GegenMord
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GegenMord

Was Sie über Krimis wissen möchten / Spannender Essay, der aufzeigt, warum Krimis gefährlicher sind, als man denkt.

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Was Sie über Krimis wissen möchten / Spannender Essay, der aufzeigt, warum Krimis gefährlicher sind, als man denkt.

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Wie ist es zu erklären, dass Mord und Totschlag in den Buchhandlungen förmlich aus den Regalen quellen, im Fernsehen die besten Sendeplätze belegen und bei Streamingdiensten ganz weit oben rangieren? Wenn man den Krimi genauer unter die Lupe nimmt, wird ziemlich schnell klar, dass er nicht das ist, was er vorgibt zu sein. Der Krimi, das zeigt dieser spannende und unterhaltsame Essay, ist viel gefährlicher, als man denkt.

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Information

Verlag
tredition
Jahr
2022
ISBN
9783347566637
Wissen sie denn, was sie tun?
Dominik Graf, Wolfgang Schorlau und Jan Seghers:
Die Irrtümer der Krimiautoren und Kritiker
Vielleicht haben auch Sie den Eindruck, dass der Krimi mittlerweile immer und überall ist. Dabei liegen seine Anteile an der Belletristik in den letzten Jahrzehnten relativ stabil bei fünfundzwanzig Prozent. Woher kommt diese gefühlte Krimisierung? Durch die Omnipräsenz des Genres im Fernsehen? Weil die Besetzung von Ermittlerrollen für Fernsehproduktionen zu Angelegenheiten nationalen Interesses geworden sind? Die neueste Ausprägung des Krimis als Volkssport unter dem Label Regio- und Lokalkrimi? Was ist hier eigentlich Ursache, was Wirkung, was Angebot und was Nachfrage? Was macht Mordgeschichten so attraktiv?
Der Krimi, soviel ist sicher, eignet sich bestens zum fiktionalen Durchlauferhitzer für alle möglichen gesellschaftlichen Probleme. Ob Frauenhandel, Raubmord, Drogen oder Alzheimer und Generationenprobleme, alles kann in einen Fall eingearbeitet werden. Damit ist der Krimi nicht nur überall, er ist gleichzeitig „Alles“. Vielleicht erklärt das, warum es kaum Versuche gibt, „den Krimi“ als Ganzes unter die Lupe zu nehmen. Wie sollte man die auch halten, wenn man „Alles“ betrachten will? Und wie das Ermittlungsergebnis glaubwürdig verteidigen, wenn sich herausstellt, dass Krimis etwas tun, was kein Krimiautor, keine Krimiautorin und keine hauptberufliche Krimiexpert: in von ihnen erwartet?
Zum Glück hat die Literaturwissenschaft ein paar Methoden entwickelt, die als sichere Standorte für ein solches Unterfangen dienen können. Klassisch würde man so eine Annäherung über die Autoren und Autorinnen einfädeln, Old-School-Hermeneutik sozusagen. Man versucht zu verstehen, warum jemand etwas schreibt. Andere Formen der Annäherung konzentrieren sich ganz auf den Text oder sie untersuchen, was ein Roman oder Film im Leser beziehungsweise Zuschauer so alles bewirkt.
Beginnen wir unsere technische Überprüfung historisch korrekt mit dem, vor gut fünfzig Jahren von Roland Barthes leider für tot erklärten „Autor“. Dafür brauchen wir nicht nur das Werk, sondern auch Aussagen des Produzenten über seine Person und seine Absichten. Das ist bei Schiller und Goethe kein Problem, auch Elfriede Jelinek, Martin Walser, Friedrich Dürrenmatt, Herta Müller, Wilhelm Genazino und Christa Wolf haben über ihre Motivationen und Absichten reflektiert. Bei Krimiautoren und -autorinnen liegt der Fall etwas anders. Sie halten sich, was ihre Absichten und ihr Schreiben betrifft, eher bedeckt.
