Hochzeit in der Engelsburg
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Hochzeit in der Engelsburg

Frauen aus der italienischen Geschichte

  1. 240 Seiten
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Hochzeit in der Engelsburg

Frauen aus der italienischen Geschichte

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Über dieses Buch

Bei Studien in italienischen Archiven, Klöstern und Bibliotheken stieß Sigrid Grabner in Ferrara auf ein Buch aus dem Jahr 1497 über 183 "Ausgewählte und berühmte Frauen", eine Anregung mehr, sich mit dem Thema Frauen in der Geschichte zu befassen. Das Mittelalter und die Renaissance sind reich an politisch handelnden, künstlerisch tätigen und gelehrten Frauen. Sie spielten eine weit größere Rolle, als ihnen männliche Historiografen zubilligten. War die römische Senatorin Marozia, die ein erneuertes italienisches Königtum anstrebte, wirklich ein "verworfenes Weib", wie Bischof Liutprand behauptete? Die Markgräfin Matilde von Tuscien nur eine berechnende papistische Fürstin, wie in Geschichtsbüchern steht - wenn sie überhaupt von ihr Notiz nehmen? Caterina Sforza, Cesare Borgias Kontrahentin, ein blutgieriges Mannweib?Die Autorin entschied sich für acht Frauen. Es sind Geschichten um jeweils eine Situation aus ihrem Leben, in denen sie sich über die Schranken ihrer Umwelt und ihrer eigenen Gewohnheiten hinwegsetzen. Sie begehren auf, kämpfen, werden schuldig, wachsen über sich hinaus. Das zarte Mädchen aus Siena ermutigt nicht nur einen Papst, sondern auch die Nachwelt zu furchtlosem Handeln. Noch in der Todesstunde überwindet die Dichterin Vittoria Colonna ihre Schwäche und führt Michelangelo aus seiner Verzweiflung zu neuer Schaffensfreude. Die Gelehrte Olympia Morata, die auf der Flucht vor der Inquisition in Deutschland Zuflucht findet, ahnt hinter Enttäuschungen und Niederlagen eine neue Zeit mit einer freieren Lebensauffassung, die nicht mehr überschattet wird von den politischen Auseinandersetzungen zwischen Päpsten und weltlichen Herrschern, den widerstreitenden Machtinteressen der Adelsfamilien, von Intoleranz und Ketzerverfolgungen.Die Frauen in Sigrid Grabners einfühlsamen Erzählungen versuchen sich gegen die herkömmlichen Institutionen der Macht durchzusetzen, sie gewinnen dabei zunehmend an Eigenständigkeit, Charakter und in vielen Fällen an Größe. Ihre Aktionen künden von dem Mut ihres Geschlechts, von Willensstärke und geistiger Konsequenz. Ihre Kühnheit gebärdet sich nicht heldisch, sie erwächst aus tiefer Not - dem Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So sprechen sie noch heute zu uns, werden zu interessanten, die Geschichte mit prägenden Gestalten.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783965216501

DIE BELAGERUNG VON RAVALDINO

Doch sie, die würdevoller zu sterben sinnt,
erbleicht nicht weibisch vor dem gezückten Schwert,
noch sucht sie mit beschwingten Segeln
fern im verborgenen Hafen Rettung
Horaz
An einem Februartag des Jahres 1500 führte Cesare Borgia die besiegte Herrin von Imola und Forli, Caterina Sforza, als seine Gefangene in den Vatikan. Unter den Schaulustigen am Straßenrand stand Francesco Orsi. Angestrengt schaute er dem Zug entgegen, der sich von der Engelsburg her durch den Borgo schob.
Papst Alexander hatte seinem geliebten Sohn Cesare Borgia alle Kardinäle und den gesamten Hofstaat entgegengeschickt. In der Mittagssonne glitzerten die Geschmeide auf den Gewändern, blitzten die Waffen und Harnische der Soldaten. Schwer trugen die Pferde an dem kostbaren Gehänge.
Cesare Borgia, ganz in Schwarz gekleidet, ritt auf einem weißen Zelter. Gedungene Schreihälse jubelten ihm zu. Die Menge schwieg. Aller Augen richteten sich auf die Frau. Das also war die „Tigerin von Forli“, die als einzige unter den Fürsten Italiens gewagt hatte, einem Borgia zu trotzen. Blond und sehr schlank, ähnelte sie eher einer Madonna des Meisters Pinturicchio als einer Kriegerin. Sie starrte blicklos über die Köpfe hinweg.
