft der Landwirtschaft gestalten wollen.In Österreich ist die Regierungskoalition aus ÖVP mit dem neuen Kanzler Sebastian Kurz und der FPÖ angetreten, das Land zu reformieren. Sie pflegt den Stil des "Durchregierens", reformiert das 'Armenwesen', die Krankenkassen und das Arbeitsrecht; sie kĂ€mpft gegen die "Invasion Illegaler" und fĂŒhrt einen Kulturkampf gegen den "politischen Islam". Es hĂ€tte, wenn nicht ewig, so doch bis zum Ende der Legislaturperiode so weitergehen können. Auf diesen Zeitraum waren auch die Vorhaben der Koalition abgestellt, wie die Steuerreform. Dann stellt sich heraus, dass die so "professionell" gemanagte Öffentlichkeitsarbeit ("message control") der Regierung vor zwei Jahren auf Ibiza, mithin vor dem Amtsantritt, brutal versagt hatte.Die Regierung der USA verkĂŒndet am US-Feiertag der Völker Panamerikas die aktuell geltende Fassung des in Washington herrschenden VerstĂ€ndnisses von "unserer HemisphĂ€re" vulgo "Hinterhof der USA". Im Rahmen ihrer gemeinsamen Mission fĂŒr den Fortschritt der Freiheit auf dem Doppelkontinent sind nach Auffassung der Vormacht die Aufgaben zwischen den Völkern Amerikas eigentlich klar verteilt: Die im SĂŒden sollen einfach ihre Armut, ihre Drogen und all das Verbrechen, das damit verbunden ist und sich an den USA mit Milliarden Dollars vollsaugt, bei sich behalten. Vor allem sollen sie ihre elenden Massen nicht einfach migrieren lassen, wohin sie wollen. Bei ihrer Wanderung aus dem Elend des SĂŒdens zu den ArbeitsmĂ€rkten des Nordens schleppen sie alle denkbaren Übel in die USA ein und verbreiten nichts als Probleme und Unsicherheit. Im Gegenzug ist auch die FĂŒhrungsnation des Weltkapitalismus bereit, das Ihre zum Zusammenleben aller Amerikaner beizutragen: Sie radikalisiert unter dem Kommando eines eigenen neuen "Immigrationszaren" nach KrĂ€ften das Grenzregime, wirft möglichst viele Illegale aus dem Land, sorgt fĂŒr ein neues Einwanderungsrecht fĂŒr die besten Köpfe auch aus Lateinamerika und stĂ€rkt mit der Androhung von Strafzöllen fĂŒr Einfuhren aus Mexiko den Willen des sĂŒdlichen Nachbarn, "die illegale Migration ĂŒber die gemeinsame Grenze in die USA zu stoppen". Ansonsten melden sich die Amis rechtzeitig bei den ZustĂ€ndigen, wenn es in Sachen "trade and investment" jenseits der SĂŒdgrenze etwas zu dealen gibt. Was Kuba, Venezuela und Nicaragua im speziellen betrifft, proklamiert Trump die Pflicht, die Völker der drei Tyrannen-Staaten "weiterhin in ihrem Kampf fĂŒr die Wiederherstellung von Demokratie und Freiheit zu unterstĂŒtzen".

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Information

Zur Kritik der Geschichtswissenschaft *)

Die verkehrte Logik und der weltanschauliche Sinn des historischen Denkens

Was immer das Interesse eines Historikers erregt, als Erstes interessiert ihn das Datum des Geschehens. Drei, drei, drei, bei Issos Keilerei. Solche EselsbrĂŒcken zum Pauken von historischen Daten mögen mittlerweile etwas aus der Mode gekommen sein. Das, was man sich mit ihrer Hilfe hat merken sollen – die Jahreszahl –, gilt immer noch als grundlegend fĂŒr jede historische Betrachtung. Deswegen erfreuen sich auch Nachschlagewerke wie der ‚Große Ploetz‘ oder der ‚dtv-Atlas zur Weltgeschichte‘, in denen alle wichtigen Daten der Vergangenheit chronologisch geordnet verzeichnet sind, nach wie vor großer Beliebtheit – auch wenn die Datierung von Geschehnissen zur Erkenntnis derselben wenig beitrĂ€gt, könnte man meinen. Mit einer Jahreszahl versehen lĂ€sst sich das einzelne Ereignis lediglich chronologisch einordnen; mehr als Bestimmungen wie ‚vorher‘, ‚nachher‘ oder ‚gleichzeitig‘ gibt eine Chronologie der Ereignisse nicht her.
