10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten
eBook - ePub

10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten

  1. 168 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der erfolgreiche Elternratgeber aus den USA zeigt in zehn Kapiteln zehn zentrale Besonderheiten autistischer Kinder auf - zum Teil in "Ich-Form" aus der Sicht des autistischen Sohnes der Autorin. Das Buch hat vier Schwerpunkte: Wohnen, Kommunikation, soziales Verhalten sowie Stärkung des Selbstwertgefühls autistischer Personen. Es richtet sich insbesondere an Eltern mit autistischen Kindern, aber auch pädagogische Kräfte (Kita, Schule) profitieren von den Ausführungen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu 10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten von Ellen Notbohm im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Sozialwissenschaften & Sozialarbeit. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2021
ISBN
9783784135205

1. Kapitel

Ich bin eine ‚ganze‘ Person

Mein Autismus ist ein Teil von mir, aber ich bin auch noch mehr. Bist du nur eins, oder bist du ein Mensch mit Gedanken, Gefühlen, Ideen, Vorlieben und Abneigungen, Begabungen und Träumen? Bist du dick (übergewichtig), kurzsichtig (hast du eine Brille?) oder tollpatschig (unkoordiniert)? So etwas sehe ich, wenn ich dich zum ersten Mal treffe. Aber du bist doch mehr als das, oder nicht?
Ich bin ein Kind, ich lerne und ich wachse. Wir wissen beide nicht, was ich vielleicht alles kann. Wenn du denkst, ich bin nichts anderes als autistisch, dann traust du mir vielleicht zu wenig zu. Und wenn ich merke, dass du denkst, ‚das kann mein Kind nicht‘, dann denke ich, ‚warum soll ich es versuchen?‘

