Jahrmarkt der Eitelkeit, Band 2
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Jahrmarkt der Eitelkeit, Band 2

  1. 333 Seiten
  2. German
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Jahrmarkt der Eitelkeit, Band 2

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Begegnen Sie mit diesem Roman der Londoner Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts! Im Zentrum der Handlung stehen dabei die beiden Protagonistinnen Amelia und Becky, die auf ganz unterschiedliche Weise als junge Frauen ihr Leben zu jener Zeit gestalten. Autor William Makepeace Thackeray verfasste mit "Jahrmarkt der Eitelkeit" (im Original: "Vanity Fair, or, a Novel without a Hero") einen amüsanten Gesellschaftsroman, der bis heute zu einem der meistgelesenen Werke der englischsprachigen Literatur zählt. Dies ist der zweite Band einer zweiteiligen Ausgabe.-

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Information

Jahr
2022
ISBN
9788728353387

51. Kapitel

In dem eine Scharade aufgeführt wird, die dem Leser Rätsel aufgibt – oder auch nicht
Nach Beckys Auftritt bei den privaten und auserlesenen Empfängen Lord Steynes erkannte man die Ansprüche der schätzenswerten Frau auf die vornehme Gesellschaft an, und einige der bedeutendsten und größten Türen der Hauptstadt öffneten sich ihr schnell – Türen, so bedeutend und groß, daß der geneigte Leser und der Verfasser vergeblich hoffen dürften, sie jemals zu durchschreiten. Teure Brüder, laßt uns vor diesen erlauchten Portalen erzittern. Ich stelle sie mir vor, bewacht von Kammerdienern mit feurigen silbernen Gabeln, mit denen sie alle die aufspießen, die unberechtigt eintreten wollen. Es heißt, der ehrliche Zeitungsberichterstatter, der in der Halle sitzt und die Namen der vornehmen Gäste niederschreibt, sterbe nach kurzer Zeit. Er kann den Glanz der großen Welt nicht lange ertragen. Dieser Glanz verbrennt ihn, wie die Erscheinung Jupiters in vollem Staat die arme, törichte Semele verzehrte – ein vorwitziger Falter, der zugrunde geht, weil er sich aus seiner natürlichen Umgebung herauswagte. Diese Sage sollten sich die Tyburnier und die Belgravier zu Herzen nehmen – ihre Geschichte und vielleicht auch die Beckys. Ach, meine Damen, fragen Sie Ehrwürden Mr. Thurifer, ob Belgravia nicht ein tönendes Erz und Tyburnia eine klingende Schelle ist! Es sind alles eitle Dinge. Auch sie werden vergehen. Und eines Tages (aber Gott sei Dank erst nach unserer Zeit) wird der Hyde Park ebenso unbekannt sein wie die berühmten Gartenvorstädte von Babylon und der Belgrave Square ebenso einsam und öde wie die Baker Street und Tadmor in der Wüste.
Wissen Sie, meine Damen, daß der große Pitt in der Baker Street gewohnt hat? Was hätten nicht Ihre Großmütter darum gegeben, zu Lady Hesters Gesellschaften in dem jetzt verfallenen Haus geladen zu werden! Ich habe darin gespeist – moi, qui vous parle. Ich bevölkerte das Zimmer mit den Geistern der mächtigen Toten. Als wir mit Männern von heute ernsthaft beim Rotwein dort saßen, kamen die Geister der Verstorbenen und nahmen ihre Plätze an der düsteren Tafel ein. Der Steuermann, der dem Sturm trotzte, stürzte große Becher gespenstischen Portweins hinab, der Schatten von Lord Dundas ließ nicht die Spur einer Nagelprobe im Glas. Addington saß da und verbeugte sich mit unheimlichem Lächeln und hielt nicht zurück, als die geräuschlose Flasche kreiste. Scott zwinkerte unter seinen buschigen Augenbrauen, als ein uralter Portwein kam; Wilberforces Augen waren zur Decke gerichtet (und so schien er nicht zu wissen, wie er sein Glas voll zum Munde hob und leer wieder absetzte), zu jener Decke, die gestern noch über uns war und zu der die Großen der vergangenen Tage alle emporgeblickt haben. Das Haus wird jetzt möbliert vermietet; ja, Lady Hester wohnte einst in der Baker Street und schläft jetzt in der Wüste. Eothen hat sie dort gesehen – nicht in der Baker Street, sondern in der anderen Einsamkeit.
