Wege, die man nicht vergißt
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Wege, die man nicht vergißt

Entdeckungen und Erinnerungen

  1. 280 Seiten
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Wege, die man nicht vergißt

Entdeckungen und Erinnerungen

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Über dieses Buch

Der neue Grieser: eine spannende SpurensucheHier die 4, 5 km lange Prater-Hauptallee, dort die nur zwei Hausnummern zählende Fahnengasse, die Österreich um ein Haar in einen Krieg gestürzt hätte: Dietmar Grieser, der "Meister der Miniatur" (NZZ), lädt in seinem neuen Buch zu einer spannenden Spurensuche ein. Er führt uns auf berühmte ebenso wie auf zahlreiche erst von ihm entdeckte Verkehrswege: von den Tummelplätzen seiner eigenen Kindheit und Jugend über die "Via Sacra" der Mariazell-Pilger bis zum legendären "F-Weg", der 1942 Franz Werfel und vielen weiteren politisch verfolgten Künstlern das Leben gerettet hat. Die Kontroversen um spektakuläre Straßenumbenennungen fehlen ebensowenig wie Exkurse in die Welt der Briefträger, Straßenhändler, Schnorrer und Hausierer. Fernziele sind Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" und Fellinis "La Strada" ebenso wie die Catfish Row aus der Oper "Porgy and Bess" und die Wüstenroute von El Alamein. Alles in allem: ein Erlebnisbericht der Sonderklasse.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783902998897

