Orte des Überflusses
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Orte des Überflusses

Zur Topographie des Luxuriösen in Literatur und Kultur der Moderne

  1. 328 Seiten
  2. German
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Orte des Überflusses

Zur Topographie des Luxuriösen in Literatur und Kultur der Moderne

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Über dieses Buch

Der Umgang mit Überflüssigem und Überschüssigem wird gern mit topischen Orten assoziiert. Der Band versammelt Aufsätze, die diese Topographie des Luxuriösen aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive beleuchten. Die Beiträge fokussieren neben dem imaginativen Potenzial von Luxusorten und den rhetorischen, narrativen und (inter-)medialen Mitteln ihrer Inszenierung den spezifischen Anteil der Literatur an ihrer Genese, Tradition und Kritik.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110674316

II Realismus und Gründerzeit

Die Topologie des Überflusses in Freytags Soll und Haben

Sebastian Meixner
Am Ende ist nichts und niemand mehr überflüssig in Gustav Freytags ganz auf das Bürgertum fokussierten Kaufmannsroman Soll und Haben (1855).1 Die jüdischen Figuren sind bestraft, die polnischen Revolutionäre besiegt, die noch verbleibenden adeligen Figuren haben (wieder) eine produktive Funktion und das deutsche bürgerliche Handelshaus ist gut gefüllt. Alle Figuren sind an ihrem Platz, der „Strom der Kapitalien“ (SH 818) hat ganze Arbeit geleistet und die Ordnung ist wiederhergestellt. Ich schlage vor, diese Ordnungsbesessenheit ökonomisch in dem Sinn zu lesen, dass sich diese Ordnung anhand der Grenze von Fülle und Überfülle organisiert. Meine Lektüre ist geleitet von der fast zeitgleich mit Freytag formulierten Grenznutzentheorie durch Hermann Heinrich Gossen, welche die Analyse von Soll und Haben für diese Grenze sensibilisiert. Denn für Freytags Roman wird sie in der Topologie strukturbildend und in der literarischen Topographie veranschaulicht. Basisfunktion dieser Topologie ist die Etablierung der Leitdichotomien von ‚eigen‘ und ‚anders‘ sowie von ‚vertraut‘ und ‚fremd‘.2 Ihre Verletzung dynamisiert die Ordnung und trägt die Handlung anhand der topologischen Oppositionen von ‚vorne‘ und ‚hinten‘, ‚nah‘ und ‚fern‘, ‚oben‘ und ‚unten‘ sowie von ‚innen‘ und ‚außen‘. Der topologische Gegensatz von Vorder- und Rückseite wird in den Topographien mit ihren beiden Seiten konkretisiert und miteinander in Beziehung gesetzt, wobei die Konsistenz dieser beiden Seiten zum Prinzip der Ökonomie erhoben wird und die Räume mit den Figuren metonymisch verbindet. Aus Nähe und Ferne wird über die topographische Realisierung von Zentrum und Peripherie eine kolonialistische Expansionsbewegung. Aus dem Gegensatz von Höhe und Tiefe wird die topographisch gestützte Realisierung von Aufstieg und Untergang. Und aus dem Gegensatz von Innen und Außen wird die Bewegung von Integration und Ausscheidung. Die Ordnung dieses so ordnungsbesessenen Textes, der das Maß glorifiziert und die Übertretung bestraft, ist damit von eben dieser Übertretung durch den Überfluss abhängig – und vor allem vom rechten Umgang mit ihm: Das alle Handlungsknoten auflösende normative Ende kann in diesem Sinn als Ausgleich gelesen werden, das den Überfluss in einem umfassenden Soll und Haben bilanzierend aufgehen lässt. Überfluss funktioniert in diesen Überlegungen weniger als Gegenbegriff zu Knappheit und Mangel, sondern als Gegenteil von Ordnung und Maß, wie er im achtzehnten Jahrhundert etwa als Gegenbegriff zu Wohlstand geprägt wurde.3
Bis es zu diesem Ausgleich kommt, verdoppelt und vervielfältigt der Roman konsequent alle semantisch überdeterminierten Räume, was Alterität in diesem topographischen wie topologischen Exzess verschärfend konstituiert: Es sind gleich zwei mit wiederum binären Oppositionen semantisierte Schlösser und zwei Handels- bzw. Geschäftshäuser, welche die Topologie konkretisieren. Diese Topologie hat im Umgang mit dem Überfluss ihren organisierenden gemeinsamen Nenner, weil es der Überfluss erst erlaubt, die für topologische Relationen grundlegende Differenz zu setzen. Überfluss ist in diesem Sinn nicht das Gegenteil oder die Überschreitung von räumlich veranschaulichter Wirtschaftsordnung und ihren Grenzen, sondern für diese Ordnung konstitutiv.4 Ausgangspunkt meiner Erläuterungen sind die Arbeiten von Nacim Ghanbari und Marcus Twellmann,5 die mit dem Konzept des Hauses Freytags Roman analysieren. Herrenhaus, Gutshaus, Handelshaus und Geschäftshaus werden in dieser Perspektive zu Instanzen, die in ihren Interaktionen wirtschaftliche Zusammenhänge und insbesondere das ökonomisch Imaginäre in den „Wunschbilder[n] von einer Ordnung des Wirtschaftlichen“ herstellen.6 Ich möchte dieses Argument um einen entscheidenden Aspekt ergänzen, indem ich die verschiedenen Häuser als regulativ funktionierende Modelle beschreibe, die in unterschiedlicher Weise die Grenze von der Fülle zum Überfluss verhandeln.7 Die topologischen Gegensätze werden in dieser Perspektive also durch die Überschreitung dieser Grenze dynamisiert, was in der Zusammenschau mit zeitgenössischen ökonomischen Theoremen offenbar wird.
In einem ersten Schritt werfe ich einen Blick in Hermann Heinrich Gossens Formulierung der Grenznutzentheorie, die sich als eine Theorie des Überflusses lesen lässt. Das wird besonders durch die Räume deutlich, die dem Überfluss und dem Maß zugeordnet werden. Indem Gossen darüber hinaus berechnet, wann und wie aus einem Gut der maximale Genuss zu ziehen ist, operiert er stets an der Grenze von Fülle und Überfülle, die er nicht nur räumlich veranschaulicht, sondern vor allem auch zeitlich im Sinn einer Abnutzung denkt. Die räumlichen Veranschaulichungen sowie die temporale Struktur schlagen die Brücke von der Theorie zum Roman. In einem zweiten Schritt analysiere ich entsprechend zunächst die beiden Schlösser in Soll und Haben, die eine ausbalancierte, aber nur scheinbar stabile Ordnung eines schönen Bildes gegen die destabilisierte Unordnung eines zu großen Schlosses stellen. Anschließend stehen die beiden Handelshäuser im Zentrum der Untersuchung, die ihre Ordnung ebenfalls am Überfluss messen, wobei im normativen Zentrum der bürgerlichen Warenhandlung bezeichnenderweise genau dieser Überfluss von nicht mehr quantifizierbaren Waren das imaginäre Potenzial des Raumes begründet. In einem dritten Schritt schließlich wende ich mich der literalen Seite des Überflusses zu, die mit dem Wasser als Bildspender die Topologie des Romans dynamisiert. Der wörtliche Überfluss in Gestalt von zu viel Wasser zeigt an, welches in den verschiedenen Räumen verkörperte Modell als tragfähig inszeniert wird und welche anderen untergehen müssen.

