Zitate der ›Aeneis‹ in den Briefen des Hieronymus
eBook - ePub

Zitate der ›Aeneis‹ in den Briefen des Hieronymus

Eine digitale Intertextualitätsanalyse zur Untersuchung kultureller Transformationsprozesse

  1. 407 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Zitate der ›Aeneis‹ in den Briefen des Hieronymus

Eine digitale Intertextualitätsanalyse zur Untersuchung kultureller Transformationsprozesse

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

In his extremely rhetorically adept letters, the Doctor of the Church Jerome addresses a deep inner conflict between Virgil and the Gospels, between Cicero and the apostles. This volume traces these cultural transformation processes using Jerome's strategy of intertextuality. The research interest is divided into a methodological and a content-related part. On the one hand, digital methods of citation analysis are (further) developed and evaluated. Using computer-aided methods, the number of quotations of the Aeneid will be significantly increased by more than a third and at the same time the theoretical concept of quotation will be significantly sharpened. On the other hand, hermeneutic methods are used to create a typology of quotations, which not only reveals the 'limits' of text interpretation, but also draws a more differentiated picture of Jerome's citation technique. The work reveals a linguistic-stylistic hybridisation that enables a modified and deeper insight into the actual, subterranean adaptations of the classical-pagan literary heritage by the early Christian author.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Zitate der ›Aeneis‹ in den Briefen des Hieronymus von Marie Revellio im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theology & Religion & History of Christianity. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2022
ISBN
9783110761238