Draußen in der Welt

Von der Via Appia zur Via Mala

Berühmte alte Verkehrswege

Einen »Korridor in die Vergangenheit« hat man die Via Appia genannt, die es dem Rom-Touristen bis zum heutigen Tag erlaubt, seinen Fuß auf über zweitausendjährigen Straßenbelag zu setzen. Die 312 vor Christus unter dem Zensor Appius Claudius als Aufmarschweg gegen feindliche Völkerschaften angelegte Fernstraße ist eine von insgesamt 15, die die Hauptstadt mit den Provinzen des Imperium Romanum verbanden. Sie hat unter der klugen denkmalpflegerischen Hand der Italiener erstaunlich gut sowohl den Kräften des natürlichen Verfalls wie denen der gezielten Zerstörung standgehalten. Und das gilt nicht nur für ihre Trasse, sondern auch für die am Weg liegenden Reste antiker Denkmäler, für die sie begleitende Baumflora, für ihre eigentümliche Atmosphäre. Nur die wenigsten Besucher wissen, daß die »Königin der Straßen« nicht nur einen Anfang, sondern auch ein ebenso gut erhaltenes Ende hat: die hochaufragende Meilensäule an der Hafentreppe von Brindisi.
Was die Via Appia für die südliche Adria, war die Via Flaminia für die nördliche: Sie verband Rom mit Ariminum, dem heutigen Rimini. Ihre jetzige Version folgt noch immer, wie dies bei vielen Römerstraßen der Fall ist, der ursprünglichen Anlage, und wer sich davon überzeugen will, braucht nur an jener Stelle anzuhalten, an der die Archäologen einen Teil der antiken Pflasterung freigelegt und – zu Vergleichszwecken – dicht neben der Asphaltdecke der modernen Autostrada belassen haben.
Auf eine römische Heerstraße geht auch zurück, was die Griechen bis heute Ignatiusstraße – Odos Egnatia – nennen: die große Ostwestverbindung zwischen dem alten Byzanz und dem Mittelmeerraum. Der reichgeschmückte Galeriusbogen im Stadtzentrum von Saloniki markiert ihren Verlauf durch Mazedonien, und in nächster Nähe des Schlachtfeldes von Philippi trifft man sogar auf wohlkonservierte Reste des ursprünglichen Straßenbelags.
Wo einst Eisen und Blei, Holz und Salz südwärts transportiert wurden und römische Legionäre nordwärts zogen, treten heute unternehmungslustige Kurgäste zum Fitneßmarsch an: Der »Römerweg« bei Warmbad Villach ist Rest jener alten Verbindung zwischen Noricum und den Mittelmeerhäfen, deren Ursprung bis auf die Hallstattzeit zurückgeht. Bemerkenswert sind die gut sichtbaren Spurrinnen für den Wagenverkehr: Radgleis und Regenwasserabfluß in einem. Vorsicht – nichts für Stöckelschuhträgerinnen!
Späteren Datums sind einige der bekannten Alpenübergänge. Der Große St. Bernhard, ursprünglich nur für Reittiere passierbar, ist für seine Frühform von »Pannenhilfe« berühmt: Die Mönche des im 10. Jahrhundert auf der Paßhöhe gegründeten Augustinerchorherren-Hospizes richteten Hunde dafür ab, lawinenverschüttete oder verirrte Wanderer aufzufinden und zu retten. Napoleon zog vor der Schlacht bei Marengo mit 30 000 Mann über den Großen St. Bernhard. Heute wird der Paß, der das Rhônetal mit dem Aostatal verbindet, durch einen fast sechs Kilometer langen Straßentunnel unterfahren.
Wegen seiner vielen Schluchten noch schwerer zu bezwingen war der St. Gotthard: Hier weiß man seit dem 13. Jahrhundert von einem einst eifrig benützten Verbindungsweg. Kuriosum am Rande: Noch um 1900 verkehrte auf dieser Strecke eine vierspännige Pferdepost.
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Von keinem Geringeren als Goethe mit der Zeichenfeder verewigt: die Via Mala im Schweizer Kanton Graubünden
Rubrizierungsprobleme gibt es mit der Via Mala. Schon den Römern war die Klamm an der gefürchteten Schlucht des Hinterrheins bei Andeer (im heutigen Schweizer Kanton Graubünden) ein Greuel – daher ihr Name. Ist sie also den antiken Verkehrswegen zuzuordnen? Goethe hat sie auf seinen Wanderungen durch die Schweiz gezeichnet – sie wäre also auch etwas für ein Kapitel »Die Straße in der bildenden Kunst«. Und schließlich John Knittel: Sein Roman vom älplerischen Familiendrama am Ysolla-Paß hat den »bösen Weg« erst richtig berühmt gemacht – sie ist also auch eine Art »literarische Straße«. Heute ist die Via Mala – als Teil der direkten Verbindung Bodenseegebiet–Lombardei – mit Bogenbrücken, Tunnels und Galerien so perfekt (aber auch so ernüchternd) ausgebaut, daß der Autofahrer von der 2,5 Kilometer langen, bis zu 600 Meter tiefen Felsschlucht kaum noch etwas wahrnimmt.
Im Frühjahr 1495 bricht der 24jährige Albrecht Dürer, die ihm soeben angetraute Gattin im pestverseuchten Nürnberg zurücklassend, in Begleitung eines Malerkollegen zu seiner ersten Italienreise auf – und zwar zu Fuß (erst auf seiner zweiten, elf Jahre später, ist er arriviert genug, um sich ein Reitpferd leisten zu können). Alle wichtigen Stationen der Wanderung hat der Künstler im Bild festgehalten: Die Aquarelle vom »Welschen Gebirge«, von Arco und von Trient genießen Weltruhm. Weniger bekannt ist das Blatt »Brennerstraße im Eisacktal«: Erst 1928 wird es – als eines der Stücke aus der Sammlung des Spanierkönigs Philipp II. – in den Gemächern des Escorial wiederentdeckt. Für uns ein besonders bedeutender Fund: Es ist eine der ersten (und schönsten) Straßendarstellungen der abendländischen Malerei.
Anfang des 16. Jahrhunderts verpflichtete sich Franz von Taxis aus dem lombardischen Adelsgeschlecht der Thurn und Taxis gegenüber Kaiser Maximilian I. und König Philipp dem Schönen, für eine funktionierende regelmäßige Postverbindung zwischen Innsbruck, den habsburgischen Niederlanden und dem französischen Hof zu sorgen. Nach und nach traten Nebenkurse hinzu, und was zunächst nur der Beförderung von Schriftstücken der Höfe gedient hatte, weitete sich mit der Zeit zum allgemeinen Postwesen aus. Die Landschaftsmalerei des ausgehenden 18. Jahrhunderts erhielt damit ein neues Requisit: die Postkutsche.
Die vom Wiener Außenbezirk Favoriten ausgehende und die ehemalige Reichshaupt- und Residenzstadt mit dem wichtigsten Seehafen der Donaumonarchie verbindende Triester Straße, schon im Mittelalter einer der bedeutendsten Fernhandelswege Mitteleuropas, wurde für den 1955 geborenen österreichischen Schriftsteller Beppo Beyerl zu einer Art Lebensthema. In Erinnerung an eine an Abenteuern reiche VW-Fahrt, die den Autor noch in seiner Kindheit an der Seite des Vaters nach Triest geführt hatte, unternahm es der inzwischen 57jährige Beyerl im Jahr 2012, die 447 (per Auto 480) Kilometer lange Strecke zu Fuß zurückzulegen. Leser, die es dem rüstigen Wanderer gleichtun wollen, seien zwecks Einstimmung auf dessen Buch »Die Straße mit sieben Namen« verwiesen.

