Nietzsches Problem der Rangordnung
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Nietzsches Problem der Rangordnung

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Nietzsches Problem der Rangordnung

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Über dieses Buch

Gerade weil das Bestehen auf Rangordnungen in der heutigen Gesellschaft anstößig und fremd wirkt, ist es lohnenswert, sich ihnen mit Nietzsche neu zu stellen, der sie als sein Problem bezeichnete. Er richtet sie gezielt gegen die Gleichheit, von der er befürchtet, ihr Anspruch auf Universalität verunmögliche Individualität, Anders-Sein und damit auch alle Größe. Den moralischen Wert der Gleichheit kritisieren heißt nicht, sich von demokratischen Grundprinzipien oder Errungenschaften zu verabschieden. Geklärte Rangverhältnisse reduzieren Komplexität, vereinfachen die Kommunikation, machen Verhalten erwartbar und vereinfachen so die Orientierung. So könnte gerade in den modernen Ausprägungen der Demokratie ein offenerer Umgang mit Rangordnungen zu ihrer Stärkung beitragen. Die Nietzsche-Forschung hat eine Beschäftigung mit dem Begriff bisher weitgehend vermieden. Alberts schließt diese Forschungslücke. Er geht persönlichen, philologischen und philosophischen Anhaltspunkten für Nietzsches Denken nach und untersucht die Perspektiven, die dabei auf verschiedenste Lebensbereiche wie Natur, Religion, Moral, Wissenschaft und Interindividualität eröffnet werden.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110771398

1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem

„Es giebt Etwas, das in einem Zeitalter des „gleichen Rechts für Alle“ unangenehm klingt: das ist Rangordnung.“ (Nachlass 1885, 34[156], KSA 11.473) Rangordnung ist ein Problem, über das man wenig spricht. Obwohl Nietzsche es ausdrücklich zu seinem Problem machte, hat es auch in der Nietzsche-Forschung bisher kaum eine Rolle gespielt. Für viele scheint die Rangordnung ein Reizwort zu sein, ein moralisch verdächtiges, anstößiges Thema. Zugleich ist sie aber auch, nüchtern betrachtet, ein grundlegender Zug im menschlichen Miteinander und damit im menschlichen Leben überhaupt. Es könnte daher lohnenswert sein, sich dem Problem mit Nietzsche neu zu stellen und die Rangordnungen, die nicht nur die Natur, die Moral, die Religion, die Wissenschaft und die Philosophie, sondern letztlich auch unseren Alltag maßgeblich beeinflussen, aufzudecken, sie sichtbarer und verständlicher, weniger bedrohlich und damit vielleicht auch produktiver zu machen.
Nietzsche setzt die Rangordnung als Gegenbegriff zur Gleichheit, die er als den Grundwert der modernen und für ihn unaufhaltsamen Bewegung der Demokratie sieht. Ihre Moral beruht auf unbedingter Gegenseitigkeit und Gleichheit, und es ist diese universale Gleichheitsforderung, die für Nietzsche eine Bedrohung und Gefahr darstellt. Er warnt und befürchtet, dass sie Individualität, Anders-Sein und damit auch alle Größe verunmöglichen könnte. Mittlerweile ist die Gleichheit für uns selbstverständlich geworden, ist tief in uns verankert. Sie scheint nach einem langen Prozess der Modernisierung, in dem sie immer wieder heftig umkämpft wurde, untrennbar mit der Demokratie verbunden. Die Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 ist ein Zeugnis und Meilenstein dieser Bewegung, ebenso die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution von 1789. Heute ist die Gleichheit vielfach in Gesetz und Verfassung sowie verschiedenen Deklarationen kodiert, etwa in den ersten Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Charta der Vereinten Nationen, im dritten Titel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder in Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes.