Sicher, es ist alles Eitelkeit, aber wer wird nicht zugeben müssen, daß er ein wenig davon ganz gern hat? Ich möchte wohl wissen, welcher entschlossene Geist Roastbeef verabscheut, bloß weil es vergänglich ist? Das ist eine Eitelkeit. Möge aber doch jeder, der dies liest, sein ganzes Leben lang eine anständige Portion davon haben, ja, auch dann, wenn ich fünfhunderttausend Leser hätte. Setzen Sie sich, meine Herren, und langen Sie mit gutem Appetit zu. Schonen Sie weder das Fette noch das Magere, weder die Soße noch den Meerrettich. Noch ein Glas Wein, Jones, mein Junge – ein bißchen von der Sonntagsseite. Ja, wir wollen uns an dem eitlen Ding satt essen und dankbar dafür sein. Und ebenso wollen wir das Beste aus Beckys aristokratischen Freuden herausholen – denn wie alle übrigen irdischen Vergnügungen waren sie vergänglich.
Das Ergebnis ihres Besuches bei Lord Steyne war, daß Seine Hoheit der Fürst von Peterwardein seine Bekanntschaft mit Oberst Crawley erneuerte, als sie am nächsten Tage im Klub zusammentrafen, und Mrs. Crawley auf dem Ring im Hyde Park sehr achtungsvoll grüßte. Sie und ihr Mann wurden sofort zu einem der kleinen Vergnügen des Fürsten ins Levante-Haus geladen, das Seine Hoheit während der zeitweiligen Abwesenheit seines edlen Besitzers von England bewohnte; nach dem Essen sang sie vor einer sehr kleinen Gesellschaft. Der Marquis von Steyne war zugegen und überwachte väterlich die Fortschritte seiner Schülerin.
Im Levante-Haus traf Becky einen der vornehmsten Herren und größten Minister, die Europa hervorgebracht hat – den Herzog von La Jabotière, damals Gesandter des Allerchristlichsten Königs und später Minister dieses Monarchen. Ich gestehe, daß meine Brust sich vor Stolz schwellt, da meine Feder diese erlauchten Namen niederschreibt und wenn ich bedenke, in welcher glänzenden Gesellschaft sich meine liebe Becky bewegt. Sie wurde bald ein ständiger Gast in der französischen Gesandtschaft, wo keine Gesellschaft für vollständig angesehen wurde, wenn nicht die bezaubernde Madame Ravdonn Cravley zugegen war. De Truffigny (von der Familie Périgord) und Champignac, beide Attachés bei der Gesandtschaft, verliebten sich sofort sterblich in die Reize der hübschen Frau des Obersten und erklärten beide, nach der Sitte ihrer Nation (denn wer hat je einen Franzosen aus England kommen sehen, der nicht ein halbes Dutzend Familien im Unglück zurückgelassen und ebenso viele Herzen in seiner Brieftasche mitgebracht hat?), sie stünden mit der bezaubernden Madame Rawdon au mieux.
Ich bezweifle jedoch die Richtigkeit dieser Behauptung. Champignac spielte sehr gern Ekarté und machte abends häufig seine Partie mit dem Oberst, während Becky im anderen Zimmer Lord Steyne vorsang, und es ist eine bekannte Tatsache, daß Truffigny nicht wagte, in den Klub der Reisenden zu gehen, wo er den Kellnern Geld schuldig war, und hätte er nicht in der Gesandtschaft essen können, dann wäre der würdige junge Mann verhungert. Wie gesagt, bezweifle ich, daß Becky einen der beiden jungen Männer zu ihrem Günstling erkoren hätte. Sie erledigten Aufträge für sie, kauften ihr Handschuhe und Blumen, stürzten sich in Schulden, um ihr Billetts für die Oper zu besorgen, und machten sich auf tausenderlei Art um sie verdient. Sie sprachen Englisch mit liebenswürdiger Einfachheit, zur steten Belustigung Beckys und Lord Steynes. Sie ahmte diese Sprechweise dem einen oder dem anderen ins Gesicht hinein nach und machte ihnen Komplimente über ihre Fortschritte in der englischen Sprache mit einem Ernst, der nie verfehlte, ihren sardonischen alten Gönner, den Marquis, zum Lachen zu reizen. Truffigny schenkte der Briggs einen Schal, um Beckys Vertraute zu gewinnen, und bat sie, ihr einen Brief zuzustecken, den die einfältige alte Jungfer der Empfängerin öffentlich überreichte. Jeder, der ihn las, war höchlich amüsiert. Lord Steyne las ihn, jedermann las ihn, nur nicht der ehrliche Rawdon. Es war nicht nötig, daß er alles wußte, was in dem kleinen Haus in Mayfair vorging.
