Heile und Herrsche
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Heile und Herrsche

Eine gesundheitspolitische Trägodie

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Heile und Herrsche

Eine gesundheitspolitische Trägodie

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Über dieses Buch

Das Gesundheitswesen in Deutschland ist gut. Es ist sogar so gut, dass es mit einer Pandemie fertig wird. Aber es ist auch in großer Gefahr, denn was wir in Deutschland derzeit erleben, ist nicht weniger als eine Zeitenwende: Krankenhäuser werden aus öffentlichem Besitz anprivate Klinikkonzerne verschleudert. Der Digitalisierung wird das Individuum Patient geopfert. Das Gesundheitssystem wird zu einem profitablen Herrschaftsinstrument umgebaut. Bernd Hontschik geht brennenden Fragen nach: Brauchen wir 100 Krankenkassen? Kann man die ungezügelt agierende Pharmaindustrie mit einer Positivliste bändigen? Muss man Patientendaten in zentralen Servern speichern? Ist ein bedingungsloses Therapieeinkommen für chronisch Kranke realisierbar? Lassen sich Arbeitshetze und miserable Bezahlung im Pflegebereich beenden? Wie kommen wir zu einer Krankenhausfinanzierung ohne Lug und Trug? Seit wann werden medizinische Entscheidungen von der Politik getroffen? Wer kann Todesursachen wie Fluglärm, Wetterextreme, Einsamkeit oder Krankenhausinfektionen ein Ende setzen? Zu diesen und anderen Fragen gibt es Lösungen. Sie liegen auf dem Tisch – und stehen in diesem Buch.