Gerade diese zeitlichen Bestimmungen aber betrachten Historiker als grundlegend fĂŒr die Erkenntnis in ihrem Fach. Ganz in diesem Sinne gibt ein Ahnvater der modernen Geschichtswissenschaft zu Protokoll, dass „uns [in den Erscheinungen] das Nacheinander, das Moment der Zeit als das maßgebende [gilt]“. 1) Das historische Erkennen und ErklĂ€ren zeichnet sich demnach dadurch aus, dass es sich auf die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse stĂŒtzt – und zwar in der Weise, dass man in dem zeitlich Vorhergehenden die GrĂŒnde fĂŒr das Nachfolgende dingfest macht. Von Seiten moderner Vertreter dieser Wissenschaft heißt es dazu: „Die Geschichtswissenschaft grĂŒndet auf der Überzeugung, dass die Gegenwart aus der Vergangenheit hervorgeht.“ 2) Das BemĂŒhen der Geschichtswissenschaft richte sich darauf, „die gegenwĂ€rtige Welt als historisch gewordene zu erklĂ€ren“. 3) „Geschichte versteht sich als Studium der Gegenwart durch das Studium der Vergangenheit.“ 4) Die Besonderheit der Geschichtswissenschaft liegt all diesen programmatischen Aussagen zufolge nicht einfach darin, dass sie Geschehnisse aus vergangenen Zeiten zum Gegenstand hat, sondern darin, dass sie ihre GegenstĂ€nde – vergangene wie gegenwĂ€rtige – historisch erklĂ€rt. Es ist der Modus ihrer ErklĂ€rungen, der sie auszeichnet: Sie erklĂ€rt ihre GegenstĂ€nde durch das Geschehen, das ihnen zeitlich vorausgegangen ist; rekurriert auf die Vergangenheit, um mit ihr die Gegenwart, d.h. das, was heute passiert, verstĂ€ndlich zu machen. Der schon zitierte Altmeister des Fachs erlĂ€utert dieses Programm noch einmal so:
„Unter den bedingenden Momenten fĂŒr das in der Gegenwart praktisch Vorhandene ist auch das Gewordensein dieses Einzelnen, ist dessen Vorgeschichte... Daher ist es unzweifelhaft sehr wichtig, die menschlichen GeschĂ€fte auch nach den Vorbedingungen ihres Wirkens, nach ihrem Gewordensein zu betrachten und in den GeschĂ€ften der Gegenwart nur die letzten Spitzen, das zutage Stehende der Vergangenheit, zu sehen.“ 5)
Nachdem er zunĂ€chst nur darauf hinweist, dass fĂŒr die ErklĂ€rung des „in der Gegenwart praktisch Vorhandenen“ „auch“ dessen Vorgeschichte von Belang ist, pocht er im nĂ€chsten Satz bereits darauf, dass fĂŒr das VerstĂ€ndnis des heute Gegebenen dessen „Gewordensein“ „unzweifelhaft sehr wichtig“ ist, um schließlich kategorisch darauf zu bestehen, dass die „GeschĂ€fte der Gegenwart“ ĂŒberhaupt „nur“ als Wurmfortsatz der Vergangenheit zu begreifen sind. Aus der BanalitĂ€t, dass alles Existierende „auch“ entstanden sein muss, zieht er den Schluss, dass alles, was uns heute begegnet, seine ErklĂ€rung in der Vergangenheit, in den „Vorbedingungen“, den Bedingungen seiner Entstehung findet. Ein moderner Kollege vertritt denselben Standpunkt, indem er die Vergangenheit kurzerhand zum „SchlĂŒssel zum VerstĂ€ndnis der Gegenwart“ 6) erklĂ€rt.

