NICHT ALLES IST WALZER!
VON MUSIKERN, SÄNGERN UND MUSIKLIEBHABERN
»EIN RECHTES SAU-MENUETT«
Joseph Haydn
Wien 1., Kohlmarkt 11
Als Haydn, da seine Stimme mutierte, aus dem Knabenchor des Stephansdoms entlassen wurde, musste er sich um ein neues Quartier umsehen. Er fand eine ofenlose Dachkammer im Haus Kohlmarkt 11, in der im Winter das Wasser im Krug gefror. Aber er sah auf den Michaelerplatz, über die vor ihm liegende Hofburg und das alte Burgtheater hinweg, bis zu den Hügeln des Wienerwaldes. Sein kostbarster Schatz in diesem Kabinett war ein altes, wurmstichiges Klavier, auf dem er seine frühen Kompositionen schuf, die in den Wiener Tanzsälen bald großen Beifall finden sollten.
Eines Nachts brach Haydn mit seinem Freund, Carl Ditters von Dittersdorf, von hier aus auf, um Wiens Gassen zu durchstreifen. Sie blieben vor einem Bierhaus stehen, in dem die halb trunkenen Musikanten gerade ein Haydn-Menuett erbärmlich herunterfiedelten. »Gehen wir hinein«, schlug der gerade erst 22-jährige Haydn belustigt vor.
Die beiden betraten die Bierstube. Haydn stellte sich neben den ersten Geiger und fragte ihn trocken: »Sage er mir, von wem ist das Menuett?«
»Vom Haydn«, antwortete der Musiker.
Haydn erwiderte mit verstelltem Grimm: »Das ist aber ein rechtes Sau-Menuett!«
»Was?«, schrie der Geiger, während ihm die Zornesröte ins Gesicht schoss, und er sprang von seinem Sitz auf. Die anderen Musiker folgten ihm und wollten ihre Instrumente auf Haydns Kopf schlagen. Da wagte es doch glatt ein unbekannter Nachtvogel die Musik des großen Haydn zu beleidigen – und damit ganz nebenbei auch ihr Spiel. Ditters von Dittersdorf hinterließ uns, dass Haydn Gefahr lief, niedergeschlagen zu werden, wenn er nicht seine schützenden Hände über den Komponisten gehalten und ihn zur Tür hinausgeschoben hätte.
Das 1720 erbaute Michaeler Stiftungshaus am Kohlmarkt, in dem der junge Haydn mehrere Jahre lebte, beherbergte ein halbes Jahrhundert später den kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio. Heute wohnt in dem an die Michaelerkirche angrenzenden Gebäude die Schauspielerin Elfriede Ott.
HERRSCHAFTSWOHNUNG OHNE TOILETTE
Wolfgang
Amadeus Mozart
Wien 1., Domgasse 5
Nicht ganz so viele Wohnsitze wie Beethoven, aber doch mehr als ein Dutzend hatte Mozart in Wien. Meist übersiedelte er, weil er den Mietzins nicht mehr zahlen konnte. So war es auch mit einer Zweizimmerwohnung im Trattnerhof, die er verließ, um das Haus in der Domgasse 5 zu beziehen. Dort hat er drei Jahre – und damit länger als in irgendeiner anderen seiner Unterkünfte – gelebt. Das Haus wird nach einer aufwändigen Renovierung im Mozartjahr 2006 wieder öffentlich zugänglich sein.
Es war eine große Wohnung mit vier Zimmern und zwei Kabinetten, die das Genie und seine Frau Konstanze in der Domgasse gemietet hatten. Aus einem Brief seines Vaters wissen wir, wie hoch die Jahresmiete war. Leopold Mozart schrieb 1785 an Tochter Nannerl: »Dass Dein Bruder ein so schönes Quartier mit aller zum Haus gehörigen Auszierung hat, möget Ihr daraus schließen, dass er 480 Gulden* Zins zahlet.«
Das Wort Komfort hat Mozart dennoch nicht gekannt. Die bürgerlichen Zinshäuser waren auf katastrophalem hygienischem Niveau. Im Hof befand sich ein Ziehbrunnen, aus dem meist mit Typhus verseuchtes Wasser geschöpft wurde, und jedes Stockwerk hatte nur eine Toilette. In dieser Atmosphäre schuf Mozart in der Domgasse Die Hochzeit des Figaro.
1786 musste er in dieser Wohnung einen schweren Schicksalsschlag erleiden, als sein Sohn Thomas Leopold kurz nach der Geburt starb. Auch eine berufliche Enttäuschung gab es: Die Hochzeit des Figaro wurde nach nur acht Vorstellungen vom Spielplan des Burgtheaters genommen, da der Erfolg des »Revolutionsstücks« Kaiser Josef II. gar nicht recht war.