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Information

1 Worum es geht

Vor drei Jahren hatte ich mich entschlossen, ein Buch zu schreiben. Mit ihm wollte ich zeigen, dass der Mensch keine Maschine ist, dass die Medizin als profitables Geschäftsmodell dabei ist, ihre Seele zu verlieren, und dass man gegen Krankheiten keinen Krieg führen kann. Ich war zunehmend empört über eine Gesundheitspolitik, die wie am Fließband ständig neue Gesetze mit immer neuen Fantasienamen produzierte, um die Umgestaltung des Gesundheitswesens zu einer renditeorientierten und digitalisierten Gesundheitswirtschaft zu beschleunigen.
Im Kommunistischen Manifest schrieben Karl Marx und Friedrich Engels schon 1848: »Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.« Diese Beschreibung des Prozesses der Kapitalexpansion als Ausbreitung »über die ganze Erdkugel« wird in heutigen Analysen der Globalisierung und des Imperialismus häufig herangezogen, um Marx und Engels fast hellseherische Fähigkeiten zuzuschreiben. Sie schrieben damals weiter: »Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat … den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, … die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. … An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.«1
Neben der Globalisierung gibt es jedoch noch einen anderen wichtigen Weg der Kapitalexpansion. Während die Globalisierung als externe, als zentrifugale Expansion beschrieben werden kann, so geschieht – zeitgleich – eine nach innen gerichtete, eine zentripetale Expansion, bei der immer mehr Bereiche der wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten innerhalb eines Landes unter die Kontrolle des Kapitals gebracht werden. Diesen Prozess bezeichnet man beschönigend als »Privatisierung«. Er bedeutet aber nichts anderes als die Expansion kapitalistischer Produktions- und Distributionsmethoden in bislang staatliche, öffentliche oder gemeinnützige Tätigkeiten hinein. Diese Kapitalexpansion ist im Bildungswesen zu erkennen, wo sich in den letzten Jahrzehnten gewinnorientierte Universitäten und Privatschulen ausgebreitet haben. Sie ist zum Beispiel auch in der Auslagerung der Verwaltung von Sozialhilfeprogrammen an private Firmen zu erkennen, sogar privatwirtschaftlich geführte Gefängnisse gibt es schon. Diese Veränderungen sind im Einzelfall sehr unterschiedlich. Allen gemeinsam ist aber eine umgehende Verschlechterung der Bezahlung, der Arbeitszeiten und der Personalplanung. Oder um es noch einmal mit Marx und Engels zu sagen: »Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.«2
Die Privatisierung als Destruktionsprozess ist an den Veränderungen des Gesundheitswesens, wie sie hierzulande in den letzten drei bis vier Jahrzehnten geschehen sind, am deutlichsten zu erkennen. Diese Destruktion geschieht in ganz kleinen, fast unmerklichen Schritten, weswegen sie in der Öffentlichkeit kaum zu erkennen ist. Aber sie geht immer in die gleiche Richtung, das ist das Gefährliche daran. Die Protagonisten sagen unaufhörlich, sie sei alternativlos. Die Digitalisierung zum Beispiel sei alternativlos, aber verschwiegen wird, welche Art von Digitalisierung hier erzwungen wird – als ob es nur eine Art gäbe. Die Privatisierung sei alternativlos, weil nur der Markt für bessere Zustände sorgen könne, aber verschwiegen wird, für wen diese besseren Zustände gedacht sind. Und die Kommerzialisierung sei alternativlos, da dringend neues Kapital im Gesundheitswesen gebraucht würde. Verschwiegen wird, dass der katastrophale Mangel an Investivkapital allein darauf beruht, dass ausnahmslos alle Bundesländer seit Jahren und zunehmend ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommen, die Krankenhäuser in ihrem Bestand ausreichend zu finanzieren. Verschwiegen wird, dass das Gesundheitswesen mit diesem neuen Kapital nicht mehr dasselbe ist, sondern automatisch zu einem Teil des Wirtschaftssystems wird.
