Die Farben einer parallelen Welt
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Die Farben einer parallelen Welt

Haft in Belarus

  1. 202 Seiten
  2. German
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Die Farben einer parallelen Welt

Haft in Belarus

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Der politische Häftling Mikola Dziadok schrieb von 2010 bis 2015 Essays über das Innenleben der Gefängnisse in der Republik Belarus. Damals saß er aus politischen Gründen ein – die jüngste Repressionswelle unter Diktator Lukashenko brachte ihn erneut hinter Gitter und er wurde Ende 2021 erneut zu fünf Jahren Haft verurteilt. Dziadok beschreibt und analysiert den Gefängnisalltag und wesentliche Elemente des belarusischen Strafvollzugssystems – bis hin zur Selbstverletzung als äußerstem Mittel der Gefangenen, um ihr eigenes Leben, ihre Gesundheit und Würde zu schützen. Das belarusische PEN-Zentrum hatte das Buch 2018 mit dem Franzischka Aljachanowitsch Preis ausgezeichnet, als bestes Buch, das in Haft verfasst wurde. Inzwischen wurde das PEN-Zentrum vom Regime aufgelöst.

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DIE UNBERÜHRBAREN

Das Kastensystem im Gefängnis wird oft in den Medien thematisiert, besonderes in solchen, die über politische Gefangene berichten. Doch fast alle, die über das Thema schreiben, kennen bestenfalls Erzählungen ehemaliger Insassen, im schlimmsten Fall nur die in der Gesellschaft vorherrschenden Stereotype. Die Folge davon sind viele grobe Fehler und eine Irreführung der Leser. Deshalb habe ich mich entschlossen, diesen Essay zu schreiben, der einige Aspekte eines so komplexen und vielschichtigen Phänomens wie die informelle Hierarchie in Gefängnissen in Belarus beleuchten soll. Ganze wissenschaftliche Abhandlungen sind zu diesem Thema verfasst worden. Und natürlich habe ich nicht den Anspruch, im Rahmen nur eines Textes das ganze Phänomen in seiner Vielfalt zu untersuchen. Ich werde vor allem über eine Gefängniskaste sprechen, deren Existenz das System stark als Ganzes charakterisiert und deren Kenntnis für jeden, der sich in einem belarusischen Gefängnis befindet, insbesondere für einen politischen Gefangenen, von entscheidender Bedeutung ist. Es handelt sich um die Kaste der „Unberührbaren“, die im Gefangenenjargon „Petuchi“19 genannt werden. Das Thema isoliert vom Gefängnissystem zu betrachten, ohne auf die Organisation des Strafapparats und die sozialen Rollen der einzelnen Gefängniskasten einzugehen, ist ziemlich schwer. Doch ich werde es versuchen.
Aus diesem Text werdet ihr erfahren:
wie die Kaste der Unberührbaren in Gefängnissen entstanden ist;
wie jemand Teil dieser Kaste wird;
wie die Lage der betroffenen Personen in Gefängnissen und Strafkolonien ist;
welche Funktionen diese Menschen in Haftanstalten erfüllen;
warum die Existenz dieser Kaste für das Personal von Vollzugsanstalten von lebenswichtiger Bedeutung ist.
Ich schließe mit einigen Ratschlägen für die männlichen Leser, denn für jeden Mann, der in Belarus lebt, wird das Wissen über das Gefängnis nicht überflüssig sein, vor allem dann nicht, wenn er politisch aktiv ist.

Wie entstand die Kaste der Unberührbaren?

Beginnen wir mit einem Exkurs in die Geschichte. Die Kaste der sogenannten Petuchi wird traditionell mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Und wenn wir es aus dieser Perspektive betrachten, ist es ganz einfach: Homosexualität gab es in den Haftanstalten schon immer, sowohl in den Gefängnissen der Zarenzeit als auch im Gulag der Sowjetzeit. Angesichts des extrem machistischen und homophoben Charakters der Gefangenensubkultur und der hinter Gittern geltenden informellen Gesetze wird klar, warum Homosexuelle im Gefängnis automatisch in die unterste Kaste der Unberührbaren eingeordnet werden: Der Machismo zeichnet sich durch die Verachtung alles Weiblichen aus, würdigt die Frauen auf das Niveau von Untermenschen herab und gesteht ihnen kein Recht auf einen eigenen Willen zu. Mit dieser Einstellung begegnet man dann auch den Homosexuellen. Allerdings sind Homosexuelle nur der kleinere Teil jener, die zu der Kaste der Unberührbaren zählen. Ihr gehört eine große Anzahl von Menschen an, die gegen die informellen Gefängnisgesetze der Ganoven verstoßen haben.
An dieser Stelle muss betont werden, dass die Kaste der Petuchi und die strengen Regeln, nach denen jemand in diese Kaste einsortiert wird, vor gar nicht langer Zeit entstanden ist. Diese Kaste war weder für die Gefängnisse der Zarenzeit noch für die GULAG-Gefängnisse kennzeichnend. Den Quellen nach zu urteilen, die ich studieren konnte, geht die Entstehung der Kaste der Unberührbaren (der wie gesagt auch Homosexuelle zugeordnet wurden) auf die späte Sowjetzeit zurück. Einige Forscher glauben, dass die Entstehung der Kaste von Gefangenen, die nicht mit den Händen berührt werden dürfen, eine Reaktion der Ganovenwelt auf den „Suki-Krieg“15 war: Um sich selbst zu schützen, mussten die Ganoven eine Alternative zum Mord erfinden, um Schuldige zu bestrafen. Andere schreiben, dass es eine Reaktion auf die Überbelegung in den Untersuchungsgefängnissen war: In einem überfüllten Gefängnis, rund um die Uhr in Sichtweite der Mitgefangenen, wäre die effektivste und härteste Form der Bestrafung die allgemeine Ächtung und Ausgrenzung.