Und wieder waren es die Mietrückstände, die Mozart veranlassten, aus dem heutigen Figarohaus zu ziehen. Diesmal nahm er eine viel bescheidenere Unterkunft auf der Landstraße, in deren Gartentrakt Die kleine Nachtmusik entstand. Als er auch hier nicht mehr zahlen konnte, wurde er neuerlich delogiert. Danach wechselte er die Wohnungen innerhalb kürzester Zeit, ehe er am 29. September 1790 sein letztes Quartier, das Kleine Kaiserhaus in der Rauhensteingasse 8, bezog. Hier schuf er Die Zauberflöte und das Requiem.
Und hier starb er am 5. Dezember 1791.
HERRN KÖCHELS VERZEICHNIS
Ludwig Ritter
von Köchel
Wien 1., Augustinerstraße 1
Das kommt davon, wenn man einen hoch gebildeten Herrn im Alter von 42 Jahren in Pension schickt. So alt war Ludwig Köchel, als er »in Ehren« aus dem Hofdienst entlassen wurde. Im Jahre 1800 als Sohn eines Gutsverwalters in Stein an der Donau zur Welt gekommen, wurde Köchel nach absolviertem Jusstudium »Prinzenerzieher« der vier Söhne des Erzherzogs Karl, die er in dessen Stadtpalais – der heutigen Albertina – unterrichtete, und in der man ihm auch eine Wohnung zur Verfügung stellte.
Als die Kinder des Erzherzogs »aus dem Gröbsten« heraus waren, hatte man für Herrn Köchel keine Aufgabe mehr. Also entsandte man ihn in die Rente und erhob ihn in den Adelsstand. Doch das half alles nichts, denn dem in der Blüte seiner Jahre stehenden, jetzigen Ritter von Köchel wurde schnell langweilig. Er unternahm eine fünfjährige Forschungsreise und bewarb sich, wieder nach Österreich zurückgekehrt, um die Stelle eines Gymnasialinspektors in Salzburg.
Köchel bekam sie, fühlte sich aber nach wie vor nicht ausgelastet. Und so begann er, sich neben dem Schulinspizieren mit dem Schaffen des größten Sohnes der Stadt zu beschäftigen. 1862 gab er dann, nach mühevoller Kleinarbeit, das Chronologisch-thematische Verzeichnis sämtlicher Werke W. A. Mozarts heraus – von der ersten Klaviersonate des Wunderkindes bis zum Requiem, Mozarts letzter Komposition, die in seinem Verzeichnis die Nummer 626 erhielt.
Das Köchelverzeichnis war da.
»BEDEUTENDER ALS MOZART«
Antonio Salieri
Wien 1., Seilergasse 12
Natürlich war er nicht Mozarts Mörder, wie das in Büchern und Filmen behauptet wird, aber er hat doch alles getan, um seinem genialen Gegenspieler Schaden zuzufügen. Während Mozart am Wiener Hof als Kammerkompositeur angestellt war, hatte Salieri den viel einflussreicheren und besser bezahlten Posten eines Hofkapellmeisters. Der unglaubliche Grund dafür: Kaiser Josef II. hielt Salieri für »bedeutender als Mozart«.
Konnte man dem Kaiser noch zugute halten, dass er zwischen Mozarts Werk und den angenehm klingenden, aber farblosen Tönen Salieris nicht zu unterscheiden vermochte, so wusste der aus Venetien stammende Salieri um Mozarts Genie sehr genau Bescheid. Und führte einen erbitterten Kampf gegen ihn. Der Höhepunkt war ein Komponistenwettstreit im Februar 1786, bei dem in Anwesenheit des Kaisers im Schloss Schönbrunn je ein Werk der beiden aufgeführt wurde. Obwohl Mozarts Schauspieldirektor natürlich überlegen war, ging die Konfrontation in den Augen der zu dem Ereignis geladenen Wiener Gesellschaft »unentschieden« aus. Da Salieri nur sechs Jahre älter war als er, wusste Mozart, dass er dessen Posten nie erhalten würde. Es ist die Ironie des Schicksals, dass Salieri wenige Tage nach Mozarts Tod – vermutlich selbst Opfer einer Intrige – als Hofkapellmeister zurücktrat.