Das Gesundheitswesen war bislang ein Teil unseres Sozialsystems. Die Sozialgesetze, nach denen es funktioniert hat und zum Teil immer noch funktioniert, sind zum großen Teil über 120 Jahre alt. Vor wenigen Jahrzehnten erst setzte die scheibchenweise Deformation ein, sozusagen eine Art kleinschrittiger Entdeckung des Gesundheitswesens durch den Kapitalismus, die zentripetale Expansion. Aus dem Gesundheitswesen wird die Gesundheitswirtschaft.
Im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie ist nach dem Übergang vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft jedoch ein weiterer großer Schritt vollzogen worden: Dem Gesundheitswesen wurde eine politische Aufgabe zugeordnet, um es zur Ausübung politischer Macht zu gebrauchen. Die hat inzwischen eine neue Dimension erreicht, eine Dimension, die man bisher nur aus mehr oder weniger hellsichtigen Science-Fiction-Romanen kannte. Im Zeichen der Corona-Pandemie wurden sämtliche ehernen Grundsätze des Gesundheitswesens und der Humanmedizin gebrochen. Die »Überlastung unseres Gesundheitswesens« als Horrorvision wurde zur »alternativlosen« Begründung für einschneidende Maßnahmen in jeden Alltag, von der Kinderkrippe bis zum Altersheim. Grenzen wurden geschlossen. Die Wohnung wurde zum abgeschotteten Ort der Berufsausübung, der Arbeit, des Kindergartens, der Schule und des Privatlebens gleichzeitig – kein Entrinnen. Und die Wissenschaft erlebte ihr Waterloo, besonders die medizinische, indem ihre Aussagen je nach Bedarf richtig oder falsch zitiert, hervorgehoben oder verschwiegen wurden. Ein Diskurs fand und findet nicht mehr statt. Alles andere als der Lockdown konnte nicht mehr begründet, geschweige denn diskutiert werden. Atemmasken waren anfangs schädlich, dann sinnlos, plötzlich Mangelware, aber dann überall vorgeschrieben. Darüber entschieden haben Politiker:innen. Nicht genehme Wissenschaftler:innen und Berater:innen wurden aus Gremien ausgeschlossen und nicht mehr angehört. Damit hatten sie auch jede weitere Teilnahme an der medialen Kakophonie verwirkt, insbesondere an Talkshows, wo Abend für Abend fast immer die gleichen Gäste ihre fast immer gleiche apokalyptische Botschaft verkünden konnten. Die neuen Impfstoffe, die schon ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie zur Zulassung bereitstanden, wurden von der einzig qualifizierten Ständigen Impfkommission nicht mit der üblichen Ruhe und Sorgfalt beurteilt und geplant, sondern es kam unter ungeheurem Druck von Politiker:innen zu sogenannten Notfallzulassungen – ein bislang nicht bekannter Begriff. Das funktionierende System der niedergelassenen Ärzte wurde monatelang von der Pandemiebekämpfung komplett ausgeschlossen, stattdessen wurden riesige Impfzentren aus dem Boden gestampft, wodurch erstmals zentrale Erfassungskonzepte erprobt und eingeübt werden konnten. Die Pandemie wurde mit manipulierten Infektionsregistern plötzlich zu einer Pandemie der Ungeimpften erklärt, auch wenn die Impfungen nicht hielten, was sie versprochen hatten und ständiger Auffrischungen bedurften. Impfpflicht, Impfzwang und ein bevorstehendes nationales Impfregister waren die allerersten Themen. Dass die stümperhafte Digitalisierung in Deutschland bis heute eine Erfassung der wirklich wichtigen Pandemie-Daten verhindert, ist nur noch ein Nebenschauplatz, wenn auch ein blamabler. Ein Infektionsschutzgesetz nach dem anderen ersetzte das vormalige Bundesseuchengesetz. Es wurde in raschem Rhythmus mehrfach immer wieder modifiziert, sprich: verschärft, insbesondere hinsichtlich der »Ermächtigungen« der Exekutive, die monatelang die Alleinherrschaft übernahm, und dies – das ist das eigentlich Neue – konnte sie nur mit Hilfe der Medizin. Legislative und Judikative hatten für längere Zeit abgedankt.
Deswegen genügt es nicht mehr nur, den schon weit beschrittenen Weg vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft kritisch zu beschreiben, sondern der nächste, um ein Vielfaches bedrohlichere Schritt von der Gesundheitswirtschaft zur Gesundheitsherrschaft ist längst und unbemerkt Realität geworden. Er kann nicht mehr ignoriert werden. Oder wie Heribert Prantl sagt: »Aus dem Ausnahmezustand wird ein Normalzustand, aus den Notregeln werden Normalregeln. Das ist unnormal, unstatthaft und gesellschaftsschädlich.«3

