Die Genies im Hause Habsburg
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Die Genies im Hause Habsburg

  1. 240 Seiten
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Die Genies im Hause Habsburg

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Über dieses Buch

Große historische Persönlichkeiten ganz privatEs ist hinlänglich bekannt, dass die Habsburger ein mächtiges Herrschergeschlecht mit großen politischen Ambitionen darstellten. Dass sie darüber hinaus aber auch überaus feinsinnig und künstlerisch begabt waren, schildert Sigrid-Maria Größing kenntnisreich und wie gewohnt packend in ihrem neuen Buch.Abseits von Regierungsgeschäften, politischem Alltag und ausgeklügelten Heiratsplänen beschäftigten sich einige Habsburger mit den "bellas artes" - sie förderten Künstler und Wissenschaftler und versuchten sich selbst als Komponisten und Maler. Sie ließen pompöse Barockopern inszenieren und veranstalteten gemeinsame Musikabende. Aber auch auf den Gebieten des Bildungswesens und der Naturwissenschaften zeigten sich Angehörige des Kaiserhauses als große Reformer.Der Autorin gelingt es, ein neues Bild des höfischen Alltags zu entwerfen und ein neues, lebendiges Kapitel unserer Geschichte aufzuschlagen.Aus dem Inhalt: Ein junger Mann bewirkte Großes - Rudolf IV.Kaiser und Künstler - Maximilian I.Reformerin aus Intuition - Maria TheresiaDer beliebte Großherzog in der Toskana - Kaiser Leopold II.Der steirische Prinz - Erzherzog Johann

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783902998798

Der beliebte Großherzog in der Toskana

Kaiser Leopold II.
Als Maria Theresia – keineswegs theatermäßig gekleidet – ins Hoftheater in der Burg stürzte und von der Loge aus lauthals den anwesenden Besuchern verkündete: »Der Poldl hat an Buam« brach heller Jubel aus. Denn alle wussten, wie sehr männliche Nachkommen in der Habsburgerfamilie erwünscht waren, hatte doch einst Karl VI., der Vater Maria Theresias, die umstrittene »Pragmatische Sanktion« erlassen müssen, um die Erbfolge seiner ältesten Tochter mangels eines männlichen Nachkommen vertraglich abzusichern. Freilich kam alles ganz anders als geplant, denn die Vertreter der europäischen Staaten unterschrieben zwar das Papier, das auch damals schon geduldig war, gehalten hat man sich an dieses Traktat aber nicht. Eine Tatsache, die schon der König von Preußen angekündigt hatte. Er hatte sich über die Garantie, die den Kaiser beruhigen sollte, geäußert: »Garantie hin, Garantie her, wird wohl sein Tage eine einzige gehalten? Eine Garantie ist ein Traktat, und heute wird kein Traktat mehr erfüllt.«
Und so geschah es schließlich auch! Daher war es schon für das junge Paar Maria Theresia und Franz Stephan von Lothringen wichtig, Söhne zu zeugen. Denn die ersten beiden Kinder waren Mädchen, nach denen allerdings Joseph in der Wiege lag, der in der Zukunft die Kaiserkrone tragen sollte. War Joseph später ein begabter Monarch, so sollte er von seinem Bruder Leopold, der am 5. Mai 1747 das Licht der Welt erblickte, noch übertroffen werden.
Leopold war niemals der Liebling Maria Theresias gewesen, obzwar er viele positive Charakterzüge von ihr geerbt hatte. Aber es war sicherlich schwierig, mit einer derart dominanten Mutter gütlich auszukommen, denn so lang die Monarchin den Söhnen und Töchtern in deren Jugendzeit vorschreiben konnte, was sie zu tun und lassen hatten, so lange gab es zwischen ihr und den Kindern keine größeren Kontroversen. Erst als Joseph und auch Leopold selber politische Aufgaben zu erfüllen hatten, machten sich die verschiedenen Lebensauffassungen gravierend bemerkbar.
