Zweites Grab, halber Preis
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Zweites Grab, halber Preis

Eine Geschichte vom Leben und Sterben

  1. 176 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Zweites Grab, halber Preis

Eine Geschichte vom Leben und Sterben

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Der Ehemann einer niederländischen Publizistin in Berlin ist gestorben. Sie hat ihn auf einem kleinen Friedhof in der Nähe ihrer Wohnung begraben. In dem Jahr, das folgt, verbringt sie viel Zeit auf dieser Insel mitten im hektischen Ostberliner Kiez. "Insel"? Der Friedhof offenbart sich als ein Mikrokosmos der Großstadt. Er wird zum Schauplatz spannender, heiterer und bisweilen auch schwer erträglicher Ereignisse, interessanter Begegnungen und tiefgreifender Überlegungen über Liebe und Tod wie auch über die eigene Sterblichkeit. Sie staunt zudem über die Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden im Umgang mit dem Tod, den Ritualen des Begrabens und den Gepflogenheiten auf dem Friedhof. Sie entdeckt allmählich aber auch, wie sie, parallel zu ihrer Trauerverarbeitung, Neugier und gar Freude aus den Geschichten der Lebenden und der Toten schöpft. Sogar neue Freundschaften entstehen. Der kleine Friedhof wird zu einem Ort voll lustiger, ärgerlicher und ergreifender Geschichten.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783359500964
Sommer
Männertreu blüht auf Antoines Grab, das sehe ich gerne. Noch viel mehr blüht, wie lila Malven und dito Campanula. Letztere wachsen in einem Büschel bei Antoines Kopf, so als hätte er einen sich kringelnden Strauß aus lila Haaren.
Ein peinlicher Irrtum
An einem frühen Sommertag mache ich einen peinlichen Fehler. Ich sehe, und vor allem höre ich, zwei ältere »Rocker«-Typen, eine Frau und einen Mann, dazu noch einen Hund. Auf dem Bänkchen bei der naheliegenden Gilsenbach-Grabstätte machen sie es sich gemütlich, Bierchen, lautes Gelächter. Sicherlich zwei Berliner von weit weg, die hier, im Schatten der Bäume, den geeigneten Ort zum Chillen gefunden haben. Passiert ja öfter.
Die Tatsache, dass die beiden in Bälde angenehme Bekannte werden sollen, sagt mehr über ihre Toleranz aus als über meine. Denn der Wind trägt ihr Gespräch und vor allem ihr Gelächter verstärkt in meine Richtung. Und wie das so ist, wenn man sich einmal ärgert, schaukelt sich der Unmut immer mehr auf. Also gehe ich auf die beiden zu: Hallo liebe Leute, das hier ist ein Friedhof, ein Ort zum Trauern, könnt ihr bitte ...
Die Frau guckt mich unbewegt an und antwortet: »Ja, ist mir schon bekannt. Mein Sohn liegt hier. Und meine Mutter liegt hier auch.« Da stehe ich nun, schlagartig sprachlos, und murmele eine Entschuldigung. Gabi Gilsenbach und ihr Kumpel Steini – aber ihre Namen kenne ich in dem Augenblick noch nicht – reagieren nicht mal verärgert; »Ja ja«, »Is schon jut.«
Ich kehre zu Antoine zurück. Die beiden bemühen sich nun wirklich, etwas leiser zu sein. Als sie aufbrechen, gehe ich nochmals auf sie zu und sage abermals sorry. Dass ich es nicht böse gemeint habe. Und dass ich wohl überempfindlich für Lärm und lautes Gelächter geworden bin, weil mein Mann hier seit dem Herbst liegt. Eigentlich finde ich es schön, hier auf Menschen etwa meines Alters zu treffen, die ihre Verstorbenen feiern, wie auch immer. Nette Blicke voller Einverständnis. Und das beiderseitige Versprechen, hier das nächste Mal gemeinsam ein Bierchen zu trinken.
Der Totenkopf
Ein verheerender Hagelsturm mitten im Sommer: Eine Stunde danach finde ich noch eine dicke Eisschicht auf meinen Balkonpflanzen vor. Zögernd radele ich zum Friedhof; zögernd wegen der eisigen Straßen, aber noch mehr aus Angst vor dem, was ich dort antreffen werde.