„Kennen Sie den Begriff ‚Autismus’?“

Das war die erste Frage, die mir von Bryce’ sonderpädagogischen Früherzieherinnen gestellt wurde. Es war auch das erste Mal, dass ich den Begriff ‚Autismus’ in Zusammenhang mit meinem Kind hörte. Das war für mich, wie wohl für viele andere Eltern auch, ein verstörender Moment. Dieses eine Wort brachte meine Vorstellung von der Zukunft meines Kindes völlig durcheinander, ich betrat unsicheren Grund.
Die Angst vor dem Ungewissen ist etwas, das bei allen Menschen eine große Angst auslösen kann. Aber in diesem furchterregenden Moment sah ich die Oktobersonne durch die Fenster hinter mir durchscheinen und hatte das Gefühl, dass sie sich wie eine beruhigende Hand auf meine Schultern legte. Da war die riesige Bedrohung durch das Wort ‚Autismus‘, ich wusste ja nicht viel darüber, aber ich sah auch ein Licht am Horizont, denn ich hatte eine Gewissheit: Mein Sohn war immer noch dasselbe Kind, das ich liebe und geliebt habe, seit ich von meiner Schwangerschaft erfahren hatte. Und ich war dieselbe Mutter, die mein Kind liebt und geliebt hat, der es Vertrauen schenkt. Was sollte Autismus daran ändern können?
Ich bin jetzt keine Verfechterin von Political Correctness in Szenarien, wo das aus meiner Sicht keine Rolle spielt, aber nach dieser ersten ‚Enthüllung’ musste ich entscheiden, wie ich zu meinem Kind und seinem Autismus stehen, und wie ich meine Sichtweise ihm selbst und den anderen in unserem Umfeld gegenüber vertreten könnte. War mein Sohn jetzt ein ‚Kind mit Autismus’ oder war er ‚autistisch‘? Das damals in der Gesellschaft übliche Bild von Autismus gründete sich weitgehend auf irrige Vorstellungen, und ich sah mich damit konfrontiert, dass Wörter einerseits einen Sachverhalt korrekt benennen können, andererseits aber Erwartungen oder Schubladendenken erzeugen und somit ein Hindernis für das Kind darstellen, langfristige und realistische Ziele in seiner Entwicklung zu erreichen.
Als meine Familie Mitte der 1990er-Jahre mit dem Spektrum in Berührung kam, bedeutete für Eltern autistischer Kinder und für Menschen, die beruflich mit Autismus befasst waren, das Wort ‚autistisch‘: ‚mit oder mit Bezug auf Autismus‘ oder ‚eine Person mit Autismus‘. Das ist auch heute noch so. Aber damals wie heute machen diejenigen, die mit einem autistischen Kind leben und es lieben, die frustrierende Erfahrung, dass es in der Welt um uns herum an Wissen über Autismus mangelt und das Denken von unfairen Stereotypen geprägt ist.
Zu der Zeit, als bei meinem Sohn die Diagnose gestellt wurde, wurde eins von 750 Kindern als autistisch diagnostiziert. Autismus wurde in der Regel als ‚seltene‘ und ‚rätselhafte Störung‘ (oder schlimmer noch als ‚Krankheit‘) beschrieben. Ob es uns gefiel oder nicht, Außenstehende reagierten damals auf das Wort ‚autistisch‘ nicht gerade positiv, kamen nicht auf die Idee, sich von der Etikettierung zu lösen und den Menschen dahinter in seiner Ganzheit zu sehen, voller Begabungen wie auch Eigenheiten. Üblich waren Reaktionen wie „Ohje. Schweigsamer, zurückgezogener Alien”. In erster Linie ging man von Einschränkungen aus. Oder wir trafen auf entgegengesetzte und dennoch erdrückende Assoziationen: „Ohje. Linkisches, antisoziales Computer-/Mathe-/Musikgenie.”
Die Wahrnehmung von Autismus veränderte sich grundlegend, als eine Generation von Kindern, die mit Autismus diagnostiziert worden war, sich als vor Leben sprühende und ausdrucksstarke Menschen, die sich vollkommen mit dem ‚autistisch‘-Sein identifizierten, Gehör verschaffen konnten. Durch sie bekam ein Wort, das zu ihren Kinderzeiten ausgesprochen negative Assoziationen geweckt hatte, einen anderen Klang. Früher ein banales Adjektiv, jetzt eines, das viele von ihnen selbst definieren. Ihre Stimmen sind authentisch und brachten mich dazu, meinen Gebrauch des Wortes ‚autistisch‘ zu überdenken. Aber es ist wichtig zu wissen, von wo wir kommen, um zu verstehen, wo wir jetzt sind.
Wenn negativen oder ungenauen Beschreibungen von Autismus der Boden entzogen wird, dann verändert sich allmählich die Wahrnehmung. Als Erstes sollten wir uns fragen: Welche Erwartungen werden durch Wörter geweckt?
Als ich anfing, nach Informationen zu suchen, um einen ersten Zugang zu dem Thema Autismus zu bekommen, stieß ich auf ein lächerliches Online-Wörterbuch, das zu dem Wort ‚autistisch‘ das Synonym ‚untauglich‘ nannte und dann noch auf eine lächerlich lange Liste mit 155 ‚verwandten Wörtern‘ verwies. Darin fand sich z. B. ‚betäubt‘, ‚katatonisch‘, ‚emotional tot‘, ‚gierig‘, ‚herzlos‘, ‚narzisstisch‘, ‚selbstsüchtig‘, ‚seelenlos‘ und ‚unnahbar‘. Nicht eines dieser Wörter beschreibt mein Kind, und ich vermute, Ihres auch nicht.
Auf lange Sicht – und es ist ja auch ein weiter Weg – ist Ihre Sichtweise des ‚Autismus‘ Ihres Kindes der entscheidende Faktor, der bestimmt, welche Ziele es letztlich erreicht. Egal wie Sie es bezeichnen, ob ‚Kind mit Autismus‘, ‚autistisches Kind‘, ‚Aspie‘, ‚aus dem Spektrum‘ oder ‚ASD‘. Bewusst oder unbewusst treffen Sie hunderte Male täglich Entscheidungen, die auf Ihrer Einstellung beruhen. Verlieren Sie den Blick auf Ihr Kind in seiner ‚Ganzheit‘ hinter einer Etikettierung, dann wird Ihr Leben und seines anstrengender.
Ihre Sichtweise des ‚Autismus‘ Ihres Kindes ist der entscheidende Faktor, der bestimmt, welche Ziele es letztlich erreicht.
Alle Kinder durchlaufen in ihrer Entwicklung Phasen des Gleichgewichts und des Ungleichgewichts. Die meisten Kinder testen ihre Grenzen aus, sagen gern ‚schmutzige‘ Wörter auch vor fremden Leuten, sind starrsinnig bis zum Gehtnichtmehr, schmeißen Spielzeug in die Toilette, wollen sich nicht waschen und weinen, wenn es nicht nach ihrem Kopf geht.
Das alles auf Autismus zu schieben, ist nicht nur falsch und unfair, sondern Sie können dann auch nicht die Aspekte in der Entwicklung Ihres Kindes wertschätzen, die typisch für alle Kinder sind. Ihr Kind hat Hoffnungen, Vorlieben, Neigungen und Abneigungen, Ängste und Träume wie jedes andere Kind auch. Mit der Zeit und mit Ihrer Hilfe wird es Ihnen das mitteilen können, wenn auch nicht unbedingt durch Worte.
Jedes Kind hat es verdient, ohne den Ballast von Vorurteilen in sein Leben zu treten, gefördert zu werden und sich zu entwickeln. Etikettierungen sind selten harmlos, auch wenn sie nicht böse gemeint sind. Jedes Adjektiv, das man benutzt, um das Kind zu beschreiben, beeinflusst unsere Erwartungen und das Potenzial unseres Kindes.