1. Das Prinzip Vorgeschichte: Ein Quidproquo zwischen Chronologie und KausalitÀt

Wenn sich der Historiker mit der Frage nach dem „Gewordensein“ seines Gegenstandes der Vorgeschichte zuwendet; wenn er sich mit der Frage, wie die betreffende Sache zustande gekommen ist, auf deren Voraussetzungen verwiesen sieht, so ist fĂŒr sich genommen weder diese Frage noch die Konsequenz ein Fehler. Die Frage nach der Entstehung einer Angelegenheit kann durchaus von wissenschaftlichem Interesse sein, und eine Befassung mit den UmstĂ€nden und Bedingungen ihres Zustandekommens ist dann nur konsequent. Die RĂŒckbesinnung auf die Bedingungen, die zur Entstehung dieser Sache gefĂŒhrt haben, klĂ€rt darĂŒber auf, warum es sie gibt; man weiß dann, welchen UmstĂ€nden sich ihre Existenz verdankt.
Ein Fehler ist es allerdings, sich von der KlĂ€rung dieser Frage Aufschluss ĂŒber die IdentitĂ€t der betreffenden Sache zu versprechen. Wer sich vornimmt, eine Sache mit ihrer Vorgeschichte, GegenwĂ€rtiges mit der Vergangenheit zu erklĂ€ren, leistet sich einen Widerspruch. Er wendet sich von der Sache ab, die zur ErklĂ€rung ansteht, und besteht darauf, dass die ErklĂ€rung der Sache nicht in den Bestimmungen liegt, die an ihr zu finden sind, sondern jenseits der Sache in etwas anderem zu suchen ist – eben in Geschehnissen, die ihr vorhergehen. Der Grundfehler allen historischen Denkens und ErklĂ€rens besteht darin, dies beides – die Frage nach der Entstehung einer Sache und die Frage nach ihrer IdentitĂ€t – in eins zu setzen. Indem sie die ErklĂ€rung eines Gegenstandes in die ErklĂ€rung seiner Entstehung hineinverlegt, abstrahiert die Geschichtswissenschaft komplett von der Natur der Sache, zu deren VerstĂ€ndnis sie beitragen will.
Dies hat Konsequenzen. Die erste besteht darin, dass mit der Abstraktion von der IdentitĂ€t der Sache auch jeder bestimmte Zusammenhang zwischen der Sache und ihren Entstehungsbedingungen negiert ist. Dies ist fĂŒr einen Historiker allerdings kein Mangel, sondern damit öffnet sich fĂŒr ihn das weite und ausgreifende Feld der historischen ZusammenhĂ€nge, auf dem er sich von Berufs wegen wie ein Fisch im Wasser bewegt. Fragt einer dieser Gelehrten nach den Entstehungsbedingungen eines Gegenstandes, kann man sich fast schon sicher sein, dass er nicht bei den nĂ€heren UmstĂ€nden stehenbleibt, unter denen dieser Gegenstand zustande gekommen ist. Ein Vertreter dieser Zunft, der z.B. ĂŒber die Parteien und Standpunkte aufzuklĂ€ren verspricht, die in der Französischen Revolution gegeneinander angetreten sind, lĂ€sst als Erstes hören: „Wenn wir genauer wissen wollen, was der Jakobinismus ‚eigentlich‘ ist, können wir auf der Leiter der Kenntnisse oder Informationen weiter zurĂŒckgehen.“ 7) Wir lernen daraus: Wenn ein Historiker etwas „genauer“ wissen will, geht er immer „weiter“ von seinem Gegenstand weg. Macht sich ein Geschichtswissenschaftler ĂŒber Willy Brandts Ostpolitik her − die Beispiele sind zufĂ€llig gewĂ€hlt und interessieren hier nur hinsichtlich der in ihnen deutlich werdenden historischen Sicht- und Vorgehensweise –, so hĂ€lt er sich nicht lange mit der Frage auf, welche politischen Zwecke diese Politik verfolgt, welcher StaatsrĂ€son sie gedient und in welcher Lage die BRD auf sie gesetzt hat. Er macht die Vorgeschichte zum Thema und vermeldet ĂŒber die erst einmal, dass sie sehr weit zurĂŒckreicht: „Wer sich mit den OstvertrĂ€gen 1970 nĂ€her befasst, steht sehr schnell vor der Notwendigkeit, die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen bis ins Mittelalter zurĂŒckzuverfolgen.