Nietzsche geht es keineswegs darum, diese modernen Errungenschaften wieder abzuschaffen. Wenn er der Demokratie sein Bild einer – geistigen, nicht politischen – Aristokratie entgegensetzt, so nicht als Alternative zur Demokratie, die für ihn ja ohnehin unvermeidlich war. Sein Problem der Rangordnung, wie wir es verstehen, rüttelt nicht an heutigen demokratischen Grundrechten, und seine Kritik an der Demokratie ist nur in der Nebensache politisch motiviert, in der Hauptsache jedoch eine Kritik an der kulturellen, sich gesamtgesellschaftlich auswirkenden Gleichheitsbewegung. Nietzsche geht es um die Gefahren, die einer alternativlosen Beschränkung der Perspektiven auf eine Moral, die er wie kein Zweiter sah, erwachsen können, und um Alternativen dazu, Alternativen, die die Demokratie keineswegs unterlaufen, die die Demokratie im Gegenteil sogar zu ihrem Bestand und zur ihrer Stärkung nötig haben könnte, weil sie neue Handlungsspielräume auftun.1 Nietzsche hinterfragt die Selbstverständlichkeit, mit der die Gleichheitsmoral herrscht, wie sie entstand und warum sie sich durchsetzen konnte. Wie weit kann und soll sie gehen? Man fordert Gleichheit im juristischen Sinn, also als gleiche Rechte und Gleichheit vor dem Gesetz, im ökonomischen Sinn als Verteilungsgerechtigkeit, also als Gleichheit in Einkommens- und Vermögensverteilung, im sozialen Sinn, also als Gleichheit auch bei immateriellen Gütern wie Bildung und Gesundheit sowie als allgemeine Chancengleichheit, im religiösen Sinn als Gleichheit vor Gott, als Geschlechter- und Rassengleichheit, aber auch im ästhetischen Sinn als unterschiedslose Behandlung unterschiedlich attraktiver Menschen oder gar im philosophischen oder ethischen Sinn als fundamentale und natürliche Gleichwertigkeit aller Menschen. Nietzsche deckt auf, dass diese Forderungen selbst nicht interesselos sind, obwohl sich die Gleichheitsmoral als selbstlos inszeniert, und dass die Gleichheit überhaupt eine Forderung und keine Tatsache und damit auch nicht alternativlos ist. Er zeigt zudem, dass diese Moral selbst nicht jeden gleich behandelt, sondern jeden, der Kritik an ihr übt, ausschließt. So könnte gerade heute, in einer Zeit, in der die Moral der Gleichheit selbstverständlicher und alternativloser als je zuvor scheint, Kritik an der Perspektive der Gleichheit und der Gleichheit der Perspektiven wichtig sein.
Gleichheit scheint gerecht, doch schlägt sie, wenn man ihren Anspruch zu absolut setzt, gerade in Ungerechtigkeit um. Zwischenmenschliche Konflikte lassen sich durch das bloße Prinzip der Gleichheit kaum gerecht lösen. Hans Kelsen weist darauf hin, dass das Prinzip „Gerechtigkeit als Gleichheit“ bloß eine „inhaltsleere Formel“ sei, ebenso die Gleichheit vor dem Gesetz – in absoluter Form könne es sie nicht geben. Das Prinzip besage lediglich, „daß nur Gleiche gleich behandelt werden sollen. Das heißt aber, daß die entscheidende Frage: was ist gleich, durch das sogenannte Prinzip der Gleichheit nicht beantwortet wird.“2 Gleichheit ist nach Nietzsche selbst nur ein Wert, ein Wert unter vielen. Hinter einem Wert steht letztlich immer ein Individuum, das den Wert gesetzt hat, das dem Wert seinen Wert erst verleiht. Die Rangordnung der Werte richtet sich nach der Rangordnung der Menschen, der Individuen. Welche Werte sich durchsetzen, ist dann keine Frage von Wahrheit oder Vernunft, sondern, wie Werner Stegmaier es formuliert, eine Frage der „Orientierungs-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit“,3 also keiner bloß physischen, sondern vor allem einer geistigen Durchsetzungskraft. Genau hier setzt Nietzsches Problem der Rangordnung an. Er interessiert sich für eben diese Fähigkeit zur Entscheidung und zum Wertesetzen, für Willen zur Macht, für verschiedene Individuen mit verschiedenen Perspektiven, die sich in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich orientieren, sich durchsetzen, sich über- und unterordnen, bis sich Ordnungen auf Zeit einspielen. So sorgen sie für Stabilität und Ordnung, an die man sich halten kann.
