Die Tat als Aushandlung des Politischen
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Die Tat als Aushandlung des Politischen

Zur Logik des Politischen in der deutschsprachigen Literatur von 1773 bis 2014

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Die Tat als Aushandlung des Politischen

Zur Logik des Politischen in der deutschsprachigen Literatur von 1773 bis 2014

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In der Habilitationsschrift werden die Exekutionen der Tat in der Literatur beobachtet und auf ihr ErzĂ€hlung des Politischen befragt. Es geht darum, die spezifische Form und Funktion der Tat fĂŒr das Politische, ihre Eigenlogik und spezifische Programmierung in dem jeweiligen Text zu analysieren und Linien zwischen den Texten und Jahren aufzuzeigen.

Zwischen den in der Arbeit diskutierten Paradigmata (Teil I: 1773–1810, Teil II: 1891–1930, Teil III: 1968–2014) lassen sich auch auf der syntagmatischen Achse BezĂŒge herstellen, so dass sich eine diachrone Lesart der Tat ergibt, die die Beobachtung von historischen Konstellationen von dem Politischem und der Tat im Paradigma und Syntagma ermöglicht.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110765892

1 Die Tat und das Politische

[U]nd ein anderes [ist] die lebendige, ursprĂŒngliche, ewig junge, ewig von Neuheit, Erstmaligkeit und Unvergleichlichkeit glĂ€nzende Tat. [
] Überdies ist, wo immer es sich um eine Tat handelt, in erster Linie weder an dem Was noch an dem Wie gelegen (obgleich dies letztere wichtiger ist), sondern einzig und allein an dem Wer.
(Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull)
Das wahre Sein des Menschen ist vielmehr seine Tat; in ihr ist die IndividualitÀt wirklich, und sie ist es, welche das Gemeinte in seinen beiden Seiten aufhebt [
]. Die Tat ist ein einfach Bestimmtes, Allgemeines, in einer Abstraktion zu befassendes; sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat und so fort, und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen, sondern die Sache selbst. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist [
].
(Georg Wilhelm Friedrich Hegel: PhÀnomenologie des Geistes)