Als Francesco Orsi ihrer ansichtig wurde, hielt es ihn nicht mehr an seinem Platz. Er drängte sich nach vorn und rief verzweifelt: „Caterina!“
Die Trompeter hatten eben ihre Instrumente abgesetzt. Caterina Sforza wandte sich um. Für einen Augenblick hob sie grüßend und zugleich warnend die Hand.
Cesare Borgia zügelte sein Pferd. Er hatte den Schrei gehört und den Mann erkannt. Auf seinen Wink lösten sich zwei Reiter aus dem Zug. Francesco Orsi wusste die Geste des Borgia zu deuten. Er tauchte in der Menge unter. Am Tiberufer erwartete ihn sein Diener. Keuchend schwang er sich in den Sattel. Pilgerzügen nur mit knapper Not ausweichend, jagten die beiden Männer durch Rom. Erst als sie die Stadt hinter sich gelassen und Prima Porta erreicht hatten, ritten sie langsamer, nicht ohne sich immer wieder zu vergewissern, dass niemand ihnen folgte.
„Es war unklug von Euch, nach Rom zu gehen. Der Gräfin könnt Ihr nicht helfen, und Euch setzt Ihr unnötig der Gefahr aus“, sagte der Diener Ascanio. Er war nur wenige Jahre älter als Francesco. Die beiden kannten sich seit ihrer Knabenzeit. Ascanio liebte seinen Herrn wie einen Bruder und durfte ihm manches sagen, was Francesco von Gleichgestellten nicht hingenommen hätte.
„Eure Wunde ist noch nicht verheilt“, fuhr er fort. „Solch ein Unverstand! Aber diese Frau stürzt alle, die sich ihr nähern, ins Verderben.“
Francesco winkte ab. Was wusste Ascanio, was wussten all die anderen von Caterina Sforza! Aber hatte er vor einem Vierteljahr nicht ebenso gedacht? Während sie auf Seitenwegen nach Florenz ritten, immer auf der Hut vor den Häschern Cesare Borgias, hing Francesco seinen Erinnerungen nach.
Francesco Orsi war in Forli, der romagnolischen Stadt am Fuße des Apennin, geboren. Sein Vater und sein Onkel standen im Dienst von Girolamo Riario und dessen Gemahlin Caterina Sforza. Riario war ein unfähiger und brutaler Herrscher. Als Francescos Vater vor dem Unmut des hungernden Volkes warnte, schlug der Graf ihm ins Gesicht. Diese Demütigung verziehen die Orsi nicht. Sie verschworen sich mit zwei Offizieren von Riarios Leibwache und ermordeten den Tyrannen. Als sie seine Leiche aus dem Schloss auf die Piazza warfen, stand das Volk gegen die Herrschaft der Riario auf. Caterina Sforza und ihre sechs Kinder wurden gefangengesetzt. Sie zu töten, konnten sich die Verschwörer nicht entschließen, obwohl das Haupt der Familie Orsi, der alte Andrea, seine Söhne vor der Riario-Sforza-Brut warnte.
Die Festung Ravaldino nahe der Stadt Forli hielt noch den Orsi stand. Ihr Kommandant weigerte sich, die Tore zu öffnen, ehe er nicht mit seiner Gebieterin, Caterina Sforza, gesprochen habe. Allen Warnungen des alten Andrea zum Trotz gaben die Orsi-Brüder dem Verlangen des Kommandanten nach.
Eine große Menschenmenge begleitete die gefangene Caterina und ihre Kinder bis zur Festung. Dort ließen die Orsis die Gräfin frei und drohten, die als Geiseln zurückbleibenden Kinder zu töten, wenn Ravaldino nicht innerhalb einer Stunde kapituliere. Caterina lächelte nur hochmütig. Kaum hatte sich das Festungstor hinter ihr geschlossen, erschien sie auf der Mauer und rief den Wartenden zu, niemals werde sie sich den Mördern ihres Mannes ergeben.
