Hoffnung am Irrawaddy
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Hoffnung am Irrawaddy

Burma im Aufbruch

  1. 231 Seiten
  2. German
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Hoffnung am Irrawaddy

Burma im Aufbruch

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Über dieses Buch

Die Autorin schildert in dem spannenden Buch die Geschichte des burmesischen Unabhängigkeitskampfes in der Zeit von 1930 bis 1948. Junge Männer um Aung San organisieren den Volksaufstand gegen die Briten, dann gegen die Japaner und schließlich erneut gegen die Briten, bis das Land 1948 endlich die Unabhängigkeit erlangt.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783965216488

Rückkehr nach Rangun

Zurück zu den Apriltagen in Burma. Viele Stunden lang konferierte Mountbatten mit der Zivilregierung in Simla und den für Zivilangelegenheiten verantwortlichen britischen Offizieren. Er sah sich vor keiner leichten Aufgabe. Es galt, den Leuten in Simla begreiflich machen, dass sich die Zeiten grundlegend geändert hatten und man sich darauf einstellen musste, mochte Sir Winston in London das einsehen oder nicht. Er war ein halsstarriger alter Mann, er würde früher oder später von der politischen Bühne abtreten. Dann konnte es jedoch schon zu spät sein, Burma dem Britischen Empire zu erhalten. Jetzt und hier wurde die Politik von morgen gemacht.
General Pearce und Sir Paw Tun brannten darauf, die Führer der Antifaschistischen Volksfreiheitsliga zu verhaften und wegen Verrats vor Gericht zu stellen. Erst dann, sagten sie, würden Ruhe und Frieden in Burma einkehren. Hatte mit diesen Männern nicht alles Unglück angefangen? Mountbatten schüttelte mitleidig den Kopf über so viel politischen Unverstand. Er musste die Männer daran erinnern, dass die Japaner Burma erobern konnten, weil die Briten versagt hatten. „Sehen Sie denn nicht, meine Herren, dass die Leute, die Sie verhaften wollen, uns den Weg nach Rangun frei kämpfen? Wenn wir sie verhaften und als Verbrecher verurteilen, gefährden wir die Sicherheit Burmas und den Sieg unserer Waffen viel mehr.“ Schließlich befahl er klar und deutlich: Politische Vergehen gegen Großbritannien werden nicht als Verbrechen verfolgt. „Wenn die politischen Führer der Liga und ihre in der BNA kämpfenden Anhänger sich entschieden haben, dass sie von den Briten fairer behandelt würden, so werde ich dafür sorgen, dass sie bei dieser Meinung bleiben.“ Mountbatten behielt sich von nun an alle politischen Entscheidungen vor. General Slim, der Oberkommandierende der britischen Truppen in Burma, sollte mit Aung San zusammentreffen und mit ihm über das weitere Vorgehen gegen die Japaner beraten.
Slim ließ Aung San über die Force 136 eine entsprechende Einladung zugehen und sicherte ihm freies Geleit zu. Doch bis zu diesem Treffen gingen noch fast vier Wochen ins Land. In Zentralburma tobten heftige Kämpfe zwischen den sich immer wieder neu formierenden Japanern auf der einen, den angreifenden Briten und der BNA auf der anderen Seite. Slim nannte diese Tage im April später „das fantastische Rennen nach Rangun gegen den Monsun“.