Die elegante Welt

Prunk zwischen St. Petersburg und Wien

Nikolai Gogol hat eine seiner »Petersburger Novellen« nach dem Newski-Prospekt benannt. Er schildert die viereinhalb Kilometer lange Prachtstraße als »den einzigen Ort, an dem sich die Menschen nicht aus Not zusammenfinden, wohin nicht Zwang und Geschäft sie treiben«. Die »Große Perspektive«, wie der von Palästen und Kirchen, von Theatern und Museen, von Geschäften und Restaurants gesäumte Boulevard zur Zeit Peters des Großen hieß, war ursprünglich angelegt worden, um das Wahrzeichen der Stadt, die Admiralität am Ufer der Newa (in der heute die Marinehochschule untergebracht ist), mit der großen Straße nach Moskau zu verbinden. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie zum Korso Petersburgs, zur Straße der eleganten Welt des Zarenreichs. An ihrem äußeren Ende halten die großen Toten des Landes Wacht: Sowohl Dostojewski wie Tschaikowski ruhen auf den Friedhöfen des Alexander-Newski-Klosters. Zwar ist der Newski-Prospekt auch in späterer Zeit die Hauptlebensader der Stadt geblieben, aber wer von den Menschenmassen, die hier tagaus, tagein in die großen Kaufhäuser drängen, mag noch eine Ahnung davon haben, daß man im legendären Gostinny Dwor schon im 18. Jahrhundert den Winter über seine Einkäufe in beheizten Ladenstraßen tätigen konnte? Und wer von den heutigen Autofahrern mag von dem berühmten Holzpflaster wissen, über das anno dazumal der Adel in schellenverzierten Troikas dahinbrauste?
Der weitgereiste deutsche Publizist Dirk Schümer, der in manchen Fällen dem persönlichen Augenschein an Ort und Stelle das Studium von Atlas und Stadtplan vorzieht, beschreibt in seinem Buch »Touristen sind immer die anderen«, zu welchen Resultaten er gelangt, wenn er sich, nichts als die Landkarte vor Augen, in die betreffende Region versenkt und seine Phantasie spielen läßt:
»Wenn ich in St.Petersburg den Newski-Prospekt hinunterblicke, erschließt sich mir die Dimension dieses russischen Riesenreiches erst, wenn ich die Karte ins Ferne imaginiere: Dieser breite Boulevard reicht, bildlich gesprochen, tausende Kilometer in den Osten, durch endlose Sümpfe und die Taiga, am Baikalsee entlang bis an die Grenze von Nordkorea. Nur wenn ich diese faszinierend-schauerlichen Dimensionen mitdenke, komme ich der Mentalität der Bewohner näher, ob sie nun unter dem Zaren zu Zeiten Dostojewskis hier wohnten oder heute.«
Der Dichter Friedrich von Schiller geht da sogar noch einen Schritt weiter; er läßt in seinem Schauspiel »Wilhelm Tell« einen der Akteure sagen: »Jede Straße führt ans End’ der Welt.«
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Der Newski-Prospekt im alten St. Petersburg (hier mit winterlichem Schlittenverkehr anno 1890)
Von St. Petersburg blicken wir nach Krakau, das vier Jahrhunderte lang die Krönungsstadt der polnischen Könige gewesen ist. Vom Barbakan über den Hauptmarkt zum Schloß auf dem Wawel-Hügel führte der Droga Krolewska: der Königstrakt. Eine Achse, die sich aus mehreren ineinander übergehenden Straßen zusammensetzt – mit der Florianska und der Grodzka als wichtigsten Abschnitten. Ein Zentrum im Zentrum, das nach wie vor auf den Rest der Stadt ausstrahlt und ihr die Perspektive gibt – keineswegs gradlinig, sondern krümmungsreich und kapriziös. Auch hierin also ein getreues Abbild der wechselvollen Geschichte der heute von Touristen überrannten Stadt.
Noch stärker gilt das für die Parade- und Promenadenstraße im wilhelminischen Berlin: Unter den Linden, die in ihren Ursprüngen auf das Ende des Dreißigjährigen Krieges zurückgeht. Der Dichter E. T. A. Hoffmann nannte sie einen »Sammelplatz des höheren, durch Stand oder Reichtum zu üppigerem Lebensgenuß berechtigten Publikums«.
