GegenStandpunkt 2-20
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GegenStandpunkt 2-20

Politische Vierteljahreszeitschrift

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  1. 160 Seiten
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GegenStandpunkt 2-20

Politische Vierteljahreszeitschrift

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Über dieses Buch

Das hatte niemand kommen sehen: Ein ziemlich ausländisches und ziemlich tödliches Virus breitet sich gegen jede marktwirtschaftliche Vernunft und gegen jedes Erfordernis der deutschen Konkurrenzposition am Standort D aus und veranlasst die Obrigkeit zu einem Shutdown. Der sorgt für einen Wirtschaftseinbruch, der alles übertrifft, was das an periodische Wirtschaftseinbrüche gewöhnte, insofern abgebrühte kollektive Gedächtnis aus den letzten 100 Jahren so gespeichert hat. Die öffentliche Meinung reagiert gespalten zwischen "Muss sein!" und "Geht gar nicht!".Dieser Dissens lebt von einem durchs Virus offensichtlich nicht angekränkelten Konsens: Weil die seuchenpolitische Ausnahmesituation für die meisten ungemütlich, für viele unerträglich und für nicht wenige existenziell unaushaltbar ist, soll der seuchenfreie Normalzustand wieder her – unbedingt und so schnell, aber auch so endgültig wie möglich. Immun ist dieses Lob der Normalität gegen jeden Gedanken, dass die vermisste Normalität dafür sorgt, dass ein paar Wochen gedämpfter Betriebsamkeit zu einem ökonomischen Desaster werden. Obwohl bekannt ist, dass schon der Normalzustand mit seinen nun vermissten Freiheiten für die meisten vor allem in der Mühsal von werktätigem Gelderwerb und Geldeinteilen besteht.Darum gibt es in GegenStandpunkt 2-20 erstens eine Artikelserie zur Pandemie, die entgegen der Propaganda gemeinsamer Betroffenheit von "Corona" die Gegensätze, die Widersprüche und auch das unübersehbare Moment von Gewalt der politischen Seuchenbekämpfung erklärt: dass und wie die sich der Logik der kapitalistischen Normalität und ihrer über jeden Zweifel erhabenen Selbstverständlichkeiten verdanken; und dass und wie auch die Dummheit der verbreiteten anti-seuchenpolitischen Kritik sich halbwegs im Rahmen des demokratisch Üblichen bewegt.Darum gibt es zweitens eine Artikelreihe über den Stand der Auseinandersetzungen, die die Gewerkschaften ganz ohne Krankheit & Krise offensichtlich immerzu gegen das Kapital führen müssen, damit ihre Leute im gewöhnlichen Getriebe überhaupt zurechtkommen mit Lohn und Leistung. Das gehört nämlich nicht zu den Selbstverständlichkeiten marktwirtschaftlicher Normalität, ist darum immerzu Gegenstand des Kampfes – und es ist darum umso verrückter, dass Deutschlands große Industriegewerkschaften den vom Standpunkt schwarz-rot-goldener Sozialpartnerschaft führen.Dass sich an "Corona" auch die Nationen der Welt gründlich scheiden, ist ebenfalls bekannt; und auch, dass das irgendwie damit zu tun hat, wie die sowieso dastehen. Im Artikel über die Ukraine wird erklärt, was die Karriere dieses Landes zum gigantischen 'failed state' mit den Bemühungen zu tun hat, es zum kapitalistisch wirtschaftenden antirussischen Frontstaat zu machen – und warum die Folgen der Pandemie so katastrophal ausfallen, wie der Zustand des ganzen Landes längst ist.Außerdem in GegenStandpunkt 2-20: Ein Artikel über Trumps imperialistische Friedenspolitik gegenüber dem altgedienten Feind Nordkorea, deren Fortschritte und Widersprüche beweisen, wie konsequent und seriös der schlecht beleumundete US-Präsident die Revision der eingerichteten imperialistischen Weltordnung betreibt; eine Kritik der obrigkeitlichen Belehrungen des deutschen Volkes darüber, warum sich fremdenfeindlicher Terror für ein gutes Volk nicht gehört; ein Brief an die – insbesondere grünen – Wähler in Österreich über die Fehler des Wählens und deren staatstragende Leistung; eine Korrespondenz zur Kritik der politischen Ökonomie des Grundeigentums.