Die Mutter konnte es natürlich nicht verkraften, dass ihre Söhne in jeder Hinsicht ein eigenständiges Leben führen wollten, das von dem ihren grundsätzlich abwich. So beklagte sich die Kaiserin in einem Schreiben an den von ihr seinerzeit eingesetzten Ajo-Stellvertreter Franz Graf Thurn bitter über das beharrliche Schweigen von Leopold, nachdem er vier Monate die Regierungsgeschäfte in der Toskana übernommen hatte.
Ich kann Euch mein Erstaunen nicht verhehlen, seit den vier Monaten Eures Aufenthalts in der Toskana nicht das Geringste von den dortigen Angelegenheiten gehört zu haben – es ist gerade so, als ob dieses Land in Amerika läge. Nicht als ob wir uns dort einmischen oder gar zu regieren gedächten, aber ich habe doch angenommen, daß mein Sohn uns etwa alle Monate einmal berichten würde, wie er das Land gefunden hat und was er zu unternehmen gedenkt – wir wissen mehr von Korsika als von Euch.
Maria Theresia war in jeder Hinsicht eine überkritische Mutter, die die Untugenden ihrer vielen Kinder durch die entsprechenden Erzieher auszumerzen versuchte.
Schon sehr bald wurden die Söhne und Töchter einem Ajo oder einer Aja übergeben, die der Kaiserin täglich Bericht zu erstatten hatten. Als der Sohn Leopold geboren wurde, hatten schon sechs Geschwister das Licht der Welt erblickt: Maria Anna, Maria Christine, Joseph, Maria Elisabeth, Karl und Maria Amalia. Wie Maria Theresia das gewaltige Arbeitspensum in einem beinah ununterbrochenen Stadium der Schwangerschaft bewältigen konnte, war schon ihren Zeitgenossen ein Rätsel. Denn die Kaiserin erfüllte nicht nur ihre Aufgaben als Herrscherin, sie kümmerte sich um jedes Detail der Kindererziehung und schrieb sowohl den 16 Söhnen und Töchtern ausführliche Briefe, die ihre Wünsche und Tadel enthielten, sie instruierte auch die Ajos und Ajas in langen Schreiben, wie sie für das Wohl ihrer Schützlinge zu sorgen hätten. Hätte sie nicht ihre Kinder den politischen Interessen geopfert, um den Frieden in Europa zu sichern, so wäre sie sicherlich als wahre Übermutter in die Geschichte eingegangen. Aber ihre politischen Ambitionen überstrahlten alles, auch das Lebensglück ihrer Kinder! Für sie selber, die seinerzeit bei ihrem Vater Kaiser Karl VI. durchgesetzt hatte, dass sie den Mann ihrer Träume, den lothringischen Prinzen Franz Stephan heiraten durfte, existierten private Wünsche überhaupt nicht. Denn Karl VI. hatte eigentlich ganz andere Pläne mit seiner ältesten Tochter gehabt, die einmal – so war es fast abzusehen – seine Nachfolge antreten sollte. Aber Maria Theresia hatte einen starken Willen, sie wollte Franz Stephan und sonst keinen! Und da der lustige junge Mann dem Vater auch sympathisch und ein idealer Jagdgefährte war, gab Karl VI. schließlich seinen väterlichen Segen zu einer der glücklichsten Verbindungen im Hause Habsburg. Franz Stephan nahm es allerdings in den kommenden Jahren mit der ehelichen Treue nicht so genau, sodass Maria Theresia, eifersüchtig wie sie war, immer sittenstrenger wurde. Sie liebte ihren Mann bis zu dessen überraschend frühen Tod über alle Maßen, obwohl sie niemals, so berichtete jedenfalls ihr Leibarzt van Swieten, dem sie sich anvertraut hatte, in den Armen von Franz Stephan echte Befriedigung erfahren hatte. Aber trotz dieser für eine Frau bedauerlichen Tatsache äußerte sie sich ihrem Sohne Leopold gegenüber mit innigen Worten über ihre Ehe mit Franz Stephan:
Da ich seit 42 Jahren erzogen wurde und zärtlich vereinigt war mit meinem Gemahl, habe ich allen Widerwärtigkeiten meines unglücklichen Lebens keinen anderen Trost und Halt gehabt, als in dieser reinen und ruhigen Liebe und in dieser vollkommenen Vereinigung …