Am 30. April besetzten sechshundert BNA-Soldaten und Partisanen Rangun. Gleichzeitig bereiteten sich die Briten darauf vor, die Stadt zu bombardieren. Bo Ne Win schrieb in einem Bericht an Aung San: „Wir erhielten die Nachricht, dass die Indische Flotte und das 15. Armeekorps die Stadt an dem Tage, da wir sie besetzt hatten, bombardieren wollten. Wir schickten Bo Aung Gyi sofort mit der Meldung zu den britischen Streitkräften, dass die Stadt sicher in unseren Händen war. Das 15. Armeekorps nahm dann die Besetzung Ranguns für sich in Anspruch.“
Als die Briten in Rangun einzogen, wurde die Lage vollends unübersichtlich. Wer regierte eigentlich? Die wohlhabenden Bürger, die in der Stadt geblieben waren, setzten auf die Briten, ihre alten Herren, mit denen sie immer gut ausgekommen waren. Sie holten ihre guten Anzüge aus den Schränken und kramten ihre Zeugnisse und Empfehlungsschreiben hervor. Nun würde das normale Leben wieder beginnen. Andere hielten sich noch zurück, die vielen BNA-Uniformen in den Straßen mahnten zur Vorsicht. Das Volk von Rangun wartete. Wartete auf die Söhne, Brüder und Männer, wartete auf die neue Zeit. Die dem Tode so nahe gewesene Stadt begann sich zu beleben. Straßenhändler hielten ihre Waren feil – japanische Säbel, amerikanische Helme, britische Buschhemden, alles, was sich nach dem Rückzug zweier Armeen in der Stadt angesammelt hatte. Einen Tag nach dem britischen Einmarsch brachen die Monsungüsse los. Sie reinigten die Straßen. Den Einwohnern schien es, als hätte der schlanke goldene Kelch der Shwedagon-Pagode noch niemals so über der Stadt geleuchtet wie jetzt.
Die politische Situation bereitete den in Rangun anwesenden Führern der burmesischen Armee große Sorgen. General Chambers, der Militärgouverneur von Rangun, erklärte, mit Politik habe er nichts zu schaffen. Dabei betrieb er handfeste Politik. Zu den Zusammenkünften mit den Honoratioren von Rangun lud er die BNA nicht ein. Er ignorierte diesen ungeliebten Verbündeten einfach. Ne Win schrieb in seinem Bericht vom 19. Mai 1945 über die Lage in Rangun an Aung San:
„Colonel Donnisen sagte zu Thakin Than Tun: ,Ich weiß nicht, was wir mit Ihnen und Ihrer Organisation machen sollen!' So viel ist jetzt in der Schwebe, die Zukunft des Landes, die Zukunft unserer Armee. Dies sind kritische Zeiten. Ich glaube, Sie sollten ohne Verzug nach Rangun zurückkehren.“
Aung San aber hatte sich inzwischen auf den Weg nach Norden begeben, zu General Slim. Für die Reise von Thayet nach Meiktila, wo sich das Hauptquartier General Slims befand, brauchte er zehn Tage. Am 7. Mai gerieten er und seine Begleitung in eine heftige Schlacht zwischen den Japanern und den Alliierten. An eine Überquerung des Irrawaddy war nicht zu denken. Es hätte nicht viel gefehlt und Aung San wäre in die Hände der Japaner gefallen. Am 12. Mai gelang es Aung San überzusetzen und Allanmyo zu erreichen. Von dort flog er nach Meiktila.
16. Mai 1945. Der Union Jack vor dem Hauptquartier General Slims hing schwer von Nässe am Fahnenmast. Zwei Autos fuhren vor, eine schwarze Limousine und ein Jeep mit britischen Soldaten. Aung San sprang aus dem Auto, er sah die britische Fahne, und ein unbestimmbares Lächeln spielte um seine Lippen. Gefolgt von seinem Adjutanten, schritt er rasch auf das Gebäude zu. Türen gingen auf, Unruhe entstand. Britische Stabsoffiziere starrten den vermeintlichen Japaner mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. Einige liefen an die Telefone. Ein japanischer Generalmajor im Hauptquartier des Oberkommandierenden der britischen Truppen in Burma! Was war los? Verrat? Informierte Offiziere machten der Unruhe ein Ende. Das Staunen blieb.
