Theater der Vereinnahmung
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Theater der Vereinnahmung

Publikumsinvolvierung im immersiven Theater

  1. 348 Seiten
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Theater der Vereinnahmung

Publikumsinvolvierung im immersiven Theater

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Was ist immersives Theater? Was bedeutet es, im Kontext der Theaterrezeption davon zu sprechen, dass Zuschauerinnen und Zuschauer "komplett eintauchen"?Die vorliegende Studie entwickelt anhand eines breiten Korpus von Aufführungen des partizipativen Gegenwartstheaters ein Verständnis von immersivem Theater im engen Sinn und trägt damit zur begrifflichen Unterscheidung von Partizipation und Immersion bei. Untersucht werden formale Gemeinsamkeiten der Publikumsinvolvierung in Arbeiten des Kollektivs SIGNA, von Paulus Manker, Punchdrunk und Scruggs/Woodard. Die Autorin zeigt, dass immersives Theater mit seinen multisensorischen und interaktiven Erfahrungsräumen wirkungsästhetisch auf komplexe Prozesse der Vereinnahmung zielt. Diese können sowohl in produktive Selbstreflexion umschlagen als auch unbemerkt bleiben, worin sich die gesellschaftspolitische Relevanz dieses "übergriffigen" Theaters widerspiegelt.