Zu niedrig

„Bryce bekommt Einsen in meinem Unterricht“, sagte mir ein Lehrer beim ersten Elternabend in der Mittelschule. „Er macht alles, was von ihm verlangt wird, liefert die Hausaufgaben pünktlich ab, beteiligt sich lebhaft am Unterricht, und er stört nie.“
Weiter meinte er: „Ich dachte, ich wüsste alles über die Möglichkeiten autistischer Kinder, aber Bryce belehrt mich eines Besseren. Ich hatte schon autistische Kinder im Unterricht. Aber seine kreativen und organisatorischen Fähigkeiten sind viel besser als die der anderen …“
Mitten im Satz hörte er auf. „Ich glaube, ich verstehe es“, sagte er. „Durch dieses Wort schrauben wir unsere Erwartungen runter. Wir erwarten weniger von dem Kind, als es leisten kann. Liege ich da richtig?”
Ja, er hatte es verstanden. Und ein bisher schon guter Lehrer wurde ein noch besserer für alle autistischen Kinder, die nach Bryce zu ihm kamen. Der Lehrer hatte erkannt, dass durch die Etikettierung eines Kindes als ‚autistisch‘ im Kopf eine Schranke entsteht, eine Vorstellung von all dem, was das Kind vermeintlich nicht erreichen kann.
Jede Person, die mit dem Kind zu tun hat, errichtet die Schranke in einer anderen Höhe. Sei sie zu niedrig („Du denkst, ich kann das nicht. Warum soll ich es dann versuchen?“) oder zu hoch („Ich bin nie gut genug. Warum soll ich es dann versuchen?“), wieso sollten wir das Kind zwingen, eine zusätzliche Strecke zu bewältigen, nur damit es unsere schlecht durchdachten Erwartungen erfüllt? Der Weg ist auch so schon weit genug.