Apropos Linden: Kaum eine andere Straße Mitteleuropas kann für sich in Anspruch nehmen, soviel Prominenz gesehen zu haben wie die »weltberühmte Allee von vierfachen Lindenreihen« in Bad Pyrmont: Peter der Große und der Alte Fritz sind hier ebenso flaniert wie Königin Luise und Benjamin Franklin, Lessing und Telemann, Goethe und Humboldt. Berühmte Kurgäste hat es natürlich auch anderswo gegeben; was die Pyrmonter Lindenallee zur »historischen Straße« macht, ist die große Zahl denkwürdiger Begegnungen, die hier stattgefunden oder ihren Anfang genommen haben: Kulturgeschichte im Schatten des Gesundbrunnens.
Zuerst der lebendigste Marktplatz der Stadt, dann festlicher Rahmen der großen höfischen Erbhuldigungszüge, schließlich Rendezvousplatz des vornehmen Wien: der Graben zwischen Stephanskirche und Hofburgviertel. Bis heute ist der zugeschüttete ehemalige Stadtgraben (über den Karl Kraus spottete: »Hier ist das Herz von Wien, und im Herzen von Wien ist eine Pestsäule errichtet!«) seiner Tradition treu geblieben, Vorreiter neuer Entwicklungen zu sein: Hier wurde 1950 Wiens erste Neonbeleuchtung, 1971 Wiens erste Fußgängerzone erprobt. Eine Sache für sich ist die viereinhalb Kilometer lange Prater-Hauptallee, legendärer Schauplatz prachtvoller Paraden und Korsos zwischen Riesenrad und Donau-Auen. Hier gab sich an den Sonntagen im kaiserlichen Wien sowohl die feine Gesellschaft wie das gemeine Volk ein Stelldichein, um zu sehen und gesehen zu werden – schon Adalbert Stifter rühmte die Pracht der Kleider, der Wagen und der Dienerschaft« (siehe auch Seite 57ff.).
Jüngeren Datums ist die Ringstraße, die, zusammen mit dem am Donaukanal entlangführenden Franz-Josephs-Kai, einen geschlossenen Kreis um die Wiener Altstadt legt. Sie entstand erst im 19. Jahrhundert und löste die damals 600 Jahre alte Stadtbefestigung ab, die vor feindlicher Belagerung (etwa durch die Türken) hatte schützen sollen. Staatsoper und Burgtheater, Parlament und Rathaus, Universität und Museen sowie repräsentative Parkanlagen geben ihr bis heute ein imperiales Gepräge.
Was den Wienern die Ringstraße, sind den Parisern die Champs-Elysées: 1,8 Kilometer lang und bis zu 400 Meter breit, erstreckt sich die Prachtavenue von der Place de la Concorde bis zur Place de l’Étoile auf dem Gelände eines ehemaligen königlichen Lustwäldchens; im Palais de l’Élyseé amtiert der Präsident der Republik.
Der Verbindungsweg zwischen Holyroodhouse, der schottischen Residenz der Könige von Großbritannien (von wo aus Mary Stuart sechs Jahre lang regiert hat), und dem Castle (wo unter anderem die schottischen Kronjuwelen gehütet werden) hat sowohl einen offiziellen wie einen nom de plume. Auf den Stadtplänen von Edinburgh findet man nur den ersteren: High Street. »Royal Mile« – so nennen ihn bloß die Geschichtsbücher, und sie tun gut daran. Ein Straßenname von solchem Wohlklang sollte nicht in Vergessenheit geraten – auch wenn die »Royal Mile« in ihrem heutigen Zustand sehr an Ansehnlichkeit eingebüßt und dem Touristen auch nur noch zwei Sehenswürdigkeiten zu bieten hat: das entzückende Museum of Childhood und das Wohnhaus des Reformators John Knox aus dem Jahr 1490.
Ganz anders die Mall, die platanengesäumte Londoner Paradeallee, die in schnurgerader Linie vom Admiralty Arch zum Buckingham Palace (seit Queen Victoria die Residenz der englischen Könige) führt: Der die an Denkmälern reiche Prachtstraße zur Linken begleitende St. James Park (in dem König Charles II. jenes alte Paille-Maille zu spielen pflegte, an das die Straßennamen Mall und Pall Mall erinnern) ist zwar eine öffentliche Promenade, aber Verbotsschilder wie »no cycling, no radios« dokumentieren, daß man auch weiterhin entschlossen scheint, im Umkreis des Hofes wenigstens auf einem Minimum an Würde zu bestehen.