Hier empfing Becky binnen kurzem nicht nur die »besten« Ausländer (wie es in der edlen und bewundernswürdigen Ausdrucksweise unserer guten Gesellschaft heißt), sondern auch einige der »besten« Engländer. Ich meine damit weder die Tugendhaftesten noch die Verworfensten, weder die Klügsten noch die Dümmsten, nicht die Reichsten und auch nicht die Vornehmsten, sondern die »Besten« – mit einem Wort, Leute, die über alles erhaben sind, wie die große Lady Fitz-Willis, die Schutzheilige der Subskriptionsbälle, die große Lady Grizzel Macbeth (die ehemalige Lady G. Glowry, Tochter von Lord Grey von Glowry) und andere mehr. Wenn die Gräfin Fitz-Willis (sie stammt aus der Familie der Kingstreet, wie man im »Debrett« und im »Burke« nachlesen kann) jemanden unter ihren Schutz nimmt, so ist diese Person gesichert. Niemand zweifelt dann mehr an ihrer Stellung. Ich will damit nicht etwa sagen, daß Lady Fitz-Willis um ein Haar besser ist als irgendeine andere. Im Gegenteil, sie ist eine verblühte Frau von siebenundfünfzig, weder hübsch noch reich, noch unterhaltsam. Man ist sich jedoch einig, daß sie zu den »Besten« gehört. Diejenigen, die sie empfängt, sind die Besten, und wahrscheinlich aus einem alten Groll gegen Lady Steyne (sie hatte, als sie noch die jugendliche Georgina Fredericka, Tochter vom Günstling des Prinzen von Wales, dem Graf von Portansherry, war, nach deren Krone gestrebt) beschloß diese große, berühmte Dame, die in der vornehmen Welt den Ton angab, Mrs. Rawdon Crawley anzuerkennen. Sie machte ihr auf dem Subskriptionsball, bei dem sie den Vorsitz führte, einen allgemein beachteten Knicks und ermunterte nicht nur ihren Sohn, Saint-Kitts (der seine Stellung durch Lord Steynes Vermittlung erhalten hatte), Mrs. Crawley zu besuchen, sondern lud sie sogar zu sich ein. Während des Essens richtete sie zweimal sehr herablassend das Wort an Becky. Noch am selben Abend wurde dieses wichtige Ereignis in ganz London bekannt. Leute, die sich bisher abfällig über Mrs. Crawley geäußert hatten, verstummten. Wenham, der geistreiche Rechtsanwalt und Lord Steynes rechte Hand, verbreitete ihr Lob überall; einige, die bisher noch gezaudert hatten, kamen ihr sofort entgegen, um sie willkommen zu heißen. Der kleine Tom Toady, der Southdown gewarnt hatte, eine so verworfene Frau zu besuchen, flehte jetzt, bei ihr vorgestellt zu werden. Mit einem Wort – sie war anerkannt und gehörte nun zu den »Besten«. Ach, meine geliebten Leser und Mitmenschen, beneidet die arme Becky nicht zu früh – so ein Ruhm soll nur zu schnell verfliegen. Man erzählt sich, daß sie selbst in den innersten Kreisen nicht glücklicher sind als die armen Wanderer außerhalb der Schranken, und Becky, die bis in den Mittelpunkt der vornehmen Welt vorgedrungen ist und den großen Georg IV. von Angesicht zu Angesicht gesehen hat, bekannte später, daß auch dort alles eitel sei.
Wir müssen uns mit der Beschreibung dieses Teiles ihrer Laufbahn kurz fassen. Wie ich die Geheimnisse der Freimaurerei nicht beschreiben kann, obgleich ich eine schlimme Ahnung habe, daß das alles Unsinn ist, so kann auch ein Uneingeweihter es nicht auf sich nehmen, die vornehme Welt genau zu porträtieren, und es wird das beste sein, daß er seine Ansichten, wie sie auch sein mögen, für sich behält.
