Das Stichwort ‚Performativität‘ verbindet mich mit Thomas Klie seit Beginn seiner Professur an der Rostocker Theologischen Fakultät, sei es im gemeinsam gegründeten Förderverein „Theophil“, sei es im Institut für Text und Kultur, das wir 2008 ins Leben gerufen haben,1 sei es beim gemeinsamen Nachdenken in der Vorphase des Graduiertenkollegs „Deutungsmacht“2 oder in der Diskussion um einen performativen Religionsunterricht.3 Wir haben öffentliche Lesungen verschiedener Bibelübersetzungen in der Universitätsbuchhandlung abgehalten oder uns den „heiligen Dingen“ mit der Ausstellung „sacra“ in der Universitätskirche (2010) zugewandt.4 Ich denke gern und dankbar an diese bewegte und inspirierende Zeit.
Gemeinsam gestaltete, erlebte und reflektierte Performativität macht es leichter, über ihre theoretischen Aspekte im Gespräch zu bleiben. Mein Beitrag wird das Ziel verfolgen, performative Momente von Materialität im ersten Korintherbrief aufzuspüren und nach ihrer Bedeutung in der Kommunikation des Paulus mit der korinthischen Gemeinde zu fragen. Dieser Rückfrage ist das Ziel gesetzt, die „Dinge“, auf die Paulus sich bezieht, in praktisch-theologischer und religionspädagogischer Hinsicht so zu erschließen, dass heutiges Denken und Fragen mit ihnen in einen produktiven Dialog treten kann.
1 Einführung
Im ersten Korintherbrief, einem der grundlegenden Texte des frühen Christentums, wird die Geschichte Jesu Christi als Geschichte des Gottes Israels verstanden. Auf eindrückliche Weise wird das in der Interpretation des Herrenmahls gezeigt, die von Paulus ihrerseits als Interpretation des Kreuzestodes des auferweckten Christus mit den Christusanhängern in Korinth kommuniziert wird. Dieser Beitrag soll zeigen, wie die Dinge, die beim Abendmahl eine entscheidende Rolle spielen – gemeint sind das Brot, der Becher mit Wein und der Kreuzestod Christi als ihre Bezugsgröße –, in diesem Interpretationsprozess performativ aufgeladen werden.
Auf der Suche nach einer „Performanz der Dinge“ bzw. einer „Performanz der Materialität“5, mit der es deutlicher gelingt, die Bedeutung „nichtsprachliche[r] Performativität für die Herstellung von Wirklichkeit“6 zu erfassen, fallen bei einer Relektüre des ersten Korintherbriefs zunächst drei Texte ins Auge. Da ist zum einen die Unterscheidung zwischen einem Einzelorgan wie dem Magen und dem Körper (soma) als personaler Existenzweise, klassisch also zwischen „Bauch“ und „Leib“, die Paulus im Zuge seiner sexualethischen Argumentation trifft (1 Kor 6,12 – 20): Die sexuelle Gemeinschaft ist vom Stillen des Hungers zu unterscheiden. Das einzelne Organ wird vergehen, es unterliegt wie alles Vergehende der Vergänglichkeit. Dem Körper jedoch und damit dem Menschen als Person vor Gott gilt dessen auferweckendes Handeln. Das performative Moment in dieser Passage steckt in der abstrahierenden Rede von einem Organ, das in sexualethischer Absicht vom Körpersein des Menschen getrennt wird. Hier lassen sich praktisch-theologische und religionspädagogische Anschlussfragen entwickeln, die nicht nur für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körpersein und der eigenen Sexualität, sondern auch mit dem fraglichen Objektstatus des Körpers oder einzelner Organe in Diskursen der künstlichen Intelligenz (KI) oder der Intensivmedizin unerwartete Aufschlüsse erbringen können.
Zum anderen hat solches Fleisch, das ursprünglich als Opferfleisch für Gottheiten vorgesehen war, verderbliche Wirkungen, wenn es als ihnen zugehöriges verzehrt wird (1 Kor 8.10). Das „Götzenopferfleisch“ ist „nichts“, deshalb kann man es genießen ohne Skrupel, denn die Gottheiten sind nichtig. Was aber bedeutet in diesem Zusammenhang die offenbar konzedierende Feststellung, dass es allerdings „Götter und Herren“ tatsächlich gibt (1 Kor 8,8)? Das performative Moment ist hier in der spezifischen Frage nach der Wirklichkeit der Götter und ihrer Wirkmacht im zu verzehrenden Fleisch zu sehen; ihre Macht gilt als eindeutig gebrochen, und doch gewinnen sie diese in dem Maße, wie sie ihnen zugebilligt wird. Religionspädagogische Anschlussfragen liegen auf der Hand: Wie halten wir es mit der Wirklichkeit solcher Mächte, denen wir Gewalt über uns zubilligen (vgl. 10,20 f.)?
