Coming-out
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Coming-out

Queere Stars über den wichtigsten Moment in ihrem Leben. Mit Melina Sophie, Nicolas Puschmann, Kevin Kühnert, Michael Michalsky, Gewitter im Kopf, Jolina Mennen, Bambi Mercury u.v.a.

  1. 224 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Coming-out

Queere Stars über den wichtigsten Moment in ihrem Leben. Mit Melina Sophie, Nicolas Puschmann, Kevin Kühnert, Michael Michalsky, Gewitter im Kopf, Jolina Mennen, Bambi Mercury u.v.a.

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Über dieses Buch

18 starke Coming-outs, die Mut machen und die Vielfalt queeren Lebens zeigenMelina Sophie • Dominik Djialeu • Drangsal • Ralf König • Bambi Mercury • Aquamarin • David Lovric • Jan Zimmermann • Benjamin Patch • Jolina Mennen • Kevin Kühnert • Matt Stoffers • Marcus Urban • Michael Michalsky • Axel Ranisch • Fabi Wndrlnd • Katharina Oguntoye • Nicolas PuschmannSchwuchtel, Homofürst, Popopirat – das sind Beleidigungen, die auch Stars wie Beauty-Göttin Jolina Mennen, »Prince Charming« Nicolas Puschmann oder SPD-Vize Kevin Kühnert zu hören bekommen. Warum? Weil sie nicht heterosexuell sind. Die Prominenten, mit denen Sebastian Goddemeier gesprochen hat, sind bisexuell, lesbisch, schwul, transident. In diesem Buch erzählen sie, wie sie ihr Coming-out erlebt haben und wie sie trotz aller Widerstände gelernt haben, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Coming-out ist ein Buch über Erfahrung, Kraft und Hoffnung und für alle, die ihr Coming-out noch vor oder vielleicht auch schon hinter sich haben.

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Information

Verlag
Riva
Jahr
2021
ISBN
9783745313536

BAMBI MERCURY

»Wenn man sich selbst eingesteht, wer man ist, und sein wahres Ich akzeptiert, geht es bergauf.«
Eine Drag Queen tanzt als Ursula aus Arielle, die Meerjungfrau auf der Bühne. Sie trägt eine schwarze, mit Pailletten bestickte Corsage und ewig lange Tentakel, die von der Hüfte bis zum Boden reichen. Die Haut ist lila, das Gesicht aufwendig geschminkt und der Bart sowie die welligen Haare weißblond gefärbt. Aus den Boxen dröhnt »Sweet Dreams (Are Made Of This)« von Eurythmics. Ursula wirbelt herum, betört die Jury, bewegt die Hüften im Takt.
»Das Kostüm ist mega«, kommentiert Bill Kaulitz.
»Wahnsinn«, findet Conchita Wurst.
»Wow! Mit ’nem riesengroßen W vorne«, buchstabiert Heidi Klum.
Leona Lewis ist sprachlos.
Bambi Mercury war eine der zehn Teilnehmer*innen der ersten Staffel von Queen of Drags, Deutschlands Antwort auf RuPaul’s Drag Race aus Amerika. Eine Casting-Show, in der ProSieben die beste Drag Queen Deutschlands suchte. In Folge drei, die das Motto »Fairytale« hatte, gab Bambi ihre Version von Disneys Ursula zum Besten. Fantasievoll und elegant, mit einem Hauch von nuttig. Ausgestrahlt wurde Queen of Drags vor einem Millionenpublikum in Deutschland. Damit ging für Bambi, die in Rheine aufgewachsen ist, ein großer Traum in Erfüllung.
Angefangen hat ihre Karriere 2014 am Kottbusser Tor in Berlin, ein Platz, der von Obdachlosen, Drogendealern und Polizeieinsätzen dominiert wird. Und dann ist da das Südblock, ein queeres Café und Restaurant mit Barbetrieb. Vor einigen Jahren fanden dort Public Viewings von RuPaul’s Drag Race statt und im Anschluss traten Berliner Drag Queens auf. Auch Bambi war dort, zuerst aber nur als Gast. »Ich war mit meinem damaligen Partner in dieser Bar und habe das erste Mal Drag Race gesehen. Ich dachte mir: Wow, das ist ja richtig cool! Anschließend sind Local Queens aufgetreten. Ich fand das alles so toll!« Eine Drag Queen performte den Song »Running up that hill« von Kate Bush. »Auf der Bühne ist sie in einem Jogginganzug gelaufen, hatte einen Ventilator vor sich, in den ein Typ Laub und Wasser warf, damit sie das abbekam. Dann lief sie da mit dieser riesigen Perücke … Das war so mega lustig! So anders als das, was ich dachte, das Drag ist.« Bambi war geflasht. In diesem Moment stand fest: Das will sie auch machen! Sie wollte in Kleidern auf der Bühne stehen, performen und als schwuler Mann ihre Kreativität und Feminität ausdrücken.
