1 DER ANFANG – FUNKEN IN DER WELT
Es ist also meine erste Veröffentlichung und es drängt mich, meine Überlegungen zur Prüfung einem breiteren Publikum vorzulegen, in der Hoffnung, dass es dem Einen oder Anderen weiterhelfen möge, letztlich um uns verunsicherten Christen wie auch den nichtgläubigen Menschen eine hoffnungsfrohe moderne Perspektive und Deutung des Lebens und Glaubens zu eröffnen. Ein hoher Anspruch, ich weiß es wohl…
Am Anfang meiner Schreibversuche standen die folgenden Texte. Ich war unsicher, mit welchem ich beginnen sollte, habe mich aber entschlossen, meinen Leserinnen und Lesern alle drei Anfänge gleichermaßen anzubieten. Anfänge, in denen Funken fliegen und verlöschen. Dabei soll es zunächst gar nicht ins Große und in die globalen Themen gehen, sondern ganz im Kleinen, im unscheinbaren privaten Bereich beginnen: am Anfang und am Ende menschlichen Lebens, wo sich Bedeutendes ereignet. Das Schlimme und Verheerende wird sich nicht ausblenden lassen…
1.1 VERSCHMELZUNG
Mann und Frau spielen Gott
Ihre Liebe drängt sie zueinander. Sie können nicht voneinander lassen. Ihre Körper sehnen sich nacheinander. Alle Hindernisse werden zur Seite geschoben. Gesellschaftliche Konventionen werden links liegen gelassen. Alle anderen noch so lieben Mitmenschen spielen keine Rolle mehr. Der Geliebte – die Geliebte ist das einzige Ziel allen Begehrens. Die beiden sind einander verfallen. Es drängt sie nach Vereinigung. Ineinander aufgehen und verschmelzen. Und genau das passiert: Kernschmelze! Ihre Keimzellen gehen ineinander auf, Eizelle und Spermium verbinden ihr Erbgut miteinander. Aus zweien wird ein drittes. Jeweils etwas von dem anderen in einem neuen Wesen. Von gleicher Art aber doch eigenständig und individuell. Ein Drittes tritt auf den Plan, in diese Welt. Neues Leben entsteht, weil diese beiden Menschen sich zueinander, sich ineinander haben treiben lassen.
Der allererste Anfang hat sich ereignet, die neue Zelle bleibt nicht lange allein, sie teilt und vervielfältigt sich schnell. Der Körper der Frau beherbergt diesen Neuanfang. Frau wird Mutter. Die befruchtete Zelle „rollt“ durch den Eileiter und strebt einer freudigen Aufnahme in dieser Welt entgegen; und das ist für die befruchtete Zelle in den ersten Momenten des Lebens nichts mehr, aber auch nichts weniger als die wohl vorbereitete, warme und weiche, empfangsbereite Schleimhaut der Gebärmutter. Hier wird sich das neue Leben für die nächsten 40 Wochen einnisten, hoffentlich wohl fühlen und immer weiter entwickeln. Oft „rollt“die befruchtete Eizelle aber auch einfach weiter, wenn sie nicht aufgenommen wird, die Gebärmutter nicht bereitet ist. Das, was schon als schützenswerter, potentieller Mensch mit zugesprochener Würde von der Kirche gesehen wird, tritt aus dem Leben wieder heraus.
(Beiseite gesprochen: Ist das eine natürliche Abtreibung durch und trotz Gott? Ein Kind, das den Eltern nicht geschenkt werden sollte?)
Aber im besten Fall wird schnell ein eigenes Herz schlagen, ein eigenständiges Leben wird den Bauch der Mutter immer mehr erfüllen, bis zur Reife, wenn es Zeit wird, die Enge der Gebärmutter zu verlassen und in die Weite der Welt hinausgeboren zu werden. Jetzt selbst atmend, aber noch lange nicht eigenständig und auf eigenen Füßen stehend. Noch lange ist die liebevolle Unterstützung der Eltern vonnöten.