Und, um ein drittes Beispiel zu nennen, die Frage der Kopfbedeckung spielt zu Beginn des elften Kapitels eine entscheidende Rolle. Konkret geht es um die Frage, ob ich als Frau mit unverhülltem Kopf oder als Mann mit verhülltem Kopf bete (1 Kor 11,4 ff). Auch an dieser Stelle spielt für die Performativität der Dinge, in diesem Fall des Haupthaars oder der Kopfbedeckung, der Verweis auf jenseitige Mächte die ausschlaggebende Rolle (vgl. v10). Gen 6,2 und seine Rezeptionsgeschichte im antiken Judentum7 erinnern daran, dass nicht nur die „Natur“ (v14), Anstand und Sitte (v13.15), die übergemeindliche Praxis (v16) oder das biblische Narrativ der geschöpflichen Abfolge von Mann und Frau (v7 – 9), sondern auch die unsichtbare Präsenz der Engel (vgl. 6,3) zu den Faktoren gehört, die das Haupthaar bzw. die Kopfbedeckung performativ aufladen. Auch hier lohnen sich praktisch-theologische und religionspädagogische Anschlussfragen. Denn das eigene Aussehen, das Design meines Auftretens, meiner Kleidung, meiner Körperlichkeit, hat für meine figurierte Identität8 entscheidende Bedeutung und ist nicht lediglich eine Sache funktioneller Sachdienlichkeit. Überdies können entsprechende Reflexionsgänge mit Schülerinnen und Schülern intratextuell in Relation zu der Aussage in v11 gebracht werden, mit der die additive Argumentation des Passus überboten wird: In der Beziehung zur Geschichte Jesu Christi werden all diese Hinsichten, also eben auch die Performativität der Designs der eigenen Person, überholt, denn in dieser Beziehung gilt die soziale, sexualethische und existentielle Aufeinander-Gewiesenheit der Geschlechter und sexuellen Orientierungen.
Im ersten Korintherbrief liegt die Performanz der Materialität, sei es des Magens oder der körperlichen wie personalen Dimension der Sexualität, einer Mahlzeit oder des Verzichts auf diese, einer Kopfbedeckung oder des Haupthaars sinnfällig vor Augen. Paulus bietet in diesen drei Fällen einiges an argumentativem Gewicht auf, um seine Auffassungen zu untermauern. Die Frage der Gewichtung der Argumente ist verwirrend und widersprüchlich. Mit Blick auf die „Performanz der Materialität“ ergeben sich vielfältige Anknüpfungspunkte, die die uns fremde antike Welt des Paulus und ihre Enzyklopädie so erhellen können, dass dialogische Beziehungen zu seinen Texten befördert werden können.
Überdies ist die mediale Funktion der Dinge zu beachten. Sie gilt nicht nur mit Blick auf das Brot oder den Becher, die im Zusammenhang des Herrenmahls die entscheidende Rolle spielen (s. u.), sondern auch für jedes der drei genannten Beispiele. Sie illustrieren den medialen Charakter der Dinge, deren Diskurse konstitutiv für die Beziehungen in der Gemeinde und des Autors Paulus mit der Adressatengemeinde sind.9
Vor diesem diskursiven Hintergrund ist nun mit Blick auf den ersten Korintherbrief zu fragen, wieso der Gegenstand Stauros „entleert“ werden kann, wenn es sich doch lediglich um ein Hinrichtungsinstrument handelt (1 Kor 1,17).10 Wieso können Becher und Brot die Gemeinschaft „sein“, als die die das Herrenmahl feiernde Gemeinde sich als „ein Leib“ vergegenständlicht sehen darf (1 Kor 10,16)? Diese Gemeinde darf sich als „ein Leib“ begreifen, weil sie in der Perspektive des ersten Korintherbriefes einzig durch das erwählende Schöpferhandeln Gottes konstituiert wird, wie es sich in der Geschichte Jesu Christi realisiert (1 Kor 1,26 – 31). Hier stoßen wir auf gemeindliche Subjektwerdungsprozesse,11 die im Zusammenspiel mit der performativen Gegenständlichkeit von Becher und Brot erfolgen. Im ersten Korintherbrief lassen sich vielfältige materiale Indizien für Prozesse der kollektiven und individuellen Subjektwerdung ausmachen.12
2 Die Elemente des Herrenmahls
Ich gehe diesen Überlegungen mit Blick auf den Herrenmahl-Diskurs in 1 Kor 11,17 ff. nach.
Paulus stellt in 1 Kor 11,20 fest: Wie ihr zusammenkommt, ist das nicht (ouk estin) das Verzehren des Herrenmahls. Wolfgang Schrage weist zu Recht darauf hin, es gehe hier um „eine faktische Feststellung und eine Wertung im Sinne der objektiven Unmöglichkeit: Das Herrenmahl, wie es in Korinth gefeiert wird, verdient diesen Namen nicht, ist nicht das, was es sein soll.“13 Paulus unterfüttert seine Kritik, indem er das, was das Herrenmahl tatsächlich ist, anhand der Abendmahlsparadosis narrativ entfaltet (1 Kor 11,23 – 26). Dabei fallen die zuschreibend identifikatorischen Formulierungen wie „das ist“ (touto estin) in v 24.25 sowie die abschließende Formulierung, was denn faktisch mit der Praxis des Herrenmahls öffentlich proklamiert wird, auf (v26). Mit der Möglichkeit einer Praxis, die dem, was das Herrenmahl tatsächlich ist, zuwiderläuft (v27 ff), kehrt Paulus zu seiner einleitenden Kritik zurück.
Ich paraphrasiere die Einleitung der Herrenmahlparadosis in 1 Kor 11,23:14 „In der Nacht, ...