2 Geld

Wahrscheinlich gibt es Ärzte, Heilkundige oder heilkundige Priester, seit es Menschen gibt, denn seit es Menschen gibt, werden sie auch krank. In längst vergangenen Zeiten bestand in den meisten uns bekannten Hochkulturen eine Personalidentität zwischen Priester und Arzt, denn Gesundheit und Krankheit waren gottgegeben. In unseren heutigen Zeiten glaubt eigentlich fast niemand mehr, dass Krankheit und Gesundheit gottgegeben sind. Vielmehr sind es hochqualifizierte Ärzte, an die wir die Zuständigkeit und Verantwortung für unsere Gesundheit abgegeben haben, und sie bewegen sich dabei in hochkomplexen Sozialsystemen, in diesem Fall also in den Gesundheitswesen, um ihrem Auftrag nachkommen zu können. Diese Gesundheitswesen verstehen selbst Eingeweihte kaum noch bis ins Detail, denn sie werden seit Jahren und Jahrzehnten in immer höherer Frequenz mit immer neuen sogenannten Gesundheitsreformen modifiziert. »Gesundheitsreform« gehörte daher zu den Lieblingswörtern von Loriot: »Denn Gesundheit soll dabei ja nicht reformiert werden, soweit ich das beurteilen kann.«1

Von Hammurabi I. zu Friedrich II.