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Information

1.Theorien der Immersion

Das deutsche Substantiv »Immersion« leitet sich vom spätlateinischen Nomen »immersio« ab; »immergere« ist die dazugehörige Verbform. Sowohl der Duden als auch Meyers Großes Konversationslexikon und der Brockhaus verzeichnen unter den jeweiligen Einträgen von »Immersion« das deutsche Wort »Eintauchung« als primäre Bedeutung. Die Lexika unterscheiden Begriffsverwendungen in den Bereichen Medizin (»teilweises oder vollständiges Eintauchen des Körpers in ein Teil- oder Vollbad«, Brockhaus, 2006, S. 134f.), Physik (»die Verwendung eines Mediums zwischen Objekt […] und einem abbildenden optischen System«, ebd.), Geologie (»Überflutung eines Festlandes«, ebd.) und Astronomie (»Eintritt [eines Planeten in den Schatten des anderen]«, Meyers Großes Konversationslexikon, 1908, S. 772). Zudem verweisen alle – zum Teil mit separatem Eintrag – auf die kulturelle Praxis der Immersionstaufe bei den Baptisten. Wiederkehrend ist auch der Verweis auf den Gebrauch des Begriffs »Immersion« im Zusammenhang mit Techniken des Spracherwerbs: wenn man eine Fremdsprache dort lernt, wo man von ihr durch die sie sprechenden Muttersprachler*innen umgeben ist (vgl. PONS Großwörterbuch, 2006, S. 474; The Oxford English Dictionary, 1989, S. 684).8
Während in den französisch- und deutschsprachigen Lexika vor allem das Substantiv »Immersion« geführt wird, scheint im englischen Wortschatz insbesondere die Verbform »to immerse« arriviert zu sein.9 Die am häufigsten verzeichneten, aktivischen Synonyme sind »to dip«, »to plunge«, »to merge« oder »to baptize« sowie – passivisch – »to become absorbed«. Die primäre Verwendung des Tätigkeitsworts anstelle des Substantivs lenkt den Fokus auf die Rolle des Subjekts: Wer oder was taucht in was ein? Das Oxford English Dictionary unterscheidet die Einträge a) »[to] immerse«, b) »immersed« und c) [to] »immerge«, wodurch eine Präzisierung und Differenzierung von a) Aktion (des Eintauchens von X in Y), b) Zustand des Subjekts X im Moment der Immersion, c) Zustand der Verschmelzung XY im bzw. nach dem Akt der Immersion möglich wird.
Vor allem im Französischen und Englischen wird »Immersion« auch vielfach im übertragenen Sinne verwendet. So beschreiben Formulierungen wie »to plunge into a state of action or thought« (The Oxford English Dictionary, 1989, S. 683), »to involve deeply« (ebd.) oder reflexiv »se plonger dans les livres« (Dictionnaire culturel en langue française, 2005, S. 1839) weniger den konkret materiellen Prozess des Eintauchens von Körper X in Substanz oder Umgebung Y als vielmehr das metaphorische Eintauchen des Subjekts in einen Prozess gedanklichen »Vertiefen[s]« (Oxford Duden – German Dictionary, 1990, S. 1176).
Lexika mit Erscheinungsdaten in den nuller Jahren verzeichnen unter »Immersion« eine weitere – dritte – Bedeutungsebene, nämlich »das Eintauchen in eine computergenerierte ›künstl[iche] Welt‹« (Brockhaus, 2006, S. 134f.) oder »Immersion dans l’image: expérience de réalité virtuelle […]« (Dictionnaire culturel en langue française, 2005, S. 1839). In dieser Verwendungsweise wandert der Immersionsbegriff dann auch als disziplinär konturiertes Konzept in Fachlexika der Kunst- und Medienwissenschaften sowie Game Studies ein. Weil für Immersion in eine virtuelle Realität neuere Technologien, Apparaturen und Interfaces entscheidend werden, bekommt der Immersionsbegriff in diesen Kontexten eine stark medienorientierte Ausrichtung, wodurch die Bedeutungsdimensionen von Immersionsprozessen in materiellen, analogen Zusammenhängen (wie bei der Taufe oder dem Spracherwerb) überlagert werden (vgl. Dogramaci/Liptay, 2016, S. 1).
Mit dem Aufkommen der Diskurse zur virtuellen Realität (VR) seit Ende der neunziger Jahre hat der Immersionsbegriff auch Einzug in die deutsch- und englischsprachige Kunst- und Literaturwissenschaft – und damit ins Feld der Ästhetik – gehalten. Eine beachtliche Vielzahl an Wissenschaftler*innen aus der sich Mitte der nuller Jahre herauskristallisierenden, transdisziplinären Immersionsforschung rekurriert dabei entweder auf die Studie Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart (2001) von Oliver Grau oder auf Janet Murrays Hamlet on the Holodeck (1997) als Einsatzpunkte für ein (neues) Relevantwerden des Immersionsbegriffs. Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Oliver Grau begreift Immersion als eine »sinnliche und rezeptive Verbindung [des Betrachtenden] zum Bild« (Grau, 2001, S. 23f.), die dadurch gekennzeichnet sei, dass der Betrachtende aufgrund der Suggestionskraft des jeweiligen Bildes einen »möglichst hochgradige[n] Eindruck von Anwesenheit am Bildort« (ebd., S. 14) erfahre. Das Anliegen seiner Monografie besteht darin, aufzuzeigen, dass von einer Kontinuität immersiver Bildräume auszugehen sei (vgl. ebd., S. 19). So setzt er die »geschichtliche Verwurzelung des Konzepts der VR« (ebd., S. 26) bereits bei antiken Bildräumen wie der Villa dei Misteri (60 v. Chr.) an. Barocke Landschaftsräume, Deckenpanoramen des 16. sowie Schlachtpanoramen des 19. Jahrhunderts, der Einsatz des Kinos um 1900, avantgardistische Raumexperimente der Futuristen und Dadaisten Anfang des 20. Jahrhunderts, Simulatoren in Vergnügungsparks der fünfziger Jahre und Expanded Cinema-Formate der sechziger Jahre – sie alle ermöglichen nach Grau das »Prinzip Immersion« (ebd., S. 25). Je nach technischem Entwicklungsstand seien sie im Stande, die Distanzierungskraft der Rezipierenden zu vermindern und dadurch eine temporäre »Verschmelzung« (ebd., S. 30) von Betrachter*in und Bild/-raum im Akt der Rezeption zu erzeugen.
