Friedrich Hölderlin
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Friedrich Hölderlin

Biographie seiner Jugend

  1. 404 Seiten
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Friedrich Hölderlin

Biographie seiner Jugend

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Über dieses Buch

Ein frischer, unbefangener Blick auf Kindheit, Jugend und Ausbildung eines der größten deutschen Dichter.Friedrich Hölderlin (1770-1843) wuchs in privilegierten Verhältnissen auf. Sabine Doering deckt anschaulich die Einflüsse auf, die den begabten Heranwachsenden während der Schul- und Studienzeit in Württemberg prägten: Eine Zeit, die ihn auf das Pfarramt vorbereiten sollte, während es ihn zur Dichtung drängte. In kultur-, mentalitäts- und bildungsgeschichtlicher Perspektive werden zahlreiche Briefe und Dokumente zum Sprechen gebracht.Die Schilderung eines faszinierenden Bildungs- und Reifungsprozesses führt zugleich in eine der interessantesten Epochen der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte: Zu Hölderlins Freunden gehörten Hegel und Schelling; Kants Schriften begeisterten ihn; Schiller und andere Dichter verehrte er als Vorbild. Kenntnisreich widerlegt Sabine Doering hartnäckige Legenden, die sich seit langem um Hölderlins Leben ranken, wie seine angebliche Armut oder die Verklärung seiner Liebesverhältnisse. So entsteht das facettenreiche Porträt eines empfindsamen und ehrgeizigen jungen Mannes, der beharrlich seine Berufung zum Dichter verfolgte.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783835348264

VII. »So hat mir das Kloster etwas genüzet«
Tübingen

Universität und Stift

Am 21. Oktober 1788 begann Hölderlins Studium. An diesem Tag zog seine »Promotion«, sein Studienjahrgang, in einer feierlichen Zeremonie in das Tübinger Stift ein, in dem die jungen Männer für die nächsten fünf Jahre leben und arbeiten sollten. Das für Tübingen besondere Verhältnis zwischen dem allgemeinen Universitätsstudium und der speziellen Ausbildung der protestantischen Theologen, von dem sich bis in unsere Tage Spuren erhalten haben, geht auf die Reformationszeit zurück.
Die Anfänge der Universität führen zurück ins Spätmittelalter. 1477 hatte der damalige württembergische Graf Eberhard im Bart (1445-1496) in der kleinen Stadt am Neckar eine »Hohe Schule« gegründet, die der Ausbildung von zuverlässigen Staatsdienern dienen sollte. Von Beginn an umfaßte die junge Universität die üblichen vier Fakultäten: Höhere Studien erfolgten an der theologischen, der juristischen oder der medizinischen Fakultät; der philosophischen Fakultät kam hingegen eine propädeutische Funktion zu. Hier wurden die Studienanfänger in der Tradition der mittelalterlichen Artistenfakultät in den artes liberales unterrichtet und auf das Studium an einer der drei anderen Fakultäten vorbereitet – ganz ähnlich, wie man es heute noch von den amerikanischen Liberal Art Colleges kennt. An dieser Ordnung der Fakultäten und der mit ihnen verbundenen Studienmöglichkeiten änderte sich bis zu Hölderlins Studienzeit nichts, wenn sich auch im Laufe der Jahrhunderte das Renommee der gesamten Universität wandelte. Früh hatte sich die junge Tübinger Universität in Humanistenkreisen einen ausgezeichneten Ruf erworben. Der Zuzug von Professoren und Studenten belebte die Stadt wirtschaftlich und intellektuell, auch wenn die typischen Konflikte zwischen Stadtbürgern und Universitätsangehörigen nicht ausblieben, wie man sie aus allen Universitätsstädten kennt.