Sie schrieb der Drag Queen am nächsten Tag auf Facebook, erhielt prompt eine Antwort. »Sie meinte: ›Ja, komm doch einfach mal in Drag vorbei.‹ Ich dachte mir: Okay, warum nicht? Irgendwann mache ich das mal. Zwei Tage später schrieb sie mir, dass jemand ausgefallen sei und bald eine Eighties-Party stattfinden würde.« Bambi sollte das erste Mal performen. »Ich dachte nur: Scheiße, ich hab keine Klamotten und keine Ahnung, wie man sich schminkt! Ein Freund half mir aus.« Bambi lieh sich Klamotten, ließ sich schminken – und war verdammt glücklich. »Ich dachte, ich wäre die allergeilste Drag Queen auf der Welt. Heute muss ich sagen: Ja, auf dem Strich vielleicht. Ich sah schon sehr preiswert aus. Also, das ist keine Herabwürdigung für Damen, die in dem Gewerbe tätig sind. Ich sah nur wie eine sehr, sehr, sehr billige Version von Britney Spears aus.«
»ICH WAR MIT MEINEM PARTNER IN DIESER BAR UND HABE DAS ERSTE MAL DRAG RACE GESEHEN. ICH DACHTE MIR: WOW, DAS IST JA RICHTIG COOL!«
Als der Look stand, brauchte Bambi noch einen Namen. »Freunde haben mich schon immer Bambi genannt, weil ich so große Knopfaugen habe.« Den Nachnamen borgte sie sich von ihrem größten Idol: »Ich bin absoluter Queen- und Freddie-Mercury-Fan. Zu der Zeit habe ich sämtliche Dokus über ihn geschaut. Ich wollte nicht Bambi Glamour oder Trash oder sonst wie heißen. Ich dachte, wenn ich mal bekannter bin und jemandem einen Preis überreichen darf, dann möchte ich einen Namen haben, der gut klingt und den ich mir auf meinem Grabstein vorstellen kann.« Bambi Mercury war geboren.
Bis heute ist vielen nicht klar: Drag Queen zu sein bedeutet nicht, transident zu sein. Welche Pronomen eine Drag Queen verwendet, entscheidet sie selbst. Viele Drag Queens benutzen weibliche Pronomen. Das bedeutet aber nicht, dass unter den Kleidern kein Mann steckt. Frauen hingegen, die als Männer performen, nennt man Drag Kings und verwenden meist männliche Pronomen.
Bambi wurde erst über einen langen Zeitraum ein fester Teil der Berliner Drag-Szene. Währenddessen musste sie vor allem an ihrem Make-up feilen. »Dadurch, dass ich meinen Tagesjob hatte, konnte ich nur ein- bis zweimal im Monat auftreten. Es hat außerdem sehr lange gedauert, bis ich mich schminken konnte. Ich sah anfangs aus wie ein Mülleimer.« Auf der Bühne fühlte sie sich trotzdem stark, ganz egal, wie ihr Make-up aussah. »Ich habe die Leute trotzdem entertaint. Es kommt nur auf die Message und den Spaß an. Wie man aussieht, ist Nebensache.« Sie versuchte in erster Linie, immer authentisch zu sein, und begeisterte damit ihr Publikum. »Ich wollte nie die schönste, aufpolierteste Queen sein oder wie eine biologische Frau aussehen. Ich wollte mich einfach nur wohlfühlen.«
Dafür erntete sie jedoch in der Berliner Drag-Szene auch Kritik: »Man wollte mir immer vorschreiben, wie ich auszusehen und zu performen habe.« Doch Bambi blieb trotzig und verfolgte ihre Träume. »Ich wollte DJane sein und Musik machen«, erzählt sie. Also legte sie in Szeneclubs wie dem Schwuz auf und stellte eigene Songs und Mash-ups ins Internet. »Es war hart, sich das zu erarbeiten. Am Anfang haben sich die Leute über mich lustig gemacht, mir nichts gegönnt und meinten: ›Guck dich mal an – was soll das denn?‹« Wegen ihrer Einzigartigkeit wurden die Redakteur*innen von ProSieben auf sie aufmerksam. »Für Queen of Drags wurde ich, wie die anderen auch, auf Instagram angeschrieben. Ich dachte mir erst: Nö, das mach ich nicht. Was ist das denn für ein Müll? Ich habe aber meine Drag-Freundin Candy Crash gefragt, die meinte, ich solle das auf jeden Fall machen.« Bambi sprach stundenlang mit den Produzent*innen und saß knapp ein halbes Jahr später im Flieger nach Los Angeles. »Als noch nicht bekannt war, wer die Teilnehmerinnen sind, hieß es aus der Community: ›Nein, du passt da nicht rein. Du hast einen Bart. Du machst kein Drag. Schau dich doch nur mal an …‹ Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber schon, dass ich dabei war. Das war ein kleiner Triumph für mich.« Und Triumphe konnte Bambi sehr gut gebrauchen.