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Information

Die Ukraine in den Zeiten von Corona

Von Russland befreit, bis zum Ruin verwestlicht, von Krisen überrollt

Anderthalb Jahre ist es her, dass der Schauspieler Wolodymyr Selenskyj, von seinem als Seifenoperkomik vorgetragenen Moralisieren über gute und vor allem schlechte Politik dazu gedrängt, echte Verantwortung zu übernehmen, seinen Entschluss verkündet hat, in die Politik zu gehen. Von der begeisterten und massenhaften Zustimmung der Bevölkerung, die ihn ins Präsidentenamt befördert und seiner neu gegründeten Partei „Diener des Volkes“ die absolute Mehrheit im Parlament beschert hat, sind mittlerweile nur noch klägliche Reste verblieben.
Auch wenn er dieser Lage mit einem hysterisch schnellen Auswechseln des Regierungspersonals Herr zu werden versucht – die katastrophale Lage des Staats liegt nicht an der „mangelnden politischen Erfahrung“ seiner ersten Regierungsgarnitur; sie liegt auch nicht am Generalübel der „Korruption“, der Diagnose, mit der er seinen Wahlkampf bestritten und eine groß angelegte Säuberungsaktion in der herrschenden Klasse und ihrem Beamtenapparat in Auftrag gegeben hatte.
Es ist einfach so, dass Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in der Ukraine im Zuge der Intensivbetreuung, die ihnen die USA und die EU in Sachen Russenfeindschaft, Verwirklichung von Marktwirtschaft und Demokratie seit dem Putsch vor sechs Jahren angedeihen lassen, zugrunde gehen. Der damals in Kiew an die Macht gebrachte fanatische Antirussismus spaltet die Gesellschaft und die politische Klasse in sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager, die gleichwohl zu einem gesitteten demokratischen Miteinander aufgerufen sind; er zerstört mit der auftragsgemäß immer konsequenteren Kündigung der Kooperation mit Russland, von der die ukrainische Wirtschaft bis heute abhängig ist, die überkommenen Lebensgrundlagen der Nation. Die rasant wachsenden Schulden, mit denen der Staat wirtschaftet, spendieren IWF, Weltbank und andere Wohltäter, verlangen der Regierung als Preis für ihre guten Dienste in allerhöchster Not aber auch ultimativ „Reformen“ ab, die den Krieg der verschiedenen Lager im Land gehörig anheizen. Neue Lebensgrundlagen stellen sich trotz der Ratschläge der besten Experten für erfolgreiche Haushaltskonsolidierung und Wachstum nicht ein. Das Volk passt sich an die neuen Lebensverhältnisse an und stirbt vor allem wegen Alkoholismus, HIV, Tuberkulose, Cholera und anderer Krankheiten durchschnittlich etliche Jahre früher; wer kann, sucht sein Glück im Ausland, sodass aus den 55 Millionen Bürgern der Ukraine zu Sowjetzeiten inzwischen offiziell 42 geworden sind.
Zu alldem kommt schließlich noch eine weitere Krisenlage: Die durch die Führer der westlichen Welt zu einem antirussischen Bollwerk hergerichtete und in ihrer ganzen staatlichen Existenz von deren Alimentierung abhängige Ukraine bekommt Trumps Desinteresse gegenüber ihrem heiligen Krieg zu spüren und kann sich angesichts der aufgemischten Weltlage auch nicht mehr sicher sein, wie viel die Protektion der europäischen Schutzmächte heute wert ist.
Kurz: Besser gerüstet für die Bewältigung der Corona-Pandemie könnte die Ukraine kaum sein.

