I due Foscari
An anderer Stelle dieses Buches trifft man auf den Rekordhalter des Doganats, die kürzeste Amtszeit. Hier nun geht es ebenfalls um einen Rekordhalter, den Dogen mit der längsten Amtszeit. Francesco Foscari symbolisierte die höchste Würde der Serenissima von 1423 bis 1457 als 65. Doge.
George Byron (1788–1824) in »albanischer Tracht«, gemalt von Thomas Phillips Eine Art zweiter Dogen-Rekord: Nur rund um Marino Falier drängen sich so viele Kunstwerke wie um Foscari.
George Byron schrieb das Schauspiel The two Foscari, erschienen 1821. Auf diesem Buch basiert das Libretto von Francesco Maria Piave für die Verdi-Oper I due Foscari.
Francesco Hayez malte seine beiden Foscari, Vater und Sohn, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, ebenso Eugène Delacroix. Und zu den bekanntesten Darstellungen des Dogen gehört die Skulptur an der Porta della Carta des Palazzo Ducale. Das Original haben die französischen Truppen gleich nach der Einnahme Venedigs 1797 zerstört, wie so viele andere Kunstwerke von hoher Qualität. Seit 1885 krönt eine Kopie diesen Eingang in den Dogenpalast. Ein Detail des Originals ist hier erhalten, der Kopf des Dogen, in dem kleinen Museum im Parterre.
Den vor dem Markuslöwen knienden Dogen kann man seit dem späten 19. Jahrhundert auch in Wien bewundern, an einem Haus in venezianischem Stil in der Praterstraße, am Dogenhof.
Der Komponist von I due Foscari, Giuseppe Verdi Foscaris Leben ist vom Beginn bis zum Ende außergewöhnlich. Zwar in Venedig geboren, ist er in Ägypten aufgewachsen, wohin der Vater Nicolò mit seiner Familie verbannt worden war. Erst mit achtzehn Jahren kehrte Francesco nach Venedig zurück. Er erkennt seine Möglichkeiten, nutzt seine Eloquenz, weiß die Mitmenschen zu beeindrucken, heiratet die richtige Frau – reich und aus erstem Haus, eine Priuli. Schnell macht er Karriere, mit dreiundvierzig Jahren hat er das zweithöchste Amt der Stadt errungen, er ist Procuratore di San Marco.
Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratet Francesco Foscari abermals in eine reiche Familie, Marina Nani. Aus beiden Ehen hat er viele Töchter und Söhne.
1423 wählt ihn Venedig zum Dogen – und dieser Glückstag markiert auch den Beginn einer Kette von Unglücksfällen.
Schon die Wahl bedeutet für Foscari eine ganze Reihe unangenehmer Situationen. Der Gegner war Pietro Loredan, der zwar klar unterlegen war, aber sein Lebtag lang diesen Misserfolg nicht verwinden konnte. Er wurde zum erbitterten Feind der Foscari.
Der Vorgänger, Tommaso Mocenigo, hat in den letzten Stunden seines Lebens die ihn auf seinem Lager umstehenden Verwandten und Freunde vor dieser Wahl gewarnt. Man möge wählen, wen auch immer, nicht aber Francesco Foscari. Er werde Venedig in den finanziellen Ruin führen. Mocenigo sagte, das ist verbürgt: »Wenn Ihr, was Gott verhüten möge, ihn zum Dogen macht, werdet Ihr Euch sehr bald im Krieg befinden, und wer jetzt zehntausend Dukaten besitzt, wird dann nur mehr tausend haben, und wer zehn Häuser sein Eigentum nennt, wird nur mehr ein einziges besitzen, und wer über hundert Kleider und Mäntel verfügt, wird Schwierigkeiten haben, auch nur ein einziges Kleidungsstück zu finden!«
Francesco Hayez (1791–1882), Die beiden Foscari, Mitte 19. Jh. Der tote Mocenigo geistert heute noch rund um sein Grab in der Basilica Santi Giovanni e Paolo, denn man hat nicht auf ihn gehört – tränenüberströmt ist sein Gespensterantlitz, das sagt jeder, der ihn dort nächtens getroffen hat!