Bambi heißt eigentlich Tim und ist in Rheine aufgewachsen, einer westfälischen Stadt mit etwa 80.000 Einwohnern. Sie erinnert sich noch ganz genau, wie das Aufwachsen dort war: »Ich habe mich wie der Schwule bei Little Britain gefühlt – ich war der einzige im Dorf.« Schon im Kindergarten hat sie sich als kleiner Junge gerne verkleidet und geschminkt. Sie interessierte sich eher für »Mädchenkram«, für Puppen, zeichnete, war kreativ.
»Ich war als Kind naiv und komplett neutral allem gegenüber eingestellt. Ich aber wurde schon früh gehänselt. Ich war ein sehr emotionales Kind. Die anderen sagten, ich sei ein Mädchen, weil alles, was Mädchensachen waren, eher meins war.« Wenn Jungs da waren, war sie schüchtern und hielt sich zurück. Bambi bemerkte schnell, dass sie nicht wie die anderen Kinder behandelt wurde. Als wäre sie nicht »Junge genug«. »Als kleines Kind hörst du die Erwachsenen, die sagen: ›Das geht gar nicht, wie der sich gibt und benimmt.‹ Natürlich gab es auch Stimmen, die meinten: ›Lass ihn doch, er ist ein Kind, ist doch nicht schlimm.‹ Das war alles sehr verwirrend.«
Wie jedes andere Kind wollte Bambi geliebt und akzeptiert werden. Also passte sie sich an und versuchte, ein »richtiger« Junge zu werden. »Um meinem Vater zu gefallen und meinen Platz in der Gesellschaft zu finden, habe ich zwei Jahre Fußball gespielt. Ich dachte, wenn ich tue, was ein richtiger Junge tut – Gott, ich klinge wie Pinocchio! –, dann werde ich endlich akzeptiert und mein Vater wird anders mit mir umgehen. Es war der reinste Albtraum. Heute kann ich verstehen, dass Fußballer sich erst nach ihrer Karriere outen.«
Jedes Mal, wenn Bambi zum Training musste, zog sich ihr Magen zusammen. Sie traute sich nicht, mit den anderen Jungs zu duschen. Auch im Fußballverein wurde sie gehänselt. »Die Trainer haben sich über mich lustig gemacht. Irgendwann stand ich auf dem Fußballfeld und die anderen Jungs meinten: Du bist eh ein Mädchen. Ich habe dann meine Hose runtergezogen, um zu beweisen, dass ich kein Mädchen bin.« Stille. Keiner sagte etwas. »Als ich meine Hose wieder hochgezogen habe, hat mir ein Junge gesagt: ›Du bist trotzdem ein Mädchen.‹« Verzweiflung machte sich in Bambi breit, trotz sportlicher Leistung konnte sie keine Freunde gewinnen. »Wenn wir Turniere hatten, war ich immer richtig gut. Dann gab es auch einen Zusammenhalt. Vor und nach den Spielen war es jedoch schlimm. Irgendwann stand ich im Tor. Da waren Kinder, die mich kacke fanden. Zu dritt haben die mich mit Bällen beschossen. Ich hab irgendwie versucht, mich zu wehren. Anschließend taten mir meine Arme weh. Alle meinten: ›Ach, ist doch nichts.‹ Ich musste anschließend ins Krankenhaus. Ich hatte zwei angebrochene Arme.«