Die Reformation veränderte nachhaltig das Gesicht der jungen Universität. Herzog Ulrich (1487-1550) hatte 1534 mit Unterstützung des Landgrafen Philipp von Hessen und des Schmalkaldischen Bundes sein Herzogtum zurückerobert, aus dem er 1519 vertrieben worden und das unter die Herrschaft des Erzherzogs Ferdinand von Österreich geraten war. Nahezu umgehend führte Ulrich in seinem Herzogtum die protestantische Lehre ein, verbot 1535 die katholische Messe und forderte seine Untertanen auf, das neue Bekenntnis zu übernehmen – ganz so, wie es auch in den anderen protestantischen Territorien des Reichs geschah. Der Widerstand des damaligen Universitätskanzlers gegen den neuen Glauben blieb wirkungslos, er flüchtete ins benachbarte österreichische Rottenburg. 1538 erhielt die Universität eine neue Ordnung, die ihre nunmehr protestantische Ausrichtung festschrieb. Zahlreiche Professoren wurden an alle Fakultäten berufen. Entscheidend war bei dieser Berufungspolitik nicht allein das erforderliche protestantische Bekenntnis, sondern auch die wissenschaftliche Reputation. So gewann die Universität Tübingen bald weit über die Landesgrenzen hinaus Ansehen. Insbesondere die protestantische Theologie stand in großer Blüte; die Einrichtung des herzoglichen Stipendiums, des Tübinger Stifts, trug erheblich dazu bei. Davon wird gleich ausführlicher die Rede sein.
Im Laufe der Jahrhunderte verblaßte der Ruhm der Tübinger Universität. Als Hölderlin mit seinen Kompromotionalen das Studium begann, lag ihre wissenschaftliche und wirtschaftliche Glanzzeit schon eine Weile zurück. Innerhalb des Deutschen Reichs gab es längst anziehendere Universitäten – sei es wegen der dort moderneren Ausbildung, der berühmteren Professoren oder der mondäneren Lebensverhältnisse. Auch Hölderlin sehnte sich fort und sprach am Ende seiner Tübinger Jahre von seinem »Jenaischen Project« (MA II, S. 506), einem Philosophiestudium am Wirkungsort des berühmten Fichte. Ein Jahr nach dem Ende der Tübinger Studienjahre konnte Hölderlin diese Pläne zumindest für einige Monate Wirklichkeit werden lassen.
Vorerst aber lebte der Achtzehnjährige in Tübingen und bewegte sich weiter in dem Milieu der württembergischen Kleinstädte, das ihm seit seiner Kindheit vertraut war. Tübingens Einwohnerzahl war im 18. Jahrhundert angewachsen, doch mit knapp 5.700 Bewohnern im Jahr 1795[1] war es immer noch kleiner als beispielsweise die thüringische Residenzstadt Weimar, die zu dieser Zeit rund 7.000 Einwohner zählte und von auswärtigen Besuchern oft als klein und provinziell wahrgenommen wurde. Auf Tübingen trafen solche Urteile erst recht zu: Die allermeisten Bewohner lebten vom Handwerk oder von der Landwirtschaft, insbesondere vom Weinbau. Das Stadtbild hatte sich seit dem Mittelalter kaum verändert. Die Straßen waren schmutzig und schadhaft; es gab keine nächtliche Beleuchtung; und die fünf Stadttore wurden, wie es von alters her der Brauch war, jeden Abend verschlossen.[2]
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Das Closter und Ephorat Haus zu Tübingen am Neckar, 1816.
Auch um die Universität war es nicht gut bestellt. Das Geld war knapp; die Bibliothek konnte sich kaum Neuanschaffungen leisten; Bücher wurden nur selten ausgeliehen; und die Professuren gingen innerhalb weniger Gelehrtenfamilien oft von einer Generation auf die andere über, ohne daß Wissenschaftler, die von außerhalb berufen wurden, neue Ideen vermitteln konnten. Herzog Carl Eugen bereitete seiner eigenen Landesuniversität eine empfindliche Konkurrenz mit der Gründung der Hohen Karlsschule, die er 1775 von Schloß Solitude nach Stuttgart verlegte und 1781/82 in den Rang einer Universität erhob. Die Tübinger Studentenzahlen sanken daraufhin noch mehr. Ein Blick auf die medizinische Fakultät illustriert die dramatische Lage: 1792 waren dort nicht mehr als neun Studenten eingeschrieben.[3] Erst die Schließung der Karlsschule nach dem Tod Carl Eugens im Jahr 1793 ließ die Tübinger Studentenzahlen wieder anwachsen.