Eine freudige liebevolle Erwartung des neuen Erdenbürgers durch seine Mitmenschen ist die wichtigste Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung. Eine Entwicklung, scheinbar aus dem Nichts und doch ganz und gar nicht in ein Nichts hinein. Dieser neue Mensch entwickelt sich innerhalb eines hochkomplexen gesellschaftlichen Umfeldes. Man bedenke die vielfältigen Wechselwirkungen im sozialen Umfeld, in dem sich dieser neue Mensch zu bewegen hat, in dem er sich zurechtzufinden und schließlich zu bewähren hat. Da wurde ein kleiner einzelner Funke geschlagen inmitten eines lodernden Lebens, zu hellem Feuer der Lebendigkeit bestimmt. Unser Zutun ist da nur ganz bescheiden.
1.2 TANTE TINA – WENN DER FUNKE VERGLIMMT…
Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen leben und gestorben sein!
Eines meiner mich am meisten bewegenden Erlebnisse war das Sterben meiner Tante Tina. Ich hatte sie mit meinem Vater in den letzten Jahren ihres Lebens betreut und begleitet, als die hochbetagte, über 95 Jahre alte Frau ihre Eigenständigkeit, ihre Aktivität, ihre geistige Klarheit und die treuen Dienste ihres Körpers immer mehr schwinden sehen musste. Nicht mehr schmerzfrei gehen zu können, weil die Schmerzen im Rücken immer unerträglicher wurden ist schon schlimm. Schlimmer ist aber, deshalb nicht mehr zu ihrem Dienst im Dom gelangen zu können. Nicht mehr zwischen den Altersheimen zu pendeln, um die jüngeren − (!) also die noch nicht Ü-90-Menschen – zu trösten und besuchen zu können. Nicht mehr alleine zum Einkaufen oder zum Friseur gehen zu können. Sich nicht mehr zurecht zu finden, weil sie sich nicht mehr zeitlich orientieren konnte: „…wenn man nicht mehr weiß, dass es Montagmorgen ist, darf man sich nicht wundern, dass kein sonntägliches Hochamt stattfindet!“
Der unvermeidliche Übergang in das Pflegeheim, der zu noch mehr Inaktivität führte, so dass weder Lesen, noch Fernsehen oder irgendwelche Kreisspiele in der Lage waren, Begeisterung zu wecken. Unsere Besuche zauberten manchmal noch ein immer müder werdendes Lächeln auf das dankbare Gesicht. Bis zu der Situation, als diese Frau schließlich nur noch flach atmend in ihrer letzten Nacht, treusorgend von den Schwestern eingecremt worden war, das Haar ein letztes Mal gekämmt wurde und weder leise Musik noch Ansprache sie zu erreichen schienen. Aber die Haut ihrer Hand war warm und weich, der Brustkorb hob und senkte sich beim Atmen von ganz allein, Leben war in ihr. Göttlicher Hauch, ein Funke in ihr, aber ein Funke, der nur noch ganz leicht glimmte, ein winziger Windhauch würde ihn zum Verlöschen bringen…
…wie es dann in dieser Nacht auch geschehen ist. Als ich am Morgen gerufen wurde, war sie gestorben. Der Körper noch warm, aber ihre Lebendigkeit war von ihr gewichen. Es war noch Tante Tina, aber der am Vorabend noch von allein atmende Körper, ihr Brustkorb, der sich hob und senkte, regte sich nicht mehr. Der Priester kam, wir übergaben sie nun in eine andere Sphäre und Verantwortlichkeit. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Noch nah am Leben, aber jetzt tot.
Am selben Abend war sie schon ganz weit weg. Der Körper kalt, die Haut wirkte wie Wachs, das Gesicht fremd… Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Fünklein Leben und dem Gestorbensein.
1.3 VERNICHTENDES FEUER
Göttlicher Funke und Gewaltregime
Andererseits können Funken auch verheerende Flächenbrände und Feuersbrünste auslösen. Totalitäre Regime, Herrschaftssysteme und Diktatoren, errichteten mit den von Gott (?) gegebenen Möglichkeiten furchtbare Schreckensherrschaften. Es mag mit der Ausrottung der Neandertaler begonnen haben. Weiter ging es mit den Ägyptern, Assyrern, Babyloniern, dem Römischen Reich, der Herrschaft der Stalinisten, den Mao Tse Tungs, den Idi Amins, Assads und Hitlers dieser Welt.