1 Einführung

Ein bedeutender und faszinierender Aspekt der Spätantike ist die ausnehmende Gleichzeitigkeit von klassisch-heidnischer Kultur und frühchristlichem Gedankengut. Neben vielfältigen Facetten der Adaption, Aneignung oder Assimilation entstehen aus dieser Gleichzeitigkeit auch Reibungen, Spannungen oder Brüche, die gemeinsam in kulturellen Hybridisierungsprozessen resultieren. Die Verarbeitung dieser kulturellen Hybridisierungsprozesse findet im schriftstellerischen Wirken christlich-spätantiker Autoren insbesondere in ihrem Umgang mit dem klassischheidnischen Literaturerbe einen Niederschlag.
Dies lässt sich im 4. und 5. Jahrhundert gleichsam wie unter einem Brennglas am Beispiel des Kirchenlehrers Hieronymus beobachten. Denn der christliche Radikalasket und philologisch versierte Bibelwissenschaftler verhandelt das spannungsreiche Verhältnis der Überzeugungen des emergierenden Christentums und des Erbes der klassisch-heidnischen (Bildungs-)Kultur des Imperium Romanum intensiv in seinen Schriften. Den locus classicus der Dichotomisierung von paganer und christlicher Kultur, in der ihr scheinbarer Antagonismus aufs Höchste verdichtet wird, stellt eine autobiographische Traumerzählung des Hieronymus dar. Bei diesem Traumgesicht handelt es sich um eine Binnenerzählung des 22. Briefes, eines ausführlichen Libellus de virginitate servanda, den Hieronymus im Jahr 384 an die vornehme römische Asketin Iulia Eustochium gerichtet hat, der jedoch gleichzeitig auch für einen größeren Adressatenkreis bestimmt war.
In diesem Traumgesicht wird Hieronymus’ literarisches Ego, von einem Fieber beinahe gänzlich aufgezehrt, vor ein himmlisches Tribunal gezerrt und vom vorsitzenden Richter nach seinem Stand befragt:
interim parabantur exsequiae et uitalis animae calor toto frigente iam corpore in solo tantum tepente pectusculo palpitabat, cum subito raptus in spiritu ad tribunal iudicis pertrahor, ubi tantum luminis et tantum erat ex circumstantium claritate fulgoris, ut proiectus in terram sursum aspicere non auderem. interrogatus condicionem Christianum me esse respondi.
(Hier. ep. 22,30,3–4)
Mittlerweile traf man Vorkehrungen zu meiner Beerdigung und während mein gesamter Leib schon kalt war, flackerte die Glut des Lebensgeistes allein noch in der schwachen und nur mehr lauwarmen Brust, als ich plötzlich fortgerissen und im Geiste vor den Richterstuhl geschleppt wurde, wo mich so viel Licht und aus der Vorzüglichkeit der Umstehenden so viel Glanz umstrahlte, dass ich mich zu Boden warf und nicht wagte, aufzublicken. Befragt nach meiner persönlichen Lage antwortete ich, ich sei Christ.1
Diese ausgegebene Selbstbezeichnung, ein Christ zu sein, wertet der himmlische Richter im Folgenden mit dem Vorwurf der Lüge als unzutreffend, ja sogar als ein falsches Glaubensbekenntnis:
et ille, qui residebat: ‚mentiris‘, ait, ‚Ciceronianus es, non Christianus; ubi thesaurus tuus, ibi et cor tuum. ‘
(Hier. ep. 22,30,4)
Aber der Vorsitzende entgegnete: ‚Du lügst! Ein Ciceronianer bist du, kein Christ. Wo dein Schatz ist , dort ist auch dein Herz (Matth 6,21).‘
Prägnant benennt die Bezichtigung der Lüge zwei sich scheinbar ausschließende Identitäten: Ciceronianer oder Christ zu sein. Diese sprachlich und stilistisch äußerst gedrängte Zuspitzung stellt den Höhepunkt der Traumerzählung dar. Um den unmittelbar darauffolgenden physischen Qualen der verordneten Folter und den Gewissensbissen ein Ende zu setzen, distanziert sich das literarische Ego schließlich von dem beanstandeten Cicero, der als pars pro toto für die gesamte pagane römischgriechische Literatur gelesen werden kann. Mit Unterstützung der um Nachsicht plädierenden Umstehenden leistet das literarische Ego den erlösenden Eid, nie wieder heidnische Schriften (codices saeculares) zu besitzen oder zu lesen:
ilico obmutui et inter verbera – nam caedi me iusserat – conscientiae magis igne torquebar (. . .) ego, qui tanto constrictus articulo uellem etiam maiora promittere, deiurare coepi et nomen eius obtestans dicere: ‚domine, si umquam habuero codices saeculares, si legero, te negaui‘.
(Hier. ep. 22,30,4–5)
Sogleich verstummte ich und unter den Hieben – denn er ließ mich schlagen – quälte mich mehr noch das Brennen des Gewissens. (. . .) Ich wollte in meiner tiefen Not noch Bedeutenderes versprechen und begann daher zu schwören und bei seinem Namen zu bezeugen: ‚Herr, wenn ich je wieder heidnische Schriften besitze, wenn ich sie lese, habe ich dich verleugnet.‘