So bedenklich sich die Lage an der juristischen und der medizinischen Fakultät auch darstellte – die theologische Fakultät erfreute sich einer gleichbleibend hohen Studentenzahl, denn Jahr für Jahr traten die Absolventen der höheren Klosterschulen zum Studium in Tübingen an. Eine Wahl blieb ihnen nicht, hatten sie sich doch als Vierzehnjährige zu diesem Studium verpflichten müssen. Sowenig die Theologiestudenten sich eine Universität aussuchen konnten, sowenig konnten sie über ihre Unterkunft entscheiden. Denn seit mehr als zwei Jahrhunderten waren die Tübinger Theologiestudenten Nutznießer des sogenannten herzoglichen Stipendiums. Sie bezogen das Tübinger Stift und erlebten dort die Fortsetzung der engen Verflechtung von Ausbildung und Alltag, wie sie sie seit dem Eintritt in die niederen Klosterschulen erfahren hatten.
Das »Herzogliche Stipendium« ist eine im deutschen Bildungssystem einzigartige Institution, die über Jahrhunderte hinweg eine erstaunliche Beständigkeit an den Tag gelegt hat. Nach Einführung der Reformation hatte Herzog Ulrich mit der Einrichtung eines Naturalstipendiums eine weitreichende Entscheidung getroffen, deren nachhaltiger Erfolg selbst die größten Optimisten unter den Reformatoren verblüfft haben dürfte. Der Herzog hatte früh erkannt, daß der akute Mangel an gut ausgebildeten protestantischen Theologen und Staatsdienern seine Herrschaft und die Festigung der Reformation in seinem Territorium gefährden konnte. Abhilfe schuf er 1536 mit dem »Stipendium«, das er nach dem Muster der 1529 im ebenfalls protestantischen Marburg errichteten Stipendienanstalt entwarf: Begabten und mittellosen Studenten wurden Kost, Logis und weitere materielle Unterstützung bereitgestellt, damit sie – unbelastet von materiellen Sorgen – sich ganz auf das Studium konzentrieren konnten. Als Gegenleistung mußten sich die geförderten Studenten verpflichten, ihr gesamtes Studium in Tübingen zu absolvieren und nach Studienabschluß in den württembergischen Kirchen- oder Schuldienst zu treten. Die Rechnung Herzog Ulrichs ging auf: Das Stipendium florierte, und alle künftigen Herzöge konnten darauf vertrauen, die Ämter in der Kirche und den Schulen regelmäßig mit begabten, gut ausgebildeten und loyalen Nachwuchskräften besetzen zu können, die zudem eine einheitliche Bildung genossen hatten. Damit war gesichert, daß von den Kanzeln und in den Schulstuben des Landes weitgehend dieselbe Lehre verkündet wurde.