I Grenznutzen und Überfluss

Ein Jahr vor der Veröffentlichung von Soll und Haben erscheint 1854 Gossens Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs, und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln.8 Der als Vorläufer der Grenznutzentheorie geltende Text verbindet eine relativ einfache philosophische Anthropologie mit einer ökonomischen Rechtfertigung des Egoismus9 und bildet eine „Grundlage der neoklassischen Werttheorie“,10 indem er das Prinzip der Genussmaximierung im Sinn einer Nutzenmaximierung zentral stellt, welches das ökonomische Streben von Individuen und Gruppen leite. Dieses Maximum denkt Gossen nicht als unmittelbar realisierten bzw. realisierbaren Genuss, sondern als das Ergebnis eines längerfristigen Nutzenkalküls: „Es muß das Genießen so eingerichtet werden, daß die Summe des Genusses des ganzen Lebens ein Größtes werde.“ (G 1)
Genuss hat allerdings Grenzen, die für Gossen gerade nicht durch das Angebot der zur Verfügung stehenden Güter bestimmt sind, wie er im ersten Gossenschen Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen formuliert: Denn „[d]ie Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt“ (G 4f.). Der Wert eines Gutes nimmt also mit fortschreitendem Konsum des Gutes ab – der marginale Nutzenzuwachs sinkt, weil jede zusätzliche Einheit eines bestimmten Gutes weniger hoch bewertet wird als die vorhergehende Einheit; so wird das erste Glas Wasser auf der Seite der Konsument:innen höher bewertet als das zehnte oder hundertste. Der Genuss des ganzen Lebens folgt also keiner simplen Summenlogik, die Genussmittel nur quantitativ häuft, sondern den Verlauf des Genießens und die damit verbundene Abnahme des Genusses mitdenkt. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen zum Grenznutzen bildet damit dezidiert kein Paradigma der Knappheit – wie etwa bei Carl Mengers kanonisch gewordener Formulierung der Grenznutzentheorie von 1871 –,11 sondern eines der Fülle, mit der klug und im Sinn eines maximierenden Nutzenkalküls umzugehen ist. Es gibt aber für Gossen Grenzen des Genusses selbst bei maximalem Angebot wie im absolutistischen Versailles, das er mehrfach als Beispiel heranzieht. Die normative Figur in diesem Beispiel ist Ludwig XV., der mit dem Zuviel an Gütern nicht umgehen kann, weil er die Logik des Genießens nicht versteht:
Daß dieser Satz so oft verkannt wird, hat zu allen Zeiten eine außerordentliche Menge Menschen für sie selbst in das möglichst größte Unglück gestürzt, ihren Lebenszweck zu verfehlen. Es trifft dieses am häufigsten diejenigen, welche nach den bisherigen menschlichen Begriffen ganz besonders berufen schienen, den Höhenpunkt menschlicher Glückseligkeit zu erreichen, die sogenannten Großen der Erde. Um nur ein Beispiel, das auffallendste der neuern Geschichte, anzuführen, erinnere ich an Ludwig XV., König von Frankreich. Seinen Höflingen und Maitressen gelang es durch Verschwendung der Kräfte eines ganzen Volkes, seine Hofhaltung so einzurichten, daß ihm Jedes, was dem Menschen auf der Stufe der körperlichen und geistigen Ausbildung, auf welcher er sich befand, Genuß zu gewähren im Stande ist, fast ununterbroch...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Moderne Luxusorte. Einleitung
  5. I Aufklärung und Romantik
  6. II Realismus und Gründerzeit
  7. III Décadence und klassische Moderne
  8. Kurzbiographien
  9. Register Orte des Überflusses