Für die Geburt ihres Sohnes Leopold war wie immer, wenn Maria Theresia ein Kind erwartete, alles peinlich genau für die Geburt vorbereitet worden. Obersthofmeister Khevenhüller berichtete über das bevorstehende Ereignis im Mai 1747:
Den 4. [Mai 1747, Anm. d. Verf.] gegen Abend empfanden I. M. die Kaiserin einige Vorbotten herannahender Entbindung, weßwegen ich bei denen Cammerleuthen den Befehl hinterlassen, daß bei zunehmenden Schmerzen mann mich sogleich aufwecken solte, so dann auch bald nach 2 Uhr in der Nacht geschahe …
Natürlich zog sich die Geburt noch Stunden dahin, aber um Viertel nach zehn Uhr tat dann der dritte Sohn des Kaiserpaares seinen ersten Schrei. Noch am gleichen Abend fand die Taufe statt, das Kind erhielt die Namen Petrus Leopoldus Josephus Johannes Antonius Joachim Pius Gotthardus. Man hatte der russischen Zarin zu Ehren dem Knaben den Namen Petrus gegeben, denn gute Beziehungen mit Russland waren für das politische Konzept Maria Theresias von großer Bedeutung. Und die Erinnerung an den weitblickenden Zaren Peter den Großen waren immer noch allgegenwärtig. Dass das Kind, das in der Wiege schrie, vielleicht tatsächlich in seinem Regierungskonzept in der Toskana und seiner Reformfreudigkeit große Ähnlichkeiten mit dem russischen Zaren haben würde, konnte damals niemand ahnen.
So wie bei allen anderen Kindern kümmerte sich Maria Theresia peinlich genau um den Werdegang von Leopold, der in der Familie immer nur der »Poldl« war. Dabei fiel es der Mutter anscheinend nicht auf, dass innerhalb der Geschwisterschar keineswegs immer nur eitel Freude und Sonnenschein herrschten. Denn die Buben und Mädchen buhlten, jedes auf seine Art, um die Gunst der Mutter, wobei Marie Christine in jeder Hinsicht von Maria Theresia bevorzugt wurde. Dass dies bei den Geschwistern zu Eifersüchteleien führen musste, die manchmal sogar in Bösartigkeiten ausuferten, darüber machte sich Maria Theresia anscheinend wenig Gedanken. Oder es interessierte sie ganz einfach nicht. Vor allem der spätere Kaiser Joseph konnte die Hintansetzung gegenüber der Schwester in keiner Weise vertragen, scharfzüngig verbreitete er in seiner Ironie die seltsamsten Gerüchte und brachte so die Geschwisterschar durcheinander. Eigentlich wusste keiner so genau, wie er sich verhalten sollte, obwohl jeden Abend die Familie in trauter Weise vereint war, denn die Eltern legten größten Wert darauf, dass die Kinder mit ihnen spielten und fröhlich waren, wobei stets aufs Neue Abwechslungen geboten wurden. Mummereien wechselten mit Tanz und Theaterspielen ab, der Fantasie der Kinder waren keine Grenzen gesetzt. Dabei war es erstaunlich, dass gerade die Kaiserin, die wenig für Musik übrig gehabt hatte, Leopold zwang, Violine zu spielen, obwohl er das Clavichord bevorzugt hätte. Zwar entsprach es der Sitte der Zeit, dass »Kompositeure« von der kaiserlichen Familie empfangen wurden – das Wunderkind Mozart durfte sogar auf dem Schoss Maria Theresias sitzen –, aber später verhielt sie sich diesem Genie gegenüber geradezu unverständlich abweisend. Aus einem Brief an ihren Sohn Ferdinand aus dem Jahre 1771 ging dies klar hervor. Die Kaiserin schrieb:
Sie bitten mich, den jungen Salzburger in Ihre Dienste zu nehmen. Ich wüßte nicht warum und glaube nicht, daß Sie einen Komponisten oder solche unnützen Leute brauchen. Wenn es Ihnen natürlich Vergnügen machen würde, will ich dies nicht verhindern. Ich meine nur, Sie sollten sich nicht mit solchen unnützen Leuten belasten und vergeben Sie nur keine Titel an diese Art Leute, wenn Sie in Ihren Diensten stehen. Es mindert die Dienstleistung, daß diese Leute in der Welt herumschwärmen wie Bettler; außerdem hat er eine große Familie.