Die Verschwörer zerrten die Kinder vor die Menge und setzten ihnen Messer an die Kehlen. Caterina lachte wild auf: „Versucht es doch, sie umzubringen, ihr Bastarde! Ich werde weitere Kinder bekommen.“ Sie schlug sich mit beiden Händen auf den vorgereckten Leib. „Seht her, ich bin wieder schwanger. Aber wenn ihr diesen dort auch nur ein Haar krümmt, werde ich die Stadt dem Erdboden gleichmachen!“ Ihren Worten folgten Kanonenschüsse über die Köpfe der Menge. Ratlos und ängstlich liefen die Bürger auseinander. Die Kinder der Gräfin nahmen sie mit sich und schützten sie vor der Wut der Orsi.
Caterina Sforza ließ Flugblätter in die Stadt schießen:
„Mein Volk, Volk von Forli! Bringt alle meine Feinde um! Dafür werde ich euch ewig als meine Brüder ansehen. Eilt und fürchtet euch nicht!“ Unsicherheit wurde zur Panik, als sich von Bologna ein Heer des Mailänder Herzogs Lodovico Sforza, des Onkels der Gräfin, Forli näherte. Die Brüder Orsi und ihre Mitverschwörer flohen aus der Stadt.
Der zehnjährige Francesco musste mit ansehen, wie Soldaten den Palazzo Orsi zerstörten. Seinen Großvater Andrea fesselten sie auf ein Brett, das man an den Schwanz eines Pferdes band. Dann jagten sie das Pferd dreimal um die Piazza. Die Leiche des Andrea wurde gevierteilt, verbrannt und die Asche in den Fluss gestreut.
Auch die Angehörigen der geflüchteten Orsi verließen nun Forli. Francesco lebte nach dem Tode seiner Eltern in Florenz. Zwei Bilder bedrängten den Heranwachsenden im Träumen und im Wachen: der verstümmelte Leichnam des Großvaters und die wilde Frau auf der Festungsmauer von Ravaldino. Sie vergifteten seine Kindheit, und als er ein Mann geworden war, lebte er nur für den Tag der Rache an Caterina Sforza. Er übte sich im Waffenhandwerk und hörte in Santa Maria del Fiore die Predigten Savonarolas über die Verderbtheit der Sitten und die nahende Strafe Gottes. „Die Tyrannen werden fallen, und das Schwert des Zorns wird sich über Italien erheben …“ Das Feuer des Predigers entzündete Francescos Hass zur hellen Flamme. Nicht mehr nur seine Familie gedachte er zu rächen, vielmehr wollte er ein Werkzeug Gottes sein, um die Mächte der Finsternis zu überwinden. Caterina Sforza galt ihm als Symbol des Bösen.
Im Herbst 1499 wurde in Florenz bekannt, dass Cesare Borgia unweit des legendären Flusses Rubicon ein Heer aus Franzosen, deutschen und schweizerischen Landsknechten sammelte. Viele Bürger befürchteten, der machthungrige Papstsohn würde sich mit der Romagna nicht zufriedengeben und auch das benachbarte Florenz angreifen. Lautete doch sein Wahlspruch: Cäsar oder nichts! Scharfe Zungen spotteten: „Cäsar sein oder ein Nichts will Borgia; aber warum denn, wo er zugleich doch ein Nichts sein kann und Cäsar dabei!“ Der Stadtschreiber Niccolo Machiavelli verteidigte den Borgia. Keiner sei wie er geeignet, den Fehden, die Italien zerrissen und es fremden Eroberern auslieferten, ein Ende zu machen. Das hohe Ziel eines freien geeinten Italien rechtfertige jede Grausamkeit, selbst Verrat.
Francesco kümmerte sich nicht um die Streitereien, tat die Gerüchte, Cesare hätte seinen Bruder ermordet und unterhalte blutschänderische Beziehungen zu seiner Schwester Lucrezia, als Verleumdungen ab. Für ihn war Cesare der künftige Befreier der Romagna. Er dachte nur noch daran, sich dem Heer anzuschließen und endlich Rache an Caterina Sforza zu nehmen. Um dem Borgia vorgestellt zu werden, befreundete er sich mit Yves d‘ Allègre, dem Hauptmann der Franzosen. Cesare erkannte sofort, wie nützlich ihm der junge Orsi sein konnte, und nahm ihn in Dienst.