Zu hoch

„Heute Autist, morgen Genie“

Als ich dieses Motto auf dem Heck eines vor mir fahrenden SUV sah, dachte ich nur, wenn Stereotypen, auch wenn sie gut gemeint sind, oft genug wiederholt und verbreitet werden, dann sind sie gefährlich. Sie zeichnen ein elitäres klischeehaftes Bild, dem die meisten autistischen Menschen niemals werden entsprechen können. „Heute Autist, morgen Genie“: Durch diesen Slogan ist ein Scheitern der Menschen vorprogrammiert, die eigentlich damit unterstützt werden sollen. Ein Schulleiter9 einer Mittelschule sagte mir einmal, wie sehr es ihn freue, Bryce, ein autistisches Kind, aber eins, das weder ein Genie ist noch ein Verhaltensproblem hat, kennengelernt zu haben. Aber ist es nicht traurig, dass ein erfahrener Lehrer darüber erstaunt war, dass Bryce nicht einem Klischee entspricht? Wenn man die persönlichen oder gesellschaftlichen Erwartungen zu sehr hochschraubt, das autistische Kind als Intelligenzbolzen darstellt, dann läuft man Gefahr, eine realistische Sicht auf die Stärken und Schwächen des eigenen Kindes zu verlieren. Das Kind wiederum wird dann mit einem dauerhaften Gefühl der Unzulänglichkeit durchs Leben gehen. Stellen Sie sich vor, wie die Augen einer ungeduldigen Gesellschaft Sie verfolgen, sie mit den Fingern klopft, darauf wartet, dass sich das Genie offenbart. Ob das Kind nun mit Herausforderungen kämpft oder damit glücklich ist, wie es gerade zurechtkommt, ist dann irrelevant angesichts der vermeintlichen Größe, zu der es werden soll. Und eine (weitere) schwere Last.
Die Mutter eines Sechsjährigen hat mir einmal gesagt, dass die Frage, die sie hinsichtlich seines Autismus am meisten beschäftigt, die nach seinen Begabungen sei. Einige autistische Kinder werden irgendwann zu Genies. Die meisten aber nicht. Einige Menschen, die nicht autistisch sind, werden zu Genies. Die meisten aber nicht. Wir sind es unseren Kindern schuldig, an sie zu glauben, von ihnen überzeugt zu sein, sie zu unterstützen, egal ob sie irgendwann ein ‚Genie‘ werden oder nicht. Ein Genie zu sein, das bedeutet nicht zwangsläufig Unabhängigkeit, Produktivität oder Zufriedenheit im Leben. Wir kennen einen jungen autistischen Mann, der sich tatsächlich als Mathe-Genie entpuppt hat. Die Mutter macht sich Sorgen, weil es in der Familie noch mehr Mathe-Genies gibt. Leider langzeitarbeitslose Mathe-Genies. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Genies nicht so gut mit Kolleg*innen und Kund*innen umgehen können, sich schwer damit tun, Vorschriften zu befolgen, sich Ziele zu setzen, Termine einzuhalten. Sie wäre froher, wenn ihr Sohn ein bisschen weniger Genie, dafür gesellschaftlich besser integriert wäre und sich auf dem Markt etwas besser verkaufen könnte.