Bei der Suche nach Aussagen oder gar Poetikvorlesungen kommt man im Internet über „Deutscher Krimipreis“ auf die wichtigsten Seiten für das Genre. Die bieten einiges: Aussagen über Themen, über das Handwerk des Plottens, das Treibmittel Spannung und die Charakterisierung der Hauptfigur. Eine Begründung für das Schreiben, die sich forschend mit persönlichen und gesellschaftlichen Dispositionen oder dem Problem der Autorschaft auseinandersetzt, eine Poetik und grundlegende ästhetische Überlegungen sucht man allerdings vergebens.
Deshalb als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen hier ein durchaus repräsentatives Interview mit Wolfgang Schorlau, in dem er versucht, sein Schreiben und den Erfolg des Krimis zu erklären. Seine „Dengler-Romane“ haben mittlerweile eine Auflage von über einer Million Bücher erreicht, er wurde 2006 mit dem Deutschen und 2012 mit den Stuttgarter Krimipreis ausgezeichnet. Der Roman über den er spricht, führt Anfang 2014 eine Bestsellerliste des „Spiegel“ an.
Aus: mobil. Das Magazin der Deutschen Bahn (01/2014)
„Ich sehe, rieche und höre die Geschichte beim Schreiben“
In seinem Roman „Am zwölften Tag“ greift Wolfgang Schorlau einen brisanten Fall auf. Im Interview spricht er über das Glück, das er beim Schreiben empfindet und erklärt, warum Kriminalromane so beliebt sind.
Essen Sie eigentlich noch Fleisch?
Ich bin im Hunsrück aufgewachsen. Dort wurde an jedem Wochenende Spießbraten über offenem Feuer gedreht. Ich bin mit enormem Fleischkonsum aufgewachsen. Aber nachdem ich zwei Jahre lang über Methoden der Fleischindustrie recherchiert habe, mache ich einen großen Bogen um die Fleischtheken und Tiefkühltruhen der Supermärkte. Ich fürchte, dass dieses Fleisch hochgradig mit Keimen verseucht ist. Und ich weiß nun, dass die Haltung dieser Tiere von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Tag Tierquälerei bedeutet.
Themen, die die Welt bedeuten
Hier benutzt der ehemalige Spießbratenesser und Manager in der Computerindustrie Wolfgang Schorlau das Zauberwort vieler Krimiautoren und -autorinnen, das auch auf der Internetseite des „Syndikats“, einer Vereinigung von Krimiautoren, als zentrale Kategorie des Handwerks gehandelt wird: „Recherche“. Der Begriff ist gut gewählt, suggeriert er doch Arbeit, Geheimnis, Enthüllung, Engagement und vor allem: Wahrheit. Dabei ist gerade „Wahrheit“ eine Kategorie, mit der es der Krimi nicht sonderlich ernst nehmen muss. Schließlich beruft er sich darauf, Fiktion zu sein. Die Frage, wer welches Verbrechen warum begangen hat, ist nur Teil einer Erzählung, und nicht eines Gerichtsverfahrens oder Zeitungsartikels.
Spricht man über Themen, spricht man indirekt auch über deren Relevanz und Neuigkeitswert. Da sich Wolfgang Schorlau auf sein Thema stützt, ermitteln wir in diese Richtung. Was gibt es via Krimi über die Fleischindustrie noch zu enthüllen, was nicht schon in regelmäßigen Abständen in Polit- und Verbrauchermagazinen über den Bildschirm geflackert ist? Die durch Wolfgang Schorlaus Privatinvestigation nachgewiesenen Keime, hat schon die Bildzeitung als „Gammelfleisch“ durchgekaut und ganz abgehangen erscheint das Thema, wenn man an einen über dreißig Jahre alten Vierzeiler denkt, mit dem Otto Waalkes herumblödelte: „Was ist am Kalbfleisch denn das Schöne, doch nicht das Fleisch – die Östrogene; der Schniedel schrumpft der Busen schwillt, bald ist er Mamis Ebenbild.“ Mit anderen Worten: Die Brisanz des Themas hält sich in Grenzen, der Enthüllungswert ist gering. Und noch etwas: Über die Bewertung bestimmter Methoden der Fleischindustrie besteht in unserer Gesellschaft ein breiter Konsens. Warum also noch einen Krimi zu diesem Thema?