Nach außen hin schien es in der ersten Familie des großen Habsburgerreiches kaum Probleme zu geben, man lebte in bescheidenem Luxus, traf einander schon am frühen Morgen zur obligaten Messe, um später seinen Pflichten nachzugehen. Kam dann der Abend, war die Kinderschar um die Eltern versammelt, die sich, wenn es möglich war, diese Zeit für ein gemeinsames Beisammensein freihielten. Nichts erinnerte mehr an die Steifheit des spanischen Hofzeremoniells, gegen das sich vor allem Franz Stephan von Anfang an vehement gewehrt hatte. Demonstrativ setzte er ein äußeres Zeichen, indem er bei offiziellen Auftritten die Uniform anstelle des spanischen Mantels bevorzugte. Der umgängliche Mann war viel zu leger, als dass er sich in enge Vorschriften hätte zwängen lassen. Auch seine alles bestimmende Gemahlin musste dies nach heftigen Diskussionen einsehen. Zwar entwickelte Maria Theresia schon in ihrer Kindheit ein volkstümliches Wesen und wurde von den Wienern als reizende Prinzessin umjubelt, aber bestimmte traditionelle Verhaltensweisen forderte sie auch von ihrer Familie, die sie genau kontrollierte.
Die Mutter hatte für den dritten Sohn Leopold Graf von Künigl als Ajo bestimmt, einen Mann, der in seiner zurückhaltenden Art niemals das Herz seines Zöglings erobern konnte. Als Maria Theresia aus vielen Bemerkungen erkannte, dass dieser Graf vielleicht doch nicht mit dem eher schwierigen Leopold zurechtkam, ernannte sie Franz Graf Thurn zum Vize-Ajo und schrieb ihm nach seiner Ernennung einen ausführlichen Brief, wie sie sich die Erfüllung seiner Aufgaben vorstellte. Franz Graf Thurn und sein Bruder Anton wurden schon sehr bald die Bezugspersonen für Leopold. Der junge Mann brachte ihnen ungewöhnlich viel Sympathie entgegen und es ist wahrscheinlich ihnen zuzuschreiben, dass die geistigen und sozialen Fähigkeiten, die in dem Kind angelegt waren, auch zum Durchbruch kommen konnten. Die beiden Grafen bedeuteten Lebensfreunde für Leopold!
Nach einer ungewöhnlich harten Rüge durch seine Mutter schrieb Leopold in einem vertraulichen Brief an Franz Graf Thurn:
Erstens hat der Graf Künigl Ihrer Majestät von allen meinen Leiden erzählt; sie beklagt sich über den Mangel an Aufrichtigkeit, ihr nicht meine Unpäßlichkeiten gestanden zu haben …
Sie versteht gar nicht, was die Betrübnisse sein können, über die ich mich ständig beklage, da ich doch keinen Grund dazu habe.