Die informelle Hierarchie der Verbrecherwelt – eine kleine Einführung

Historisch gesehen gibt es in der Hierarchie der Verbrecherwelt nur drei Positionen: den „Dieb“, den „Bauern“ und den Petuch16. Man kann diese Stufen abwärts steigen, von der höchsten (Dieb) zur niedrigsten (Petuch). Von unten nach oben zu kommen, ist jedoch unmöglich. In der modernen kriminellen Subkultur von Belarus werden die Häftlinge in etwas andere Kasten eingeteilt, und zwar: „der Ganove“ („der Vagabund“, „der Anständige“), „der Bauer“, „der Ziegenbock“ und der Petuch.
„Die Ganoven“ – das sind professionelle Verbrecher, die jenseits der Gefängnismauern vom kriminellen Handwerk leben. Ihre Aufgabe besteht darin, wo auch immer sie sich gerade aufhalten, die „Idee der Ganoven“ voranzutreiben, das heisst, dem Ganovengesetz vor Ort Geltung zu verschaffen und einen „Schwarzen Gang“ einzurichten: gemeint ist, die Korruption der Gefängnisverwaltung zu fördern, das Leben der Gefangenen aus der Ebene der offiziellen Regeln und Vorschriften auf die Ebene des „Ganovengesetzes“ zu verlagern, usw. Nach dem Ganovengesetz haben nur sie das Recht, einen Gefangenen in die Kaste der Unberührbaren zu überführen. Da es aber nicht in allen belarusischen Strafkolonien Ganoven gibt – denn die „Bewegung der Ganoven“ erlebt in Belarus einen extremen Niedergang – wird diese Regel nicht eingehalten und die Zuordnung zur Kaste der Petuchi kann von allen möglichen Personen oder Gruppen erfolgen: von einem Operativen, einem „Ziegenbock“ und manchmal auch bloß von den Bauern, die nach einem kollektiven Beschluss entscheiden.
Die „Bauern“ machen den Hauptanteil der Gefängnisbevölkerung aus. Ein Bauer mischt sich nirgendwo ein, geht zur Arbeit, interessiert sich für nichts anderes außer dafür, wie er auf Bewährung freikommt. Er steht unter einem Kreuzkommando von gleich mehreren Seiten: den Ganoven (falls vorhanden), den „Ziegenböcken“ und der Verwaltung der Vollzugsanstalt.
Der „Ziegenbock“, auch „Aktivist“ genannt, ist ein Gefangener, der offen mit der Vollzugsverwaltung kooperiert. In der Regel ist er ein Gefangener mit einer langen Haftstrafe, der von der Verwaltung eine bestimmte Position bekommt und dadurch eine gewisse Macht über andere Gefangene hat. Wie groß diese Macht ist, hängt vom Grad der Faulheit des Vollzugspersonals ab. Mir sind Fälle bekannt, in denen Ziegenböcke Verstoßprotokolle über andere Insassen erstellt haben und das Verwaltungspersonal die nur noch unterschrieben hat. Oft dürfen die Ziegenböcke andere Insassen schlagen, um Hierarchien aufrechtzuerhalten. Und natürlich ist es ganz offiziell die Pflicht der Ziegenböcke, andere Häftlinge zu denunzieren. In der Strafkolonie Nr. 17 (Schklou) zum Beispiel hat ein Ziegenbock mir gegenüber ganz direkt zugegeben: „Mir wurde von den Bullen gesagt, ich soll dich im Auge behalten.“ Mindestens zwei andere haben es nicht eingestanden, doch ihren „Job“ sehr eifrig erledigt. In meiner Disziplinarakte zu meiner Überführung in ein Gefängnis befinden sich schriftliche Aussagen meines Nachbarn aus der Koloniebaracke, in denen detailliert festgehalten wird, wie ich in der Baracke ankam, wie ich mich verhalten habe, mit wem ich kommuniziert habe, mit wem ich gestritten habe, zu welchen Themen ich mich geäußert habe, usw.

