Rattennest
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Argentinien und die Nazis

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Argentinien und die Nazis

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Über dieses Buch

»Fesselnd und wichtig! Dieses Buch hilft zu verstehen, warum viele NS-Verbrecher nach Argentinien flüchteten.«
Olivier Guez, Autor des Bestsellers »Das Verschwinden des Josef Mengele«
Adolf Eichmann, der die Vernichtung der europäischen Juden organisierte, setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso nach Argentinien ab wie Josef Mengele, der KZ-Arzt von Auschwitz. Hunderte NS-Verbrecher taten es ihnen gleich. Auf den sogenannten Rattenlinien gelangten sie in ein Land, das sie mit offenen Armen empfing. Doch warum ausgerechnet Argentinien? Lateinamerika-Kenner Hannes Bahrmann geht dieser Frage nach und stellt überzeugend dar: Die Antwort liegt in der Geschichte des Landes selbst begründet.

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Information

ADOLF EICHMANN: DER »KRIEGSVERBRECHER NR. 1«

Der Koordinator der systematischen Vernichtung der europäischen Juden – Massenerschießungen, die Erprobung von Gaswagen und Besuche der Vernichtungslager – »Mich reut gar nichts!«
Der Prominenteste unter den Naziflüchtlingen in Argentinien war der Organisator der Vernichtung der europäischen Juden, Adolf Eichmann. Er kam 1950 nach Argentinien, wurde zehn Jahre später entführt und vor ein Gericht in Jerusalem gestellt.
Wenig sprach bis zur Machtübernahme durch die Nazis dafür, dass er jemals eine herausgehobene Rolle einnehmen würde. Er war 1906 in Solingen geboren worden und übersiedelte mit seiner Familie 1914 ins österreichische Linz. Dort scheiterte er an einem Abschluss der Kaiser-Franz-Staatsoberrealschule ebenso wie anschließend in der Höheren Bundeslehranstalt für Elektrotechnik, Maschinenbau und Hochbau. Er arbeitete als Verkäufer und Vertreter und trat 1932 in die österreichische NSDAP ein. Als er 1933 seine Stellung bei der Vacuum Oil Company AG verlor, übersiedelte er zurück nach Deutschland.
Er absolvierte eine militärische Ausbildung bei der SS und meldete sich 1934 zum Sicherheitsdienst (SD) der SS. In Berlin begann er als Referatsleiter und verfolgte zunächst die Aktivitäten von Freimaurerlogen. Ein Jahr später wechselte er in das Referat II-112 des SD-Hauptamtes, wo er für die »zionistischen« Organisationen zuständig wurde. Akribisch arbeitete sich Eichmann in das neue Arbeitsgebiet ein, machte sich mit der Geschichte des Judentums vertraut, versuchte Sprachen zu lernen und fuhr 1937 zur Information nach Palästina, wo er jedoch nach wenigen Tagen von der britischen Mandatspolizei nach Ägypten abgeschoben wurde.
Nach der Annexion Österreichs 1938 baute Eichmann als SD-Führer die Zentralstelle für Jüdische Auswanderung in Wien auf, wo binnen 18 Monaten 150 000 Juden vertrieben wurden. Danach folgte 1939 die Behörde für die zwangsweise Auswanderung der Juden in Prag. Dort kam er in Kontakt mit dem Chef des neugeschaffenen Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der ihn fortan protegierte.
Eichmann erhielt Zugang zu den Spitzen der Nazis. Er wurde vom Reichsführer SS Heinrich Himmler empfangen und durfte auf Konferenzen seine Erfahrungen bei der Vertreibung der Juden referieren. Bald galt er als glänzender Organisator und träumte selbst von einer steilen Karriere. In Argentinien erinnerte er sich 1957 an diese Zeit und sagte, dass ihm vorschwebte, »Reichskommissar für die Regelung der jüdischen Angelegenheiten« zu werden.