Becky hat in späteren Jahren oft von diesem Lebensabschnitt gesprochen, als sie sich in den höchsten Kreisen der Londoner vornehmen Welt bewegte. Ihre Erfolge erregten sie, machten sie stolz und langweilten sie schließlich. Anfangs kannte sie keine angenehmere Beschäftigung, als sich die hübschesten neuen Kleider und Schmucksachen auszudenken und sie sich zu verschaffen (letzteres, nebenbei erwähnt, eine Angelegenheit, die einen Menschen mit Mrs. Rawdon Crawleys beschränkten Mitteln viel Mühe und Kopfzerbrechen kostete). Sie fand es schön, zu feinen Diners zu fahren, wo vornehme Leute sie begrüßten, und von den feinen Diners zu feinen Bällen, die dieselben Leute besuchten, mit denen sie gespeist hatte, die sie am Abend zuvor schon getroffen hatte und mit denen sie auch den nächsten Abend verbringen würde. Junge Männer waren da, untadelhaft gekleidet, mit hübschen Krawatten, den schönsten Lackschuhen und weißen Handschuhen, ältere, stattliche mit Messingknöpfen, von noblem Aussehen, höflich und langweilig, blonde junge Damen, furchtsam, in Rosa gekleidet, und Mütter, großartig, schön, prächtig, feierlich und mit Diamanten übersät. Sie unterhielten sich auf englisch, nicht in schlechtem Französisch wie in den Romanen. Sobald jemand den Rücken gekehrt hatte, sprach man über sein Haus, seinen Charakter und seine Familie, genauso wie die Johns über die Smiths sprechen. Beckys ehemalige Bekannten haßten und beneideten sie, aber die arme Frau selbst gähnte insgeheim. Ich wünschte, ich wäre nicht hier, sagte sie zu sich, ich wäre lieber eine Pfarrersfrau und unterrichtete in einer Sonntagsschule oder die Frau eines Unteroffiziers und müßte im Regimentswagen fahren, oder ach, wieviel lustiger wäre es noch, Flitter und Hosen zu tragen und vor einer Jahrmarktsbude zu tanzen.
»Sie würden das sehr hübsch machen«, meinte Lord Steyne lachend; sie pflegte dem bedeutenden Mann in ihrer unschuldigen Art ihre Langeweile und Not zu klagen, und er amüsierte sich darüber.
»Rawdon würde einen sehr guten Zureiter – Zeremonienmeister – wie nennt man ihn doch gleich – diesen Mann mit den hohen Stiefeln und der Uniform, der in der Manege herumgeht und mit der Peitsche knallt, abgeben. Er ist groß, schwer und sieht militärisch aus. Ich erinnere mich«, fuhr Becky nachdenklich fort, »wie mich mein Vater zu einer Vorstellung auf dem Brookgreen-Jahrmarkt mitnahm, als ich noch ein kleines Mädchen war. Und als wir dann nach Hause kamen, habe ich mir ein paar Stelzen gemacht und zur Verwunderung aller Schüler im Atelier getanzt.«
»Das hätte ich sehen mögen«, sagte Lord Steyne.
»Ich möchte es jetzt gern noch einmal tun«, fuhr Becky fort; »wie würde Lady Blinkey da die Augen aufreißen, und Lady Grizzel Macbeth würde starren! Pst! Ruhe! Pasta fängt an zu singen.« Becky zeigte sich gegenüber den Künstlern und Künstlerinnen, die zu diesen aristokratischen Gesellschaften hinzugezogen wurden, von bemerkenswerter Höflichkeit. Sie folgte ihnen in die Winkel, wo sie stumm herumsaßen, schüttelte ihnen die Hand und lächelte sie, allen anderen sichtbar, an. Sie war selbst Künstlerin, wie sie aufrichtig bekannte. Sie hatte eine offene und bescheidene Art, von ihrer Herkunft zu sprechen, die ihre Zuhörer je nachdem ärgerte, entwaffnete oder belustigte. »Wie unverschämt diese Frau doch ist«, sagte der eine. »Wie selbstherrlich sie sich benimmt, wo sie doch eigentlich stillsitzen und dankbar sein sollte, wenn jemand mit ihr spricht.« – »Was für eine ehrliche, gutmütige Seele sie ist«, sagte ein anderer. »Was für eine schlaue kleine Hexe«, ein dritter. Sie hatten höchstwahrscheinlich alle recht. Becky aber ging ihren eigenen Weg und bezauberte die Künstler so, daß sie niemals heiser waren, wenn sie bat, bei ihren Gesellschaften zu singen und ihr umsonst Unterricht zu geben.