Am 11. Dezember 1499 erlag die Festung von Imola dem Ansturm des päpstlich-französischen Heeres. Francesco stürmte als erster durch die Mauerbresche. Cesare Borgia belohnte ihn mit einem prächtigen Pferd aus der Zucht von Mantua.
Nur noch wenige Meilen trennten das Heer von Forli. Nun kam der Augenblick, dem Francesco seit Jahren entgegengefiebert hatte. Cesare Borgia erteilte ihm den Auftrag, nach Forli zu reiten und den Großen Rat zur kampflosen Übergabe der Stadt zu bewegen. Bevor er ihn entließ, sagte er leichthin: „Solltest du der Gräfin begegnen, dann denk daran: Dolch und Gift sind die besten Verbündeten.“
Francesco hetzte sein Pferd, bis er in der Ferne den Campanile von San Mercuriale erblickte. Dann ritt er langsamer, um den Triumph seiner Heimkehr voll auszukosten. Am Stadttor verkündete er stolz: „Francesco Orsi, Bürger von Forli!“ Er hatte Widerstand erwartet, vielleicht sogar Feindseligkeit. Doch der Kommandant der Stadtwache begrüßte den Abgesandten Cesare Borgias ehrerbietig, den jungen Orsi, den er noch als Kind gekannt hatte, herzlich. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht in der Stadt: Ein Orsi ist gekommen!
Trotz des Regens liefen die Bürger auf der Piazza zusammen. Sie bestürmten den Jüngling mit Fragen, und er hatte Mühe, sich der vertraulichen Gebärden ihm fremder Menschen zu erwehren. Sein Blick fiel auf die Türme des Kastells Ravaldino. Dort lauerte die Verderberin seiner Familie …
Francesco riss die Zügel, dass sein Pferd sich aufbäumte. Die Zurufe verstummten, scheu machten ihm die Menschen Platz. Der Bürgermeister eilte herbei. Barsch unterbrach Francesco die Begrüßungsworte und verlangte, sofort den Großen Rat einzuberufen.
Erschrocken vernahmen die Ratsherren die Aufforderung, sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden Cesare Borgia zu ergeben.
Der Kaufmann Lodovico Ercolani sprach als erster. „Wir ehren dich als Bürger dieser Stadt und teilen deinen Schmerz über das Schicksal deiner Familie. Wir beklagen, dass du schuldlos für jene Ereignisse vom April 1488 leiden musstest. Unsere Hochachtung gehört auch dem kühnen Herzog von Valentinois, Cesare Borgia, in dessen Namen du gesprochen hast. Aber wir fühlen uns ebenso unserer Herrin Caterina Sforza verpflichtet. Du warst noch ein Kind, als du Forli verließest, und weißt nicht, was seitdem geschah. Die Gräfin hat in den vergangenen zwölf Jahren gut regiert. Sie hält auf Ordnung und wendet das Recht auf Arme und Reiche gleichermaßen an. Nach der schlechten Ernte vor drei Jahren hungerte die ganze Toskana, in unserem Gebiet aber waren die Vorratskammern so gefüllt, dass wir Getreide nach Florenz verkaufen konnten. Die Gräfin fördert die Landwirtschaft, das Handwerk, den Handel. Sie sieht im Kleinsten nach dem Rechten. Warum sollten wir ihr den Gehorsam aufkündigen? Was wir haben, wissen wir; was kommt, ist ungewiss.“
Einige nickten zustimmend. Der Goldschmied Sebastiano rief zornig: „Hast du die Untaten der Gräfin vergessen, Lodovico? Erinnere dich, was vor vier Jahren geschah, als der Liebhaber der Gräfin, der anmaßende Giacomo, ermordet wurde! Wo war da die Gerechtigkeit der Caterina Sforza? Fast fünfzig Menschen dieser Stadt mussten sterben, die meisten unschuldig, kleine Kinder, Frauen … Eine blutrünstige Tigerin ist sie. Cesare Borgia kann nicht schlimmer sein.“
Unter den mitleidigen Blicken der anderen setzte sich der Goldschmied wieder. Seine Verwandten waren damals umgekommen. Ihn hatte die Rache der Gräfin nur verschont, weil er sich zu jener Zeit in Mailand aufhielt.