Auch im Ausland wurde sein Name bekannt. Ende 1940 schrieb die in New York erscheinende jüdische Exilzeitung Aufbau: »Eichmann stammt aus Palästina und wurde in der Templer-Siedlung von Sarona in der Nähe von Tel-Aviv geboren. Er spricht fließend Hebräisch und kennt die Geschichte des Zionismus ebenso gut wie alle Persönlichkeiten, Einflüsse und Tendenzen der einzelnen Gruppen der zionistischen Bewegung.«
Die falschen Angaben stammten von Eichmann selbst, der hier sein Talent zur Selbstdarstellung einsetzte, das er als Verkäufer und Vertreter gelernt hatte. Er hatte tatsächlich begonnen, Hebräisch zu lernen, es aber bald aufgegeben, verstand etwas Jiddisch, doch sein Geburtsort war Solingen und nicht eine kleine deutsche Siedlung bei Tel Aviv. Sarona war eine Ende des 19. Jahrhunderts von deutschen Pietisten gegründete Kolonie. Die Mehrheit von ihnen begrüßte 1933 die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland.
Anfang 1940 übernahm Eichmann die Leitung des Referats IV D4 für jüdische Auswanderung beim Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Zu dieser Zeit gab es Pläne zur territorialen Umsiedlung der europäischen Juden in ein abgegrenztes Territorium. Ecuador, Venezuela oder Kolumbien waren mögliche Zielländer. Ab 1937 konzentrierte sich die Planung auf Madagaskar. Diese französische Kolonialinsel vor der Ostküste Afrikas, die größer als Deutschland war, hatte nur vier Millionen Einwohner.
Adolf Eichmann erhielt den Auftrag für eine »außenpolitische Lösung der Judenfrage«. Nach dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 begannen die Planungen. Es sollten vier Millionen Juden dorthin deportiert werden. Doch die Kontrolle des Mittelmeers durch die britische Flotte verhinderte die praktische Umsetzung. Auch in den USA waren Ideen zur Ansiedlung der europäischen Juden vorhanden. Innenminister Harold LeClair Ickes schlug vor, die durch die antisemitische Politik Hitlers gefährdeten Juden in Alaska anzusiedeln, um ihnen für die Dauer des Krieges Schutz zu gewähren. Doch der Kongress lehnte den Plan 1940 ab.
Die Strategie der Nazis wechselte hin zur physischen Vernichtung. Hierfür beschlossen am 22. Januar 1942 führende Vertreter des Dritten Reiches in einer Villa am Berliner Wannsee die »Endlösung der Judenfrage«. Protokoll führte Adolf Eichmann. Er wurde danach zum Koordinator aller interministeriellen Aktivitäten zur planvollen Vernichtung. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zogen hinter der Wehrmacht in die besetzten Ostgebiete ein und organisierten den Massenmord. In Wäldern wurden riesige Gruben ausgehoben, in denen die Opfer erschossen wurden. Nicht wenige wurden lebendig begraben. An nur zwei Tagen starben 33 771 Juden aus Kiew in Babi Jar, ermordet von der Einsatzgruppe C. In einem Wald bei Minsk wurden ab Mai 1942 Juden aus Deutschland, Tschechien, Polen und den Niederlanden umgebracht.
Eichmann wollte alles mit eigenen Augen sehen, besuchte Massenerschießungen, die Erprobung von Gaswagen, mit denen die Opfer durch die Einleitung der Abgase ermordet wurden, und immer wieder Vernichtungslager. Im KZ Auschwitz zeigte ihm der Kommandant Rudolf Höss erste Experimente mit Blausäure. Lappen, die mit dem Gift getränkt waren, wurden in die Räume mit den versammelten Juden geworfen. Eichmann notierte befriedigt: »Dieses Gift wirkte sofort tödlich.«
In die Vernichtungslager transportierte man zuerst die bis dahin in Ghettos festgehaltenen polnischen Juden. Bis Mitte 1942 entstanden die Lager Treblinka, Chełmno (Kulmhof), Sobibór, Bełżec, Majdanek und Maly Trostinez. Dorthin wurden auch die Bewohner der Ghettos in Weißrussland und der Ukraine gebracht. Das größte Vernichtungslager entstand 1942 in Auschwitz-Birkenau. Dort wurden Juden mit dem Giftgas Zyklon B vergiftet und anschließend in großen Krematorien verbrannt. Aus ganz Europa wurden Juden in Viehwaggons nach Auschwitz geschafft.