»AUS DER COMMUNITY HIESS ES: ›NEIN, DU PASST DA NICHT REIN. DU HAST EINEN BART. DU MACHST KEIN DRAG.‹ ZU DEM ZEITPUNKT WUSSTE ICH ABER SCHON, DASS ICH DABEI WAR. DAS WAR EIN KLEINER TRIUMPH.«
Die »Mädchen«-Rufe wurden zu »Schwuchtel«-Rufen, als Bambi zehn war. Sie schaltete auf Abwehr. »Mit seiner eigenen Sexualität setzt sich der Mensch erst recht spät auseinander. Heute, dank Social Media, passiert das früher. Aber damals habe ich immer ›Nein, nein, nein‹ gesagt, wenn mich jemand als schwul bezeichnet hat. Stimmt nicht, ich bin nicht schwul. Ich wusste nicht einmal, was das ist.«
In Bambis Nachbarschaft wohnte ein schwules Paar, über das sich die Nachbarn lustig machten. »Ich auch … Ich wollte nicht das schwarze Schaf sein, das wieder alles abbekommt. Zu der Zeit hatte ich eine sehr negative Sichtweise auf Homosexualität, weil mein Umfeld so damit umgegangen ist.« Für Bambi wurde es dadurch nur noch schwerer, sich mit ihrer Sexualität auseinanderzusetzen. »Ich dachte, wenn andere das Opfer sind, bin ich fein raus. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich doch anders bin. Ich habe angefangen, von Jungs aus meiner Schule zu träumen. Ach du Scheiße!, dachte ich. Jetzt haben die doch Recht.« Um sich selbst und den anderen zu beweisen, dass sie nicht schwul ist, ging Bambi Beziehungen mit Mädchen ein. Aber jedes Mal, bevor es ernst wurde, beendete sie diese.
»Als kleines Kind habe ich schwule Menschen in Talkshows gesehen, Olivia Jones zum Beispiel. Einmal saß ich mit meiner Mutter vor dem Fernseher und habe gefragt: ›Mama, was ist denn, wenn ich schwul bin?‹ Meine Mutter sagte: ›Wir werden dich lieben und akzeptieren, als wärst du unser eigenes Kind.‹ Ich dachte mir nur: Hallo, ich bin euer eigenes Kind?!«
Mit elf merkte Bambi das erste Mal, dass sie Männer liebt. Mit zwölf outete sie sich – trotz des Olivia-Jones-Vorfalls – ihrer Mutter gegenüber. »Sie war total überfordert. Sie konnte gar nichts damit anfangen. Ich bat sie, es für sich zu behalten.« Diesen Wunsch respektierte Bambis Mutter aber nicht. Im Gegenteil. »Fünf Minuten später saß ich im Wohnzimmer und musste mich vor meiner Mutter und meinem Vater rechtfertigen. Meine Sexualität wurde infrage gestellt, weil ich noch nie mit einer Frau geschlafen hatte. Sie meinten, ich könne es doch gar nicht wissen.« Bambi fühlte sich übergangen und verletzt. »Das Ding ist, wenn man sich so öffnet, macht man sich nackt und angreifbar.« Nach dieser schlimmen Erfahrung versuchte sie, Geborgenheit und Akzeptanz außerhalb ihrer Familie zu finden. »Ich outete mich der besten Freundin meiner Mutter gegenüber. Sie hat sehr positiv reagiert.« Zu Hause wurde Bambis Coming-out hingegen seither totgeschwiegen.