Die Männer begannen zu streiten, ohne noch auf Francesco zu achten. Mehrere gaben zu bedenken, dass Cesare Borgia auch französische Truppen befehlige. Franzosen hatten vor sieben Jahren unter der Führung ihres Königs Karl in der Stadt und der Umgebung grausam gewütet. Von Franzosen sei nichts Gutes zu erwarten.
Andere widersprachen: Eine Kuh, die man melken will, schlachtet man nicht. Cesare Borgia würde sein künftiges Besitztum nicht verwüsten lassen.
„Was ist von dem Spanier Cesare Borgia zu erhoffen, der sich der Hilfe von Franzosen bedient, um italienisches Land zu erobern?“, fragte Lodovico Ercolani bissig.
Francesco hob die Hand. Sofort verstummten alle. „Ihr redet, als hinge es von euch ab, wer hier regiert. Entschieden wird nur, ob ihr Cesares Heer freiwillig die Stadttore öffnet oder erst nach blutigem Kampf. Solltet ihr euch für den Kampf entscheiden, frage ich euch: Wie viele werden Forli verteidigen? Eine Handvoll Bürger, ein paar hundert vielleicht. Vor Forli aber steht eine Streitmacht von fünfzehntausend Mann, ausgerüstet mit Kanonen.
Der großmütige Cesare Borgia bietet euch eine ehrenvolle Übergabe an. Wollt ihr für Caterina Sforza, der Papst Alexander längst die Herrschaft abgesprochen hat, das Leben eurer Frauen und Kinder aufs Spiel setzen?“
Die Männer schwiegen. Ob sie sich verteidigten oder ergaben, das Unheil würde sie in jedem Fall ereilen. Wenn überhaupt noch jemand einen Ausweg weisen konnte, dann der Ratsherr Luffo Numai. Er sprach nicht nur ein vorzügliches Latein und kannte sich bei den alten Schriftstellern aus, er passte sich auch wendig den jeweiligen Verhältnissen an. In den an Spannungen reichen letzten dreißig Jahren hatte er immer auf der Seite der Sieger gestanden, ohne es mit den Besiegten zu verderben. Die Bürger Forlis bewunderten Luffo Numais Fähigkeit, den Gang der Ereignisse vorauszusehen. Sie waren bereit, seinem Rat zu folgen.
Luffo Numai schaute in die Runde, auf Francescos Gesicht verweilte sein Blick länger. „Orsi hat recht. Wir dürfen nicht unser Leben, all unser Hab und Gut aufs Spiel setzen, indem wir uns starrköpfig dem Verlangen Cesare Borgias versagen.“ Er schlug dem Rat vor, eine Abordnung zur Gräfin zu schicken, die sie der unwandelbaren Treue ihrer Untertanen versichern und ihr gleichzeitig nahelegen sollte, in Florenz den Gang der Ereignisse abzuwarten. Schließlich würde Papst Alexander nicht ewig leben, und nach dessen Tode sei es ohnehin mit der Macht Cesares vorbei. Dann würde Forli die Gräfin mit Freuden wieder als Herrscherin begrüßen.
Krämerseelen, dachte Francesco erbittert, als sich der Ratsherr zufrieden zurücklehnte. Den Borgia würde Numai ebenso seiner Treue versichern und beteuern, er hätte hier nur so gesprochen, um ihm besser zu Diensten sein zu können.
Francesco war enttäuscht, hatte er doch gehofft, die Bürger teilten seinen Hass auf die Gräfin und würden wie ein Mann gegen sie aufstehen. Während man umständlich den Plan Luffo Numais beredete, kam Francesco ein Gedanke, den er auch sogleich vortrug. Luffo Numais Worte hätten ihn von der Klugheit und dem Mut des Redners überzeugt. Man könne keine bessere Wahl treffen, als Luffo nach Ravaldino zu entsenden, damit er die Gräfin selbst zur Aufgabe der Festung veranlasse. Er, Francesco, wolle ihn gern begleiten.
Numai erbleichte, auf dieses Angebot war er nicht gefasst gewesen. Seine Antwort ließ länger als gewöhnlich auf sich warten und fiel nicht so elegant wie sonst aus. Gern übernehme er diese Mission, aber er gebe zu bedenken, dass er die Stadt in einer für sie so schweren Stunde keinen Moment verlassen und sie seines Rates berauben dürfe. Er drehte und wendete sich, dass viele beschämt die Augen niederschlugen, denn alle Worte Numais verdeckten nicht die Feigheit, der sie entsprangen.