I. Der Schuldenstaat zwischen drohendem Default und Erpressung des IWF

In der Krise schon vor der Corona-Krise

Zu Beginn des Jahres kommen Beratungen von Regierungsmitgliedern und Vertretern der Nationalbank an die Öffentlichkeit, in denen sich der Premierminister darüber auslässt, dass der Präsident null Ahnung von Wirtschaft hat, er selber aber auch nicht, was insofern nicht gut ist, weil es mit der Wirtschaft ziemlich den Bach runtergeht. Hontscharuk:
„Selenskyj hat nur ein sehr schlichtes Verständnis der Wirtschaftsprozesse. Er versteht, dass es eine Zahlungsbilanz gibt. Die Zahlungsbilanz sieht sehr schlecht aus... Und für einen Präsidenten ergibt all das die Vorstellung, dass die Lage nicht unter Kontrolle ist. Wir verstehen es nicht, wir haben keine Pläne. Und wir haben ja wirklich keine... Das Wirtschaftswachstum wird niedrig sein ... und Behauptungen wie: ‚Diese Reformen geben der Wirtschaft den Todeskuss‘ oder ‚die Sorosjata 1) sind gekommen und die Wirtschaft wächst weniger‘ werden folgen... Was den Haushalt angeht, ich weiß nicht, wie man das richtig machen soll. Es gibt keine Lösung.“ (112.ua, 15.1.20)
Diese für Führungspersönlichkeiten ungewöhnlichen Bekenntnisse zur eigenen Rat- und Hilflosigkeit beruhen darauf, dass der Haufen sogenannter „junger Reformer“, der unter dem flotten Namen „Ze!Team“ in die Kommandohöhen der Staatsmacht eingerückt ist, eben vom Gegenteil, nämlich fest davon überzeugt war, dass sie jetzt in der Ukraine endlich einmal alles richtig machen würden, sodass es mit der Wirtschaft unweigerlich aufwärtsgehen müsste. Ihr Programm hat, ganz nach den langjährigen Forderungen der Schutzmächte, darin bestanden, mit dem Grundübel „Korruption“ aufzuräumen, unter dem die Nation angeblich leidet. Und zweitens sollten endlich energisch „Reformen“ umgesetzt werden, die Her- und Zurichtung des ukrainischen Staatswesens nach dem Muster der erfolgreichen Veranstalter von Marktwirtschaft & Demokratie, was bislang an Unfähigkeit oder Widerstand des Amtsvorgängers Poroschenko und seiner Vorgänger gescheitert sein soll. Und ebendiese Überzeugung, dass man doch mit bestem Willen nichts als die westlichen Erfolgsrezepte befolgt hat, stellt die Mitkämpfer Selenskyjs vor das Rätsel, warum sie lauter bestürzende Tatsachen registrieren müssen.
Kurze Zeit später setzt der Chef die Regierungsmannschaft vor die Tür und zieht höchstpersönlich eine schonungslose Bilanz:
„Nach nur zwei Monaten des neuen Jahrs beläuft sich die Verfehlung der Haushaltsziele schon auf beinahe 16 Milliarden Griwna... Davon entfallen 13 auf Ausfälle bei den Zolleinnahmen... Man hat uns was von einem entschiedenen und kompromisslosen Kampf gegen den Schmuggel erzählt. Aber jetzt sieht es so aus, als ob der Schmuggel in diesem Kampf den Zoll ausgeknockt hat... Rückgang der Industrieproduktion um 5 %... Der Ruhm der Ukraine als Industrienation gerät langsam zu einer Rückblende. Wir riskieren beim Reden über unser industrielles Potential, dass die Leute bald sagen: ‚Das ist lange her, und es war nicht wahr‘... Bei den Gas- und Stromrechnungen gab es im Januar und Februar ein einziges Chaos... Manchmal waren sie geringer, manchmal nicht. Einige Leute sollten eine Gebühr für die Gaslieferung für einige Monate im voraus zahlen. Woanders wurden welchen, die überhaupt kein Gas beziehen, Preise berechnet... Unser nächstes Leiden ist die Lage der Bergleute und der Kohleförderung... In erster Linie geht es um die Löhne der Bergleute und den Verkauf ukrainischer Kohle. ... mehr als 11 Millionen Rentner. Leider gibt es keine klaren Auskünfte über die Anhebung der Renten... Ähnlich ist die Lage im Gesundheitssektor.“ 2)
Das Haushaltsdefizit 2019 ist fünfmal größer ausgefallen als im vorhergehenden Jahr, die hoffnungsfroh deklarierten neuen Geldquellen sprudeln nicht; weder im Zoll, weil die Zollbeamten das dort eingesammelte Geld lieber nicht an den Finanzminister abführen, sondern weiterhin mit den Schmuggelbanden kooperieren, noch kommen die veranschlagten Einnahmen aus dem Privatisierungsprogramm zustande: „Wie immer sind im Haushalt die erwarteten Einkünfte aus der Privatisierung von Staatseigentum ausgeblieben.“ (UNIAN, 27.12.19) Die Industrie bleibt den versprochenen Aufschwung hartnäckig schuldig und schrumpft dahin. Der Versuch, die Gaspreise zu senken, die das Volk nicht zahlen kann, trifft auf Energieversorgungsunternehmen, die, selbst am Rande der Pleite, intelligente Lösungen für ihr Problem drohender Mindereinnahmen brauchen und finden: Sie schröpfen einfach das Volk. Arbeiter, Rentner und das Gesundheitswesen bekommen das Geld nicht, das Selenskyj ihnen zukommen lassen will, das im Haushalt aber nicht aufzufinden ist...