Erste schriftliche Erwähnungen von Belohnungen ärztlicher Tätigkeit stammen aus dem 3. Jahrtausend v. u. Z. aus Mesopotamien.2 Dort gab es ein Bezahlsystem für operative Eingriffe, niedergelegt im Codex Hammurabi, das je nach Schweregrad fürstliche Honorare versprach, bei Versagen der Behandlung aber eine erhebliche Geldbuße vorsah, im schlimmsten Fall sogar das Abhacken der Hand. Die nicht operativ tätigen Priesterärzte waren Beamte des Königs, bezogen ein festes Gehalt und waren den Kranken gegenüber zur unentgeltlichen Berufsausübung verpflichtet. Von den Kranken wurden allenfalls Weihegaben erwartet, die sie im Tempel zu opfern hatten. Interessant an der Vergütung für operative Eingriffe ist, dass diese sich nicht nur nach der Art des Eingriffs, sondern auch nach dem sozialen Stand des Kranken richtete: Wenn der Eingriff bei einem vornehmen Bürger zehn Sekel einbrachte, so konnte man bei einem Freigelassenen nur fünf Sekel, bei einem Sklaven nur zwei Sekel in Rechnung stellen (zum Vergleich: Die Jahresmiete eines guten Stadthauses betrug fünf Sekel). Dieses soziale Prinzip findet sich auch bei den Strafen: Ein durch eine ärztliche Maßnahme getöteter Sklave musste durch einen anderen Sklaven ersetzt werden, der Tod eines vornehmen Bürgers führte zum Abhacken der Hand.
Im alten Ägypten waren die Ärzte in eine strenge Rangordnung eingeteilt. Am unteren Ende befand sich der »Arzt ohne besondere Attribute«, über viele Stufen stand an der Spitze der »Größte Arzt von Unter- und Oberägypten«. Die besten Ärzte arbeiteten bei den Mächtigsten des Landes, während den Arbeitern bei den Pyramiden immerhin noch »Werksärzte« zugeteilt waren. Ärzte der Pharaonen konnten sehr reich werden und hatten ein Schiff auf dem Nil, die Werksärzte wurden hingegen in Naturalien bezahlt, so wie auch die Arbeiter, die sie betreuten. In den Tempeln gab es Priesterärzte, welche die Behandlungen von Kranken, die nicht zu einem Haushalt mit Arzt gehörten, unentgeltlich vornahmen. Dies wurde mit Opfergaben im Tempel »honoriert«. Im frühen Persien war die Bezahlung der Ärzte ganz und gar »sozial« geregelt und bis ins Detail ausgeklügelt: Einen Hausherrn zu heilen, kostete ein Großvieh von geringer Größe, einen Gauherrn zu heilen, ein Großvieh mittlerer Größe, bei einem Landesherrn war ein mit vier Stück Großvieh bespannter Wagen fällig, die Heilung der Frau eines Hausherrn kostete einen Esel, bei der Frau des Dorfherrn war ein weibliches Rind fällig, bei der Frau des Gauherrn eine Rossstute und bei der Frau des Landesherrn eine Kamelstute. Auch die Bezahlung der Heilung von Vieh und Schafen wurde im gleichen »Gesetzbuch des Vendidad« geregelt.
Im alten Griechenland waren die Ärzte öffentlich angestellt, mussten daher die Armen umsonst kurieren. Die Gemeinden erhoben eine spezielle Arztsteuer, mit der die Gehälter der Ärzte, meistens auch deren Einrichtungen, finanziert wurden, was schon die Idee eines versicherungsartigen Umlagesystems enthält. Begüterte Patienten mussten zahlen, aber über die Höhe ist nichts überliefert. Hippokrates rät zur Mäßigung bei der ärztlichen Honorarforderung, zur Rücksichtnahme auf Vermögen und Einkommen des Kranken, aber auch zur Vorkasse, denn die Ärzte mussten die Arznei selbst herstellen. Bei den Goten verfiel der Honoraranspruch bei Tod des Kranken, bei Fehlern des Arztes gab es Geldbußen. Bei Tod eines Unfreien musste der Arzt diesen ersetzen, bei Tod eines Freien war der Arzt der Blutrache der Angehörigen ausgeliefert. Im alten Rom waren die Ärzte zunächst überwiegend Sklaven und Eigentum ihrer Herrschaft, für die sie ohne Bezahlung arbeiten mussten. Später dann wurde die Medizin zu einer »freien Kunst«, und Künstlern stand nach römischem Recht keine Bezahlung zu (!). Kranke zahlten freiwillig nach ihrem Gutdünken ein »Honorar«. Der Gesundete gab seinem Arzt also nach seinem freien Ermessen eine Art Geschenk. Auch als zu späterer Zeit Mindesttaxen eingeführt wurden, waren sie dennoch so niedrig, dass sich mit der Zeit eine Art ärztliches Proletariat herausbildete, während es einigen wenigen Ärzten gelang, durch besondere Heilungen bei mächtigen und reichen Bürgern und geschickte Werbung berühmt zu werden, sodass sie, meistens als Leibärzte, riesige Honorare verlangen konnten und auch erhielten.
Eine besondere Variante der Bezahlung wird aus der Sung-Zeit des alten China (960–1279) überliefert, wo sich nur reiche Familien einen »Hausarzt« leisten konnten, der eine feststehende monatliche Bezahlung erhielt, allerdings nur so lange, wie alle Familienmitglieder gesund waren. So meinte man sich des »ständigen Eifers« des Arztes zu versichern, um die Genesung des Kranken herbeizuführen. Im frühen Japan hingegen galt lange Zeit das Prinzip, dass sich die Höhe des ärztlichen Honorars aus der Schwere der Krankheit und aus der Vermögenssituation des Patienten zu ergeben habe. Ein armer Mensch, der für seinen Arzt auf eine Mahlzeit verzichtete, wurde mehr geachtet als ein Reicher, dessen zwar enorm hohe Bezahlung dennoch sein Vermögen nicht ankratzte.
In der mittelalterlichen Mönchs- und Klostermedizin findet sich die Variante, dass das ärztliche Honorar als eine Art Aufwandsentschädigung, nicht aber als ein Kaufpreis für Wissen und Können angesehen wurde. Daher stammen heute noch gültige Einstellungen wie z. B. das Recht des Arztes, selbst bei unheilbaren Krankheiten ein Honorar zu fordern, verbunden allerdings auch mit der Pflicht, selbst in den aussichtslosesten Situationen weiter und weiter zu behandeln, denn der christliche Glaube ließ ein jederzeitiges Wunder Gottes erwarten, zumindest möglich erscheinen. Solche Behandlungen musste der Arzt sogar gegen den erklärten Willen des Patienten ausführen, so wie die Engel Lot und seine Familie gegen deren Willen aus dem dem Untergang geweihten Sodom entführten und retteten.
Eine schon fast modern anmutende Variante ärztlicher Bezahlsysteme kommt im 13. Jahrhundert durch den Stauferkaiser Friedrich II. im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zum Zuge. Er erließ zwischen 1231 und 1241 eine »Medizinalordnung«: »Im Hinblick auf den schweren Nachteil und nicht wieder gut zu machenden Schaden, der aus der Unerfahrenheit der Ärzte entstehen könnte, befehlen wir, dass künftig keiner unter dem Deckmantel des ärztlichen Titels es wagen soll zu praktizieren, wenn er nicht vorher in Salerno im öffentlichen Disput der Professoren durch eine Prüfung bestätigt ist.«3 Die Möglichkeit des Schadens durch medizinische Behandlung wurde von da an erstmals nicht mehr durch eine entsprechende Bestrafung reguliert, sondern durch die Festlegung einer bestimmten Ausbildung, die man erfolgreich zu absolvieren hatte. Chirurgen mussten ein Jahr studieren, handwerkliches Geschick und anatomische Kenntnisse nachweisen; Ärzte mussten ein dreijähriges vorbereitendes Studium der Logik nachweisen, um dann fünf Jahre Medizin studieren zu dürfen. Erst ein einjähriges Prakt...

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Worum es geht
  2. 2 Geld
  3. 3 Krankenkassen
  4. 4 Krankenhäuser
  5. 5 Gier
  6. 6 Digitales
  7. 7 Medizin als Herrschafts-instrument
  8. 8 Wie könnte das Gesundheitswesen der Zukunft aussehen?
  9. 9 Wo kann ich mitmachen?
  10. Anmerkungen