Können Sie uns das Geheimnis des gegenwärtigen Krimibooms erklären?
Der Kriminalroman verspricht am ehesten, was wir von Literatur im Allgemeinen und vom Leben im Besonderen erwarten: Spannung. Er hat die Genregrenzen längst verlassen, ist heute der Gesellschaftsroman. Nebenbei hat er dem aus der Mode gekommenen Heimatroman zu neuer Blüte verholfen. Und, wenn Sie an Donna Leon und die bretonischen Krimis von Jean-Luc Bannalec denken, auch den Reiseroman alter Prägung ersetzt und modernisiert.
Diese Antwort von Wolfgang Schorlau wirft eine Reihe von Fragen auf, die nicht mit einfachen Behauptungen beantwortet werden können. Zum Beispiel, dass „wir“ von Literatur und vom Leben Spannung erwarten. Als juristisch geschulter Staatsbürger bezweifelt man so eine Aussage am besten mit Nicht-Wissen. Die Beweislast liegt nun bei dem, der sie geäußert hat. Wer es hier allerdings etwas genauer wissen möchte, kann sich der empirischen Literaturwissenschaft zuwenden, die seit den 80er Jahren über den Leser forscht. Außerdem müsste noch eine andere Kleinigkeit geklärt werden, was verstehen „wir“ unter Spannung, in der Literatur und im Leben? Aber dazu, aus Spannungsgründen, später.
Wirklich brisant wird „der Gesellschaftsroman“. Eine Bezeichnung, die in Deutschland erstmals im Biedermeier auftaucht. Er sei eine Reaktion auf eine Defiziterfahrung in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft gewesen, die den Einzelnen überforderte. Der Gesellschaftsroman bot aufgrund von scheinbarer Deskriptivität und Totalität eine Interpretation der neuen gesellschaftlichen Strukturen an. Den Gegensatz dazu bildete der „sozialkritische Roman“, der ein gesellschaftliches Problem „tendenziell“, also ganz offen von einem bestimmten politischen Standpunkt aus behandelte.
Das Konzept des Gesellschaftsromans mündet in Deutschland bald im „bürgerlichen Realismus“. Der bietet eine Welterklärung anhand von Themen und Darstellungsweisen, die als allgemein akzeptiert gelten und über die Konsens besteht. Ein klassischer Zirkelschluss also: Erklärt wird, was man gern erklärt hätte und zwar so, dass die Erklärung möglichst irritationsfrei ins bestehende Weltbild passt. Der Begriff Gesellschaftsroman ist also tatsächlich gut gewählt, weil er sich ohne große Abstriche auf die meisten Kriminalromane übertragen lässt, egal, ob sie von kleinbürgerlichen Kinderschändern, osteuropäischen Menschenhändlern, kurdischen Drogendealern, gierigen Bankern, korrupten Politikern oder skrupellosen Erpressern handeln, ob sie als Rate- oder Actionkrimis daherkommen. Beunruhigend ist daran nur, über was alles in unserer Gesellschaft Konsens zu bestehen scheint.
Der für zahlreiche spannende Fernseh-Thriller geschätzte Regisseur Dominik Graf begründet den Erfolg des Krimis so: „Der Polizeithriller ist eine Welterklärungsmaschine. Man lernt die Gesellschaft an ihren wildesten Schnittpunkten kennen, an ihren ungeordnetsten Momenten. Und die Polizisten gehen mit der Wünschelrute ins Innerste des Taifuns der gesellschaftlichen Entwicklung“. Weiter führt er aus, dass der Hochbetrieb der einen Welterklärungsmaschine die Folge des Absterbens einer anderen sei. „Es erklären einem ja nicht mehr die Nachrichten die Welt oder die Zeitungen. Dafür braucht es vielschichtige, komplexe Erzählungen.“45
Dominik Graf zieht die Schraube, die Wolfgang Schorlau nur locker angesetzt hat, etwas fester: Er ist davon überzeugt, dass er die Welt durch ein fiktionales Genre erklären kann, das aufgrund seiner Rasterhaftigkeit etwas Serielles und Holzschnittartiges aufweist. Parallel dazu wickelt er kurzerhand das Kernmedium der demokratischen Öffentlichkeit, die Zeitung und damit – pars pro toto – den gesamten Journalismus ab.