In Auschwitz-Birkenau II ermordete die SS von März 1942 bis November 1944 zwischen 900 000 und 1,1 Millionen Häftlinge; in Treblinka zwischen Juli 1942 und August 1943 mehr als 900 000 Inhaftierte; in Bełżec waren es 435 000 zwischen März und Dezember 1942; in Sobibór zwischen 150 000 und 250 000 im Zeitraum April 1942 bis Oktober 1943; in Kulmhof über 150 000 zwischen Dezember 1941 und Juli 1944; in Majdanek 78 000 zwischen Februar 1943 und Juli 1944 und in Maly Trostinez 60 000 Menschen zwischen Mai 1942 und Juni 1944.
Nach der Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad begannen die Verantwortlichen mit der Beseitigung von Spuren des systematischen Massenmords. In den Konzentrationslagern Kulmhof und Bełżec wurden die Leichen ausgegraben und verbrannt. Das Lager Treblinka machte man dem Erdboden gleich und bepflanzte es mit Bäumen. Im Rahmen der »Sonderaktion 1005« wurden viele Massengräber der Opfer der Einsatzgruppen geöffnet und die Leichenteile zermahlen und verbrannt. Nach der Schließung von Konzentrationslagern im Osten im Rahmen des Rückzugs deutscher Truppen trieb man die Häftlinge auf Todesmärschen westwärts. Aus dem KZ Stutthof bei Danzig mussten 17 000 Häftlinge und aus Auschwitz 58 000 Häftlinge auf diese Weise wochenlang marschieren. Nur 1500 überlebten. Ab Februar 1945 vernichteten die Behörden systematisch belastende Dokumente.
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Rotarmisten an den Verbrennungsöfen in Majdanek, nach der Befreiung im Juli 1944
Adolf Eichmann erhielt 1944 den Auftrag, »die ungarischen Juden aus dem öffentlichen Leben auszuschalten und zu konzentrieren, danach zu deportieren und sie mit Ausnahme der voll Arbeitsfähigen zu vernichten«. Das »Sondereinsatzkommando Eichmann« deportierte in zehn Wochen 437 000 ungarische Juden. Aber nicht alle.
Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit erhielt Eichmann vom zionistischen Hilfs- und Rettungskomitee (Wa’ada Esra weHazala) das Angebot zum möglichen Freikauf der zur Deportation bestimmten Juden. Eichmann ließ sich auf einen Handel ein: Die SS sei bereit, das Leben einer Million Juden zu schonen. Im Gegenzug müssten sie 10 000 Lastwagen finanzieren. Joel Brand reiste als Vertreter der Wa’ada nach Istanbul, um den Handel mit den Alliierten abzusprechen. Die Alliierten lehnten das Angebot ab, und die Briten verhafteten ihn als deutschen Spion.
Der Leiter der zionistischen Organisation, Rezsö Kasztner, setzte die Verhandlungen ungeachtet dessen fort. Schließlich erreichte er die Auswanderung von 1700 Juden zum Preis von 1000 Reichsmark pro Person. Sie wurden zunächst ins niedersächsische KZ Bergen-Belsen (Kreis Celle) gebracht und von dort in die Schweiz. Es gelang Kasztner auch, Tausende von Budapest ins österreichische Strasshof bei Wien statt nach Auschwitz zu bringen.
Erst nach Kriegsende wurden die ungeheuerlichen Dimensionen der Mordaktionen bekannt. Doch viele Jahrzehnte war es schwer, die exakte Zahl der Toten zu ermitteln – nicht zuletzt, weil die Täter versucht hatten, alle Spuren zu vernichten. Heute gilt eine Gesamtopferzahl zwischen 5,6 und 6,3 Millionen ermordeter jüdischer Menschen als realistisch.
