„FRAU ZU SEIN, HAT MICH RADIKALISIERT. ICH MUSSTE MIR DEN MUT UND MEINE STIMME ERARBEITEN – UND AUCH EINEN GEWISSEN STATUS. ICH KANN ES MIR ERLAUBEN, DEN MUND AUFZUMACHEN – ANDERE KOLLEG:INNEN VIELLEICHT NICHT.“
Verena Altenberger ist eine der beliebtesten und gefragtesten österreichischen Schauspieler:innen. Die Rolle der polnischen Altenpflegerin Magda in der RTL-Serie „Magda macht das schon!“ und der „Polizeiruf 110 München“ in der ARD machten sie auch in Deutschland berühmt. 2021 stand sie als Buhlschaft am Salzburger Domplatz auf der Bühne, seit Herbst 2021 ist sie, gemeinsam mit Regisseur Arash T. Riahi, Präsidentin der Akademie des österreichischen Films.
MY FAVOURITE SEASON is the fall of the patriarchy – Meine liebste Jahreszeit ist der Fall des Patriarchats – wer Verena Altenberger nicht kennt, dem reicht wohl ein kurzer Blick auf ihre Twitter-Biografie, um zu wissen, was Sache ist. Altenberger positioniert sich klar und deutlich. Während ich an diesem November-Montag in der Servitengasse im neunten Wiener Gemeindebezirk auf die Schauspielerin warte – übrigens die einzige Straße in Wien, die sich genauso gut in Paris befinden könnte –, scrolle ich durch Altenbergers Twitter-Feed; ein politisches Posting folgt aufs nächste, eine feministische Diskussion auf die andere. 14.000 Menschen folgen ihr auf dem Kurznachrichtendienst, auf Instagram sind es 45.000, man kann getrost sagen, dass Altenberger mittlerweile eine der lautesten politischen und feministischen Stimmen der Kulturbranche – oder besser: des Landes – ist.
Und dann ist meine Interviewpartnerin auch schon da. „Hallo! Du erwischst mich gerade voll entspannt“, sagt Verena Altenberger, wir spazieren einige Schritte weiter und setzen uns ins nächste offene Café. „Ich drehe in einer Woche ab, und weil sich der Dreh einige Tage nach hinten geschoben hat, bin ich jetzt eine Woche am Stück in Wien. Das passiert eher selten“, erzählt sie. Altenberger geht ins Lokal und bestellt uns Pain au chocolat, einen Brownie, Kaffee und Tee, sie zahlt, wir nehmen draußen Platz.
Altenbergers Haare sind in diesem Spätherbst 2021 immer noch raspelkurz. Modezeitschriften würden ihren Look „Buzzcut“ nennen – die Oscar-Preisträgerin Natalie Portman hat einen getragen, genauso wie das Model Cara Delevingne und die Schauspielerin Kristen Stewart; das ist also nichts Neues, das kennt man, trotzdem ist es gefühlt ein Nationalereignis, als sich Altenberger im Mai 2021 von ihrer langen, braunen Mähne trennt und sich für ihre Rolle in „Unter der Haut der Stadt“ den Kopf kahlschert. Immerhin spielt die Salzburgerin in dem Film eine krebskranke Frau. Damals ist bereits bekannt, dass sie wenige Wochen später am Salzburger Domplatz die Buhlschaft neben ihrem Kollegen Lars Eidinger geben wird, über Altenbergers Frisur wird jedenfalls in sämtlichen deutschsprachigen Medien diskutiert. Ja, darf es denn das geben? Eine Buhlschaft mit Glatze? Ja, darf es. Muss es. Dass man diese Frage in der heutigen Zeit überhaupt noch stellt, ist eigentlich schlimm genug.
„Ich habe selbst nicht damit gerechnet, dass das so ein Thema wird“, sagt die Schauspielerin und beißt in ihren Brownie. „Spannend war ja nicht nur, wie die Medien das aufgeblasen haben, sondern wie Männer auf der Straße auf mich reagiert haben. Meistens wurde mir gesagt: ‚Steht dir total, du hast die perfekte Kopfform dafür‘ – man hat mich als Frau also wieder nur auf die Optik reduziert, einem Mann mit Glatze würde man das umgekehrt nie sagen“, erzählt sie. Angeflirtet worden sei sie jedenfalls gar nicht mehr, eher das Gegenteil war der Fall: „Manche sind mir gegenüber verbal aggressiv geworden. Ich glaube, dass diese Verweigerung, dieses Gefühl von ‚Diese Frau will anders aussehen, als wir glauben, wie sie aussehen muss‘ eine Unsicherheit bei vielen Männern ausgelöst hat.“ Den Begriff „Kampflesbe“ hört sie im vergangenen Sommer jedenfalls nicht nur einmal.