Francesco genoss dieses Schauspiel und vergaß darüber, dass es seine Absicht zu durchkreuzen drohte. Erst als sich tiefes Schweigen im Saal ausbreitete, begriff er, dass niemand wagte, der Gräfin gegenüberzutreten. Feiges Pack, dachte er, lau sind sie, nicht Feuer, nicht Wasser. Dämmerung glitt in den Raum. Jeder schien sich in ihre Schatten zu ducken. Plötzlich ließ sich die ruhige Stimme Lodovico Ercolanis vernehmen: „Ich werde gehen.“
In diesem Augenblick brachten Ratsdiener Fackeln und steckten sie in die Ringe an den Wänden. Der Lichtschein fiel auf erleichterte Gesichter. Man beglückwünschte Lodovico Ercolani, allen voran Luffo Numai. Francesco sah spöttisch zu. Jetzt verzieh er dem Kaufherrn das Loblied auf die Gräfin.
Es regnete noch immer, als die beiden Männer den Weg zum Kastell einschlugen. Die Gassen waren menschenleer, obwohl die Glocken noch nicht zum Abendgebet gerufen hatten. Francesco versuchte sich an die Häuser und Plätze seiner Kindheit zu erinnern. Vergeblich.
„Eine Stadt von Sklaven“, murmelte er.
„Du tust uns Unrecht. Hass trübt dir den Blick. Auch fehlt es dir an Erfahrung“, sagte der Kaufherr in väterlichem Ton. Francesco lachte böse auf. Unbeirrt fuhr Ercolani fort: „Die Herren gewinnen oder verlieren, die Bürger aber verlieren immer, wenn die Herren sich streiten. Was du Feigheit nennst, ist die Vorsicht des gebrannten Kindes. Gewiss hat die Gräfin ihre Fehler …“
„Fehler nennst du ihre Bluttaten!“, fiel ihm Francesco ins Wort.
„… aber sie ist nicht schlechter als die Fürsten ringsum, die d’Este von Ferrara, die Gonzaga von Mantua, die Bentivoglio und Manfredi – eher besser, denn sie ist eine tüchtige Frau“, vollendete Ercolani seinen Satz.
Francesco widerstand nur mit Mühe dem Verlangen, den Mann neben sich niederzustoßen. Seit zwei Stunden hörte er sich dieses Einerseits-Andererseits verängstigter Bürgerseelen an. Er war der Reden leid. Francesco beschleunigte seine Schritte, dass ihm Ercolani kaum folgen konnte. In seiner Hast rutschte er aus und verlor das Gleichgewicht. Während er sich fluchend säuberte, sagte der Kaufherr: „Du könntest mein Sohn sein, Francesco, deshalb rate ich dir: Lass den Zorn nicht Herr über deinen Verstand werden.“ Hochmütig erwiderte Francesco, wenn man von grauen Haaren auf Weisheit schließen wollte, dann seien alle Esel weise. Der Kaufherr lächelte nur.
Der Wache am Festungstor verschwieg Francesco, dass er der Gesandte Cesare Borgias war. Ohne Ercolani zu Wort kommen zu lassen, sagte er, eine Abordnung des Rates von Forli wünsche die Gräfin zu sprechen. Sein Herz schlug so heftig, dass er fürchtete, man könnte es hören.
Ein Soldat führte Lodovico und Francesco. Über Höfe, Gäng...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. Marozia von Tusculum (gest. 932)
  3. HOCHZEIT IN DER ENGELSBURG
  4. Matilde von Tuscien (1046–1115)
  5. CANOSSA
  6. Johanna von Neapel (1326–1382)
  7. DIE PEST
  8. Caterina von Siena (1347–1380)
  9. DIE HEILIGE
  10. Caterina Sforza (1463–1509)
  11. DIE BELAGERUNG VON RAVALDINO
  12. Giulia Gonzaga (1513–1566)
  13. DIE FLUCHT
  14. Vittoria Colonna (1492–1547)
  15. STUNDE MIT MICHELANGELO
  16. Olympia Morata (1526–1555)
  17. TAGE IM SCHLOSS FÜRSTENAU
  18. Sigrid Grabner
  19. E-Books von Sigrid Grabner