Sie alle nutzten oder muss man sagen: nutzen immer noch, die ganze Bandbreite der den Menschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, göttliche Funken, für ihre zerstörerischen Zwecke. Sie befeuerten und vereinten die Massen mit Ideologien und einer Sinnstiftung, auf die orientierungslose Menschen nur gewartet zu haben scheinen. Die Begeisterung der Menschen erreichte mitunter religiöse Dimensionen und wurde sich von einem Teil des Volkes komplett zu eigen gemacht. Sie erfüllten die Menschen dermaßen, dass sie zu Höchstleistungen angespornt wurden. Sie erfanden und bedienten sich gesellschaftlicher Unterdrückungsmechanismen und Organisationen und in der Regel einer militärisch-industriellen Tötungsmaschinerie. Sie fügten ihren unzähligen Opfern massenhaft Leid in unvorstellbarem Ausmaß zu und triumphierten zynisch über den Leichenbergen. Menschliche Anstrengung und Leistung, unter Benutzung der gottgegebenen Möglichkeiten der Schöpfung, allerdings zu einem furchtbaren Zweck.
Gleichzeitig erfreuten sich diese Menschen, die Unterdrücker und Gewalttäter, sehr wohl auch an dem Sonnenschein und der Natur, dem Miteinander in Gruppen, Familien und Partnerschaften und ihren Kindern. Auch da gab es Selbstlosigkeit, Mitgefühl, Liebe, Freundschaft und echte Trauer, wenn da nur nicht dieser pervertierte Zweck ihres Tuns mit den oft bis ins Kleinste geplanten erschreckenden Auswüchsen gewesen wäre. Ein loderndes verzehrendes Feuer, das von ihnen entfacht wurde, um eine vernichtende Wirkung zu hinterlassen. Funken, die einen Flächenbrand in ihrer Welt entzündeten und der erst mit noch gewaltigeren, glücklicherweise immer wieder erfolgreichen Anstrengungen von Gegenfeuern niedergerungen werden konnten. In Deutschland mussten die brennenden Städte zu einem furchtbaren Fanal werden – auf der anderen Seite der Welt gipfelte es im gleißenden Licht des tödlichen Atomblitzes.
Eigentlich muss man sich gar nicht für den einen oder anderen Anfang entscheiden. In allen drei Anfängen meines Buches zeigen sich überwältigende Erfahrungen des menschlichen Lebens in ihren positiven wie negativen Facetten. Dabei sind das nur drei Blitzlichter von endlosen vergleichbaren Momenten, die bereits über Tausende von Jahren erlebt und empfunden wurden und sich ständig so oder ähnlich immer wieder neu ereignen (werden).
1.4 GRUNDIDEE: DER GÖTTLICHE FUNKE
Der Funke als Bild scheint mir trotz aller Schwächen, die solche Bilder nun einmal mit sich bringen, gut geeignet, meine Ideen auszudrücken. Der zentrale Begriff meines Buches ist die Vorstellung vom göttlichen Funken. Konkreter: Die Vorstellung vom göttlichen Funke in dir, in mir und allem. Diese Idee wird uns durch das gesamte Buch in vielfältiger Weise begleiten, um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Insbesondere wenn man den Gedanken vom Funken in dir, in mir und allem für sich persönlich bedeutsam werden lässt, führt es zu einem völlig neuen Lebensgefühl. Vielleicht zunächst so viel als Kurzdefinition: Es ist die Erkenntnis eines tiefen Durchdrungenseins der gesamten Welt von einer gestalteten und gestaltenden Kraft. Ich verstehe diese Durchdringung aber nicht als vorhersehende Steuerung, sondern eher als wohlwollende Begleitung und Bedingung aller Möglichkeiten. Es geht um die Entwicklung des Potentials dieser Welt und jedes Einzelnen, insbesondere wenn man im Konsens und in Resonanz dazu steht.
Religiös gesprochen ist damit natürlich das Göttliche gemeint. Das Göttliche bestimmt sich traditionell als Gegensatz zum Menschlichen. Angesichts der defizitären Struktur der Welt im Erleben der Menschen zeigt sich das Göttliche als vollkommen und positiv. Weil Vollkommenheit aber nur ansatzweise in der Welt erlebt wird, erscheint das Göttliche als übernatürlich. In diesem Verständnis kommt es zur Konkurrenz. Im Gefolge dessen führt es zu einer grundsätzlichen Trennung der weltlichen, menschlichen von der göttlichen Sphäre und damit zu einer dualen Weltstruktur.