Eugène Delacroix (1798–1863), Les deux Foscari, 1855 Porta della Carta: Francesco Foscari mit dem Markuslöwen Und tatsächlich, es wurden harte Jahre! Bald nach Regierungsantritt ging der neue Doge an die Erweiterung des venezianischen Machtbereichs. 1426 begann der Krieg gegen Mailand, er sollte viele Jahre dauern. Er verschlang Unsummen, doch er brachte der Serenissima reiche Beute – Cremona, Brescia und vor allem Bergamo, den westlichsten Punkt des venezianischen Machtbereichs, nur dreißig Kilometer von Mailand entfernt.
1425 starben einige Kinder Foscaris an der Pest, 1427 die nächsten, nur zwei Söhne sind am Leben geblieben, Jacopo und Domenico.
Und Pietro Loredan machte dem Dogen das Leben schwer. 1426 war er zum Procuratore von San Marco berufen worden, jenem hohen Amt, das auch Foscari früher innegehabt hatte. Als Anführer der Opposition und ein Mann mit sehr guter Reputation war er sehr erfolgreich. Als der Doge eines Tages die Nerven verlor, begründete er mit einem einzigen Satz seinen eigenen schlechten Ruf. Er rief, ernsthafte Regierungsarbeit sei nicht möglich, solange dieser »Teufel Loredan« am Leben sei.
Als der »Teufel« 1438 starb, wurde allgemein angenommen, Foscari habe ihn vergiften lassen, durch die Hand seines Barbiers. Das war schließlich eine gebräuchliche Methode zur Problemlösung. Kurz danach starb auch der Bruder, Marco Loredan, die Gerüchte überschlugen sich.
Schon 1430 hatte der Doge selbst einen Mordanschlag überlebt. Die anderen Attacken auf seine Politik und auf ihn selbst waren subtiler.
Der Sohn Jacopo hatte als einziges der vielen Kinder Foscaris das Erwachsenenalter erreicht. Sein Bruder Domenico war 1438 gestorben.
Der lange Arm der Loredan’schen Feindschaft erreichte Jacopo noch aus dem Grab. Michele Bevilacqua, »ein geringer Mensch vom Pöbel« nennt ihn die Chronik, denunzierte Foscari junior. 1445 wurde er auf Befehl des Rates der Zehn festgenommen. Man warf ihm vor, in venedigfeindliche Pläne des Auslands verwickelt zu sein und von Feinden des Staates Geschenke anzunehmen.
Jacopo konnte entkommen und floh nach Triest. Daraufhin wurde er für ewige Zeiten verbannt, sein Exil sei Nauplia.
Doch die Obrigkeit ließ Milde walten, auf Bitten der Eltern Foscari. Das Exil wurde nun nicht Nauplia, sondern das venedignahe Zelarino, zwanzig Kilometer vom Markusplatz entfernt. Schon 1447 wurde diese »ewige Verbannung« aufgehoben. Die Zehn waren gütig gewesen.
Vater Francesco war inzwischen erfolgreich gewesen. Neben seinen politischen und militärischen Zielen hatte er auch ein großes Bauvorhaben bewältigt, vor allem am Dogenpalast. Die Westfront wurde 1424 bis 1438 durch eine neue ersetzt, wie wir sie als die Fassade hin zur Piazzetta kennen. Die große Loggia an dieser Seite geht auf ihn zurück. Und zwischen Palast und Markuskirche ließ er die Porta della Carta errichten, mit seinem Porträt in Stein. Ab 1452 baute der Doge an seinem eigenen Haus, der prachtvollen Ca’ Foscari, heute die Universität von Venedig.
Jacopo geriet von Neuem in Schwierigkeiten. Am 5. November 1450 wurde Ermolao Donà ermordet, »von hinten her durch eine meuchlerische Hand tödtlich vewundet«. Er war ein Bruder des Andrea Donà, eines hohen Beamten.
Nunmehr übernahm ein neuer Gegner die Intrige, Antonio Venier, als übler Charakter verschrien, dennoch mit einer Anzeige erfolgreich: Jacopo habe den Donà durch seinen Bedienten Oliviero umbringen lassen. Als Dank für diese Meldung bekam der Anzeiger eine anständige jährliche Pension.