Adolf Eichmann, einer der wenigen überlebenden Verantwortlichen der Vernichtung der europäischen Juden, war sich vollkommen seiner Schuld bewusst. Dem Judenreferenten der Gesandtschaft Budapest und Verbindungsmann Eichmanns Horst Theodor Grell sagte er 1944, für die Feinde sei er der »Kriegsverbrecher Nummer 1«, weil er sechs Millionen Menschen auf dem Gewissen habe. Doch verantwortlich gemacht werden konnte er zunächst nicht, denn er verschwand bei Kriegsende von der Bildfläche. Zunächst tarnte er sich als Kriegsgefangener »Adolf Karl Barth«.
Jeder SS-Mann trug die Tätowierung seiner Blutgruppe unter dem linken Oberarm. Deshalb verwandelte sich Eichmann in SS-Untersturmführer (Leutnant) Otto Eckmann. Die Alliierten führten ehemalige KZ-Häftlinge in die Lager, um ihre Peiniger zu identifizieren. Eichmann erinnerte sich an diese gefährlichen Besuche: »Sie sind genau die Reihen abgegangen und haben jedem von uns in die Schnauze geschaut, nicht wahr, mir auch in die Fresse, nicht wahr, immer schön fröhlich.«
Um der Entdeckung zu entgehen, floh er und lebte zunächst in Altensalzkoth in der Lüneburger Heide unter dem Namen »Otto Heninger«. Dort arbeitete er als Holzfäller und Waldarbeiter, dann übernahm er eine Hofstelle zum Verkauf von Eiern und Geflügel. Er lebte keineswegs abgeschieden, sondern war Teil der Dorfgemeinschaft. Technisch versiert reparierte er elektrische Geräte, gab den Kindern Nachhilfeunterricht und spielte auf seiner Geige Mozart, Schubert, Bach und Beethoven.
Die Alliierten hatten kein Bild von Eichmann. Den Agenten der US-Spionageabwehr CIC erzählte seine Frau Vera, schon im März 1945 habe sie sich scheiden lassen und ihren Mädchennamen angenommen. Im April 1947 stellte sie in Bad Ischl den Antrag, Adolf Eichmann für tot erklären zu lassen. Er sei im April 1945 in Prag bei Kämpfen ums Leben gekommen. Als sie mit zwei eidesstaatlichen Versicherungen konfrontiert wurde, wonach Eichmann im Mai in Altaussee gesehen wurde, zog sie den Antrag wieder zurück und damit erst recht die Aufmerksamkeit auf sich. Eichmann wurde klar, dass er besser aus Deutschland verschwinden sollte.
In seinen Erinnerungen heißt es: »Ich wusste, dass in diesem ›Gelobten Land‹ Südamerikas einige gute Freunde darauf warteten, mir helfen zu können. Freunde, denen ich offen, frei und stolz sagen konnte, dass ich Adolf Eichmann, früherer SS-Obersturmbannführer bin.« Horst Carlos Fuldner besorgte ein Kurzvisum für Argentinien und eine Identitätsbescheinigung der Südtiroler Gemeinde Tramin auf den Namen »Riccardo Klement«. Zeitgleich wurden auch für den KZ-Arzt Josef Mengele und den Chefadjutanten von Heinrich Himmler, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Ludolf von Alvensleben vom selben Amt derartige Papiere ausgestellt.
Eichmann besorgte sich noch ein Leumundszeugnis des Franziskanerpriesters Edoardo Dömöter und stellte beim Internationalen Roten Kreuz in Genua den Antrag auf einen Reisepass. Sein Foto und das seiner Reisegefährten Mengele und Alvensleben waren professionell und stellten dank der Arbeit eines Maskenbildners ganz harmlose Zivilisten dar, Eichmann mit runder Brille, Anzug und Fliege.