1.1 Einleitung

In den vorangestellten Zitaten aus Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull1 und aus Georg Wilhelm Friedrich Hegels PhĂ€nomenologie des Geistes2 erfĂ€hrt die Tat eine emphatische Setzung. Thomas Manns Text stellt mit einer dezenten ironischen Markierung die exzeptionelle wie ereignishafte PrĂ€senz der „lebendige[n], [
] von Neuheit, Erstmaligkeit und Unvergleichlichkeit glĂ€nzende[n] Tat“3 deutlich heraus, verweist aber zugleich auf die Beziehung von Tat und TĂ€ter*in: Weder die Tat an sich noch ihre jeweilige AusfĂŒhrung ist von Belang, vielmehr steht das die Tat ausfĂŒhrende spezifische Subjekt im Fokus. Die Tat scheint folglich etwas ĂŒber die IdentitĂ€t des Subjekts zu kommunizieren; mehr noch, so ließe sich vermuten: Die Exekution der Tat bewirkt eine Subjektivierung, generiert eine IdentitĂ€t. Zuvor liest bereits Hegel in der Tat „[d]as wahre Sein des Menschen“,4 in der Tat erst ist „die IndividualitĂ€t wirklich“.5 Zudem zeigt Hegel auf, dass die Tat sich nicht ethisch-moralisch festlegen lĂ€sst – „sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat und so fort“6 –; die Exekution der Tat ist folglich nicht auf ein heroisches wie altruistisches TĂ€tersubjekt zu reduzieren, das die dem Wohl der Gemeinschaft dienende Tat vollbringt.7
Folgt man den skizzierten Annahmen, so erweist sich die ErzĂ€hlung der Tat auch als bedeutsam fĂŒr die ErzĂ€hlung des Subjekts im Text und fĂŒr die Möglichkeiten der jeweiligen performativen Subjektivierung; die Exekution der Tat nimmt mit der komplexen Beziehung von Tat und TĂ€ter*in die doppelte Bedeutung des Wortes Subjekt auf, die Michel Foucault herausstellt: „[E]s bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner AbhĂ€ngigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene IdentitĂ€t gebunden ist.“8 Die durch die Tat geformten und trainierten (literarischen) Subjekte ließen sich in einem weiteren Schritt mit Andreas Reckwitz als „kulturelle Formen“9 begreifen, also als Ă€sthetische Modulationen von möglichen Formierungen des Subjekts zu einem gegebenen Zeitpunkt. Die durch die Exekution der Tat formierten Subjekte dienen auch als „kulturelle Form“10 fĂŒr die zu formenden außertextlichen Subjekte; der Blick auf die literarische Tat ermöglich so auch einen Blick auf die möglichen außertextlichen Subjektformen.11
Zudem sticht – so Thomas Mann – die ErzĂ€hlung der „lebendige[n]“12 Tat als Ereignis aus dem Syntagma des Textes hervor: Die Beobachtung der Tat im Text ließe sich somit als Beobachtung des ereignishaften Nexus von Tat, TĂ€ter*in und Subjekt verstehen; die Tat kann zugleich als Kristallisationspunkt wie als Katalysator der Subjektivierung und des Geschehens gelesen werden. Die spezifische semantische FĂŒllung der Tat ist somit weniger von Belang als ihre jeweilige Funktion fĂŒr das Subjekt und das Textereignis. Wird die Tat mit einem politischen Vektor verknĂŒpft – und dies ist bei einer Vielzahl von Texten, so eine erste heuristische Annahme, der Fall –, wird das Paradigma der Tat deutlich: Die ErzĂ€hlung der Tat verhandelt dann nicht nur die Subjektivierung des (in der Regel mĂ€nnlichen) Individuums und das Ereignis der Tat, sondern dient zugleich der textĂŒbergreifenden Diskussion, Installation oder Revision der politischen Ordnung oder des politischen Körpers.13
Das skizzierte Paradigma der Tat ist in der Literatur in diversen Kontexten und Texten virulent: Bereits in Sophokles’ Antigone, in dem die paradigmatische und emphatische Tat14 der griechischen Antike erörtert wird, legt die Exekution der Tat – Antigone vollzieht die rituelle Bestattung ihres Bruders Polyneikes gegen die Anweisungen des Herrschers Kreon – die Diskussion des Politischen nahe: Zum einen macht Antigones Tat die Differenzen zwischen der staatlichen und der religiös-familiĂ€ren Ordnung deutlich; die Befolgung beider Ordnungen ist aufgrund ihrer Dichotomie nicht möglich, folglich muss die Relevanz der jeweiligen Ordnung fĂŒr die Entscheidung thematisiert werden. Zum anderen werden die staatliche Ordnung und das HerrschaftsverstĂ€ndnis Kreons vom Text kritisch beleuchtet; der Text macht hierbei deutlich, dass die von Hegel angelegte Isonomische Deutung nicht zu halten ist; die Ordnungen sind, dies stellt der Text deutlich heraus, nicht als gleichwertig zu lesen.15 Der Text zeichnet sich durch die ErzĂ€hlung der erfolgreichen Tat einer weiblichen Akteurin aus, wobei die Folgen der Tat weder fĂŒr die Subjektivierung der TĂ€terin noch fĂŒr das politische oder rechtliche System vom Text problematisiert werden. Antigone weist somit zwei grundsĂ€tzliche Differenzen zu den in dieser Arbeit zu diskutierenden Texten auf, die im Allgemeinen erstens eine Problematisierung der Tat vornehmen und zweitens von einem mĂ€nnlichen TĂ€ter erzĂ€hlen.
Auch in der neueren deutschsprachigen Literatur lĂ€sst sich die Kopplung von der Tat und dem Politischem beobachten, die insbesondere in den ab ca. 1750 entstehenden Texten eine Problematisierung der Tat und des Politischen vornehmen und zudem im Gegensatz zu den um 1700 entstandenen Texten nicht dem Realen nachgĂ€ngig, sondern als ImaginĂ€res vorgĂ€ngig sind.16 Um 1700 erzĂ€hlt etwa Grimmelshausens Simplicissimus von den Schrecken und den Gewalttaten des Krieges, Gryphius’ Papinian diskutiert die Tat im Rahmen des Widerstandsrechts und Schnabels Die Insel Felsenburg definiert eine Gewalttat als ordnungsstiftenden GrĂŒndungsakt einer Gesellschaft. Faust diskutiert 1808 – die Arbeit setzt zeitlich 1773 mit Goethes Götz von Berlichingen ein – bei seiner logoskritischen und philologisch fragwĂŒrdigen BibelĂŒbersetzung die semantischen Differenzen von Wort, Sinn und Kraft und entscheidet sich schließlich fĂŒr die Setzung der Tat als emphatischem Ausgangs- und Anfangspunkt: „Im Anfang war die Tat!“17 Schiller entfaltet die politischen Implikationen der Tat explizit und zeigt etwa in Wilhelm Tell die notwendige Tat, die mit der Beseitigung der alten die Voraussetzung fĂŒr die Einsetzung der neuen politischen Ordnung darstellt. Die GrĂŒndung des neu zu schaffenden Staatskörpers bzw. des Staates ergibt sich hierbei aus dem „naturrechtlich verbĂŒrgte[n] Recht auf Widerstand“,18 das in dem Text mit der ErzĂ€hlung der Tat aufgerufen wird. Die im Text beschriebene Tat von Tell, durch die die StaatsgrĂŒndung als Republik bzw. die Bildung des sozialen Körpers erst möglich wird, ist also unmittelbar politisch zu lesen; mit der Tat wird die Dimension des Politischen in den Text eingefĂŒhrt und verhandelt bzw. ausgehandelt. Die ErzĂ€hlung – und Evokation – der neuen BĂŒrger*innen und der neuen Ordnung geschieht hierbei vor ihrer Realisierung in der realpolitischen Wirklichkeit im ImaginĂ€ren des Textes. Das im Text verhandelte Politische rekurriert also nicht auf die textexterne (zeitgenössische deutsche und französische) RealitĂ€t, sondern geht dieser voraus; der Text erzeugt und fasst das politische ImaginĂ€re, das dann (auch) in der textexternen RealitĂ€t wirksam werden kann.
Eine besondere Konjunktur der Tat lĂ€sst sich fĂŒr die Literatur um 1900 feststellen, die folglich auch einen Schwerpunkt der Analyse ausmacht: In Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften wird die „Parole der Tat“19 fĂŒr die mysteriöse „Parallelaktion“,20 deren politischer Gehalt den gesamten Text ĂŒber nebulös bleibt,21 ausgegeben, in Hugo von Hofmannsthals Elektra kann E...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. 1 Die Tat und das Politische
  5. Teil I: 1773 – 1810 Revision und Installation der politischen Ordnung
  6. Teil II: 1891 – 1930 Der ‚neue Mensch‘ und die (neue) politische Ordnung
  7. Teil III: 1968 – 2014 PrekĂ€re Taten, prekĂ€re TĂ€terfiguren, prekĂ€re Ordnungen
  8. Teil IV: Politische Systematisierungen Paradigmata und Programmatiken der Tat 1773 – 2014
  9. Dank
  10. Personenregister