Die Studie Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace der Literatur- und Medienwissenschaftlerin Janet Murray interessiert sich vor allem für neue Erzählweisen, die durch den Einsatz von Computern möglich werden. Murray fokussiert Immersion nicht als visuelle Strategie der Bildwahrnehmung, sondern als ein zuvorderst psychologisches (bzw. imaginäres) Eintauchen der Lesenden oder Spielenden in eine distinkte, fiktionale Welt. Für sie ist Immersion – neben agency und transformation – ein dominantes »ästhetisches Prinzip« (Murray, 2017, S. 223, dt. TS) des Geschichtenerzählens (storytelling) mit neuen Medien, für das – deutlich expliziter als bei Grau – das konkrete, aktive Mit-Wirken der Rezipierenden von Bedeutung sei, weshalb zu ihrem Beispielkorpus auch Fun Houses, LARP-Formate oder dinner theatre zählen.
Wo Grau eine »anthropologische Konstante« (Grau, 2001, S. 213) im Wunsch eines Verschmelzens von Betrachter*in und Bild(sujet) ausmacht, spricht Murray von einem Begehren des rezipierenden Subjekts, welches in dieser Form von den neuen Medien erst hervorgebracht werde (vgl. Murray, 2017, S. 223). Murray vertritt damit innerhalb der Immersionsforschung die »Diskontinuitätsthese« (Wiesing 2005, S. 110), während Graus Studie komplementär für die »Kontinuitätsthese« (ebd.) steht. Beide adressieren eine spezifische, (potentiell und temporär) distanzminimierende Beziehung zwischen Medium, Dargestelltem und Rezipient*in, die sie begrifflich und konzeptionell als Prinzip Immersion fassen. Ihre Arbeiten markieren den take off für einen Immersionsdiskurs, der sich Mitte der nuller Jahre in den Kultur- und Bildwissenschaften (u. a. Wiesing, 2005; Sloterdijk, 2006; Neitzel/Nohr, 2006; Bieger, 2007) und Game Studies (u. a. Thon, 2008; Calleja, 2011; Ermi/Mäyrä, 2011) etabliert und auch in die Filmwissenschaft (u. a. Schweinitz, 2006; Curtis, 2008b; Voss, 2008) einwandert. Dieses interdisziplinäre Diskursgefüge geht den Überlegungen zu Immersion und »immersive theatre« in der Theaterwissenschaft voraus und prägt sowie bedingt damit einige Vorannahmen, wie der Immersionsbegriff auf die Rezeption von Aufführungen des Gegenwartstheaters übertragen wird (u. a. Machon, 2013; Biggin, 2017).
In vergleichender Gesamtschau besagter transdisziplinärer Forschungspositionen wird deutlich, dass Immersion entweder a) als Modus ästhetischer Rezeption – von Literatur, Film oder Game – zuvorderst von der Erfahrung des rezipierenden Subjekts her zu spezifizieren versucht wird oder b) von den Mechanismen und Wirkweisen der Apparaturen und medialen Gefüge her gedacht wird. Im Folgenden werde ich entlang eines schlaglichtartigen Einblicks in jene Forschungspositionen, die Immersion als Rezeptionsmodus konturieren, zeigen, dass Immersion hochgradig kontext-, medien- und subjektabhängig ist und sich die transdisziplinäre Applizierung des Begriffs auf die Rezeption unterschiedlichster Kunstformen nicht zuletzt der Geräumigkeit der »Eintauch«-Metapher verdankt (1.1). Mit einem zweiten, kursorischen Einblick in diejenigen ausgewählten Positionen, die zuvorderst Medien und Apparaturen der Immersion aus einer historisierenden Perspektive wie auch jenseits ästhetischer Konfigurationen betrachten, möchte ich einen roten Faden im Immersionsdiskurs herauspräparieren, der das Verhältnis von Selbst und Welt bzw. die Fabrikation und Modulation dieser Relation durch immersive Medien und Apparaturen betrifft und für mein Verständnis von Immersion in dieser Studie entscheidend werden wird (1.2).
Ein dritter Forschungsüberblick zu dominanten theaterwissenschaftlichen Positionen im Immersionsdiskurs legt dar, auf welche Weisen Immersion und Theater – vor allem vor dem Hintergrund der Sammelbezeichnung »immersive theatre« bzw. »théâtre immersif« für neue partizipative Theater-, Performance- und Installationsformate – bereits zusammengedacht wurden. Ich werde argumentieren, dass das Übertragen von Immersionstheorien zum Zwecke einer rezeptionsästhetischen Theoretisierung von subjektiven Zuschauer*innen-Erfahrungen im Gegenwartstheater unzureichend bleiben muss. Demgegenüber schlage ich – mit Rekurs auf den frankophonen Diskurs um »théâtre immersif« – vor, von immersiven Theaterdispositiven auszugehen (1.3).

