Sebastian Seidel
Jakob Fugger Consulting
Theater-Monolog
/ Man sieht Jakob Fugger über Video in der katholischen Fugger-Kapelle der evangelischen St. Anna-Kirche andächtig beten, die er dann verlässt. Auf der Bühne befindet sich Fuggers Einzimmerwohnung (wie in einem Altenheim). Ein Tropf steht herum. Überall Tabletten. Nach einer Weile klingelt das Telefon. Fugger kommt langsam in seine Wohnung. Das Videobild wechselt zu einem überdimensionalen Selbstportrait, mit dem er regelmäßig Zwiesprache hält. /
/ Fugger telefoniert /
Ja?
Ja, gut.
Sehr gut.
Kaufen, unbedingt Kaufen.
Das wird die allerletzte Krönung meines langen Lebens.
Schlechter Aufbau, aber gute Substanz.
Wir nehmen alles.
Ja, alles.
Ohne Rücksicht.
Bedingungslos.
Höchstens eine Milliarde.
Allerhöchstens.
Aber nein, natürlich nicht.
Nicht auf unseren guten Namen.
Niemals.
Immer einen Strohmann benutzen.
Häppchenweise.
Niemand darf erfahren, wer wirklich dahinter steckt.
Niemand!
Hast Du das verstanden!?
Ja, ja, ich bin mir sicher, dass du deine Sache sehr gut machst!
Ja, du bist das größte Talent in unserer ganzen Familie!
Ein hervorragender Schauspieler.
Sehr authentisch!
Bis dann.
Ciao.
/ Fugger legt auf /
So ein Dilettant. So ein Versager. Wieder einer von meinen unrühmlichen Nachkommen, die sich mit Titeln schmücken, aber vom Geschäft keine Ahnung haben. Nicht die geringste. Der Name Fugger ist doch viel zu verdächtig. Der treibt doch nur den Preis in die Höhe. Anfänger! Wenn ich nicht wäre, wenn ich nicht aus dem Untergrund die wichtigsten Fäden in der Hand behielte, würden die alle längst am selbstgewebten Hungertuch nagen! Ausnahmslos. Alle!
Zwar habe ich mich offiziell seit fast fünfhundert Jahren vom sogenannten operativen Geschäft zurückgezogen und viele Nachfolger kommen und gehen gesehen. Aber insgeheim bin ich noch immer der Chef, eine Art Aufsichtsrat. Oder modern ausgedrückt, ich bin der Consultant meiner eigenen Firma, die sich ganz diskret weltweit vernetzt hat. Der Schlüsselhierarch. Der Coach außerhalb des Systems, der nur für wenige Eingeweihte zum Imperium gehört, die Kontakt mit mir halten. Ein ungeheuer erfolgreiches Konzept. Jahrhunderte lang. Kaum zu glauben, was für ein sagenhaftes Vermögen sich über ein halbes Jahrtausend aufbauen lässt. Unübertreffbar! Gigantisch!
Aber auf einmal kriselt es an allen Ecken und Enden. Geheime Informationen werden verraten. Tarnungen entschlüsselt. Menschen verstrahlt. Konkurrenz kommt auf. Tycoons. Oligarchen. Aggressive Fonds. Globale Heuschrecken, frei von jeglicher Moral, mit gewaltiger Dynamik, gegen die ich nicht mehr gewachsen scheine. Zu wenig neue Energie strömt in meinen alten Körper. Zu viele verwerfliche Gedanken durchziehen mein Gehirn, die ich niemals zulassen wollte, niemals! Aber noch darf nicht sein, was unweigerlich irgendwann kommen wird. Noch gibt es was zu erledigen. Ich muss meine Kräfte bündeln. Es wird Zeit, dass ich noch einmal zurückkomme, um wenigstens diese Stadt zu bereinigen. In meinem Alter wird mir immer klarer, dass es doch nur einen einzigen Flecken auf dieser Erde gibt, um den es sich zu kämpfen lohnt. Die Heimatstadt. Diese einst so mächtige und jetzt so erbärmliche Stadt Augsburg. Noch bin ich nicht tot. Noch nicht! Was haben hier nicht alles für weltgeschichtliche Ereignisse stattgefunden! Champions League. Und nun? Eine endlose Fallstudie. Nichts Großartiges mehr. Nichts. Überhaupt nichts! Keine einzige erste Geige. Siege gegen München sind schon eine Sensation. Peinliches Gegurke. Aber das wird sich ändern. Lange genug habe ich zugeschaut. Carpe Diem. Pflücke den Tag, wie der Lateiner sagt. Oder neumodisch: Ab jetzt wird wieder …
/ Telefon klingelt wieder /
Ja?
Was gibt’s?
Nein, nein und noch mal nein.
Nnnnneeeeiiiinnn!
Hundert Euro.
Gemeinnützig.
Als Spende!?
Niemals.
Nicht von mir.
Hab ich nicht schon genug gestiftet!?
Aber das habe ich dir doch schon tausend Mal erklärt!
Wir sind nicht die Caritas!
Wir sind die Fugger!
Ciao.
/ Fugger legt auf /
Pack, ein einziges Pack. Freunde. Verwandte. Bekannte. Protestanten. Calvinisten. Lutheraner. Politiker. Lobbyisten. Gewerkschafter. Maler. Bildhauer. Schauspieler. Und wie sie alle heißen. Sollen doch schauen, wo sie bleiben. Es gibt nur einen rechten Glauben, für den es sich zu zahlen lohnt. Dafür brauche ich keine modernen Künste, keine Parteien und Gewerkschaften, keine Vereine und Stiftungen. Nur einen einzigen. Die allein selig machende heilig-römische, katholische Kirche. Für sein persönliches Seelenheil kann man nicht genug opfern. Sonst kommt man nie in den Himmel Und bleibt für immer in dieser Hölle …
/ Telefon klingelt wieder /
Ah, was nun schon wieder!? Seit einiger Zeit bin ich nicht mehr sicher. Meine wahre Identität steht auf dem Spiel. Meine Telefonnummer sickert auffällig oft durch alle „firewalls“, obwohl sie jeden Tag neu verschlüsselt wird. Eine Schwachstelle im System, die es nicht geben darf! Ich werde von fremden Menschen belästigt, die mich für einen Zapfhahn halten, ohne zu wissen, was für ein gefährliches Gebräu aus mir heraussprudelt!
/ Telefon klingelt weiter /
Wenn sich doch bereits am Klingelton erkennen ließe, was der Anruf bringt!? Weiß oder schwarz. Gut oder schlecht. Gewinn oder Verlust. Rendite oder Bettelei. Christ oder Muselmann. Freund oder Feind.
/ Telefon klingelt weiter /
Sogenannte moderne Kommunikation. Telefon, Computer, Internet und was weiß ich noch alles. Ein Segen, um Geld zu verdienen, um schneller als alle anderen zu handeln, um die besten Geschäfte zu machen, um Jakob Fugger zu sein.
/ Fugger nimmt ab /
Ja!? NEIN!!
/ und legt auf /
Aber auch ein Albtraum, um Geld zu verlieren, um angebettelt zu werden, um Zeit zu verschwenden. Nichts lässt sich mehr verheimlichen. Ständig will jemand etwas von mir. Wissend oder unwissend, wer ich in Wirklichkeit bin. Alle stellen sie Forderungen, Ansprüche. Um mich herum nur Bittsteller. Tausende von Bittstellern, die es nur auf mich und mein Geld abgesehen haben, als ob i...