Finanziert wurde das herzogliche Stipendium aus Abgaben, zu denen zunächst die Stadt Tübingen und später auch andere württembergische Städte verpflichtet waren. Weitsichtig hatte Herzog Ulrich früh die wirtschaftlich-administrativen wie auch die pädagogisch-akademischen Fragen seines Stipendiums geregelt. Die »Statuten« von 1536 legten bereits fest, was in Grundzügen noch unverändert für Hölderlin und seine Kommilitonen galt: Die durch das Stipendium geförderten Studenten besuchten selbstverständlich die Vorlesungen der Universität, bildeten aber eine eigene Wohn- und Lebensgemeinschaft, die unter dem Vorsitz eines »Magister Domus« stand. Das Amt und seine Aufgaben blieben dieselben, als dieser Titel 1752 durch die griechische Bezeichnung »Ephorus« abgelöst wurde. Die Finanzen wurden von zwei Superattendenten überwacht; die Hauswirtschaft leitete der Probst bzw. »Procurator«. 1546 konnte die bis dahin dringliche Quartierfrage dauerhaft gelöst werden: Die Stipendiaten bezogen das am Tübinger Neckarufer gelegene ehemalige Kloster der Augustinereremiten, dessen letzte Bewohner der Reformation hatten weichen müssen. Im Laufe der Jahrhunderte sollte sich das »Stift«, wie das ehemalige Kloster nun genannt wurde, zu einer der wirkungsmächtigsten Ausbildungsstätten des deutschen Protestantismus entwickeln. Der ursprüngliche Kloster-Charakter der weitläufigen Anlage blieb lange erhalten, was sich auch in der Hausordnung niederschlug. Wie schon in den Klosterschulen trugen Stiftler weiterhin schwarze Kleidung; erst am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde dieser Brauch gelockert. Wenn Hölderlin in seinen Briefen vom Stift sprach, so bezeichnete er es unbekümmert regelmäßig als »Kloster«.[4]
Zusätzlich zu den obligatorischen universitären Vorlesungen und Kollegien mußten die herzoglichen Stipendiaten Lehrveranstaltungen innerhalb des Stifts absolvieren: Im »Locus« bzw. den »Loci« wurde das jeweils geltende Kompendium der Dogmatik Paragraph für Paragraph, Locus für Locus, durchgenommen. In Hölderlins Studienzeit lag diesem Unterricht als verbindliches Lehrbuch das Dogmatik-Kompendium des Tübinger Theologen Christoph Friedrich Sartorius (1701-1785) zugrunde, dessen letzte Überarbeitung 1782 erschienen war und das die Studenten schon aus dem Religionsunterricht der Klosterschulen kannten.[5] Den Lesern – besser: den Benutzern – dieses Kompendiums wurde die in der Württembergischen Landeskirche verbindliche Lehre in knappen einprägsamen Definitionen und Lehrsätzen nahegebracht.[6] Die vorherrschende Argumentationsweise war die des Schriftbeweises. Das heißt: So gut wie alle Grundsätze der kirchlichen Lehre wurden aus mehr oder weniger passenden Bibelstellen abgeleitet.[7] Hölderlin dürfte am Ende seiner Ausbildung mit dieser Form der biblizistischen Denkweise eng vertraut gewesen sein.
Neben den Loci gab es »Repetitionen«, die den Stoff der eigentlichen Lektionen vertiefen sollten. Oft aber wählten die jungen Repetenten, die die Loci und Repetitionen durchzuführen hatten, den Stoff aus ihren eigenen philosophischen und theologischen Interessensgebieten, machten die um wenige Jahre jüngeren Studenten also häufig mit komplexen, noch nicht lehrbuchhaft aufbereiteten Fragestellungen und aktuellen philosophischen Schriften vertraut. Die Repetenten hatten ihren festen Platz im Tübinger Stift. Heutigen wissenschaftlichen Assistenten vergleichbar, verfolgten sie in der Regel selbständige Studien und konnten sich durch ihre Lehrtätigkeit im Stift für Führungsaufgaben in der Kirche oder der theologischen Fakultät qualifizieren. Selbstverständlich hatten auch die Repetenten die Ausbildung am Stift durchlaufen. Zu Hölderlins Zeit war es üblich geworden, sie erst zwei bis drei Jahre nach ihrem eigenen Studienabschluß zu ernennen, nachdem sie weitere Erfahrungen entweder im kirchlichen Dienst (als Helfer oder Vikare) oder auf Bildungsreisen gesammelt hatten. Den Repetenten kamen auch disziplinarische Aufgaben zu. Das illustriert die Überarbeitung der Statuten von 1793. Sie schreibt vor, daß es künftig neun Repetenten geben müsse, damit jede der insgesamt neun beheizbaren Schlafstuben nunmehr eine eigene Aufsicht habe. So konnten auch damals schon äußere Erfordernisse das Tableau akademischer Stellen beeinflussen.