Die Haare wachsen wieder, und 2022 kann man den Spielfilm, für den sie sich die Haare abrasiert hat, und um den es eigentlich geht, jedenfalls im Kino sehen. Ich möchte von Verena Altenberger wissen, wie es für sie war, in die Rolle einer krebskranken Frau zu schlüpfen. Ihr ist diese Krankheit, das muss man wissen, nämlich nicht fremd. Ihre Mutter ist im Dezember 2015 nach fünfjährigem Kampf an Brustkrebs verstorben. Wie steht sie zu der Debatte, dass man selbst nur das spielen sollte und darf, was man auch wirklich ist und kennt? Hat es vielleicht sogar einen „Vorteil“, frage ich sie, wenn man etwas selbst durchgemacht hat?
„Ich arbeite grundsätzlich gerne an Themen, bei denen ich weiß, dass ich mich gut einbringen kann, weil sie mir nicht fremd sind“, sagt sie. Im Falle dieser Rolle sei es aber wirklich „grenzwertig und eigentlich scheiße“ gewesen. „Ich war viel zu tief in diesem Thema drinnen, so tief, dass ich den Schritt zurück nur sehr schwer machen konnte, um auch die künstlerische Ebene zu sehen. Das kann schon interessant sein, aber ich habe dort ja nicht meine Geschichte erzählt, sondern die der Caro, meiner Rolle. Das ist manchmal sehr verschwommen, ich war da einfach fast zu nah dran.“
Altenberger sagt, dass diese Rolle bei ihr eher zu einer Art Retraumatisierung geführt habe. Als therapeutisches Mittel zur Aufarbeitung eines Traumas sollte man so eine Filmrolle also nicht sehen. „Das ist unser Beruf ja auch gar nicht und wäre den Kolleg:innen gegenüber auch ziemlich unfair.“ Therapie findet Altenberger aber grundsätzlich wichtig, und zwar nicht nur, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Sie hat bereits vor dem Tod ihrer Mutter damit angefangen. Ich frage sie, ob sie dieses Stigma auch kenne, dass Therapie nur etwas für Menschen sei, mit denen etwas nicht stimme. So habe ich es jedenfalls gelernt. Klar, sagt sie. „Ich hatte auch lange Angst, dass mir eine Therapie meinen Ehrgeiz nimmt. Weil ich zu Hause oft gehört habe: ‚Was willst denn zu einer Therapie gehen – dann gehst danach nur mehr Blumenpflücken.‘ Also: Wenn man etwas für die psychische Gesundheit tut, kann man danach nur mehr den Weltfrieden wollen. Ich habe lange gedacht, dass ich nicht mehr künstlerisch arbeiten kann, wenn ich mental gesund werde.“ Heute kann sie darüber lachen.
Dann taucht Altenberger in Erinnerungen an ihre Mutter, an ihre Wurzeln, an ihre Kindheit ein. Ihre Familie kommt aus dem salzburgerischen Dorfgastein, dem ersten Ort im Gasteinertal, und „Dorf“ kann man hier ruhig wörtlich nehmen. Während Bad Hofgastein, Bad Gastein und Sportgastein schon eine Spur mondäner sind, ist das Leben in Dorfgastein, sagen wir, eher einfach. Altenbergers Mutter studiert in Wien Agrarwissenschaft an der Universität für Bodenkultur, sie ist gerade mal 21, als Verena zur Welt kommt. Zu Hause bleiben für das Kind? Das kommt für sie nicht infrage. Altenbergers Mutter gründet mit Freundinnen an der BOKU die Kinderkrippe, damit sie und ihre Kommilitoninnen studieren können, die gibt es übrigens heute noch. „Eine Egoistin, aber im positiven Sinn. Ich finde das toll“, sagt Altenberger. Mit fünf Jahren zieht sie mit ihrer Mutter nach Salzburg – und teilt sich mit ihr ein Zimmer in einer WG, weil kaum Geld da ist. Altenberger ist als Kind viel bei ihrer Oma, ihr Vater lebt in einem anderen Bundesland. Später kommt die eigene Wohnung, dann das eigene Haus – irgendwann wird ihre Mutter Direktorin einer landwirtschaftlichen Fachschule und bewirtschaftet einen Bauernhof. „Für uns war das ein sozialer Aufstieg.“
Die Frauen in Verena Altenbergers Umfeld sind durchwegs stark und selbstbestimmt. Eine ledige Oma väterlicherseits, Alleinerzieherin. Deren Kind, Altenbergers Papa, nennen die Einwohner:innen mitunter nicht bei seinem Namen, sondern schlichtweg „die Todsünd“. Die Oma mütterlicherseits hat vier Kinder und ist trotzdem berufstätig. Sie verdient ihr Geld als Hebamme, lebt damals noch ohne Strom, ohne Telefon. „Erst hat man gefragt: Wozu braucht die jetzt noch einen Beruf? Und dann war das auch noch etwas Medizinisches, damit war sie gleich suspekt. Sie wurde dann auch für anderes eingesetzt, hat nicht nur Kinder zur Welt gebracht, sondern auch Menschen beim Sterben begleitet.“ Die Großmutter mütterlicherseits geht tauchen, macht das Bierbrauerdiplom, ist einerseits selbstbestimmt, sagt aber zum Thema Scheidung „Sowas macht man nicht“.