Slim erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam Aung San mit ausgestreckter Hand entgegen. Während des kurzen festen Händedrucks maßen sich die Männer mit schnellen, abschätzenden Blicken. Kein britischer General hatte diesen Aung San bis jetzt zu Gesicht bekommen. Seit durch die Force 136 sein Name bekannt geworden war, liefen fantastische Geschichten über ihn um: ein machtbesessener, skrupelloser Guerillaführer, ein Verräter, dem nichts heilig war. Vor Slim stand ein stiller junger Mann von etwa dreißig Jahren. Unter kurzen widerspenstigen Haaren eine hohe Stirn, ein fester Mund. Zu jung, dachte Slim missbilligend, aber nicht unsympathisch. Einem bluttriefenden Monster aus den Comicheften glich er keineswegs. Aung San schien Slims Gedanken erraten zu haben. Sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem jungenhaften Lächeln. Höfliche Begrüßungsworte wurden gewechselt. Die Generäle setzten sich. Ohne weitere Vorreden kam Aung San zur Sache. General Slims Erstaunen wuchs mit jedem Wort Aung Sans. Der junge Mann erklärte, er sei hier als militärischer Vertreter der Provisorischen Regierung von Burma, repräsentiert durch die Antifaschistische Organisation. Diese AFO strebe ein militärisches Bündnis mit den Briten an, bis die Japaner besiegt seien. Danach solle eine unabhängige Nationalregierung Burmas etabliert werden. Er, Aung San, sei gekommen, um mit den Briten militärisch als Partner, nicht als Untergebener zusammenzuarbeiten. Slim, der von einer AFO noch nichts gehört hatte, schaute den jungen General ungläubig an. Bluffte er? Dagegen sprach seine Art des Vortrags, ruhig, sachlich und entschieden. Er musste sich sofort nach dem Gespräch mit Mountbatten in Verbindung setzen, um zu hören, was es mit dieser AFO auf sich hatte. Man erfuhr in diesem gottverlassenen Winkel aber auch rein gar nichts.
Als Slim sich von seiner ersten Überraschung erholt hatte, fielen ihm Mountbattens Worte ein: „Wenn Generalmajor Aung San nach unseren Absichten bezüglich einer künftigen Regierung von Burma fragen sollte, sollten Sie ihm klarmachen, dass wir außerstande sind, politische Fragen zu diskutieren.“ Aber dieser Aung San fragte gar nicht nach den britischen Absichten, sondern erklärte die Absichten dieser AFO. Er tat, als sei die Unabhängigkeit Burmas schon eine beschlossene Sache.
Slim lehnte sich zurück und sagte: „Offenheit gegen Offenheit, Herr General, ich bewundere Ihre Kühnheit außerordentlich. Abgesehen von der Tatsache, dass Sie als britischer Untertan gegen die britische Regierung gekämpft haben, gibt es hier in diesem Hauptquartier Leute, die mir vorhalten, dass es Beweise samt Zeugen gegen Sie gibt, die Sie als Mörder abstempeln. Man dringt in mich, Sie deswegen vor Gericht zu stellen. Das kann Ihnen nicht verborgen geblieben sein. Sie haben nichts Geschriebenes in der Hand, nur eine mündliche Zusicherung aus zweiter Hand, dass ich Sie zu Ihren Freunden zurückkehren lasse. Glauben Sie nicht, dass Sie ein erhebliches Risiko eingegangen sind, hierherzukommen und diese Haltung einzunehmen?“
Aung San lächelte sein Gegenüber breit an und erwiderte lakonisch: „Nein!“
„Warum nicht?“
„Weil Sie ein britischer Offizier sind.“
Für einen Moment verschlug diese Antwort Slim die Sprache, dann sagte er lachend: „Wenn Sie so über die Briten denken, warum wollen Sie uns dann unbedingt loswerden?“
Aung San erwiderte: „Ich hasse die Briten nicht. Aber ich will weder Briten noch Japaner, noch andere Ausländer in diesem Land an der Regierung sehen.“
Schon wieder sind wir bei der Politik, dachte Slim seufzend und erwiderte diplomatisch: „Ich verstehe Ihre Haltung sehr gut, Herr General, aber es ist nicht unsere Aufgabe, über die künftige Regierung von Burma zu sprechen. Sprechen wir lieber von militärischen Dingen. Wie stark ist Ihre Armee?“
Aung Sans Gesicht verschloss sich. Selbst wenn er gewollt hätte, konnte er dem General darüber keine Auskunft geben. Ein Volk war aufgestanden, wer zählte seine Soldaten? Slim ließ sich nicht abweisen, selbst auf die Gefahr hin, dass das Gespräch mit einem Misserfolg endete: „Aber Sie müssen doch zugeben, Herr General, dass in diesem Lande bewaffnete Banden ihr Unwesen treiben, im Namen Ihrer Armee!“
Aung San nickte gedankenvoll und sagte: „Ich weiß, ich weiß, und ich hoffe, dass wir beide mit ihnen fertig werden. Der Krieg hat dieses Land ausgeblutet, alte Werte zerstört, neue sind im Werden. Von dieser Unsicherheit profitieren kriminelle Elemente, der Abschaum drängt nach oben. Wir müssen Ordnung schaffen.“
Diese unerwartet freimütige Antwort ließ Slim nun doch die Frage aussprechen, warum Aung San und seine Freunde mit den Japanern zusammengegangen waren.