Wie bestimmend die Rangordnung für den Menschen ist, zeigt sich schon daran, dass viele grundlegende zwischenmenschliche Beziehungen von ihr gekennzeichnet sind, etwa die Beziehung zwischen Eltern und Kind, zwischen Lehrer und Schüler bzw. Meister und Gesellen, zwischen Vorgesetzten und Angestellten usw. Doch ist sie nicht immer so klar geregelt und muss häufig erst ausgefochten werden. Dies geschieht im Regelfall nicht durch gewaltsame Auseinandersetzung, sondern durch Kommunikation, die in einem besonderen Verhältnis zur Rangordnung steht. Einerseits ist die Rangordnung ein maßgeblicher Faktor für die Kommunikation, denn mit Ranghöheren und Rangniederen spricht man oft sehr verschieden. Andererseits wird die Rangordnung selbst auch von der Kommunikation bestimmt und kann an ihr abgelesen werden, etwa an der Körpersprache, der Haltung, mit der man dem anderen begegnet usw. Man kommuniziert permanent seinen Rang. Kommunikation ist darüber hinaus häufig so ausgerichtet, überhaupt erst ein Rangverhältnis zu erschaffen, indem man die Verhältnisse vorsichtig auslotet und sieht, woran man ist. Rang kann sich schon daran zeigen, wer im Gespräch das Wort führt, den Ton angibt, die Themen bestimmt. Ist das Verhältnis einmal etabliert, kann man sich daran halten und weiß, wie man sich zu verhalten hat. Mit der Zeit kann sich Vertrauen aufbauen und die Ordnung weiter stabilisieren. Trotzdem kann es in der Rangordnung keine absolute Sicherheit geben, sie kann jederzeit kippen. Selbst eine scheinbar fraglose Rangordnung wie die zwischen Lehrer und Schülerin kann sich überraschend drehen, wenn eine ausnehmend begabte Schülerin ihren Lehrer durch ihre Kompetenz für alle sichtbar überragt, und es sagt dann wiederum viel über die Rangordnung aus, wie die Beteiligten mit der Situation umgehen. Weil Kommunikation für beide Kommunikationsteilnehmer stets anders ausfallen kann als erwartet, sie durch diese doppelte Kontingenz generell immer vom Missverständnis bedroht und unzuverlässig ist,4 profitiert sie sehr von geklärten Rangverhältnissen. Bestimmte Rangverteilungen führen zu bestimmten Rollenverteilungen, die wiederum zu erwartbarem Verhalten führen. Rang kommuniziert bestimmtes Verhalten und erleichtert so die Orientierung.5
Rangordnung reduziert also die Komplexität, mit der man permanent konfrontiert ist.6 Gerade im menschlichen Miteinander ist man auf möglichst geklärte Verhältnisse angewiesen, da der Andere, der Mensch für den Menschen das Irritierendste überhaupt ist. Der Andere kann aber auch Halt geben, indem man sich an ihn und seine Entscheidungen, seine Werte und Orientierung hält, und dabei kann die Rangordnung helfen. Insofern aber diese Ordnung durch Über- und Unterordnung zustande kommt, beruht sie auf Macht – sie ist eine „Machtordnung“, oder, wie Nietzsche es auch ausdrückt, ein „Herrschaftsgebilde“, basierend auf „Befehlen und Gehorchen“, um in seiner Sprache zu bleiben. Das klingt heute befremdlich, doch ist Macht nicht mit Gewalt zu verwechseln. Wie sich zeigen wird, geht es Nietzsche eben nicht um bloße Gewalt, sondern gerade um ihre Überwindung und Transformation in Geistigkeit. Nietzsche sagt ausdrücklich, dass die Macht der Rangordnung, von der er spricht, „[n]atürlich abseits von allen bestehenden Gesellschaftsordnungen“ liege (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.217). Dennoch übt eine Person Macht über andere aus, wenn sie sich an ihr orientieren. Diese Macht wird in der von Nietzsche kritisierten Moral abgelehnt und als grundsätzlich böse verdächtigt. Die Abneigung, die man der Macht und allen Formen der Herrschaft entgegenbringt, ist so ausgeprägt, dass Nietzsche sogar eigens einen Begriff dafür erfindet: „der moderne Misarchismus“ (GM II 12, KSA 5.315). Er benennt, wörtlich Hass auf Herrschaft, „[d]ie demokratische Idiosynkrasie gegen Alles, was herrscht und herrschen will“.7
Es verwundert daher nicht, dass Nietzsche den Mangel an Personen beklagt, die diesem Misarchismus trotzen und dazu imstande und von sich aus bereit sind, Verantwortung auf sich zu nehmen und zu tragen. Er nennt sie „Führer“, im Plural, und auch das klingt heute, zumal in Deutschland, aus sehr nachvollziehbaren Gründen höchst befremdlich. Das Zögern, die Angst und Verzagtheit als erste Reaktion im Umgang mit Nietzsches Problem der Rangordnung sind daher durchaus verständlich. Rangordnung bedeutet aber nicht Führerprinzip. Es geht nicht um die Unterordnung unter einen „Führer“, der allen sagt, wie sie zu leben hätten, sondern um einen permanenten und offenen Wettbewerb unter verschiedenen Führungspersönlichkeiten untereinander. Sie geben anderen