Die Mutter verwirklicht sich später den Traum vom eigenen Bauernhof. „Sie hat sich ihr Leben lang gegen Männer durchsetzen müssen und immer gegen irgendwelche Männerbünde angekämpft. Natürlich hätte sie einfach einen Bauern heiraten können, aber das wollte sie halt nicht.“
Diesen Biss, diesen Ehrgeiz, das Durchhaltevermögen, das habe sie von ihrer Mutter, sagt Altenberger. Und die Gewissheit, dass man vieles schaffen kann, wenn man möchte.
So wie in jeder Elternschaft gibt es aber auch Dinge, in denen die Eltern kein ganz so gutes Role Model sind. Bei Verena Altenbergers Mutter betrifft es das eigene Körperbild, das sie auch an ihre Tochter weitergibt. „Bei diesem Thema war meine Mama total blind. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der sie nicht auf Diät war.“ Einerseits die selbstbewusste Frau, die eine Männerdomäne aufmischt, andererseits dieses Hadern mit sich selbst und dem eigenen Aussehen. Irgendwann stellt auch die Tochter ihren Körper infrage. „Ich weiß noch, dass ich schon früh in meiner Kindheit dagesessen bin, meine Oberschenkel abgelegt habe und mir dachte: Maximal darf da nur so und so viel Speck dran sein. Und dann kommt dazu noch das Körperbild, das einem von außen vermittelt wird.“
Wenn Verena Altenberger davon erzählt, wie alleine sie sich gefühlt hat, wie orientierungslos in einer Gesellschaft, die ein bestimmtes Körperbild als Ideal stilisiert – 90-60-90 –, kann ich das gut nachvollziehen. Ich erinnere mich selbst, welchen Druck ich als junges Mädchen hatte, schlank zu sein. Man hat ja auch nirgendwo Körper gesehen, die nicht diesen Proportionen entsprachen, nicht im Fernsehen, nicht in Magazinen, nicht in der Werbung. Ich hatte auch niemanden, der mich an der Hand genommen hat, habe irgendwann begonnen, Leistungssport zu machen und immer weniger zu essen, um abzunehmen. Irgendwann hatte ich eine Essstörung. Mein Körper und ich: jahrelang ein ziemlich hässlicher Kriegsschauplatz.
Ich habe erst spät begonnen, dieses gesellschaftliche Bild zu hinterfragen, Verena Altenberger geht es genauso, sagt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. „Ausschlaggebend war unter anderem die Krankheit meiner Mutter. Für sie war es total schlimm, ihre Haare zu verlieren und sich ihre Brust amputieren lassen zu müssen. Sie hat sich komplett entfraulicht gefühlt. Das klingt jetzt vielleicht absurd, aber für mich hat sie zu diesem Zeitpunkt so schön ausgesehen wie nie zuvor. Wie eine Fee.“ Altenberger versucht, das auch ihrer Mutter zu vermitteln, stößt beim Versuch, Selbst- und Fremdwahrnehmung in Einklang zu bringen, aber an Grenzen.