1.1Immersion als Modus ästhetischer Rezeption von Literatur, Film und Game

Parallel zu den genannten Studien von Murray und Grau ist auch Narrative as Virtual Reality. Immersion and Interactivity in Literature and Electronic Media (2001) der US-amerikanischen Literatur- und Medienwissenschaftlerin Marie-Laure Ryan erschienen. Gleichfalls vor dem Hintergrund aufkommender VR-Technologien expliziert sie den Begriff der Immersion für das literarische Feld, genauer für eine Phänomenologie des Lesens als eine spezifische Rezeptionserfahrung, »through which a fictional world acquires the presence of an autonomous language-independent reality populated with live human beings« (Ryan, 2001, S. 14). Dem literarischen fiktionalen Text kommt hier der Status einer non-actual possible world zu, welche im Akt des Lesens vom Rezipierenden (mit-)hervorgebracht werde. Leser*innen erfahren sich als Teil dieser Welt, wenn es ihnen gelingt, durch Bewusstseinstechniken wie der Rezentrierung (recentering) an ihr teilzuhaben, z. B. indem sie sich gedanklich in sie hineinprojizieren, sich den Begebenheiten dieser possible world anpassen und den eigenen lebensweltlichen Horizont temporär in die Fiktion verlagern (vgl. ebd., S. 103).
Ryan nutzt zur Um- und Beschreibung der Immersionserfahrung vielfach sowohl den Begriff der Absorption (absorption) als auch den von Richard J. Gerrig ins Feld geführten Begriff der transportation. Der Modus der Absorption bzw. des Absorbiert-Seins zeichnet sich durch eine spezifische Intensität (z. B. besonders konzentrierte Wahrnehmung) aus, die das Subjekt temporär ganz und gar einnimmt und von anderen Aktivitäten, Empfindungen oder Gedanken temporär abschneidet. Die transportation-Metapher greift hingegen auf der Ebene der Bedeutungsgenerierung, wenn sich Lesende qua Vorstellungskraft ein Bild der primär realistisch konfigurierten, erzählten possible world gemacht haben (vgl. ebd., S. 158). Erst wenn Lesende qua Konzentration, imaginärer Involvierung, Rezentrierung und Verzückung (entrancement) (vgl. ebd., S. 97ff.) ausreichend vertieft seien – und zwar sowohl in den Vorgang des Lesens selbst als auch in die repräsentierte Welt –, könne es nach Ryan zur Immersion kommen, welche sich als eine positiv besetzte körperliche Erfahrung bemerkbar mache.10
Für Literaturwissenschaftler Werner Wolf, der wie Murray und Ryan seinen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Narratologie und Intermedialitätsforschung hat, markiert Immersion einen Extremfall ästhetischer Illusion(ierung), welcher das komplette (vornehmlich kognitive und emotionale) Eintauchen der Rezipierenden in die repräsentierte Welt des Als-ob beschreibt. Während sich die Erfahrung ästhetischer Illusion(ierung) seitens der Rezipierenden durch ein Vermögen zur Distanznahme auszeichne, insofern Letztere im Sinne der lateinischen Wortherkunft von »ludere« (dt. »spielen«) in einem bewusst spielerischen Modus an der vorgestellten als einer quasi-realen Welt partizipierten, wissend, dass es sich um eine Repräsentation oder ein mediales Konstrukt handle, zeichneten sich Phänomene wie Täuschung (delusion), Halluzination und Immersion hingegen durch den Verlust dieses Distanzierungsvermögens aus (vgl. Wolf, 2013, S. 16f.).