Die Ablehnung ihrer Familie und die Ablehnung in der Schule und im Sportverein wirkten sich auf Bambis Psyche aus. Sie ging durch eine dunkle Zeit. »Es gab Momente, in denen ich dachte, dass es vielleicht besser wäre, nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Ich hatte aber zu viel Schiss, um diesen Schritt zu gehen. Auf der anderen Seite war meine größte Angst, zu mir selbst zu stehen.« Bambi konnte nicht zu sich selbst stehen, weil kaum jemand zu ihr stand. Sie war auf sich allein gestellt. Doch aus dieser Position heraus lernte sie letzten Endes Kraft zu schöpfen: »Wenn man sich selbst eingesteht, wer man ist, und sein wahres Ich akzeptiert, geht es bergauf.«
Um an diesen Punkt zu gelangen, outete sich Bambi gegenüber ihrer Schulfreundin Kathrin. »Ich meinte: ›Ich muss dir was sagen.‹ Da sagte sie schon: ›Haha, das wusste ich eh schon immer, und jetzt?‹« Nach dem Coming-out fasste Bambi auch den Mut, die Jugendlichen zu konfrontieren, die sie hänselten. Sie wurde stärker. »Wenn ich entgegnete: ›Ja, du hast Recht, ich bin schwul‹, dann hat sich das meist ganz schnell erledigt.« Mit jedem Coming-out und jeder Konfrontation wurde es leichter. Es ging bergauf. Bambi musste lernen, nicht die anderen dazu zu bringen, sie zu lieben – sondern sich selbst.
Mit 15 hatte sie ihren ersten Freund, Benni aus Bremen. »Morgens am Frühstückstisch habe ich gesagt: ›Mama, Papa, ich bin schwul. Daran hat sich nichts geändert. Und der Benni ist mein Freund.‹ Mein Vater ist aufgestanden, hat nichts gesagt und ist zur Arbeit gefahren. Meine Mutter hat auch nichts gesagt. Zwei Wochen lang.« Für Bambi stand fest: Sie musste sich weiter befreien. Schwul leben. Frech und wild und wunderbar sein. »Man kann Dinge nicht nur tun, um es den Eltern oder anderen Menschen rechtzumachen. Wie viele Menschen haben in ihrem Leben alles versteckt und waren unglücklich? Das wollte ich auf gar keinen Fall!«, fasst sie ihre Erkenntnisse zusammen.
Sie ließ Rheine mit 16 hinter sich, lebte einige Jahre mit Benni in Bremen, machte eine Ausbildung, zog anschließend nach Frankfurt am Main, wo sie zum ersten Mal in schwule Clubs ging. Inzwischen ist sie in Berlin angekommen und erfolgreich als Drag Queen und DJane. Und Bambi, beziehungsweise Tim, ist Vater von Zwillingen geworden. Im Dezember 2019 kamen Frieda und Victoria zur Welt. Bambi erfüllte sich damit einen Lebenstraum.
Bereits bei Queen of Drags erzählte sie Heidi Klum vor der Kamera, dass sie bald Papa werden würde. Es folgten Schlagzeilen in den gängigen Klatschmagazinen und Hasskommentare auf Instagram. »Die Medien haben geschrieben, dass meine Freundin eine Leihmutter sei. Das war falsch – sie ist die Mutter und die Kinder wachsen auch bei ihr auf. Das fand ich sehr schade. Auf Instagram gab es natürlich auch ein bisschen Hass. Menschen, die geschrieben haben: ›Die armen Kinder, sowas darf sich nicht vermehren, die hätte man abtreiben müssen.‹ Das Feedback war letzten Endes aber überwiegend positiv.« Trotzdem liest Bambi seitdem kaum noch Kommentare und zeigt ihre Kinder nicht im Internet. »Wir haben eine kleine Familie. Natürlich mit wenig Schlaf, dafür haben wir zwei total tolle ›Biester‹. Den Kindern geht es gut, sie werden ein tolles Leben haben und es wird ihnen an nichts fehlen.«
»AUSBILDUNG, STUDIUM, HOCHZEIT, HAUS BAUEN, KINDER BEKOMMEN, MIT DEM HUND IM GARTEN SPIELEN. ICH DACHTE IMMER, DAS KÖNNTE ICH NICHT HABEN, WEIL ICH SCHWUL BIN.«
Bambi genießt es, endlich Papa zu sein. »Als junger Erwachsener dachte ich immer, dass es gar nicht möglich sei, als schwuler Mann eine Familie zu gründen. Wir wachsen mit diesen Erwartungen auf: Ausbildung, Studium, Hochzeit, Haus bauen, Kinder bekommen, mit dem Hund im Garten spielen. Ich dachte immer, das könnte ich nicht haben, weil ich schwul bin.« Mit ihrer Geschichte möchte sie ein Vorbild sein und zeigen: Doch, es geht – du kannst all das als queerer Mensch haben, was du dir wünschst.