„Da ist mir zum ersten Mal aktiv klar geworden, wie schwierig es ist, einem Menschen zu zeigen, dass er schön ist, wenn er das selbst nicht denkt. Das loszulassen ist so eine Herkulesaufgabe, wenn das deine Wahrheit ist.“
Ich erinnere mich an ein Posting von Altenberger aus dem Jahr 2020: „Meine Mama ist vor ein paar Jahren an Brustkrebs gestorben. In den Jahren der Erkrankung vor ihrem Tod hatten wir viele tolle, sehr wichtige Gespräche. Ich habe sie gefragt, was sie bereut oder gerne anders gemacht hätte in ihrem Leben. Sie hat geantwortet, sie hätte gerne verstanden, wie schön sie eigentlich ist. Stattdessen ist sie unzufrieden mit dem eigenen Aussehen durchs Leben gegangen. 8 Kilo weniger, dann wäre endlich alles perfekt. Mir hat sie gewünscht, dass ich verstehe, dass ich schön bin, dass ich mich und meinen Körper genießen kann und nicht so viele negative Gedanken und Energie auf ein vermeintlich perfekteres Aussehen verschwende. Ich scheitere jeden Tag daran.“ Das Foto zum Posting zeigt Altenberger mit eingezogenem Bauch, gleich daneben stellt sie ein „normales“ Bild, bei dem der Bauch ein bisschen über die kurze Hose hängt. Body Positivity, wie sie sein soll, wichtig für all die jungen Mädchen, die ihr heute folgen und sie als Role Model ansehen.
Ich nehme einen großen Bissen von meinem Pain au chocolat, es ist ja gerade das passende Thema dafür. Früher hätte ich wahrscheinlich darüber nachgedacht, wie viele Kalorien das Ding hat, das ich da esse, oder es erst gar nicht bestellt. Ich will mit Verena über ihren Job und Frauenkörper reden, denn Körperbilder spielen vor allem in ihrem Metier, der Schauspielerei, eine große Rolle.
Altenberger hat schon immer davon geträumt, irgendwann auf der Bühne zu stehen, weil sie aber an der Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar scheitert, studiert sie erst Publizistik und schließt mit einem Bachelor ab. Sie arbeitet in Brüssel, spricht dann aber doch noch für die „Junge Burg“ am Burgtheater vor – und bekommt dort einen Jahresvertrag. Was Körperbild auf der Bühne heißt, lernt sie schnell. Sie hört: „Du spielst die (sexy) Sekretärin, weil du wie eine aussiehst.“ Am nächsten Theater sagt man ihr: „Wir müssen dein Kostüm adaptieren, denn wenn du deine Brüste nicht mehr herzeigst, weiß ich nicht, was an deiner Performance interessant sein soll.“ Sätze wie diese hört sie vorwiegend von Männern, sagt sie, „aber ich möchte Frauen da nicht ausnehmen, es gab und gibt am Theater auch genug, die sehr patriarchal eingestellt sind“. Was sie gebraucht hätte, wären Menschen in höheren Positionen, etabliertere Kolleg:innen, die Partei ergreifen und solche Verhaltensweisen unterbinden.
Gegen diesen Sexismus begehrt sie erstmal nicht auf, ihre feministische Stimme muss sie erst finden und formen. Feminismus als Lebensprinzip hat sie durch ihre Omas und ihre Mutter kennengelernt, obwohl man das damals nicht unter diesem Begriff gelabelt hat. An ihren feministischen Erweckungsmoment erinnert sie sich heute noch ganz genau: Mit einem Freund sitzt sie nach ihrem Urlaub in einem schicken Lokal in Salzburg – als eine dicke Frau mit bauchfreiem T-Shirt und kurzer Hose das Lokal betritt, laufen in Verena Altenbergers Kopf eingelernte Gedanken ab: „Was hat die denn da an? Was macht die überhaupt hier?“ Doch zum ersten Mal meldet sich in ihrem Kopf eine zweite Stimme: „Was denkst du da gerade? Eigentlich ist das doch toll, die Frau kann sich doch anziehen, wie sie möchte!“
Seither, sagt Altenberger, gebe sie Frauen einen hundertprozentigen Vertrauensvorschuss und positive Gedanken. Sie beginnt damals, sich in diesem Bereich zu bilden, sich mit Feminismus als Theorie auseinanderzusetzen, liest Bücher, hört Podcasts, reflektiert, warum sie solche Gedanken wie in der oben beschriebenen Situation überhaupt hat, woher sie kommen. „Das hat mir nicht nur dabei geholfen, Frauen gegenüber solidarischer zu sein, sondern hat auch den Blick auf mich selbst verändert, die Stimme meiner Sozialisierung abzustellen. Ich habe auch aufgehört, zu streng mit mir und meinem Körper zu sein, bin liebevoller und gleichzeitig sensibler dafür, Sexismus, Diskriminierung, Übergriffigkeit auch bei anderen zu erkennen – wenn er ihnen passiert u...