Daß ich Launen habe, sie meinen Dienern gegenüber zeige und mit ihnen zu vertraulich umgehe.
Daß sie die Einzelheiten der Geschichte mit dem König [Joseph, ältester Bruder Leopolds, Anm. d. Verf.] wissen will, wo ich ihn am Arm gepackt habe und die ich Ihnen erzählt habe.
Daß sie so viele Klatschereien in der Familie findet, daß sie glaubt, ich hätte damit zu tun.
Daß ich mich in der Stadt häufig mit dem König in den Wandelgängen herumgetrieben habe.
Daß sie fürchtete, der König könnte mir die Ehe verekeln.
Das Äußere.
Daß sie weiß, ich hätte mich gerühmt, schließlich in meinen häuslichen Anordnungen alles nach meinem Willen eingerichtet zu haben.
Schließlich hat sie ihm von Mademoiselle Erdödy gesprochen; über diesen letzten Punkt hat sie Ihr Bruder sehr beschwichtigt, beruhigt zu sein und mir überhaupt nichts davon zu sagen.
Die Jugendzeit Leopolds gestaltete sich insofern schwierig, als die Mutter von vielen schlechten Eigenschaften ihres Sohnes überzeugt war. Der zurückhaltende Knabe wurde immer wieder aufs Neue von seinem zum Zynismus neigenden Bruder gehänselt, wobei Joseph gnadenlos die Schwächen Leopolds ausnützte. Vielleicht war dies der Grund, warum der Kaisersohn Nägel biss, unvermutet wild um sich spuckte, sich in vulgärstem Ton mit ordinären Worten auszudrücken versuchte und mit den Dienern in einer amikalen Weise verkehrte, die den Vorstellungen von einem Kaisersohn keineswegs entsprachen.
Am meisten bemängelte die unnachsichtige Mutter die fehlende Aufrichtigkeit ihres Sohnes, sie bezeichnete ihn als tückisch und listig und befahl seinen Erziehern, diesen Charaktermangel bei Leopold zu beseitigen. Dabei verwechselte sie vielleicht Schüchternheit und Zurückhaltung mit List und Tücke. Denn Leopold äußerte sich in einem Brief einmal dahingehend, dass er sich bemüht hätte, viel offener zu sein, dies aber zu seinem Nachteil ausgelegt wurde und er daher wieder sein verschlossenes Gesicht aufsetzen wollte.
Auch Leopold konnte sich trotz seines weiten geistigen Horizonts nicht aus dem Dunstkreis der Mutter befreien. Maria Theresia schien immer und überall präsent zu sein, in der fernen Toskana genauso wie in Neapel oder in Paris. Durch ihre seitenlangen Briefe, die genaue Instruktionen enthielten, wurden die Söhne und Töchter angehalten, sich ganz nach ihren Vorschriften zu verhalten. Es grenzt fast an ein Wunder, dass der junge Leopold, der mit 18 Jahren die Nachfolge seines Vaters als Großherzog der Toskana antrat, schon sehr bald seiner Mutter zeigte, dass er eigentlich andere Vorstellungen für sein Regierungskonzept hatte. Dabei hatte er ihr gegenüber wahrscheinlich stets ein schlechtes Gewissen als Nägelbeißer, denn er versicherte in einem Brief, dass »sie [seine Nägel, Anm. d. V.] sich meist in gutem Zustand befinden und nicht benagt, außer wenn ich etwas habe, was mich kränkt, wenn ich zerstreut bin oder schlechter Laune, dann leiden die Finger darunter, aber niemals die Fingernägel …«
Wahrscheinlich hatte ein Schreiben der Mutter im Herbst 1766 bei Leopold nicht geringe Aufregung erzeugt, denn die Kaiserin forderte ihn auf, nach Siena zu fahren und nach dem Rechten zu sehen. Er aber hatte eine andere Reiseroute geplant, was der Mutter großes Missfallen bereitete. Der 23-jährige Großherzog antwortete ihr ungewöhnlich scharf und eindeutig:
Was nun Ihre Bemerkung über die Senesen betrifft, wo Sie mir sagen, daß ich besser daran getan hätte, dorthin zu gehen, so habe ich es deshalb nicht gemacht, weil ich zugleich die Maremmen besichtigen möchte, wozu nicht alle Jahreszeiten gleich geeignet sind; und da die erste Reise, die ich dorthin unternehme, eine offizielle Reise sein wird, habe ich sie verschoben, um nicht ohne meine Gemahlin hinzureisen … Im übrigen glaube ich nicht, daß die Senesen, während ich für ihr Wohl arbeite, sich mit Grund über mich beklagen dürfen; und was Ihre Bemerkung betrifft, daß sie mehr als die anderen meinen Schutz verdienen, so kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß ich, darin einem guten Familienvater gleich, alle meine Untertanen in gleicher Weise wie meine Kinder liebe und ihnen den gleichen Schutz angedeihen lasse, wobei ich aber trotzdem sehr gut ihre verschiedenen Charaktere, ihre Vorzüge, Talent und Fehler kenne …
Die Kaiserin musste klar erkennen, dass der eigensinnige »Poldl« erwachsen geworden und auf dem besten Wege war, ein großer Herrscher zu werden.
Deshalb vermerkte sie auf dem Brief Leopolds: »In kurzer Zeit ist er vollkommen geworden. Ich würde es nicht wagen, nach 26 Regierungsjahren das gleiche zu behaupten.«
Der strenge Weg, den Maria Theresia mit ihren Kindern eingeschlagen hatte, war zumindest für Leopold der richtige, wenn auch nicht unbedingt der begrüßenswerteste. Aber nach dem Tod seines Bruders Karl war klar, dass Leopold einmal eine wichtige Funktion im politisch zusammengewürfelten Italien innehaben würde. Mit der richtigen Frau an seiner Seite konnte er Großes bewirken.
Nachdem sich das Ehekarussell im Hause Habsburg-Lothringen beinahe jedes Jahr drehte, war die Hochzeit von Leopold mit Maria Ludovika, der spanischen Königstochter, für den Sommer 1765 festgesetzt. Die Wiener hatten natürlich erwartet, dass der Kaisersohn das Fest seines Lebens in der Haupt- und Residenzstadt feiern würde. Aber der Vater der Braut hatte darum gebeten, nicht in Wien zu feiern, da noch zu wenig Zeit nach dem Tode der schönen Isabella von Bourbon-Parma, der Gemahlin von Leopolds Bruder Joseph, verstrichen war. Die Erinnerung an diese seltsame, geheimnisvolle Frau war überall noch zu lebendig und König Karl III. fürchtete, dass man seine Tochter mit der Verblichenen vergleichen könnte. Dabei hätte die attraktive Maria Ludovika in keiner Weise die Konkurrenz scheuen müssen, sie war mit ihrem hellblonden Haar und den veilchenblauen Augen nicht nur ein schönes Mädchen, sie gewann dazu die Herzen aller durch ihr bezauberndes Lächeln. Es war kein Wunder, dass sich Leopold schon bei ihrem ersten Zusammentreffen in Bozen Hals über Kopf in sie verliebte. Auch die Braut fand den eher schmächtigen Jüngling, der ihr durch seine ständige Durchfallserkrankung geschwächt gegenübertrat, nicht unsympathisch. Die Hochzeit der beiden in Innsbruck war lange Zeit in Frage gestellt, denn L...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Ein junger Mann bewirkte Großes
  7. Kaiser und Künstler
  8. Kaiser wider Willen
  9. Reformerin aus Intuition
  10. Der beliebte Großherzog in der Toskana
  11. Der steirische Prinz
  12. Der ungekrönte König von Mallorca
  13. Der Kaiser von Brasilien
  14. Danksagung
  15. Literaturverzeichnis