Bemerkenswert an dieser literarisch sehr ausgefeilten, an Konversionsnarrative wie Märtyrerakten angelehnten autobiographischen Traumerzählung,2 die zu den berühmtesten und meistgelesenen Texten des Hieronymus zählt,3 ist zweierlei: Einmal wird die Bekenntnis-Dichotomie nicht zwischen Christentum und traditionell-antikem Polytheismus, also religiös gesetzt, sondern es werden klassisch-antike, das heißt heidnische, und christliche Lektüren und Schriften gegenübergestellt. (Religiöse) Identität wird so an das Leseverhalten gebunden und hierdurch literarisch-kulturell diskursiviert. Zweitens definieren die dem Bekenntnis vorausgehenden Passagen das erzählende Ich unzweifelhaft als christlich, sodass die durch den Eid bedingte conversio einen innerchristlichen Vorgang beschreibt, der von einem falschen zu einem wahren Christsein führt. Da dessen asketisches Streben in der Enthaltsamkeit von heidnischen Autoren wie Cicero und Plautus4 seinen Höhepunkt findet, ist dieses wahre Christsein als Bruch mit der in ihren literarischen Bildungstraditionen fundierten kulturellen Identität Roms inszeniert.
Die starke Fokussierung literarischer Identität(en) mag auf individueller Ebene als ein Spezifikum des Hieronymus erklärt werden, der wie kein zweiter Kirchenlehrer in seinen vielfältigen Schriften die Bedingtheiten christlicher Autorschaft reflektiert und bewusst zu gestalten versucht.5 Doch sie verweist auch auf eine starke literarischrhetorische Fundierung kollektiver Identitätskonzepte des spätantiken Imperium Romanum, in dem nicht nur die Senatsaristokratie als die führende Schicht der römischen Gesellschaft ihren Elitenstatus durch Literaturaffinität definierte, sondern die literarisch-rhetorische Ausbildung auch Grundlage für eine Verwaltungskarriere in kaiserlichen Diensten war.6
In der vorliegenden Untersuchung wird der literarische Umgang des Hieronymus mit dem klassisch-heidnischen Erbe beispielhaft anhand Vergils Aeneis als einem Schlüsselwerk sowohl römischer Kultur als auch Identität untersucht. Den Spuren dieser literarischen Auseinandersetzung wird im Korpus rhetorisch äußerst versierter Briefe des Hieronymus anhand des Phänomens der Intertextualität nachgespürt, das auf der Textebene in Gestalt von Zitaten aus der Aeneis verortet wird.
Um ein möglichst umfassendes und damit zuverlässiges Gesamtbild der Aeneiszitate in Hieronymus’ Briefen zu erhalten, soll zusätzlich zur Analyse der in der bisherigen Forschung bereits diskutierten Zitate auch nach bisher unentdeckten Zitaten gesucht werden. Für diese Zitatdetektion werden innovative Herangehensweisen der computerbasierten Textanalyse eingesetzt, sodass die Untersuchung methodisch einen mixed methods-Ansatz aus manuell-hermeneutischen und computerbasiertdigitalen Textanalyseverfahren verfolgt.
In der vorliegenden Untersuchung sollen zwei Fragenkomplexe beantwortet werden. Zum einen wird anhand der Aeneiszitate im Korpus der Briefe des Hieronymus den literarischen Verhandlungsstrategien der kulturellen Hybridisierungsprozesse der christlichen Spätantike des 4. und 5. Jahrhunderts nachgespürt:
  • Welche frühchristlichen Verarbeitungsstrategien der kulturellen Hybridisierung können anhand der Integrationsformen heidnischer Zitate in christlichasketischen Texten beobachtet werden?
  • Inwiefern können diese literarischen Strategien produktionsästhetisch als Instrumente der Autorisierung und Legitimierung des eigenen Schreibens oder als Praktiken kultureller Abgrenzung und Distanzierung aufgefasst werden?
  • Welche Rolle spielt das Zitieren für die hieronymianische Konzeption christlicher Autorenschaft? Welches Selbstbewusstsein des Hieronymus als Autor wird daraus ersichtlich?
Der zweite Untersuchungsfokus ist methodischer Natur und erörtert, inwiefern digitale Textanalyseverfahren gewinnbringend in das Methodenrepertoire latinistischer Literaturwissenschaft integriert werden können:
  • Können Methoden der digitalen Textanalyse zur Detektion von Zitaten effektiv eingesetzt werden, um auf diese Weise den bestehenden Fundus an intertextuellen Stellen zu erweitern und das theoretische Verständnis des Zitatphänomens zu vertiefen?
  • Da es sich bei vorliegendem mixed methods-Einsatz um ein methodisches Experiment handelt, stellt sich ferner folgende Frage: Welche Potentiale bergen sowohl computergestützte Textanalysemethoden als auch traditionell-manuelle Verfahren?
  • Inwiefern können digitale und traditionell-manuelle Verfahren zielführend miteinander kombiniert werden?

1.1 Ein transformationsorientierter Analyseansatz

Die Entwicklung des Christentums im spätantike...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Abbildungen
  6. 1 Einführung
  7. 2 Grundzüge der bisherigen Hieronymus-Forschung
  8. 3 Zitieren als Kulturtechnik
  9. 4 Digitale Textanalysemethoden in der antikebezogenen Literaturwissenschaft
  10. 5 Die Digitalisierung der Briefe des Hieronymus
  11. 6 Der Untersuchungsaufbau
  12. 7 Close reading und Typologisierung der Zitate
  13. 8 Evaluation des mixed methods-Ansatzes
  14. 9 Intertextualität als Verhandlungsort kultureller Transformation
  15. 10 Schlussbemerkung
  16. Anhang I: ‚Manueller Goldstandard‘
  17. Anhang II: Digitale Neufunde der Zitattypen 1 bis 7
  18. Anhang III: Im close reading aussortierte digitale Funde
  19. Literaturverzeichnis
  20. Sach- und Begriffsregister