“ 8) In diesen fernen Zeiten landet auch, wer etwas ĂŒber die wahren GrĂŒnde fĂŒr die Machenschaften des europĂ€ischen Imperialismus erfahren will: „Sicher ist es in der neuzeitlichen Entfaltung des europĂ€ischen Expansionismus zu vielen neuen Facetten gekommen, die entscheidenden Weichenstellungen dieser Sonderentwicklung finden sich jedoch schon im Mittelalter.“ 9) Und im Mittelalter ist noch lange nicht Schluss. Eine althistorische Schrift klĂ€rt darĂŒber auf, dass der „Anfang Europas“ in den „griechischen AnfĂ€ngen“ 10) zu suchen ist. Und eine ‚Geschichte des Westens‘ landet mit dem Prinzip Vorgeschichte endgĂŒltig in der grauen Vorzeit: Die „UrsprĂŒnge des Okzidents“ liegen im 14. Jahrhundert vor Christi Geburt bei Pharao Echnaton und seinen ersten Gehversuchen in Sachen Monotheismus: „Ohne ihn ist der Westen nicht zu erklĂ€ren.“ 11)
Wo mit dem Prinzip Vorgeschichte Ernst gemacht wird, gibt es offensichtlich kein Halten mehr. In ihren Schriften greifen Historiker auf alles Mögliche aus der langen Weltgeschichte zurĂŒck, das sich allein dadurch als Beitrag zur ErklĂ€rung der GrĂŒnde und Ursachen empfiehlt, die zum Zustandekommen einer bestimmten Angelegenheit gefĂŒhrt haben, dass es vor dieser auf der Welt war. Die angefĂŒhrten Beispiele zeigen, dass sich die historischen Gelehrten um den Zusammenhang zwischen einer Sache und ihren Entstehungsbedingungen keinen Deut scheren und einfach dem Prinzip Vorgeschichte folgend nach Belieben alles, was vor dieser Sache existent war – und zwar bloß, weil es vorher existent war –, als Bedingung oder Faktor ihrer Entstehung aufmarschieren lassen.
Das VerhĂ€ltnis, in dem das aus der Vorgeschichte herbeizitierte Geschehen zu dem Gegenstand steht, der in seiner Vorgeschichte seine ErklĂ€rung finden soll, besteht der Sache nach nur in dem Ă€ußerlichen Zusammenhang, der im zeitlichen Neben- und Nacheinander der Ereignisse gegeben ist. Aus diesem Ă€ußerlichen Zusammenhang machen Historiker etwas anderes, wenn sie eine Sache aus ihrer Vorgeschichte, die Gegenwart aus der Vergangenheit erklĂ€ren. Sie mĂŒnzen ihn um in einen Zusammenhang, der eine innere Notwendigkeit und Folgerichtigkeit hat. Das der Sache zeitlich Vorhergehende wird von ihnen, bloß weil es vor ihr stattgefunden hat, in den Rang einer Ursache erhoben, welche das SpĂ€tere hervorgebracht hat; das SpĂ€tere wird umgekehrt, bloß weil es spĂ€teren Datums ist, als Wirkung dieser Ursache, als deren Produkt gefasst. Deswegen – wegen dieses theoretischen Schwindels – kommt „das Moment der Zeit“ in der Geschichtswissenschaft zu so großen Ehren. Wo mit ihm argumentiert wird, geht es stets darum, die Chronologie der Ereignisse fĂŒr eine KausalitĂ€t sprechen zu lassen, die sich in ihr offenbaren soll.