Der Sturm und die heftigen Niederschläge haben tatsächlich eine Spur der Verwüstung auf den Gräbern hinterlassen. Nicht nur mein junger Grabgarten bietet einen zerschundenen Anblick. Die Hagelkörner haben überall auf dem Friedhof größere Blätter durchschlagen, und alles kleine Grün liegt platt. Wenigstens ist Antoines Grab, obwohl die Erde noch wenig gefestigt ist, nicht abgerutscht. Das Blätterdach der Bäume hat wohl einen Teil der Gewalt abgefangen.
Wilhelm ist kurz nach Antoine gestorben. Ich spaziere zu seinem Grab, das auf einem offeneren Teil des Friedhofs liegt. Dort schaue ich in eine unheimlich gähnende Leere. Wo vorher das Grab war, sehe ich in ein Loch. Die Erde ist vollständig abgesackt. Der Sarg ist aber noch verborgen geblieben.
Aus der Tiefe habe ich gerade, auf dem Bauch liegend, das Namensschild geborgen und wieder hingestellt, als Wilhelms junge Witwe eintrifft.
Wir kennen uns schon. Sie wusste von nichts, so örtlich begrenzt war der Hagelsturm. Ihr Leben war schon genug aus den Fugen geraten, aber bei diesem neuen Schrecken ist sie nun zufällig nicht allein.
»Meinst du, dass der Sarg auch zerstört ist?«, fragt sie ängstlich. Bestimmt nicht, antworte ich, nur eine Menge Erde und Sand sind verschoben. Ich will sie beruhigen; in Wirklichkeit habe ich keine Ahnung.
Dann erzählt sie, dass sie kürzlich auf einen menschlichen Schädel gestoßen ist. »Ich habe die Pflanzen etwas tiefer eingraben wollen, und dann kam der Totenkopf zum Vorschein. Wirklich so einer mit leeren Augenhöhlen. Und dann habe ich noch mehr Knochen gefunden. Ich habe gedacht, vielleicht ist hier jemand illegal begraben worden, und überlegt, ob ich zur Polizei gehen soll.«
Der Schädel könnte zu einem der vielen Toten am Kriegsende gehören, merke ich an. Menschen, die man hier schnell und massenhaft hatte beerdigen müssen. Aber naheliegender ist, dass er zu einem in der DDR Verstorbenen gehört. Wieso illegal? Womöglich sind die irdischen Überreste, also was noch an Knochen übrig war, einfach auf ewig auf dem Friedhof geblieben.
Komisch, denke ich, nun habe ich zum zweiten Mal in zehn Minuten eigentlich keine Ahnung, in diesem Fall davon, was bei einer Grabräumung passiert. Sollte ich mal nachfragen. Dennoch quassele ich »ein Ende weg«, wie wir in Holland sagen, also ich rede drauflos, was vermutlich eine typisch holländische Angewohnheit ist. Würde ein durchschnittlicher Deutscher nicht schneller mal »Ich weiß nicht« antworten? Hmm ... aus Erfahrung habe ich da doch meine Zweifel, zumindest was Berliner angeht.
»Na ja, zur Polizei bin ich schließlich nicht«, fährt Wilhelms Witwe fort. »Ich habe den Totenkopf wieder begraben, allerdings ein Stück weiter.«
Sie kommt mit zu Antoine und schaut auf sein nagelneues Grabmal. Nicht mal dieser Findling, 44,5 Kilo schwer, ist in die Tiefe gerutscht. Der Felsbrocken stammt aus der niederländischen Provinz Drenthe, wo auch die berühmten Hünengräber aus der Steinzeit liegen. Wer weiß, vielleicht ist der Findling so alt wie jene berühmten Steine. Freunde haben ihn gefunden und die Last liebevoll hierher geschleppt.
Ich kenne das Gewicht und noch viele weitere Details in dem für mich bis dahin unbekannten technisch-deutschen Fachjargon, weil alles in ein Formular eingetragen werden musste. Denn kaum lag der Stein da, bekam ich einen Brief aus dem Verwaltungsbüro über die illegale Platzierung eines Grabmals, zusammen mit dem Formular.
Das auszufüllen hat mir Kopfzerbrechen bereitet. Alles war bis auf den Millimeter genau zu beantworten, auch zum Messingschildchen auf dem Findling und wo genau es angebracht worden ist. Irgendwie habe ich mithilfe von Wörterbuch, Lineal und Google alle Hürden bewältigen können, vermutlich weil ich zugleich das geforderte Geld überwiesen habe. Wissen Deutsche eigentlich, was mit der gefragten »Stärke« gemeint ist? Ich habe zwischen »Länge« und »Dicke« gezögert und bestimmt falsch ausgefüllt.