Eine Differenzierung

Wenn von der Kaste der Petuchi beziehungsweise der Unberührbaren die Rede ist, muss unbedingt eine weitere Untergruppe erwähnt werden: die „Abgesetzten“. Ich erkläre das Wesentliche: Nehmen wir an, gegen einen Menschen wird der Verdacht vorgebracht, er hätte in seinem Leben vor der Haft zum Beispiel homosexuelle Kontakte gehabt. Doch für diesen Verdacht gibt es keine handfesten Beweise, bloß Gerüchte. In einem solchen Fall wird der Mensch bis zur Bestätigung oder Widerlegung des Vorwurfs „abgesetzt“, das heißt: Er isst getrennt von anderen und nur aus seinem eigenen Geschirr. In diesem Status kann ein Mensch jahrelang verbleiben, bis ein Ganove – ein Ziegenbock oder sogar ein Operativer, abhängig von der Haftanstalt – die Vorwürfe entweder bestätigt und die Person damit endgültig in Kaste Petuchi einsortiert oder aber die Vorwürfe widerlegt und der Betroffene offiziell in die Kaste der Bauern aufgenommen wird. Die Lage eines Abgesetzten kommt der eines Unberührbaren sehr nah, ist aber nicht mit ihr gleichzusetzen. Er darf nicht gemeinsam mit anderen Insassen Tee trinken und hat kein Stimmrecht bei gemeinsamen Entscheidungen, doch niemand hat das Recht, ihn einen Petuch zu nennen. Dies ist auch der einzige Fall, wo jemand aus einer niederen Kaste in eine höhere aufsteigen kann. Ein Häftling, der abgesetzt wurde, steht unter einer Art Quarantäne, um physischen Kontakt mit anderen Gefangenen zu vermeiden: Was, wenn er doch ein Petuch ist und einen durch den Kontakt „anschmiert“? Denn einer, der mit einem „Abgesetzten“ Tee trinkt, wird automatisch selbst zu einem solchen. In jeder anderen Hinsicht gleicht der Begriff „Abgesetzter“ dem Begriff „Petuch“, und es ist mehr als einfach, in diese Unterkaste zu geraten.

Wie wird man zum Unberührbaren?