Dies will ich durch meine Idee vom göttlichen Funken in dir, in mir und allem überwinden. Dabei soll es nicht zu einem Pantheismus (Alles ist Gott) kommen, sondern eher zu einer Art modifiziertem Pan-en-theismus (Alles ist in Gott bzw. Gott ist der Welt immanent und transzendent zugleich11) bzw. eher zu einer Gott-ist-in-allem-Theologie.
Nicht religiös gesprochen meint der Funkengedanke die Mechanismen dieser belebten wie der unbelebten Welt, die ein geordnetes oder auch ungeordnetes Miteinander aller Dinge gewährleisten. Die Mechanismen, die den fortschreitenden Prozess dieser Weltentwicklung ermöglicht haben und am Laufen halten. Das, was das Universum erhält, steuert und evolutiv vorantreibt. Das erscheint für mich nicht willkürlich, sondern gerichtet in der Entwicklung.
Wenn diese Kräfte sich als Möglichkeit der Gestaltung in der Welt realisieren, gibt es im einzelnen Menschen, in jedem Individuum die Option, diese Kräfte und Möglichkeiten zu nutzen. Das gilt in abgestufter Weise auch für Tiere, in reduzierter Weise in jedem organischen Lebewesen, den Pflanzen. Teilhard de Chardin unterstellt sogar den anorganischen Bestandteilen der Welt eine Rolle in diesen Prozessen12.
Unter den Lebewesen wird dieser Funke von Anfang an die Überlebenskräfte aktiviert haben, was in der Folge zur Konkurrenz aller untereinander geführt haben mag. Wenn es dann im Laufe der Entwicklung dieser Welt inklusive der Menschheitsgeschichte gelingt, die berechtigten Interessen aller zu berücksichtigen und miteinander zu vermitteln, wäre ein bisschen Himmel auf Erden erreicht. Wenn das nicht gelingt, entsteht durch Egozentrik, Rücksichtslosigkeit und Gewalt für die Unterlegenen Hölle und Leid hier und jetzt.
Beispiele für den göttlichen Funken in dem Leben dieser Welt habe ich schon deutlich gemacht: Wenn die Menschen „Gott spielen“ und aus sich und ihrer gegenseitigen Zuwendung heraus neues Leben entstehen lassen. Wenn der Funke den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutet, wie ich es in „Tante Tina“ und der „Verschmelzung“ beschrieben habe. Wenn die Funken verzehrendes Feuer auslösen, was wir tagtäglich überall sehen können.
Keine Dualität
Daraus ergibt sich, dass es für mich keine Trennung zwischen dem „Göttlichen“ und dem „Weltlichen“ gibt. Willigis Jäger sagt: keine Dualität13. Das Göttliche ist ganz in unsere Welt eingegangen, Grund und Kern von allem. Ich bin gleichwohl überzeugt, dass ohne eine verbindende und gestaltende, nennen wir es „göttliche Kraft“, in dieser Welt, diesem Kosmos, nichts Konkretes da wäre. Diesen Bogen wage ich extrem weit über alles zu spannen. Aus diesem Göttlichen kommt für mich nicht nur das Gute, das Angenehme, das Vollkommene. Ob in der Fülle oder auch nur in der ansatzhaften unvollkommenen Göttlichkeit dieser Welt, die oft so ganz ungöttlich ist. Auch das Zerstörerische, Lebensfeindliche, Gewalttätige stammt aus diesen Funken. In der Sprache der Bibel gesprochen: Gott schuf eben nicht nur das, von dem er sagen konnte, dass es gut war, sondern auch das Gegenbild dazu, das Ungute. Alles, was uns das Leben schwer macht
Uns begegnet seit allen Anfängen eine ambivalente Welt, die die Entwicklungsmöglichkeiten für das Gute, aber auch für das Böse in den Schoß gelegt bekam. Diese ambivalente Welt ist vor allem nicht von den Menschen verschuldet, sondern den Menschen von Anfang an als Aufgabe in die Hände gelegt.
Wie komme ich dazu, diese Kraft, diesen Funken, göttlich zu nennen?
Für mich liegt die Antwort auf diese Frage so klar, überzeugend und plausibel wie nur irgendetwas vor uns. Die Welt hat insgesamt eine gigantische Entwicklung genommen. Und zwar unter Beteiligung aller materiellen Gegebenheiten und Wesen. Trotz aller Rückschläge und zerstörerischen Wirkens des Menschen hat sich in Summe eine erstaunliche...