Die Sache mit dem Schädel fesselt mich weiterhin. Ich habe tatsächlich auch einmal Knochenstücke in der Graberde gefunden. Nun war Biologie nicht gerade mein Lieblingsfach, und ich konnte unmöglich sagen, ob sie von einem Menschen stammten. Wenn ja, wär es mir auch egal gewesen. Wohin, wenn nicht hierher, gehört das Gebein?
Die seltenen Male, dass hier ein frisches Grab ausgehoben worden ist, mit Metallplanken abgedeckt noch auf einen Toten wartend, schaue ich mit einem schier satanischen Vergnügen an der Abdeckung entlang.
Die obere Hälfte des Lochs, schätzungsweise bis in anderthalb Meter Tiefe, wird mit Metallplatten vor Einsturz geschützt. In der unteren Hälfte, dort in der Tiefe, wo der Sarg hinkommt, kann man mitunter richtige Erdschichten unterscheiden. Da schaut auch mal ein Knochen raus. Einmal konnte ich die steinernen Fundamente einer Gruft erkennen. Auf diesem Keller hat vielleicht vor hundert Jahren mal ein Grabhäuschen gestanden.
Das ist Recycling des Friedhofsbodens in Perfektion. In diesen Zeiten der ständig proklamierten Nachhaltigkeit kann man auf bestimmten Todesäckern gar die Patenschaft für ein schönes altes Grab übernehmen, um sich selber dort später buchstäblich »beisetzen« zu lassen – bevorzugt in der Grabstätte eines berühmten Berliners.
Gequälte Seelen
»Ja, ein Viertelstündchen hätte ich schon«, sage ich. Gabi Gilsenbach schenkt mir ein Bierchen. Es ist einige Wochen nach unserem etwas unglücklich verlaufenen Kennenlernen. Stunden später sitzen wir immer noch beisammen, auf dem Bänkchen bei ihrem Familiengrab, mit Aussicht auf das Grab meines Antoine.
In diesen hochsommerlichen Stündchen wird mir wieder bewusst, was ich eigentlich schon wusste aus der Zeit um Antoines Tod, oder eigentlich auch vorher schon, seit dem Tod des Kleinkinds meiner guten Freunde: Das Lachen gehört zum Trauern dazu, ist sogar recht wesentlich. Ohne Lachen und Scherzen, Saufen und Rauchen wird das Leid bisweilen unerträglich. Und bitte auch etwas zum Knabbern dazu.
Gabi und ich besorgen uns noch von alledem. Und zum ersten Mal ist mir auf dem Friedhof irgendwie recht gemütlich zumute, quasi wie zu Hause. Dann traue ich mich, ihr meine drängende Frage zu stellen: Der Himmel hat zwei Engel mehr?
»Ja, dieses Holzdenkmal hat er gemacht«, sagt sie. »Er wollte unbedingt neben Stefan liegen. Er hatte diese Stelle für sich reserviert, also sein eigenes Grab.«
»Er«: der Thomas Engels? Das stand ja auf dem Schildchen, das halb unter der Erde liegt.
»Ja, er, also Tommy, war in Stefan verliebt, vermuten wir wenigstens. Stefan war offenbar auf das Dach seines Hauses geflüchtet, er hat hier gegenüber in der Straße gelebt. Vielleicht gab es dort auf dem Dach einen Streit zwischen den beiden. Wie auch immer, Stefan ist vom Dach gestürzt.« Das hatte in der Nacht des 17. Februar 2006 stattgefunden. »Die Staatsanwaltschaft hat Stefan dreimal obduzieren lassen, dann, im März, durften wir ihn endlich begraben.« Die Staatsanwaltschaft hätte die Geschichte niemals endgültig aufklären können, fährt Gabi fort. Ein Mordverdacht ließ sich nicht bestätigen. »Vermutlich hat die Straßenbahn Stefan noch überfahren und mitgeschleift. Die Polizei fand ihn mitten auf der Fahrbahn. So weit von seinem Haus konnte er gar nicht gefallen sein. Wir werden es nie wissen.«
Der Berliner Kurier dagegen wusste es schon am 18. Februar: »Stefan (27) verblutete...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhalt
  2. Herbst
  3. Winter
  4. Frühling
  5. Sommer
  6. Wieder Herbst
  7. Epilog
  8. Verantwortung und Dank