Hier liste ich alle Gründe auf, durch die eine Person in die Kaste der Unberührbaren geraten kann:
— Passive Homosexualität. Eine Person, die homosexuelle Kontakte in passiver Form zugibt, wird für immer als Petuch, Schwuchtel usw. abgestempelt. Homosexualität in aktiver Form gilt hingegen als normal und wird gar nicht der Homosexualität zugerechnet. Wobei man bemerken muss, dass diese Regel sich in den letzten zehn Jahren verändert hat und jene, die in der Zone sexuelle Kontakte mit Petuchi haben, mit Vorsicht behandelt werden. Ich habe immer wieder die Meinung gehört, „es macht keinen Unterschied, wer wen, beide sind Schwuchteln“. Allerdings hat niemand das Recht, einen aktiven Homosexuellen Petuch zu nennen.
— Jede Art von „nicht-traditionellem“ sexuellen Verkehr mit einer Frau. Wenn ein Gefangener zugibt, dass er einer Frau einen Cunnilingus gemacht hat oder sie ihm einen Blowjob gegeben hat und er sie danach geküsst, aus dem gleichen Geschirr gegessen oder getrunken hat, ist er ein Petuch. Freilich ist es beinahe unmöglich, so etwas gegen den Willen einer Person herauszufinden, deshalb fallen die Menschen in den meisten Fällen nach einer Selbstoffenbarung in die Kaste der Unberührbaren. Dabei muss man verstehen: Niemand hat das Recht, euch nach eurem Sexualleben auszufragen und dabei Drohungen oder Tricks anzuwenden. Dazu haben die „Diebe im Gesetz“17 in den 1990er Jahren sogar speziell eine Maljawa18 mit einer Regelneuerung in Umlauf gebracht. Sie versuchten auf diese Weise, die ausufernde Anzahl der Petuchi in den Strafkolonien zu senken. Bis zu einem gewissen Grad versucht auch das Personal der Vollzugsanstalten gegen solche Probleme vorzugehen. Im Gefängnis von Shodsina spricht zum Beispiel ein operativer Ermittler mit der Person, bevor sie in die Zelle geführt wird, und belehrt sie: „Denk dran: den Schwanz hast du nicht gelutscht, die Fotze nicht geleckt!“
Das Gleiche gilt für den Umgang mit Homosexuellen in der Außenwelt. Sobald jemand erwähnt, ein Freund von ihm sei schwul, wird diese Person sofort in die Kaste der Unberührbaren eingestuft.
— Jedweder Kontakt mit Kot, Urin oder dem Inhalt von Mülltonnen. Ein Mensch, der mit Urin begossen wurde oder die Hand in eine Kloschüssel gesteckt hat, wird automatisch zum Petuch. Deshalb gelten zum Beispiel Klempner und Sanitärinstallateure in den meisten Zonen als „Abgesetzte“.
Als Beispiel kann hier ein recht bekannter Fall aus der Strafkolonie Nr. 5 (Iwazewitschi) dienen. In einer der Baracken gab es einen Hausmeister, er war dort der Chef-Ziegenbock und schikanierte hartnäckig und auf unterschiedlichste Art über eine längere Zeit einen jungen Typen. Der goss dann aus Rache während der morgendlichen Inspektion vor der versammelten Mannschaft ein Glas Urin über ihn. Natürlich wurde der Typ daraufhin verprügelt und in den Strafisolator gesteckt. Das Schicksal des Hausmeisters war eigentlich besiegelt, doch die operativen Ermittler mischten sich ein, für die er offenbar ein wertvoller Aktivposten war. Sie verkündeten den Häftlingen, der Hausmeister sei mit … grünem Tee übergossen worden. Und wer behauptete, der sei jetzt ein Petuch, werde verprügelt. Das ganze endete damit, dass trotz allem fast niemand mehr mit dem Hausmeister zu tun haben wollte. Und der junge Typ wurde in eine andere Kolonie verlegt.
In einem anderen Fall kannte ich persönlich einen Petuch, der nur deswegen in diese Kaste reingeraten ist, weil er während einer Schlägerei im Jugendgefängnis mit dem Kopf gegen die Kloschüssel geschlagen wurde.
Was den Inhalt von Mülltonnen betrifft, so geraten diejenigen, die dringend rauchen wollen und deswegen in Mülltonnen nach Zigarettenstummeln wühlen, in die Kaste der Petuchi. Auch solche Fälle gehören dazu, wenn jemand unbeabsichtigt Genitalien von jemand anderen berührt hat, z. B. wenn er im Waschraum ausrutscht.
Redlicherweise sollte auch erwähnt werden, dass für kranke Menschen manchmal Ausnahmen gemacht werden, was jedoch von der Zurechnungsfähigkeit jener abhängt, die darüber entscheiden. Wenn zum Beispiel jemand an Harninkontinenz leidet, wird er nicht zum Petuch degradiert.
— Das Ausführen aller Arbeiten, die den Petuchi vorbehalten ist. Streng genommen handelt es sich bei solchen Arbeiten um das Reinigen von Toiletten. Das gilt für Strafkolonien, denn in der U-Haft und in Gefängnissen reinigt jeder Insasse die Toilette in seiner Zelle selbst. In einigen Strafkolonien gilt auch das Reinigen von Waschbecken, sowie das Herausbringen von Müll als Petuch-Arbeit. Führt jemand solche Arbeiten aus, wird er automatisch in die Kaste der Petuchi herabgestuft.
Ein Beispiel aus der Strafkolonie Nr. 15 (Mahiljou), aus der Zeit meiner Inhaftierung dort: Ein Bauer stand bei einer Inspektion und plötzlich überfiel ihn ein starker Drang auf die Toilette zu gehen. Er rannte, so schnell er konnte, los, aber er schaffte es nicht und machte sich in die Hose, bevor er die Toilette erreichte. Da er ein offenbar schamhafter und gewissenhafter Mann war, beschloss er aufzuräumen. Er nahm einen Wischmopp … Einige der Häftlinge sahen es und riefen den Hausmeister als Zeugen dazu. Der Hausmeister kam und bezeugte, dass dieser Mensch von nun an ein Petuch sei.
Die informelle Norm, die Toiletten nicht reinigen zu dürfen, ist für das Vollzugspersonal sehr praktisch, wenn sie einen bestimmten Gefangenen in den Strafisolator schicken sollen. Jede Baracke hat einen offiziellen Reinigungsplan, der selbstverständlich nicht die Existenz des Kastensystem berücksichtigt. Dabei wissen alle Bescheid, dass Toiletten n...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. INHALT
  4. Das Gefängnis als Echokammer
  5. Vorwort
  6. SCHISO
  7. Opjer
  8. Das Regime
  9. Die Unberührbaren
  10. Der Geruch
  11. Der Aufstand gegen die göttliche Hierarchie
  12. Die Strafe Gottes
  13. Aufstand in der Quarantäne
  14. Mogli
  15. Die „Verflogenen”
  16. Der Hexer
  17. Das Leben ist schön
  18. Offener Brief
  19. Die äußerste Maßnahme
  20. Die Freilassung
  21. Schlusswort
  22. Postskriptum
  23. Im Schatten des Gulag
  24. Impressum