„Sehen Sie, Herr General, Sie wissen nicht, was es heißt, von Eroberern unterdrückt zu werden, mit welchen Argumenten diese ihre Herrschaft auch immer rechtfertigen. Es ist entwürdigend und verletzend für ein Volk, von fremden Mächten vorgeschrieben zu bekommen, was es zu tun und zu denken hat. Der Traum unserer Freiheit ist so alt wie die britische Herrschaft in diesem Lande. Nach der Verkündung der Atlantikcharta und den Erläuterungen Ihres Herrn Churchill dazu blieb uns nichts anderes übrig, als uns einen Verbündeten zu suchen, von dem wir uns die Erfüllung unseres Traums erhoffen konnten. Wir haben uns getäuscht. Deshalb bin ich hier, im Namen der Unabhängigkeit unseres Landes.“
Slim lächelte. Dieser Aung San gefiel ihm in seiner geraden Art. Provozierend sagte er: „Nun geben Sie es schon zu, Aung San, Sie sind nur zu uns gekommen, weil Sie sehen, dass wir am Gewinnen sind.“
Die Antwort kam sofort, und sie war eine Frage: „Es würde nicht gut sein, zu Ihnen zu kommen, wenn es nicht so wäre, nicht wahr?“ Und nun blitzte in Aung Sans Augen ein Lachen auf.
Slim gestand sich, dass ihn noch nie ein Mensch so aus der Fassung gebracht hatte wie dieser bedingungslos ehrliche junge Mann, der überhaupt keine Verstellung zu kennen schien. Impulsiv streckte er Aung San die Hand hin und sagte herzlich: „Wir werden gut zusammenarbeiten, Herr General.“ Es war ihm, als säße dort ein Freund, den er schon lange kannte.
In seinem Bericht über die erstaunliche Unterredung schrieb er: „Ich begann Aung San zu schätzen … Er ist nicht der ambitiöse, skrupellose Guerillaführer, als den ich ihn mir vorgestellt hatte, sondern ein aufrechter Patriot und ausgewogener Realist, Charakterzüge, die nicht immer beisammen zu finden sind. Ich hatte den Eindruck, dass er, wenn er etwas zustimmte, sein Wort unter allen Umständen halten würde.“
Slim und Aung San waren übereingekommen, dass bis zur Kapitulation Japans in Burma die britische Militäradministration regieren würde. Aung San stellte seine Armee unter den Befehl der Alliierten Streitkräfte. Einen Eid aber würde er nur gegenüber der Provisorischen Regierung von Burma ablegen. Die Briten wussten, woran sie waren.
Mountbatten beschloss auf Slims Bericht hin, eine Provisorische Regierung von Burma nicht anzuerkennen. Er zeigte sich aber bereit, die Antifaschistische Volksfreiheitsliga als Vereinigung aller politischen Parteien Burmas zu respektieren. So war ein Bündnis mit Aung San möglich, ohne dass die Briten eine nationale Regierung anerkannten. Mountbatten schrieb an Dorman-Smith, er solle Aung San versprechen, in die künftige britische Regierung Burmas auch Mitglieder der Liga aufzunehmen. Dorman-Smith lehnte ab. Er hatte klare Instruktionen aus London: Über Burma regiert ausschließlich der Generalgouverneur. Das Janusgesicht der britischen Burma-Politik zeigte sich. Auf der einen Seite wollten die Briten sich der militärischen und politischen Stärke des burmesischen Widerstandes versichern, indem sie Aung San und seine Armee als Verbündete anerkannten. Andererseits ließen sie sich zu keinen politischen Konzessionen bewegen.
Aung San und seine Freunde aber konnten warten. Sie saßen am längeren Hebel.