Auch wenn seine Metaphern etwas hinken, ist das von Dominik Graf verwendete Maschinen-Bild für das Medienformat Krimi durchaus zutreffend: Wenn eine Maschine in Gang gesetzt wird, steht das Ergebnis ihrer Arbeit im Allgemeinen vorher fest. Schließlich hat der Konstrukteur die Maschine für einen bestimmten Zweck oder für die Herstellung eines bestimmten Produkts entworfen. Ob man sich die Welt durch ein Genre erklären lassen will, das allen Beteiligten der Verwertungskette ihr Verhalten detailliert vorgibt, ist eine individuelle Entscheidung. Trotzdem besteht die Gefahr, dass den Lesern und Zuschauern auf Dauer schwindlig wird vor lauter Horizontverengung und Statik im „Innersten des Taifuns der gesellschaftlichen Entwicklung“, in dem Polizisten mit Wünschelruten herumgehen. Da Polizei und Verbrechen beziehungsweise Verbrechen und Polizei die Zentralperspektive dieses Gesellschaftsbildes sind, müssen früher oder später alle, die diese Welterklärungsmaschine nutzen, von Misstrauen angefüllt sein bis zur Verschwörungstheorie. Aber nicht nur das. Sie wären wahrscheinlich auch erfüllt vom Hoffen auf die Rettung durch die Polizei. Und die, das wissen wir aus unzähligen Krimis, wird von „den Medien“ an unserer Rettung gehindert.
Auch der Autor und Essayist Matthias Altenburg stellt zu seinem Krimischaffen, das er unter dem Pseudonym Jan Seghers ausübt, ähnliche Überlegungen an: „Die Medien“, konstatiert er, „schütten die Welt zu, anstatt einen Blick auf sie zu ermöglichen. Das hat man als Autor wegzuräumen … Außerdem kann der Krimi eine Stadt in ihrer Totalität besonders gut abbilden, weil durch das Verbrechen so viele Milieus aufeinanderstoßen können, wie das normalerweise kaum der Fall ist.“ Dafür nennt er folgendes Beispiel: „Ein Obdachloser findet in der Taunusanlage einen Toten hinter einem Denkmal, ein städtischer Beamter kommt vorbei, hält den Obdachlosen fest, es stellt sich raus: Der Tote ist ein hoher Bankmanager. Diese Milieus in einem Nicht-Krimi zusammenzubringen, wäre sehr gezwungen, aber das Verbrechen lässt das ganz organisch zu. Der Krimi ist wie eine Großreportage.“46
Auch für Matthias Altenburg scheinen „die Medien“, das heißt die Nicht-Fiktionalen Berichterstatter, Kommentatoren und Erzähler, eine Ursache für den Aufstieg des Krimis zu sein. Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Auch die Nicht-Krimi-Literatur scheint nicht in der Lage zu sein, die Gegenwart adäquat abzubilden. Matthias Altenburg hat schon 1992 dem literarischen Nachwuchs völlige Unfähigkeit gegenüber der Realität und der Literatur vorgeworfen.47 In dieser Kollegenbeschimpfung hat er indirekt sein Schreibprogramm formuliert. Fraglich ist, ob es sich dabei um eine Poetik handelte. Zwanzig Jahre später behauptet er, nur die Totalität des Krimis könne durch das Zusammenbringen von ungewöhnlichen Schauplätzen und Figurenkonstellationen eine Stadt abbilden. Das Mittel, mit dem deren Komplexität dargestellt wird, ist ein Kriminalfall.