Mozart litt darunter, in Wien nicht zur ersten Garnitur gezählt zu werden. Und so bewarb er sich immer dann, wenn der kränkliche Vizekapellmeister Hofmann ausfiel, um die Stelle als Salieris Stellvertreter – ohne aber je berücksichtigt zu werden. Salieri hat auch hier seine Hände mit im Spiel gehabt.
Glück brachte ihm das Ränkespiel freilich nicht. Antonio Salieri überlebte Mozart zwar um 32 Jahre, er starb jedoch (in seiner Wohnung in der Seilergasse) in geistiger Umnachtung.
Als »Mozarts Mörder« wurde Salieri nicht erst seit Milos Formans Amadeus-Film verdächtigt, sondern schon bald nach seinem Tod. Hatte er selbst doch in der Irrenanstalt behauptet, Mozart getötet zu haben. Musikhistoriker sind der Ansicht, er wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass er seinen Widersacher bei Hof »beseitigt« hatte.
Mozarts Witwe Konstanze war Salieri ob der ständigen Intrigen nicht böse. Und beschäftigte ihn nach Mozarts Tod als Musiklehrer ihres als Wunderkind geltenden Sohnes Franz Xaver Mozart.
EIN LOCH IN DIE FEUERMAUER
Ludwig
van Beethoven
Wien 1., Mölkerbastei 8
Dass Beethoven kein unkomplizierter Mieter war, zeigt eine Episode, die sich auf seine Wohnung im Pasqualatihaus auf der Mölkerbastei bezieht. Der Meister liebte das barocke Miethaus vor allem wegen des schönen Ausblicks, der über das Glacis und die Vorstädte bis zum Kahlenberg reichte. Um aber die Praterauen sehen zu können, musste er sich ziemlich weit über die Fensterbrüstung lehnen und den Kopf nach rechts wenden. Da sein im vierten Stock gelegenes Zimmer das letzte an der Feuermauer war, ließ Beethoven, um den Blick auf den Prater besser genießen zu können, kurz entschlossen einen Maurer kommen, dem er den Auftrag gab, ein Fenster in die Wand zu brechen. Als der erstaunte Hausherr, Johann Baptist Pasqualati, dagegen Einspruch erhob, kündigte Beethoven grollend seinen Mietvertrag.
Die einzigartige Aussicht ließ ihn jedoch bald wieder zurückkehren. Um bald darauf neuerlich auszuziehen. Aber der Baron Pasqualati kannte seinen unruhigen Gast und sagte zu seinem Verwalter: »Das Logis wird nicht vermietet, Beethoven wird schon wieder kommen.«
Der Komponist kündigte, kam aber tatsächlich in den Jahren 1804 bis 1815 mehrmals zurück, oft auch nur für kurze Zeit. Das Pasqualatihaus war einer von rund achtzig Wohnsitzen Beethovens in und um Wien. Als er die Mölkerbastei zum ersten Mal bezogen hatte, war er schwerhörig, bei seinem letzten Aufenthalt in diesem Haus war er vollkommen taub. Er schuf hier die Oper Fidelio.
KEIN DREIMÄDERLHAUS
Franz Schubert
Wien 4., Kettenbrückengasse 6
Ach, wie schön es doch ist, das kleine Biedermeierpalais auf der Mölkerbastei, zu dem die Touristen pilgern, weil hier der Schubert Franzl ein- und ausgegangen ist. In diesem Gebäude hatte er, so wird’s vielsprachig verkündet, Hannerl, Hederl und Heiderl, die drei Töchter des Glasermeisters Tschöll, glücklos verehrt. Die romantische Geschichte vom Dreimäderlhaus hat nur einen kleinen Haken: Sie ist frei erfunden, Schubert hat das Haus in seinem ganzen Leben kein einziges Mal betreten.
Wie überhaupt wenig von dem, was man vom Liederfürsten zu sehen, zu lesen und zu hören bekommt, wahr ist – abgesehen von seiner Musik natürlich.
Erfinder der Dreimäderlhaus-Idylle war ein gewisser Rudolf Hans Bartsch, der 1912 mit dem Schubert-Roman Schwammerl eine Reihe von Legenden ersann, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Zumal das Buch als Operette zum Welterfolg wurde.
Die Wirklichkeit sah anders aus: Schubert wohnte »in einer halbdunklen, feuchten und ungeheizten Kammer«, wie eine seiner Unterkünfte von Zeitzeugen beschrieben wurde, und er selbst war dort »in einen alten fadenscheinigen Schlafrock gehüllt, frierend und komponierend« anzutreffen. Siebzehn Jahre lebte er in einem Zimmer des seinem Vater gehörenden Schulgebäudes ...