Orientierung, die in bestimmten Situationen selbst nicht hinreichend zurechtkommen, so dass sie diese Führung begrüßen, sie brauchen und wollen.8 Auch heutige Demokratien sind in bestimmtem Maß auf Macht und damit auf solche herausragenden Führungspersönlichkeiten angewiesen. Da für Machtbefugnisse aber moralische Rechtfertigungen verlangt werden, müssen sich herausragende Individuen eher zurücknehmen, ihre Fähigkeiten hinter Gleichheitsrhetorik verbergen, um nicht moralisch anzustoßen. Wenn die herrschende Moral auf Gleichheit pocht, wird man vorsichtig, wird man zusehends versuchen, nicht aufzufallen, nicht herauszuragen. Die für unsere Orientierung so wichtigen Autoritäten werden immer weniger gehört.9 Weniger Rangordnung scheint mehr Demokratie zu bedeuten, doch könnte gerade auch das Gegenteil der Fall sein. Der eingangs erwähnten Gerechtigkeit könnte man sich vielleicht mit mehr Rangordnung nähern, da sie nicht jeden gleich behandelt, sondern Rücksicht auf die Individualität des Einzelnen und seine ihm je eigenen Perspektiven nimmt. Rangordnung im hier dargelegten Sinn basiert auf Pluralismus, Perspektivismus und Agonalität, also grundlegenden Merkmalen moderner Demokratien. Weil Rangordnung die Eigenheiten der Einzelnen nicht nivelliert, sondern schätzt und sie fördert, lässt sie Größe zu, die Nietzsche immer wieder zum Thema macht.10 Eben diese Größe, die anderen Orientierung bietet, lassen Demokratien, so fürchtet Nietzsche, nicht mehr zu, weil sie der Gleichheitsmoral widerspricht. „Die Demokratie repräsentirt den Unglauben an große Menschen und an Elite-Gesellschaft: „Jeder ist jedem gleich““ (Nachlass 1884, 26[282], KSA 11.224).
Auf den ersten Blick scheinen Wettbewerb, Größe und damit unausgesprochen auch Rangordnung in modernen Demokratien jedoch vielleicht anerkannt und erwünscht. Sie basieren auf Vielfältigkeit und Leistungsbereitschaft in einem fast selbstverständlichen agonalen Umfeld, in vielen Lebensbereichen bekennt man sich geradezu zum Wettbewerb, etwa im Sport, im Beruf oder in der Bildung. Es fällt jedoch auf, dass diese Bekenntnisse in der Regel allgemein und abstrakt bleiben. Die offene Kommunikation von Rang hat weitreichende Konsequenzen für die betroffene Person im Ganzen und wird daher meist gemieden. Als Prinzip mag Wettbewerb ohne weiteres akzeptiert sein, doch je konkreter man ihre Auswirkungen betrachtet, desto problematischer und heikler wird sie. Rangordnung unter Menschen ist offenbar formalisiert und bis zu einem gewissen Grad institutionalisiert besser zu ertragen. Man hat es dann nicht mit ganz konkreten Personen zu tun, sondern mit einem Amt, einer Stelle, einer bestimmten Stufe einer festen Hierarchie. Der Vorgesetzte am Arbeitsplatz ist als Ranghöherer aufgrund seiner überprüfbaren Qualifikationen offiziell eingesetzt und als solcher auch zu erkennen, an seiner Bezeichnung, seiner Kleidung, seinem Gehalt, der Größe seines Büros usw. In diesem klar geregelten Rangverhältnis ist es nicht problematisch, die unterschiedlichen Rangstufen zu benennen, über sie zu sprechen, weil die Verhältnisse objektiv scheinen. Auch im Sport geht man unbefangen mit Rangordnungen um, man erstellt Tabellen, Punktesysteme, berechnet Marktwerte usw., alles aufgrund von sachlichen, neutralen, für jeden gut nachvollziehbaren und meist klar definierten und quantifizierbaren Leistungsmerkmalen.
Problematisch wird die Rangordnung jedoch in ungeregelten Situationen, wenn nicht schon im Vorhinein jedem klar ist, wer welche Rolle einzunehmen hat und nach welchen Kriterien überhaupt zu werten ist. Es werden sich Routinen im persönlichen Umgang miteinander einspielen, doch bleiben diese unausgesprochen, besonders hinsichtlich der Rangverhältnisse. Es scheint geradezu unmöglich, hier eine öffentliche Rangordnung aufzustellen, bestimmten Personen einen bestimmten Rang zuzuweisen. Unmöglich zum einen, weil man sich schlicht nicht sicher sein kann, ob der eigene Eindruck der richtige ist und man sich und den anderen angemessen einschätzt, zum anderen aber vor allem, weil es moralisch so unangebracht, so anstößig erscheint. Rangordnung ist deshalb ein sensibles Thema, weil es immer auch um den eigenen Rang und um den Rang des Gegenübers geht. Es wird deutlich, wie subjektiv, wie persönlich das ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Siglenverzeichnis
  5. 1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
  6. 2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
  7. 3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
  8. 4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
  9. Personenregister
  10. Begriffs- und Sachregister