Eine Sozialgeschichte des sich etablierenden Kapitalismus, die sich u.a. um eine ErklĂ€rung der nationalistischen Exzesse bemĂŒht, die damals die Szene beherrscht haben, demonstriert beispielhaft, wie ein Historiker das zeitliche Neben- und Nacheinander von Begebenheiten in ein VerhĂ€ltnis der Notwendigkeit verwandelt:
„Im Kaiserreich war der sich in kĂŒrzester Zeit durchsetzende Übergang zur kapitalistischen Marktwirtschaft und Marktgesellschaft mit harten individuellen und kollektiven UmstellungszwĂ€ngen verbunden. Sie fĂŒhrten zu traumatischen SchĂ€den, die einen zugespitzt radikalisierten Nationalismus hervorbrachten...“ 12)
In nur wenigen Zeilen fĂŒhrt er ökonomische, soziale, psychologische und politische PhĂ€nomene auf. Warum und auf welche Weise all diese verschiedenartigen und disparaten Erscheinungen in Verbindung stehen und inwiefern sie in dieser Verbindung fĂŒr die genannten schrecklichen Folgen verantwortlich zu machen sind, wird sachlich nirgendwo begrĂŒndet. Der Zusammenhang der UrsĂ€chlichkeit, der mit allen möglichen rhetorischen Formeln zum Ausdruck gebracht wird – der Übergang war mit ZwĂ€ngen „verbunden“, diese „fĂŒhrten zu“ SchĂ€den, welche den Nationalismus „hervorbrachten“ – wird allein durch den zeitlichen Zusammenhang nahegelegt, in dem all diese Erscheinungen stehen.
Dank dieses ErklĂ€rungsschemas legt allein schon die Nummerierung von Weltkriegen historische ZusammenhĂ€nge zwischen dem ersten und dem zweiten offen. Das ist jedenfalls die ganze Logik, wenn der Historiker den Ersten Weltkrieg „als Vorgeschichte und determinierende Kraft des Zweiten Weltkriegs“ 13) bestimmt. So beginnt eine Studie ĂŒber die Zeit des Nationalsozialismus „mit dem Ersten Weltkrieg, dem Zeugungsakt fĂŒr die meisten weiteren Katastrophen und GrĂ€uel des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war dieser Krieg und seine vertrackten Nachwirkungen...“ 14) Dieser Wissenschaftler braucht gar nicht zu erlĂ€utern, inwiefern der Erste Weltkrieg der Grund fĂŒr den zweiten gewesen sein soll. Er war schließlich der erste und das weist ihn zureichend als „Zeugungsakt“ fĂŒr den Zweiten Weltkrieg aus. Und mit seinen ihm zugeschriebenen „vertrackten Nachwirkungen“ fungiert dieser Krieg dann – wiederum allein aufgrund der zeitlichen Reihenfolge – auch gleich noch als Urspr...

Inhaltsverzeichnis

  1. Offener Brief an die „Fridays for Future“-Bewegung
  2. Die Wahlen zum EU-Parlament 2019
  3. Der UN-Migrationspakt
  4. Konstruktive BeitrĂ€ge der medizinischen Wissenschaft zum „Diesel-Irrsinn“
  5. Winfried Kretschmann
  6. Streiks bei Ryanair
  7. Zum Beispiel Bayer-Monsanto
  8. Trumps Lateinamerika und die Troika der Tyrannei
  9. Der Sandinismus in Nicaragua kommt zu seinem erzwungenen Ende
  10. Österreichs Regierung – vom eigenen Kanzler entsorgt
  11. Zur Kritik der Geschichtswissenschaft
  12. Die verkehrte Logik und der weltanschauliche Sinn des historischen Denkens