Kaiserlicher Alltag
[38] Kaiser Franz Joseph an seinem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer der Wiener Hofburg, Zeichnung von Theo Zasche, um 1908
38 Essenzieller Bestandteil des kaiserlichen Alltags war das strenge Hofzeremoniell. Damit alles dem Protokoll entsprechend ablief, gab es auch ein eigenes Amt bei Hof, das Hofzeremonielldepartement, das für die Einhaltung der habsburgischen Traditionen sorgte. Die Zeremonialprotokolle, genaueste Aufzeichnungen darüber, welche Regeln für welchen Anlass galten, bildeten die Grundlage für das Zeremoniell, das allerdings auch immer wieder adjustiert wurde.
Das Wiener Hofzeremoniell galt als besonders konservativ und traditionsbewusst. Da es sich an den Regeln der Hauptlinie der Dynastie, die seit Karl V. in Spanien residiert hatte, orientierte, wurde es oft spanisches Hofzeremoniell genannt. Staatsakte, Audienzen und Empfänge, aber auch familiäre Anlässe wie Hochzeiten, Taufen und Begräbnisse folgten strengen Regeln. Der gesamte Ablauf, jeder Schritt und jede Geste sollten von angemessener Würde durchdrungen sein, um die Erhabenheit des Erzhauses zu verdeutlichen. Individualität und Spontaneität oder gar Emotionen waren nicht erwünscht.
39 Nachdem der Kaiser jeden Morgen um punkt halb vier Uhr früh von seinem Kammerdiener geweckt wurde, trat der »Badewaschler« seinen Dienst an. Dazu war schon am Abend zuvor der »Badeteppich« im Schlafzimmer ausgebreitet worden, und nun traten das »Tub«, eine Art Gumminbadewanne, und der »Badewaschler« in Aktion. Viele Jahre versah der »Bademeister und Leibmasseur« namens Koch diesen Dienst. Als er aufgrund einer langwierigen Krankheit für einige Zeit ausfiel, wurde ein Vertreter ernannt, der allerdings für Probleme sorgte. So erinnert sich Kammerdiener Eugen Ketterl: »Mit diesem Badediener hatten wir immer unsere liebe Not. Dieser Mann, der von der Vorsehung dazu ausersehen war, mit dem Kaiser von Österreich in intimsten persönlichen Verkehr zu treten, hielt sich auch dazu berechtigt, zwar nicht den Thron zu stützen, wohl aber sich selbst von dem Träger der Krone stützen zu lassen. Dies kam so: Um 3 Uhr früh aufstehen ist namentlich im Winter kein besonderes Vergnügen und nicht jedermanns Sache. ›Wenn einen nun diese nachtschlafende Stunde schon zur Pflicht ruft‹, so dachte dieser wackere Mann, ›gibt es nur ein Mittel, um über die Schwierigkeiten des Frühaufstehens hinwegzukommen: nämlich nicht schlafen zu gehen.‹ Gedacht, getan. Unser ›Badewaschel‹ wurde also ein ständiger trinkfester Gast im benachbarten Vierstöcklkeller. Um nicht einzuschlafen, trank er und seine Methode bewirkte wohl, daß er zwar nicht einschlief, dafür aber mit dem seelischen und körperlichen Gleichgewicht in Konflikt geriet. So vergaß er denn auch in diesem Zustand die schuldige Ehrfurcht vor dem Monarchen und erschien einige Mal in aller Früh in nicht gerade audienzfähigem Zustand vor des Kaisers Gummiwanne. Der ungewohnte Anblick des immerhin originellen Untertanen belustigte anfangs den Monarchen, wenn sich der Mann in einer selbst sehr hilfsbedürftigen Verfassung an seine Dienstleistung heranmachte, und der Kaiser meinte nur ›daß man doch einige Zeitlang auf ihn aufpassen möge, da er wahrscheinlich nichts vertrage‹. Als jedoch ein drittes Mal die mangelnde Standfestigkeit des Badewaschels dazu führte, daß er sich so kräftig an die Arme seiner Majestät anklammerte, daß im nächsten Augenblick die ohnehin kleine Badegelegenheit beinahe zwei Insassen gehabt hätte, war es mit der Dienstleistung dieses Mannes zu Ende. Seine Majestät ließ aber in seiner Güte nicht zu, daß er davongejagt wurde, und verlangte nur, daß ihm eine andere Aufgabe zuteil werde, die ihm den Vorwand nehme, sich nächtlich bis 3 Uhr früh im ›Vierstöckl‹ wach halten zu müssen.«18
Kammerdiener Rudolf Rottner im Schlafzimmer des Kaisers, Zeichnung von Theo Zasche, 1908
[39] Handtücher Kaiser Franz Josephs mit gewebtem floralen Dekor, jeweils in Rot gesticktes Monogramm »FJ« mit Kaiserkrone und Jahreszahl 1902
40 Nach dem morgendlichen Bad war Ketterl dem Kaiser beim Ankleiden behilflich. Zu dieser frühen Stunde trug der Kaiser stets einen leichten hechtgrauen Militärmantel, das sogenannte »Bonjourl«, nach dem französischen Wort »Bonjour« für »Guten Tag« bzw. »Guten Morgen«. Dabei ließ er sich von Ketterl »Mitteilungen machen« – sprich Ketterl informierte ihn inoffiziell über alle Neuigkeiten. Außerdem durfte der Kammerdiener zu dieser Zeit auch Privatbitten vortragen. Franz Joseph war an diese morgendlichen Gespräche so gewöhnt, dass er, ehe er das Schlafzimmer verließ, immer noch einmal zwischen Tür und Angel stehen blieb und fragte: »Haben Sie noch Wünsche?«
Nach einem kurzen Morgengebet empfing der Kaiser den Leibarzt zur täglichen Morgenvisite. Ab 1897 hatte Hofrat Dr. Joseph Kerzl dieses Amt inne; dass er ausschließlich im Frack vor dem Kaiser erscheinen durfte, ist übrigens eine Legende. Kerzl trug um diese frühe Stunde stets Jackett oder Gehrock, in Ischl sogar ganz ungezwungen eine Joppe.