Hölderlin jedenfalls war froh, als er am Beginn seines dritten Studienjahres, dem ersten seines Theologiestudiums, aus den oberen Etagen, wo er bislang untergebracht worden war, in eine neue Schlafstube, die sogenannte »Augustinerstube«, umziehen konnte und dort auf einen angenehmen Repetenten traf. Seiner Schwester schrieb er:
Wie mirs auf m. Stube gefalle? Herrlich, liebe Rike. Mein Repetent ist der beste Mann von der Welt. Das Zimmer ist eins der besten, liegt gegen Morgen, ist ser geräumig, und schon auf dem zwoten Stokwerk. Sieben von meiner Promotion sind drauf. Ich darf Dir nicht erst sagen, daß das angenemer ist, als 6 andere Unbekannte. Und die Wenigen andern sind auch brave Leute, darunter Breier und Schelling. (MA II, S. 462)
Der von Hölderlin so überschwenglich gelobte Repetent war der Bibliothekar des Stifts, Christian Friedrich Weber (1764-1831),[8] dessen kleines Kabinett zu der Schlafstube gehörte, die insgesamt eine Fläche von »466 Quadratschuh« hatte, das entspricht ca. 39 Quadratmetern.[9] So illustriert Hölderlins Schilderung auch, wie sehr die Vorstellungen darüber, was bequemes Wohnen ist, von den jeweiligen Umständen abhängen. Fünfzehn junge Männer – acht Studenten aus Hölderlins Jahrgang, sechs weitere, darunter der junge Schelling, der, gerade fünfzehnjährig, das Stift bezogen hatte, bald aber das Privileg eines ruhigeren Doppelzimmers bekommen würde,[10] dazu Repetent Weber –, sie alle hatten sich diese eine Stube zu teilen. Hölderlin, der die Verhältnisse im Stift kannte, schätzte diese Gedrängtheit gleichwohl als »sehr geräumig«. Vorbereitet durch die vier Jahre in Klosterschulen, besaßen die künftigen Herren Pfarrer keine großen Ansprüche an komfortable Unterbringung.
Die Bewohner des Tübinger Stifts mußten sich ohnehin mit allerlei Unbequemlichkeiten abfinden. Das große Gebäude war zuletzt im Dreißigjährigen Krieg umgebaut worden, vieles war mittlerweile verwahrlost, die hygienischen Zustände waren wenig erfreulich. Klagen über die schlechte Unterbringung finden sich regelmäßig in den Berichten aller Stiftler, und doch akzeptierten die jungen Männer ihre beengten Wohnverhältnisse insgesamt bereitwilliger als die Begrenzungen, die ihnen die strenge Stiftsregel auferlegte. Die Statuten enthielten umfassende Bestimmungen zu allen Lebensbereichen und selbstverständlich auch einen differenzierten Katalog von Vergehen samt den entsprechenden Disziplinarmaßnahmen. Die Liste reichte vom Entzug des Tischweins – Hölderlin kannte diese Strafe schon aus den Klosterschulen – bis hin zum Karzer.
Die ersten Statuten waren noch von Herzog Ulrich erlassen worden; die letzte Revision vor Hölderlins Studienbeginn war 1752 erfolgt. Damals hatte man auf moderate Weise pietistische Ideen in die Stiftsordnung integriert, was sich vor allem darin äußerte, daß die vielen Gebote und Verbote nun an die individuelle Einsicht und das Gewissen der Stipendiaten appell...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. I. »das meiste nemlich / Vermag die Geburt«. Familie und Herkommen
  6. II. »Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt«. Hölderlin, seine Familie und das Geld
  7. III. »Knabenspiel« und »Jammerhütte«. Kinderjahre
  8. IV. »Kindlich sprach ich«. Schuljahre in Nürtingen
  9. V. »Froh und emsig«. Denkendorf
  10. VI. »Er hat gestrebet«. Maulbronn
  11. VII. »So hat mir das Kloster etwas genüzet«. Tübingen
  12. Anhang