Die Patchworkfamilie, Bambi und ihre Freundin, lebt in Berlin. Sie ziehen die Kinder gemeinsam groß. Bambi ist Single, hat den richtigen Mann noch nicht gefunden. Bei Queen of Drags sowie vor, während und nach der Schwangerschaft wurde Bambi von ihrer Freundin und Drag-Kollegin Candy Crash begleitet. Sie war bei der Geburt dabei und wird ein fester Bestandteil im Leben der Kinder sein. Im Kleid, mit Louboutin-Heels und einer Perücke auf dem Kopf.
»WIR WERDEN JEDEN TAG MIT DER HETERONORMATIVITÄT KONFRONTIERT. DAS, WAS FÜR HETEROS NORMAL IST, IST FÜR UNS NICHT NORMAL. WIR SIND FROH, WENN WIR MAL JEMANDEN SEHEN, MIT DEM WIR UNS IDENTIFIZIEREN KÖNNEN.«
Auch Bambis Eltern sind stolz. Sie haben sich mit jedem Partner, den Bambi ihnen vorgestellt hat, an ihre Sexualität gewöhnt und gelernt: Schwul zu sein ist ganz normal. Bambi hat ihnen mittlerweile vergeben. »Sie sind in der DDR aufgewachsen, da galt Homosexualität als asozial und war sogar illegal. Ich kann heute nachvollziehen, dass sie mich damals nicht verstanden haben. Es ging dabei gar nicht um mich, sondern um ihre Angst, was die Nachbarn denken würden.« Bambis Eltern unterstützen sie bei ihrer Karriere als erfolgreiche Drag Queen, auch wenn sie nicht immer verstehen, was ihr Sohn eigentlich macht. »Das ist eine komplett andere Welt. Ich glaube nicht, dass sie damit immer etwas anfangen können. Aber sie finden es toll und sie wissen, dass ich glücklich und erfolgreich bin.«
Zu Bambis Glück trug auch Queen of Drags bei, wo sie ermutigt wurde, ihr Ding durchzuziehen. »So nach dem Motto: Scheiß auf die anderen. Ich konnte Sachen ausprobieren, habe andere verrückte Menschen kennengelernt. Ich durfte dem treu bleiben, was mich ausmacht, was mir gefällt und was gut für mich ist.« Sie gewann nicht nur neue Freunde dazu, sondern auch Mentoren wie Sänger*in Conchita Wurst. »Sie hat einmal zu mir gesagt: Du machst das alles nur für dich, nicht für die anderen.« Bambi behielt ihren Bart, spielte mit Geschlechtergrenzen und bewegte sich weiterhin zwischen Unterhaltungskunst und Performance Art. Zwischen Britney Spears und Klaus Nomi. Zwischen Bambi und Freddie Mercury.
Mit ihrer Teilnahme an der Casting-Show wurde sie zum Vorbild für junge queere Menschen, denen es genauso geht wie ihr damals in Rheine. »Es ist wichtig, dass viel Queerness im deutschen Fernsehen gezeigt wird. Ich höre oft, dass es CSDs gibt und dass es doch nicht sein muss, dass man sich so präsent zeigt. Doch, das muss sein! Wir werden jeden Tag mit der Heteronormativität konfrontiert. Das, was für Heteros normal ist, ist für uns nicht normal. Wir sind froh, wenn wir mal jemanden sehen, mit dem wir uns identifizieren können. Wir sind ganz normale Menschen und Teil dieser Gesellschaft. Es ist wichtig, genau das der Masse zu zeigen.«
Bambi lebt heute so, wie sie es möchte. Sie hat sich von den Stimmen ihrer Kindheit und Jugend befreit. Heute ist sie ein Mann und eine Drag Queen, schwul und Vater. Sie lässt sich nich...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. INHALT
  5. Vorwort
  6. Melina Sophie
  7. Dominik Djialeu
  8. Drangsal
  9. Ralf König
  10. Bambi Mercury
  11. Aquamarin
  12. David Lovric
  13. Jan Zimmermann
  14. Benjamin Patch
  15. Jolina Mennen
  16. Kevin Kühnert
  17. Matt Stoffers
  18. Marcus Urban
  19. Michael Michalsky
  20. Axel Ranisch
  21. Fabi Wndrlnd
  22. Katharina Oguntoye
  23. Nicolas Puschmann
  24. Danksagung