Kaiser Franz Joseph im Bonjour-Rock am Fenster seines Arbeitszimmers in der Wiener Hofburg, Zeichnung von Theo Zasche, 1908
[40] Bonjour-Rock Kaiser Franz Josephs nach der Adjustierung für k. u. k. Generalsmäntel gefertigt; hechtgraues Tuch, Samtkragen mit scharlachrotem Paroli, Knopfleisten ebenfalls mit scharlachrotem Untertritt. Inseitig Etikett des k. u. k. Hoflieferanten »A. Uzel & Sohn Wien« mit handschriftlicher Datierung »Juli 1912«
41 Der Morgentoilette folgte das erste Frühstück des Kaisers, das ihm Ketterl um fünf Uhr früh servierte. Das Frühstück bestand aus Kaffee, Buttersemmerl mit Schinken und einem noch warmen Kipferl, das er gerne in den Kaffee tauchte.
[41] »Haare Sr. Majestät« und »Nagel Sr. Majestät«, insgesamt neun Kuverts mit Haaren und einem Nagel des Kaisers, eigenhändig beschriftet von Kammerdiener Eugen Ketterl und datiert 1908–1910
Täglich um halb sechs Uhr früh musste der Friseur zum Dienst erscheinen. Ab 1902 war dies Josef Sennhofer, der auch ein Friseurgeschäft in der Habsburgergasse führte. Gab es abends noch eine repräsentative Veranstaltung, musste er am Nachmittag oder frühen Abend nochmals kommen, um den Kaiser zu frisieren bzw. zu rasieren und den Bart zu stutzen. Währenddessen unterhielt sich Franz Joseph gern über alltägliche Dinge und befragte den Friseur über die Meinung des Volkes zu tagesaktuellen Themen, wobei der Kaiser, wie der Friseur in seinen Memoiren betont, stets die volle Wahrheit verlangte. Bis zu Franz Josephs Tod blieb Sennhofer »Herr des kaiserlichen Backenbartes«. Der Kaiser lehnte modische Einflüsse und »Korrekturen« strikt ab. So färbte er sich im Unterschied zu vielen Zeitgenossen weder die Haare, noch verwendete er wie damals üblich Klebemittel zur Versteifung und Festigung der Schnurrbartspitzen.
Selbst dieses morgendliche Ritual diente als Quelle für die alljährliche Weihnachtsauktion. Dabei wurden auch Barthaare und Haare sowie ein Nagel des Kaisers versteigert – manche hübsch gefasst in einem Erinnerungsrahmen, andere lose in schmucklosen Kuverts mit der lapidaren Beschriftung »Haare Sr. Majestät« sowie dem betreffenden Datum.
[41] Barthaare des Kaisers in verglastem Stellrahmen und Lederfutteral, über dem Rahmen Kaiserkrone in Gold, Rückseite mit goldgeprägter Inschrift: »Haare v. Sr. Majestät des Kaisers Franz Joseph I. 7. 3. 1910«. Etui mit Herstellerbezeichnung des k. u. k. Hoflieferanten L. Schuchs Nachf.
42 Bevor sich der Kaiser zu seinem Arbeitstag an den Schreibtisch setzte, machte er im Sommer, wenn er in Schönbrunn oder Ischl residierte, gerne einen Morgenspaziergang. Er liebte diese Stunde, in der er meist ungestört seinen Gedanken nachgehen und vor allem an der frischen Luft sein konnte. Dabei machte der Kaiser mitunter auch Bekanntschaften – so sprach er eines Tages während seines Morgenspaziergangs im Schönbrunner Schlosspark die damals ganz junge Anna Nahowski an, die für viele Jahre seine Geliebte werden sollte.
[42] Persönlicher Gehstock Kaiser Franz Josephs, Griff in Form eines Elfenbeinzahnes mit Silbermontierung, Inventaretikett mit handschriftlicher Nummerierung (rechts)
Kaiser Franz Joseph bei seinem täglichen Morgenspaziergang in Ischl, Zeichnung von Theo Zasche, 1908 (links)
43 Eugen Ketterl kam 1894 im Alter von 35 Jahren auf Empfehlung des Grafen Bellegarde, dessen Schlossverwalter er gewesen war, an den Wiener Hof. Zwei Jahre lang diente er in der Tafelkammer, bis er 1894 zum Leibkammerdiener des Kaisers ernannt wurde. In dieser Funktion stand er der Kammer – dem persönlichen Haushalt des Kaisers – vor. Das Kammerpersonal bestand aus 14 Personen: vom Türhüter über den Büchsenspanner bis hin zu den Weißmädchen, die sich um die Wäsche kümmerten. Das Anschaffungsbuch der kaiserlichen Garderobe erinnert an eine der Hauptaufgaben des Leibkammerdieners, der genauestens über alle Ausgaben – wie Ankäufe und Reparaturen – Buch führte. ...