Während sich Eichmann mit seinen Reisegefährten in Genua auf der Giovanna C nach Buenos Aires einschiffte, rätselten seine Verfolger noch immer, wo er abgeblieben sein konnte. Simon Wiesenthal, Überlebender des KZ Mauthausen, forschte seit Kriegsende intensiv nach den Tätern, gründete das Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien. Er schrieb 1947: »Eichmann, der Judenfeind Nr. 1, befindet sich noch immer nicht in Haft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser größte aller Verbrecher infolge seiner Kenntnisse der jiddischen und hebräischen Sprache von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich eventuell als jüdischer DP (Displaced Person) in einem Lager zu tarnen oder sogar als illegaler zionistischer Einwanderer in den Nahen Osten zu seinen arabischen Freunden zu entkommen sucht.«
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Einwanderungspapiere für Adolf Eichmann
In Buenos Aires holten ihn Abgesandte von Carlos Fuldner ab. Er erhielt Unterkunft in einer Pension und argentinische Identitätsbescheinigungen auf den Namen Ricardo Klement (das zweite c des Vornamens fiel dabei weg). Eine weitere Änderung war sein neues Geburtsdatum – er war jetzt sieben Jahre jünger. Seine erste Arbeitsstelle wurde eine Metallwerkstatt. Hier traf er auf einen Berater von SS-Obergruppenführer Hans Kammler.
Schon bald kam »ein früherer Untersturmbannführer der Waffen-SS und teilte mir mit, ›die Organisation‹ habe für mich eine Stelle besorgt. Eine neue Firma, deren Leitung sich aus Argentiniern und Deutschen zusammensetzte, sollte in der Stadt Tucumán am Fuße der Anden im Norden des Landes ein Wasserkraftwerk zur Stromversorgung aufbauen. Und ich sollte in der Geschäftsleitung den Posten eines Organisationsleiters übernehmen«, schrieb Eichmann in seinen Erinnerungen.
Die »neue Firma« war die CAPRI von Fuldner & Co. Bei CAPRI traf Eichmann auf alte Bekannte. Einer von ihnen war SS-Brigadeführer Dr. Hans Fischböck. Er wurde nach Kriegsende sowohl in Österreich als auch in den Niederlanden gesucht. Zunächst hatte er nach dem »Anschluss« als Minister für Handel und Verkehr maßgeblich für die Plünderung des Eigentums jüdischer Österreicher gesorgt, dann als Generalkommissar für Finanzen und Wirtschaft die Niederlande ausgeraubt.
Fischböck organisierte den Diebstahl von Kapital und Gütern. Jüdische Unternehmen wurden zugunsten des Deutschen Reiches enteignet, Aktien, Schmuck, Gold und Bankkonten beschlagnahmt. Durch ihn gelang es niederländischen Juden aber auch, aus dem Land zu fliehen – wenn sie vermögend waren. Diesen »Angebotsjuden« ermöglichte Fischböck in Absprache mit Adolf Eichmann bei Zahlung eines Lösegeldes durch Verwandte im Ausland die Flucht. In Argentinien lebte er zunächst unter dem Namen »Jakob Schramm« und war beim CAPRI-Hauptbüro in Buenos Aires angestellt.
Ein Wiedersehen gab es auch mit Erich Rajakowitsch, den Eichmann 1938 für die Wiener Zentralstelle zur Vertreibung der Juden angeworben hatte. Der Rechtsanwalt arbeitete später als sein juristischer »Judenberater« und war ab 1941 in Holland für die Deportation von 100 000 Juden verantwortlich, bevor er zur Waffen-SS an die Ostfront ging.
In Wien stellte Vera Eichmann derweil bei der deutschen Botschaft den Antrag auf Reisepässe für sich und ihre drei Kinder. Obwohl sie gebürtige Österreicherin war, hatte sie durch ihre Heirat mit Adolf Eichmann Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Hatte sie im Verhör zuvor ausgesagt, seit März 1945 von ihrem Mann geschieden zu sein, war nun keine Rede mehr davon. Mit ihren neuen Pässen erhielt sie ein argentinisches Visum und kam mit den Kindern Ende Juli 1952 nach Buenos Aires. 1953 meldete sich die wiedervereinte Familie in der argentinischen Hauptstadt an und mietete das Haus Chacabuco 4261 im Stadtteil Olivos.