Drei Monate wurde untersucht, Foscaris Diener Oliviero wurde gefoltert, ohne Effekt. Der Rat der Zehn war aber von Jacopos Schuld überzeugt, denn eine Feindschaft Jacopos gegen Donà war bekannt. Er wurde verhört, auch er wurde gefoltert und schließlich abermals verbannt.
Dieses Mal schickte man ihn nach Chania auf Kreta, das war nun wirklich die sprichwörtliche tiefste Provinz. Von April 1451 bis zum Juni 1456 dauerte das Exil, dann kam ein Abgesandter der Zehn und holte ihn zurück.
Neue Verhöre folgten – er sollte mit dem Sultan der Türkei Mahomet II. konspiriert haben. Dann warf man ihn in Venedig ins Gefängnis. Seine Familie bekam immerhin eine Besuchserlaubnis. Bald danach starb Jacopo Foscari, im Jänner 1457.
Nicola Erizzo, Patrizier auch er, gestand auf dem Totenbett seinem Beichtvater und ließ es diesen verkünden, dass er den Donà habe ermorden lassen, aus Rache, weil er ihn – zu Recht – »wegen seyner Diebstähle und anderer Frevel habe angezeigt«. Jacopos Eltern, denen das Schicksal alle ihre Kinder genommen hatte, haben all das miterlebt. Dem Vater, dem Dogen, blieb trotz seiner Verdienste weiterer schwerer Kummer nicht erspart. Der Rat der Zehn setzte ihn im Oktober desselben Jahres ab, diese Kompetenz besaß er freilich gar nicht, aber in Venedig ist vieles möglich …
Das Grabmal Francesco Foscaris in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari Zehn Tage später starb Francesco Foscari, am 1. November 1457. Die Republik wollte ihn nun zum Abschied feiern, seine Witwe weigerte sich, gab den Leichnam nicht frei und erklärte den Wunsch der Serenissima für Heuchelei. Sie gab erst nach langem Drängen nach. Dann bekam Francesco Foscari ein Staatsbegräbnis mit allem Glanz und Prunk, dessen Venedig fähig war.
Totschlag aus Freude
Im Venedig der Renaissance herrschte eine überfeinerte Kultur höchster Blüte.
Ungefähr ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts, also im geradezu sprichwörtlichen Cinquecento, traf sich an der Lagune eine große Gruppe erster europäischer Künstler und Intellektueller. Hier wirkten Gentile Bellini, Vittore Carpaccio, Tizian, die Architekten Jacopo Sansovino, Michele Sanmicheli, Sebastiano Serlio, der in seinen venezianischen Jahren einen Teil seines Architekturtraktats verfasste. Der Dichter und politisch hochaktive Denker und engagierte Mitbürger Pietro Aretino hatte schon einen äußerst flotten Ruf, vor allem durch seine sechzehn Sonette I modi, im Deutschen »Stellungen«, der sich nun auch noch steigerte. In den berühmten ausgezeichneten Druckereien fanden viele und auch er ideale Partner für die weiteste Verbreitung ihrer Werke.
Wenn man nun denken mag, diese höchste Form von Kunst und Kultur müsse doch ihren Niederschlag im Alltag gefunden haben, so stimmt das nur in den obersten Kreisen und im schmalen Mittelstand. Dieser, die cittadini, Bürger, war oft sehr wohlhabend, ihm gehörten Juristen, Kaufleute, Handwerker an.
Die Volksmasse – popolani – hatte keinen Anteil am künstlerischen und intellektuellen Leben. Um 1530 hatte die Stadt rund 175.000 Einwohner, da musste sich also ein Proletariat bilden, angesichts der vielen wenig attraktiven Arbeitsmöglichkeiten. Glasbläser, Arsenalarbeiter, Schiffsleute waren noch im Vorteil – aber die zahllosen Hilfsarbeiter, Lastenträger, Bettler stellten eine ebenso große Gruppe dar.
So konnte es zu un...