Ja, sie gab Gesellschaften in dem kleinen Haus in der Curzon Street. Viele Dutzend Wagen mit strahlenden Lampen versperrten die Straße, zum Ärger der Bewohner von Nr. 200, die vor dem Gedonner des Türklopfers nicht schlafen konnten, und von Nr. 202, die vor Neid keine Ruhe fanden. Die gigantischen Lakaien, die die Gefährte begleiteten, waren zu groß für Beckys kleines Bedientenzimmer und wurden in die benachbarten Wirtshäuser ausquartiert. Wenn man sie brauchte, holten Laufjungen sie von ihrem Bier weg. Viele der vornehmen Londoner Stutzer drängten sich auf den schmalen Treppen, traten einander auf die Füße und lachten, wenn sie sich hier trafen. Viele vornehme, makellose und sittenstrenge Damen saßen in dem kleinen Salon und lauschten den Sängern, welche nach ihrer Gewohnheit so laut sangen, als wollten sie die Fenster zerschmettern. Am nächsten Tag erschien dann unter der Rubrik »Vornehme Gesellschaften« in der »Morning Post« ein Artikel folgenden Inhalts:
»Gestern bewirteten Oberst und Mrs. Crawley eine erlesene Gesellschaft in ihrem Hause in Mayfair. Es waren anwesend: Ihre Exzellenzen der Fürst und die Fürstin von Peterwardein, Seine Exzellenz Papusch-Pascha, der türkische Gesandte (in Begleitung von Kibob Bey, Dragoman der Gesandtschaft), der Marquis von Steyne, Graf Southdown, Sir Pitt und Lady Jane Crawley, Mr. Wagg und so weiter. Nach dem Diner gab Mrs. Crawley einen Subskriptionsball, den folgende Persönlichkeiten besuchten: die Herzoginwitwe von Stilton, der Herzog von La Gruyere, die Marquise von Cheshire, der Marchese Alessandro Stracchino, der Graf de Brie, Baron Schapzuger, der Chevalier Tosti, die Gräfin von Slingstone und Lady F. Macadam, Generalmajor und Lady G. Macbeth mit zwei Töchtern, Viscount Paddington, Sir Horace Fegny, Ehrwürden Bedwin Sands, Bobbachy Bahawder« und dann ein »etc.«, das der Leser nach Belieben durch ein Dutzend enggedruckter Zeilen in kleinen Typen ausfüllen kann.
Im Verkehr mit den Großen zeigte unsere teure Freundin dieselbe Offenherzigkeit, die sie auch gegenüber Niedrigerstehenden bewies. Einmal unterhielt sich Rebekka in einem sehr feinen Haus (vielleicht etwas zu auffällig) mit einem berühmten französischen Tenor in seiner Muttersprache, während Lady Grizzel Macbeth dem Paar über die Schulter finstere Blicke zuwarf.
»Wie gut Sie Französisch können«, sagte Lady Grizzel, die diese Sprache mit einem höchst merkwürdigen Edinburgher Akzent sprach.
»Ich muß es doch können«, sagte Becky und schlug bescheiden die Augen nieder. »Ich habe an einer Schule darin unterrichtet, und meine Mutter war Französin.«
Lady Grizzel war von dieser Demut besiegt und der kleinen Frau nun freundlicher gesinnt. Sie beklagte die verhängnisvollen Tendenzen der Gleichmacherei unseres Zeitalters, die Personen aller Klassen den Zutritt in die Gesellschaft Höherstehender gestattete, gab jedoch zu, daß sich diese hier wenigstens anständig benahm und niemals ihre Stellung im Leben vergaß. Sie war eine sehr gute Frau, gütig gegen die Armen, dumm, untadelig und arglos. Die Lady kann nichts dafür, daß sie sich für etwas Besseres hält als dich und mich. Die Kleidersäume ihrer Vorfahren hat man schon vor Jahrhunderten geküßt; und vor tausend Jahren soll das Gewand des Familienoberhauptes von den Lords und Räten des verstorbenen Duncan umfaßt worden sein, als der große Ahnherr des Hauses König von Schottland wurde.