Ein Erfolg der „Öffnung“ und der Assoziierung mit der EU

Das Objekt des entschiedenen Reformwillens der Regierung, die ukrainische Ökonomie, befindet sich im Zustand fortschreitender Degeneration, weil sie erst den Schock der Transformation über sich hat ergehen lassen müssen; dann hat der per Putsch durchgesetzte Lagerwechsel und der Krieg im Osten die Betriebe fast gänzlich von ihren arbeitsteiligen Beziehungen zu russischen Unternehmen abgeschnitten, und schließlich sind sie inzwischen der Konkurrenz vor allem des EU-Kapitals ausgesetzt, das dank des Assoziationsabkommens jetzt auch den ukrainischen Markt okkupiert. Die berühmte „Öffnung“, die angeblich den Anschluss an die europäische Wohlstandszone bewirken sollte, führt zu nichts anderem als zur fortschreitenden Deindustrialisierung des Landes. 3) Das ehemalige industrielle Schwergewicht der Sowjetökonomie – mit einem Potential von der Schwerindustrie bis hin zu Abteilungen der Raumfahrt-, Raketen- und Flugzeugindustrie – scheitert am Maßstab der Rentabilität. Dass der „Ruhm der Industrienation Ukraine“ unter „Es war einmal“ fällt, bestätigen auch die Buchhalter des IWF:
„Die Ukraine gehört zu den 18 Ländern auf der Welt, deren Wirtschaftsleistung während der Periode von 1990 bis 2017 zurückgegangen ist, sie liegt auf dem fünftletzten Platz.“ (112.ua, 10.3.20)
Das Privatisierungsprogramm, mit dem die Regierung sich nicht nur wachsende Haushaltsmittel beschaffen, sondern auch Auslandsinvestitionen attrahieren wollte, um ein Wachstum in Gang zu setzen, ist sowohl unter den Vorgängerregierungen wie unter Selenskyj gescheitert: 4) Der größte Teil der Anlagen und Ausrüstungen ist nicht nur moralisch veraltet, sondern auch physisch verschlissen. 5) Zwar wird ein großer Bestand an Betrieben in Staatsbesitz auf Kosten der Staatskasse aufrechterhalten, als notwendige Voraussetzung für das gesellschaftliche Überleben und die Geschäfte der Privaten, aber ohne dass sich dies „lohnt“, sodass unter der marktwirtschaftlichen Rechnungsweise die Verschuldung der 48 größten Staatsbetriebe nach Angaben des IWF auf fast 20 Prozent des Bruttosozialprodukts wächst. Das Interesse auswärtiger Investoren am Erwerb ukrainischer Industriebetriebe, auf das sich die gesamten Hoffnungen der Regierenden wie auf ein Allheilmittel richten, fällt dementsprechend aus: Es ist nicht vorhanden. 6)
Diese in ihrer Reproduktion elementar gefährdete Gesellschaft bekommt es nun auch noch mit der Pandemie zu tun.