Während viele Nazieinwanderer nach dem Sturz von Staatschef Perón Argentinien verließen, blieb Eichmann im Land. Er übernahm 1956 eine Kaninchenfarm in Joaquín Gorina, eine Autostunde von Buenos Aires entfernt. Die Angorakaninchen lieferten Wolle, aber auch Dünger, denn ihr Kot enthielt hochkonzentrierten Stickstoff, Phosphat und Kali. Zeitgleich begann Eichmann mit dem Schreiben seiner Erinnerungen. Das Ziel erklärte er seiner Frau so: »Dieses Buch wird mich verteidigen. Das soll ein Buch werden, und das wird meine Verteidigung sein, und ich gehe dann nach Deutschland und stelle mich.« Die milden Strafen gegen führende Nazis in der neuen Bundesrepublik hatten ihn offenkundig zu der Annahme gebracht, auch er könne mit seiner Familie zurück in die Heimat reisen. Deshalb schrieb er selbstbewusst: »Ich, der ich im Gegensatz zu meinen ehemaligen Kameraden noch sprechen kann und jetzt sprechen muss, schreie es in die Welt hinaus: Auch wir Deutsche taten nur unsere Pflicht und sind nicht schuldig!«
Hatte sich in den Jahren in Argentinien niemand an seiner Anwesenheit gestört, so begannen doch in der Bundesrepublik Nachforschungen, wo der Organisator des Holocaust abgeblieben war. Das hing zusammen mit der Ernennung von Fritz Bauer zum hessischen Generalstaatsanwalt. Der Jurist war einst zum jüngsten Amtsrichter der Weimarer Republik ernannt worden und von den Nazis inhaftiert und ins KZ Kuhberg bei Ulm gebracht worden. Nach seiner Freilassung emigrierte er 1936 nach Dänemark. Als 1943 die Deportation der dänischen Juden ins KZ Theresienstadt begann, floh er ins benachbarte Schweden, wo er mit Willy Brandt die Zeitschrift Sozialistische Tribüne gründete.
1949 übersiedelte er nach Westdeutschland, wo er einer der herausragenden Juristen wurde. Als Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunsch...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Halbtitel
  3. Titelseite
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Prolog
  7. Argentinien
  8. Deutsche Organisieren Argentiniens Armee
  9. »Auf Nach Argentinien!«
  10. Das »Niederträchtige Jahrzehnt«
  11. Parteigenossen am Río de la Plata
  12. Juden in Argentinien
  13. Der »Patronenkönig« Zwischen den Fronten
  14. Der Einfluss der Nazis Wird Zu Stark
  15. Die Frühe Planung Des Nächsten Krieges
  16. Panzerkreuzer Admiral Graf Spee am Río de la Plata
  17. Argentinien Wird zur Spionagezentrale der Nazis
  18. Das Militär Übernimmt Wieder die Macht
  19. Peróns Kampf um die Massen
  20. Die Nazis Planen die Nachkriegszeit
  21. Wo Ist Adolf Hitler?
  22. Die Deutschen »Wunderwaffen«
  23. Peróns Werben um Deutsche Techniker
  24. Die »Rattenlinien«
  25. Zuckerbrot und Peitsche
  26. Eva Perón – Die Präsidentin der Besitzlosen
  27. Rassenpolitik am Río de la Plata
  28. Das »Kameradenwerk« in Buenos Aires
  29. Peróns Sensation – Peróns Blamage
  30. Tod Einer Heiligen
  31. Der Abstieg
  32. Der Putsch
  33. Adolf Eichmann: der »Kriegsverbrecher Nr. 1«
  34. Epilog
  35. Editorische Nachbemerkung
  36. Abbildungsnachweis
  37. Der Autor