Aber zurück zur Medienkritik. Nimmt man die These von Matthias Altenburg ernst, hat das weitreichende Konsequenzen: Die Welt oder die Gesellschaft könne demnach nur noch durch die Brille des Verbrechens richtig wahrgenommen werden, nur sie ermögliche einen totalen Blick auf eine hochkomplexe Realität, an deren Darstellung alle anderen Medien und Literaturen scheitern. Erst die Verengung auf den kriminologischen Diskurs, seine Methoden und ein genereller Verdacht führe zu Totalität. Und die, das zeigt Altenburgs eigenes Beispiel, kann vom Autor willkürlich ausgestaltet werden. Aber Willkür ist kein Element der Reportage oder des Journalismus. Eine Reportage ist eine nicht-fiktionale journalistische Darstellungsform. Zwar erzählend und subjektiv, aber, und das ist wichtig: sie ist der wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet. Ein fiktionaler Text ist das nicht. Deshalb wird Krimiautoren von ihren erfundenen Figuren so gut wie nie mit einer Klage gedroht. Bei Journalisten hingegen, die über justiziable Sachverhalte berichten, gehört diese reale Auseinandersetzung mit realen Akteuren der realen Welt zum Alltag. Wenn Wolfgang Schorlau, Dominik Graf oder Matthias Altenburg über Geldwäsche schreiben, müssen sie nicht befürchten, dass ihnen etwas passiert wie dem Journalisten Edouard Perrin, der vor Gericht gestellt wurde, weil er die Informationen aus den Lux-Leaks öffentlich machte.
Doch das Verhältnis von Krimi, Journalismus und Öffentlichkeit hat noch eine grundsätzliche Dimension. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt in seinem Radioessay „Lügen, Bullshit und Corona – Wahrheit in Zeiten der Pandemie“ das Verhältnis von Fakten, Verschwörungstheorien und Medienkompetenz. Für ihn dokumentiert „der unreflektierte Umgang mit Desinformation eine gewaltige Medienbildungslücke in Teilen der Gesellschaft. Hier fehlt das Bewusstsein für die Seriosität einer Quelle und für die Arbeitsweisen des seriösen Journalismus.“ Die Ursache für den Glauben an Fake-News und Verschwörungstheorien ist seiner Meinung nach eine ungenügende Medienkompetenz. Dem setzt er eine Gesellschaft entgegen, „in der die Maximen und Ideale des guten Journalismus zu einem Element der Allgemeinbildung geworden sind. Im guten Journalismus steckt“, so Pörksen, „eine Kommunikationsethik, die uns heute alle angeht. Im guten Journalismus steckt ein allgemeines Ethos, ein Handwerk und eine Vision werteorientierten Publizierens … In den Idealen des guten Journalismus zeigt sich ein allgemeines Wertekorsett für das öffentliche Sprechen.“48
Vielleicht hat die kompositorische Willkür, die Krimis ermöglichen, noch einen anderen Vorteil. Der Fernsehspielchef des ZDF Reinhold Elschot beschreibt seinen Umgang mit dem Genre so: „Ich merke, dass ich schwierigere Themen besser unterbringe, wenn ich sie in einen Kriminalfilm verpacke.“49 Bleibt eigentlich nur noch eine einzige halboffene Entscheidungsfrage: Werden die Themen in diesem Universalcontainer transportiert oder eher entsorgt? Ist der Krimi vielleicht nur ein Castor-Programm für Brisantes, ein biedermeierlicher Gesellschaftsroman oder Problemfilm, ein fiktionales Endlager von Themen, die Krimiautoren aus den Medien, die sie kritisieren, herausfischen und erst über ihre Verlage abwickeln können, wenn darüber sowieso schon Konsens besteht?
Doch dann meldet sich ein furchtbarer Verdacht. Vielleicht meinen es die Krimiautorinnen und -autoren wirklich ernst. Vielleicht handeln Krimiautoren, Lektoren, Verleger und Intendanten in bester Absicht und Gesinnung. Vielleicht sind ih...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrechte
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Ein Anfangsverdacht
  7. Die fesselnde Moralmaschine
  8. Der Krimi und die Aufklärung
  9. Das Geheimnis des Krimis
  10. Das Genre und seine Muster
  11. Wenn Überwachung nur unterhält
  12. Gar nicht so einfach
  13. Wissen sie denn, was sie tun?
  14. Literaturangaben
  15. Über den Autor
  16. Anmerkungen