Die Corona-Krise

Die Obrigkeit schickt ihr Volk zu großen Teilen in die Quarantäne, allerdings hat aufgrund der nur spärlichen marktwirtschaftlichen Benützung „ungefähr die Hälfte der Ukrainer keine für die gesamte Quarantäne-Periode ausreichenden Ersparnisse“ (UNIAN, 4.4.20). Dazu kommt, dass die Überweisungen der zahlreichen Arbeitsemigranten und damit der Unterhalt ihrer Familien entfallen, 7) denn dank der nationalen Seuchenpolitik der europäischen Staaten werden mehr als 1,5 Millionen Arbeitsemigranten in ihre Heimat zurückgescheucht, die ihnen schon vorher keine Gelegenheit geboten hat, sich zu ernähren – deshalb sind sie ja gegangen –, und die tut das unter den heutigen Bedingungen noch viel weniger; 8) schließlich sind auch die verbliebenen heimischen Arbeitsplätze gefährdet:
„Die Hälfte der ukrainischen Unternehmen würde eine längere Quarantäne nicht überleben ... während 29 Prozent den Betrieb schon eingestellt haben (typisch für das Kleingewerbe). 51 Prozent der Unternehmen können nur einen Monat überleben, ohne bankrottzugehen.“ (UNIAN, 3.4.20)
Die Regierung setzt ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in die Welt – „Armut mit Arbeit. Wie die Regierung 500 000 Arbeitsplätze schaffen will und wie viel sie bezahlen wird“ (strana.ua, 23.4.20) – wobei Selenskyj wie schon großen historischen Vorbildern die Autobahnen einfallen:
„Ich schlage vor, dass die Regierung einen eigenen Mechanismus entwickelt, um Millionen zusätzlicher Jobs in der Ukraine zu schaffen... Tausende Kilometer neuer Straßen und Infrastruktur-Objekte werden den nötigen Anstoß für die wirtschaftliche Entwicklung und die Entstehung neuer Jobs geben.“ (president.gov.ua, 1.4.20)
Bei der Ankündigung bleibt es aber, weil der Haushalt die Finanzmittel für die geplanten Hungerlöhne nicht hergibt.
Der Präsident erklärt seinem Volk die neue „Aufgabe zu überleben“: „Was jetzt ansteht, ist nicht Bequemlichkeit, sondern Überleben. Wir haben Brot, Butter, Milch, Getreide...“ (112.ua, 17.4.20), und er kommt nicht von ungefähr auf Brot und Butter, weil in seinem Land, das mit die fruchtbarsten und größten Landwirtschaftsgebiete weltweit besitzt, die Lebensmittelversorgung nicht mehr garantiert ist: Der Export der Agrarprodukte ist zum gewichtigsten Beschaffer von Devisen geraten – „40 Prozent der Devisenerträge werden durch Agrarexporte generiert“ (112.ua, 9.4.20). Obwohl die Regierung damit droht, notfalls Exportverbote zu verhängen, werden wachsende Mengen ausgeführt – „hard currency“-Devisenerträge sind ja in der Krise nötiger denn je; 9) und weil dann auch noch Nachbarländer Exportstopps für Lebensmittel verhängen, wird die elementare Versorgung nicht nur durch rapide steigende Preise, sondern auch durch sinkende Mengen gefährdet.
Der neue Premierminister führt Quarantänebestimmungen ein, erklärt aber gleich dazu, dass sowohl der ukrainische Staat als auch sein Volk sich das verlangte social distancing eigentlich nicht leisten können:
„Der Stillstand eines bedeutenden Teils der nationalen Wirtschaft kann nicht für länger andauern... Die Leute müssen Geld verdienen, die Wirtschaft muss loslegen. Die Ukraine ist auch kein reiches Land, das es sich leisten kann, sechs Monate lang untätig zu bleiben, zu Hause zu sitzen und Fernsehen zu schauen... Die Regierung hat die Liste der Aktivitäten verlängert, die während der Quarantäne stattfinden dürfen, unter anderem der Verkauf von Autoersatzteilen, Geflügelzucht und der Betrieb aller Arten von Finanzinstituten, einschließlich von Pfandhäusern und Genossenschaftsbanken.“ (Schmyhal, UNIAN, 4.4.20)
Elementare Freiheitsrechte wie der Gang ins Pfandhaus bleiben wegen massenhafter Armut erhalten, während sich aus demselben schlichten Grund ein...

Inhaltsverzeichnis

  1. Die deutsche Sozialpartnerschaft heute
  2. II. Lufthansa gegen UFO: Wie Deutschlands mobiles Weltunternehmen Gewerkschaftstätigkeit unterdrückt
  3. III. Apropos Zalando – Drangsale und Fortschritte in Sachen Personalführung
  4. Korrespondenz zur Wohnungsfrage im Kapitalismus
  5. Offener Brief an die Grün-Wähler in Österreich und alle anderen
  6. Stichwort: Verantwortung
  7. Und noch ein Fortschritt für „America first!“ und die Welt
  8. Die Ukraine in den Zeiten von Corona
  9. Was Deutschland bewegt
  10. Chronik der Corona-Pandemie
  11. MÄRZ
  12. Pandemie III. Die wirkliche Doppelkrise …
  13. Frühling in Deutschland: Pandemie IV.
  14. APRIL
  15. Frohe Ostern: Pandemie VI. Hinterher wird nichts mehr wie vorher sein – von wegen!
  16. Pandemie VII: Kredit und internationale Konkurrenz Mit Weltgeld gegen die „Corona-Krise“
  17. Der Lockdown zieht sich in die Länge: Pandemie VIII. Klassenbewusstsein von rechts
  18. Pandemie IX: Die „Öffnungsdiskussionsorgie“ Geschäft, Leben, Freiheit, Würde – schweres Geschütz gegen seuchenpolitische Vorsicht
  19. MAI
  20. Ein Nachtrag zu Pandemie V. Volksgesundheit und Kapitalismus