Inzwischen hielten die Kämpfe mit den Japanern unvermindert an. Vor allem am Sittang-Fluss zwischen Toungoo und Pegu kämpften die zurückgebliebenen und abgeschnittenen japanischen Truppen aus dem Dschungel heraus. Burma konnte, Burma durfte nicht für Japan verloren sein. Auf die Friedensbotschaft der burmesischen Soldaten antworteten sie mit Schüssen. Als sie endlich einsahen, dass ihre Lage hoffnungslos war, verübten einige Japaner Harakiri, die meisten ergaben sich, erschöpft, krank und gleichgültig.
Im Juni kehrte Aung San nach Rangun zurück. Es gab viel zu tun. Alle nationalen Kräfte mussten gesammelt und koordiniert werden. Übereifrige, die sofort die Waffen gegen die Briten kehren wollten, galt es zu überzeugen, dass die Zeit dafür nicht günstig sei.
In Rangun lebte Aung San ständig in der Gefahr, von den Briten verhaftet zu werden. Er und Ba Maw standen als Kollaborateure auf der schwarzen Liste der Briten. General Pearce verlangte, Aung San sofort als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Das britische Oberkommando sah sich schließlich gezwungen, den halsstarrigen General durch General Hubert Rance zu ersetzen. Verbittert nahm Pearce seinen Abschied von der Armee und kehrte nach Simla zurück. Dort würde er mehr Verständnis für seine Ansichten finden.
In London stritten sich derweilen die Politiker über die künftige Burma-Politik. Nach erregten Debatten verabschiedete das Unterhaus am 7. Juni 1945 ein Weißpapier. Es stellte fest, dass Burmas Fortschritt zur Selbstverwaltung durch die Kriegsereignisse unterbrochen worden war und dass man zuerst die Wirtschaft des Landes aufbauen müsse, bevor politische Institutionen zugelassen werden könnten. Endziel sei ein Status der Gleichberechtigung mit den anderen Dominionstaaten des Britischen Empire. Die Grenzgebiete Burmas sollten unter der Herrschaft des britischen Generalgouverneurs verbleiben, bis sie selbst den Wunsch äußerten, mit den Burmesen in einem Staat zu leben. Mehrere Labourabgeordnete sprachen aus, worum es der britischen Regierung mit diesem Papier in Wirklichkeit ging: nicht um das Wohl der Burmesen, sondern um das der britischen Geschäftsleute.
Mountbatten war entsetzt. Wussten diese Leute in London überhaupt, was sie taten? Sie forderten die Burmesen zum bewaffneten Widerstand heraus. Sie würden niemals loyal zu den Briten stehen, wenn man die Uhr der Geschichte zurückdrehte! Man konnte nicht Hilfe und Zusammenarbeit verlangen und zugleich Kolonialpolitik des neunzehnten Jahrhunderts betreiben.
Als Mountbatten von der Reaktion der Liga auf das Weißpapier erfuhr, atmete er erleichtert auf. Diese jungen Leute besaßen mehr staatsmännische Weisheit als die altgedienten Konservativen in ihren Ministersesseln in London. Die Liga erklärte das Papier für unannehmbar. Nur die volle Unabhängigkeit Burmas stehe zur Diskussion. Dennoch sei die Liga im Interesse Burmas zu einer vorläufigen Zusammenarbeit mit den Briten bereit.
Mountbatten konferierte mit Dorman-Smith, er solle Vertreter der Liga in seinen Exekutivrat aufnehmen. Aber alle seine Argumente stießen ins Leere. Dorman-Smith fühlte sich an die Weisungen der Regierung in London gebunden. Jetzt kam seine große Stunde. Endlich konnte er den Burmesen beweisen, dass er nur das Beste für Burma wollte. Er würde die schmähliche Niederlage der Briten von 1942 vergessen machen, er würde zeigen, dass die Jahre in Simla keine verlorene Zeit gewesen waren. In die Geschichte würde er als der Mann eingehen, der Burma in die Unabhängigkeit geführt hatte. Die Misserfolge, Enttäuschungen und Kränkungen der vergangenen Jahre sollten nicht umsonst gewesen sein. Ein Träumer, dachte Mountbatten, ein Träumer wie diese Thakins. Nur träumten sie von der Zukunft.