Nach der Szene am Klavier war Lady Steyne von Becky besiegt, und vielleicht war sie ihr gar nicht abgeneigt, und auch die jüngeren Damen des Hauses Gaunt wurden zur Unterwerfung gezwungen. Sie hetzten ein paarmal andere Leute gegen sie auf, aber ohne Erfolg. Die glänzende Lady Stunnington versuchte, mit ihr die Waffen zu kreuzen, wurde aber von der unerschrockenen kleinen Becky schmachvoll in die Flucht geschlagen. Wenn Becky zuweilen angegriffen wurde, setzte sie eine demütige, unschuldige Miene auf, und dabei war sie dann am gefährlichsten. In dieser Laune sagte sie die bösartigsten Dinge mit dem einfachsten, harmlosesten Gesichtsausdruck und beeilte sich dann, für ihre Fehler um Entschuldigung zu bitten, damit alle Welt ja auch erfuhr, daß sie sie begangen hatte.
Mr. Wagg, der berühmte Schöngeist und Schmarotzer von Lord Steyne, war ebenfalls von den Damen aufgehetzt worden. Eines Abends blinzelte der ehrenwerte Bursche seinen Gönnerinnen zu, als wollte er sagen: Achtung, jetzt gibt es einen Hauptspaß – und dann leitete er einen Angriff auf Becky ein, die ahnungslos ihr Diner verzehrte. Die kleine Frau, die so plötzlich überfallen wurde, hielt ihre Waffen jedoch immer bereit. Sie lohte sofort auf, parierte und gab den Stoß zurück, daß Waggs Gesicht vor Scham erglühte. Dann kehrte sie ruhig lächelnd zu ihrer Suppe zurück. Waggs großer Gönner, der ihn zum Essen einlud und ihm zuweilen etwas Geld lieh und dessen Wahlgeschäfte und Zeitungsangelegenheiten Wagg besorgte, schoß einen so wütenden Blick auf den unglückseligen Burschen ab, daß er fast geweint hätte und unter den Tisch gesunken wäre. Er sah den Marquis, der während des ganzen Diners kein Wort mit ihm sprach, und die Damen, die ihn verleugneten, mitleidheischend an; endlich erbarmte sich Becky selbst seiner und versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Er wurde sechs Wochen lang nicht zum Essen eingeladen, und durch Fiche, den Vertrauten des Lords, um den Wagg natürlich eifrig herumschlich, ließ man ihm sagen, daß Lord Steyne alle seine Schuldscheine dem Rechtsanwalt übergeben und ihn erbarmungslos pfänden lassen würde, sollte er noch einmal wagen, gegen Mrs. Crawley ungezogen zu sein oder sie zur Zielscheibe seiner dummen Witze zu machen. Wagg flehte seinen teuren Freund Fiche unter Tränen an, sich für ihn ins Mittel zu legen. Er schrieb ein Gedicht zum Lobe von Mrs. R. C, das in der nächsten Nummer des von ihm herausgegebenen »Harumscarum-Magazine« erschien. Traf er sie auf Gesellschaften, so flehte er um ihre Gunst. Er umschmeichelte Rawdon und kroch vor ihm im Staube. Nach einer Weile durfte er wieder ins Gaunt-Haus kommen. Becky war nett zu ihm, stets lustig, niemals böse.
Mr. Wenham, der Wesir und erste Vertraute des Lords (mit einem Sitz im Parlament und an der Mittagstafel), war in seinem Verhalten und seinen Ansichten viel vorsichtiger als Mr. Wagg. Wenn er auch alle Emporkömmlinge haßte (Mrs. Wenham selbst war ein eifriger alter eingefleischter Tory...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. 35. Kapitel
  4. 36. Kapitel
  5. 37. Kapitel
  6. 38. Kapitel
  7. 39. Kapitel
  8. 40. Kapitel
  9. 41. Kapitel
  10. 42. Kapitel
  11. 43. Kapitel
  12. 44. Kapitel
  13. 45. Kapitel
  14. 46. Kapitel
  15. 47. Kapitel
  16. 48. Kapitel
  17. 49. Kapitel
  18. 50. Kapitel
  19. 51. Kapitel
  20. 52. Kapitel
  21. 53. Kapitel
  22. 54. Kapitel
  23. 55. Kapitel
  24. 56. Kapitel
  25. 57. Kapitel
  26. 58. Kapitel
  27. 59. Kapitel
  28. 60. Kapitel
  29. 61. Kapitel
  30. 62. Kapitel
  31. 63. Kapitel
  32. 64. Kapitel
  33. 65. Kapitel
  34. 66. Kapitel
  35. 67. Kapitel
  36. Über Jahrmarkt der Eitelkeit, Band 2