Zu breit

Ich möchte Ihnen noch einen Einblick in meinen Beruf geben, soweit es diese Diskussion betrifft.
Redaktion und Schreibwerkstatt ermahnen Autor*innen ständig, sie sollen nichtssagende Adjektive vermeiden und stattdessen aussagekräftigere Substantive, Verben oder Wendungen bevorzugen. Das fließt nicht immer so leicht aus der Feder. Es ist oft eine Anstrengung, diese spezifischeren, mehr gefühlsbetonten Konstruktionen zu Papier zu bringen. Aber damit wächst auch die Herausforderung beim Geschichtenerzählen. Ob Sie schreiben oder nicht, an dem Tag, an dem Ihr Kind geboren wird, fangen Sie an, eine Geschichte zu erzählen. Die Art und Weise, wie Sie die Geschichte in den jeweiligen Entwicklungsstufen Ihres Kindes erzählen, bestimmt, welche Menschen sich ihm zuwenden. Sie hat einen Einfluss darauf, wer bereit ist, eine Rolle auf einer einzelnen Seite der Geschichte, einem oder mehreren Kapiteln zu spielen und wer sich ausklinkt.
Wenn ich auf zahlreiche IEP-Treffen10 und Elternabende über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren zurückblicke, erinnere ich mich nur an sehr wenige Situationen, in denen ich oder die etlichen Lehrer*innen von Bryce den Begriff Autismus thematisierten.
Es ist mir lebhaft in Erinnerung, dass wir viele Stunden lang intensive Gespräche über die sozial-emotionale Kompetenz, über die sprachliche Entwicklung, die Sinneswahrnehmung, über kurz- und langfristige Ziele geführt und versucht haben, Herangehensweisen zu erarbeiten. Man könnte damit hunderte Seiten füllen. In kleinen Schritten haben wir über Jahre hinweg die einzelnen Herausforderungen definiert, formuliert, sind sie angegangen und haben sie gemeistert. Losgelöst von Schubladendenken hatten wir einen messbaren Erfolg. Mit der Zeit und mit unserer Unterstützung lernte Bryce, seine Anliegen geschickt selbst zu vertreten, und um das, was er brauchte, zu bitten. Dabei stützte er sich auf sein eigenes Verständnis dessen, wie er lernt und verarbeitet. Wie man diesen Lern- und Verarbeitungsstil benannte, war von untergeordneter Bedeutung. Er betrachtete seinen Autismus als wichtigen und existenziellen Teil seiner selbst, erkannte aber auch klar Aspekte in seiner Persönlichkeit und seiner Sicht auf die Welt, die man als ‚typisch‘ oder ‚üblich‘ bezeichnen könnte. Er verglich sich mit Mr. Spock aus Star Trek, bei dem der Vulkanier-Anteil und der menschliche Anteil nebeneinander existieren und sein Erleben des kognitiven und sozial-emotionalen Denkens beeinflussen – manchmal auf überraschende Art und Weise, aber immer als ‚ganze‘ Person.
Um unser autistisches Kind der Welt, die es bewohnen muss, zu präsentieren, müssen wir meistens etwas ausholen. Einfache Lösungen oder oberflächliche Beschreibungen greifen nicht. Wenn wir Tagesfreizeiten besuchten, zum Schwimmunterricht gingen, neuen Lehrer*innen, Begleiter*innen begegneten, mit der Nachbarschaft oder unserem Freundeskreis in Kontakt kamen, dann habe ich die Unterhaltung nie so angefangen, dass ich einfach gesagt habe, mein Sohn ist autistisch, sondern erläutert, wie sein Autismus ihn in der aktuellen Situation beeinflussen könnte. Ich habe eine kurze Liste mit Kommunikationstaktiken und Vereinbarungen erstellt, damit er das für sich Beste aus den verschiedenen Begegnungen herausholen konnte. Ich bat die Menschen, ihn direkt anzusprechen, aus der Nähe, die Standardsprache zu verwenden und Redensarten zu vermeiden. Mehr zu zeigen als zu sagen. Seine Aufmerksamkeit auf Gleichaltrige zu richten, an denen er sich orientieren konnte. Diese Anweisungen waren simpel, aber nicht banal. Durch dies...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe
  7. Vorwort der Autorin
  8. Der Anfang …
  9. 1. Kapitel
  10. 2. Kapitel
  11. 3. Kapitel
  12. 4. Kapitel
  13. 5. Kapitel
  14. 6. Kapitel
  15. 7. Kapitel
  16. 8. Kapitel
  17. 9. Kapitel
  18. 10. Kapitel
  19. Das Resümee von 10 Dinge
  20. Es geht weiter …
  21. Fragen zur Diskussion und Selbstreflexion
  22. Danksagungen
  23. Die Autorin