„Nein“, schloss Dorman-Smith eine ihrer Unterredungen, „diese Thakins haben weder das Recht noch die Fähigkeiten, für die Burmesen zu sprechen. Glauben Sie einem Kenner Burmas.“
Man muss ein Land nicht kennen, um den Gang der Geschichte zu verstehen, dachte Mountbatten. Das Burma, von dem Dorman-Smith sprach, existierte nicht mehr. Als der Gouverneur sich gar zu der Behauptung verstieg, die Burmesische Nationalarmee sei eine Bande von Banditen, wies ihn Mountbatten nachdrücklich darauf hin, dass diese „Banditen“ den Sieg der britischen Waffen in Burma erheblich erleichterten, auch wenn man diese Tatsache aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit nicht in die Welt posaunte. Von dem Wert der BNA verstand Mountbatten nun doch mehr.
„Gewiss, gewiss“, räumte Dorman-Smith ein, man sollte den Thakins durchaus ihre früheren politischen Verfehlungen verzeihen angesichts ihres Widerstandes gegen die Japaner, aber das berechtigt sie noch lange nicht, sich als Herren Burmas aufzuspielen.“
Mountbatten und Dorman-Smith verabschiedeten sich förmlich voneinander. Sie verfolgten das gleiche Ziel, ihre Wege waren unterschiedlich.
Am Morgen des 15. Juni 1945 war ganz Rangun auf den Beinen. Tausende von Mädchen und Frauen in farbenprächtigen Longyis, Blumen in den glänzendschwarzen Haaren, gaben der Stadt Farbe und pulsierende Lebendigkeit. Männer in Zivil sah man selten, nur Halbwüchsige, Kinder und Alte mischten sich unter die Wartenden am Straßenrand und im Stadion. Die Händler hatten alle Hände voll zu tun. Nur sie allein wussten, wo sie den Reis, die Süßigkeiten und die Früchte aufgetrieben hatten. Heute feierte die Stadt ein Fest. Ihre Söhne kehrten heim. Als inmitten der britischen Truppen die Einheiten der BNA unter dem roten Banner mit dem weißen Stern zur Siegesparade aufmarschierten, stieg Freudengeschrei zum Himmel auf. Zwar fielen in Burma noch Schüsse, kämpften versprengte japanische Truppen ihren letzten Kampf, aber der Krieg war zu Ende.
Aung San mochte an jene Märztage des Jahres 1942 denken. Einem oberflächlichen Betrachter musste es scheinen, als glichen sich die Bilder, nur die Partner der burmesischen Armee hätten gewechselt. Und doch – welch ein gewaltiges Stück Weg lag zwischen jenen Tagen und heute. Damals waren sie die „dreißig Kameraden“ gewesen, zu denen Tausende junger Männer stießen. Alles zusammen nannte sich Armee, ein disziplinloser, militärisch ungeschulter Haufen, auf den das Volk bewundernd, ängstlich, skeptisch schaute und nicht recht wusste, was die jungen Leute eigentlich wollten. In den schweren harten Jahren der japanischen Besetzung waren diese Armee und das Volk zu einer Einheit verschmolzen. Nicht mehr wehrlos standen die Burmesen den einmarschierenden Briten gegenüber.
Das hier war noch keine Siegesparade. Zwar lagen die Japaner am Boden, doch weder die Briten hatten gesiegt, wie sehr sie das auch glaubten, noch die Burmesen, wie sehr sie es hofften. Sich jetzt vom Siegestaumel, von den hoch aufbrandenden Wogen der Freude berauschen zu las...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. Das Attentat
  3. Lehrjahre in Yenangyaung
  4. Sturm über Tharrawaddy
  5. Aufbruch der Studenten
  6. Der Schrei des Pfaus
  7. Ein heißes Jahr
  8. Japan schickt Spione
  9. Die „Odyssee“ des Aung San
  10. Enttäuschte Hoffnungen
  11. Bomben auf Rangun
  12. Der Eroberer zeigt sein Gesicht
  13. Unabhängigkeit auf Japanisch
  14. „Erhebt euch!“
  15. Rückkehr nach Rangun
  16. Keine Chance für Dorman-Smith
  17. In der Höhle des britischen Löwen
  18. Epilog
  19. Zeittafel
  20. Parteien im nationalen Befreiungskampf
  21. Biografische Angaben
  22. Worterklärungen
  23. Bibliografie
  24. Sigrid Grabner
  25. E-Books von Sigrid Grabner