Im Kontext der Rezeptionsforschung zu erzählender Literatur bezeichnet Immersion zuvorderst einen kognitiven und imaginären Prozess, der bei Rezipierenden während des Lesens ausgelöst wird. Entsprechend der zweiten Bedeutungsfacette in der skizzierten Etymologie von »Immersion« haben wir es mit einem mentalen oder geistigen Eintauchen bzw. Vertiefen des lesenden Subjekts zu tun. Die Spezifik der Immersionserfahrung scheint sich hierbei über das Zusammenspiel von »immersion as absorption« und »immersion as transportation« einzustellen. Insofern sie nicht nur impliziert, dass das Mediatisierende (= das Medium Sprache mitsamt der zu erbringenden Dekodierungsleistung) zugunsten des Mediatisierten (= die vorgestellte/erzählte possible world) zurücktritt und temporär in Vergessenheit gerät, sondern auch, dass die vorgestellte Welt des Als-ob im Modus einer »Quasi-Erfahrung« (ebd., S. 12) rezipiert wird.
Auch zahlreiche filmwissenschaftliche Autor*innen schrieben sich in den transdisziplinären Immersionsdiskurs ein. So lotet Christiane Voss bereits 2008 aus, worin die Spezifik fiktionaler Immersion, also der »Immersion in ein fiktionales Gebilde« (Voss 2008, S. 69) besteht. Während wir es bei der Lektüre fiktionaler Literatur mit der Ryanschen Rezentrierung als einem kognitiven, »logisch-semantischen Referenzwechsel« (ebd., S. 79) der Leser*innen zu tun haben, geht Voss für die Filmrezeption von einer »performativ-leibliche[n] Rezentrierung« (ebd.) der Zuschauer*innen aus. Diese kann – wie bei Theodor Lipps, auf den sich Voss bezieht – z. B. als Form ästhetischer Einfühlung verstanden werden, als eine »hingebungsvolle Versenkung« (ebd., S. 75), die in der Wahrnehmung der Zuschauenden kinästhetisch in Erscheinung tritt. Diese Form der Versenkung qua ästhetischer Einfühlung schlage sich Lipps zufolge (und damit ähnlich wie bei Ryan) als positives Empfinden nieder und schließe dabei zuweilen die Reflexion der Zuschauenden aus, führe sogar zu einer temporären Irrealisierung, zum Vergessen der eigenen Lebenswelt.
Dass die Modalität der Immersion bei der Filmrezeption primär eine kinästhetische ist, wird besonders evident, wenn das filmische Mittel der movie rides im Spiel ist. Hierbei folgen Zuschauer*innen der (mitunter sehr rasanten) Kamerabewegung zum Fluchtpunkt des Bildes und erfahren ihre Involvierung – möglicherweise mit Schwindelgefühlen einhergehend – auf somatischer Ebene. Diesem kinästhetischen Immersionseffekt verdanken IMAX-Kinos seit den neunziger Jahren ihre Popularität. Ihre historischen Vorläufer, Achterbahnfahrten in Themen- und Vergnügungsparks sowie filmische phantom rides, reichen sogar bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Filmwissenschaftlerin Constance Balides zufolge ist es in movie ride-Filmen jene Identifizierung der Zuschauenden mit der Kamera(position) und dem vorgegebenen Point of View (POV), die Immersion als »emplacement« (Balides, 2003, S. 327) in der virtuellen Welt ermögliche.
Ein leibphänomenologisch noch weiter gehender Ansatz findet sich in den Texten der Filmwissenschaftlerin Robin Curtis, die sich für Immersion ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. Dank
  6. Einleitung
  7. 1. Theorien der Immersion
  8. 2. Immersives Theater
  9. 3. Polyperspektivismus. Von der Form zur Methode
  10. 4. Publikumsinvolvierung in Aufführungen immersiven Theaters
  11. Fazit: Von vereinnahmender Publikumsinvolvierung zum Theater der Vereinnahmung
  12. Endnoten
  13. Literatur- und Quellenverzeichnis
  14. Anhang
  15. Die Autorin