Todeskandidaten, Attentäter, Helden

Albert Speers »Ankunft« auf dem Kahlenberg

Die Inhaber der eleganten Läden und Cafés klagten über Geschäftsstörung: Durch die Rue Saint Honoré rollten jeden Nachmittag die Karren mit den Todeskandidaten. Paris zur Schreckenszeit des Revolutionstribunals 1793/94. Von der Conciergerie, dem Untersuchungsgefängnis auf der Cité-Insel, wo den »Feinden der Revolution« jeweils um 10 Uhr – ohne jede Möglichkeit, sich zu verteidigen – die Anklageschrift ausgehändigt wurde, ging es um 16 Uhr durch die Rue Saint Honoré und die Rue Nationale (jetzt wieder Rue Royale) zur Place de la Révolution (jetzt Place de la Concorde), wo zwischen dem Reiterstandbild Ludwigs XV. und der Terrasse der Tuilerien das Blutgerüst errichtet war und um 18 Uhr unter dem Jubel der Massen die Guillotinierung stattfand. 1300 Köpfe sind hier gefallen: die Köpfe Ludwigs XVI., Marie Antoinettes, Charlotte Cordays, der Dubarry, Dantons und Desmoulins’. Und zuletzt auch der des starken Mannes der Revolution: Maximilien de Robespierre.
»Politische Straßen« – das bedeutet nur allzuoft: Blutstraßen. Am Appelkai, dem Ufer der Miljacka im Zentrum von Sarajewo, wenige Schritte vom Rathaus des damaligen Verwaltungssitzes für Bosnien-Herzegowina entfernt, feuerte am Nachmittag des 28. Juni 1914 der serbische Nationalist Gavrilo Princip jene tödlichen Schüsse auf Österreich-Ungarns Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ab, die vier Wochen später den Ersten Weltkrieg auslösten. Bei der Lateinerbrücke (später eine Zeitlang Princip-Brücke), wo sich der Attentäter postiert hatte, haben Gesinnungsgenossen seine Fußabdrücke im Asphalt konserviert (wie es Hollywood mit seinen Filmstars zu tun pflegt). Und in der Canebière, der lebenssprühenden, zum alten Hafen hinunterführenden Hauptgeschäftsstraße von Marseille (die ihren Namen von jener Zeit ableitet, da sich dort noch Hanffelder befanden), fiel am 9. Oktober 1934 während eines Staatsbesuchs König Alexander I. von Jugoslawien einem Anschlag kroatischer Separatisten zum Opfer.
Blutig ging es auch in der Sackville Street (der heutigen O’Connell Street) von Dublin zu, als am Ostermontag 1916 bewaffnete irische Nationalisten eine Reihe von Gebäuden im Stadtzentrum besetzten, darunter das General Post Office, das sie zu ihrem Hauptquartier machten, um von hier aus die verhaßte englische Fremdherrschaft abzuschütteln und eine Freie Republik Irla...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Wien
  7. Kindheit und Jugend
  8. Draußen im Land
  9. Draußen in der Welt
  10. Bild- und Textnachweis
  11. Personenregister